Die Weltwirtschaft stockt, weil die Warenströme aus Fernost versiegen. Denn das Reich der Mitte stellt seinen Fabriken den Strom ab. Der Grund: Die nuklearen und Kohlekraftwerke können den sprunghaft steigenden Energiebedarf nicht mehr decken. Nun droht eine Versorgungskrise, rund 1,5 Milliarden Menschen stehen ohne Heizung da.
Auch die Anbieter von Solarmodulen oder Speicherbatterien sind von den Engpässen betroffen. Ihre Lieferanten in China müssen die Maschinen abstellen, weil die kostbare Energie für die Winterversorgung der Bevölkerung benötigt wird.
Peking spielt auf Zeit
Peking spielt das Problem herunter, spielt auf Zeit, als ob es sich um eine kurzfristige Delle handelt. Dabei zeigt sich nun, dass die Energieversorgung mit Uran oder Kohle an ihre Grenzen stößt, und zwar grundsätzlich. Denn die steigenden Kosten für den Bergbau, für die Aufbereitung und für den Transport der Brennstoffe beweisen, dass das Rennen gegen Sonnenstrom und Windkraft verloren ist.
Hinzu kommen die enorm steigenden Kosten, um die Auswirkungen des Klimawandels irgendwie unter Kontrolle zu halten. Ein Beispiel: Chinas Industrie ist entlang der Küste zwischen Shanghai und Hongkong angesiedelt. Gigantische Werke werden in den kommenden Jahrzehnten verschwinden, weil sie zu nahe am Wasser stehen.
Oder: Die steigenden Temperaturen lassen jedes Jahr Millionen Hektar Boden verdorren. Im Osten und Nordosten Chinas breitet sich die Wüste immer weiter aus, unaufhaltsam. Dagegen hilft keine Technologie.
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Uran und Kohle decken den Energiehunger nicht
Was jetzt passiert, ist nicht darin begründet, dass in China zu wenige Atommeiler und Kohlekraftwerke laufen. Es ist Symptom, dass der gewaltig steigende Energiehunger mit diesen sehr teuren, sehr schmutzigen und sehr trägen Technologien nicht zu decken ist.
Noch mehr Kraftwerke dieser Art würden China zwingen, noch mehr Geld in Stromtrassen zu stecken, noch mehr Brennstoffe zu horten und noch mehr Milliarden Yuan für Lungenkrebs und Leukämie zurückzustellen. Peking braucht noch mehr Geld im Kampf gegen die Wüsten, noch mehr Geld, um die schwindenden Wasserreserven zu retten und Milliarden für neue Dämme gegen den steigenden Meeresspiegel.
Chinas Energieversorgung steckt in der Falle, weil das Land die entscheidende Modernisierung bisher verschlafen hat: Windkraft und Sonnenstrom wurden viel zu zögerlich ausgebaut. Nun ausgerechnet über neue Atomkraftwerke zu reden, die in zehn Jahren ans Netz gehen könnten, würde diese fundamentale Krise nicht lösen. Es würde nur noch mehr Atommüll und noch mehr strahlende Ionen in Chinas Boomtowns tragen.
Auch neue Kohlekraftwerke lösen die Krise nicht, auch nicht, alte Dreckschleudern wieder anzufahren. Denn der Preis für Kohle wird hoch bleiben – und weiter steigen. Wie für Erdgas, Erdöl oder Uran. Der Smog wird immer dichter, die Bevölkerung immer anfälliger für Erkrankungen der Atemwege. Dass die Menschen in China längst Atemmasken trugen, bevor die Covid-Pandemie losbrach, ist bekannt.
Den Aufstieg teuer erkauft
China und seine Gesellschaft sind erpressbar, solange sie am Faden der Brennstoffe hängen. Jede Volkswirtschaft ist erpressbar, die es nicht schafft, sich von der alten Energiewirtschaft zu lösen. Soll heißen: Künftig wird Wohlstand nur möglich sein, wenn die energetische Basis der Ökonomie auf erneuerbaren Energien beruht.
Chinas Aufstieg zur verlängerten Werkbank der Welt wurde sehr teuer erkauft: Im Umfeld der Atomkraftwerke häufen sich die Fälle von Leukämie (wie im Umfeld der deutschen AKW übrigens auch). Die Kohleverstromung und der Hausbrand von Millionen Wohnungen im Winter legen dichten Smog über die Metropolen, Belastungen durch Schwermetalle steigen. Ähnliches ist in Indien oder Indonesien zu beobachten. Zum Beispiel steigt die Zahl der Lungenkrankheiten enorm an, auch wenn offiziell kaum jemand darüber spricht.
Weiteres Wachstum ist unter diesen Bedingungen nicht möglich, physisch nicht möglich. Wer jetzt nach mehr AKW oder Kohlemeilern ruft, will den Scheitan mit dem Beelzebub austreiben. Denn die aktuellen Engpässe wurden durch diese veralteten Energieerzeuger verursacht, nicht durch erneuerbare Energien.
Energiewende nicht zum Nulltarif
Jede technisierte und hochentwickelte Ökonomie auf der Erde hat nur eine Chance, wenn der Umstieg auf erneuerbare Energien gelingt. Wenn die Dekarbonisierung gelingt. Das hat jedoch Konsequenzen, das klappt nicht zum Nulltarif.
Die großen Solarparks, die China seit zehn Jahren in seine Wüsten und im Hochland von Tibet installiert, sind nur ein Teil der Lösung. Denn sie erfordern teure Stromtrassen, um den Sonnenstrom nach Shanghai, Wuxi und Shenzhen zu bringen.
Große Kraftwerke – auch große Solarparks – bringen noch keine Energiewende. Denn sie schreiben das alte Versorgungssystem der zentralen Großerzeuger und der teuren Überlandtrassen fort. Damit sinken die Strompreise bei den Verbrauchern nicht, nicht in ausreichendem Maße.
Im Gegenteil: Neue Stromtrassen sind sehr, sehr teuer. Auch wenn China erhebliche finanzielle Reserven hat: Irgendwann ist Schluss. Die drohende Pleite des Immobilienkonzerns Evergrande hat gezeigt, wie dünn die Decke geworden ist.
Millionen Dächer und Fassaden nutzen
Deshalb ist es auch in China unverzichtbar, Millionen Dächer und Fassaden für Sonnenstrom zu nutzen. Damit tun sich die Machthaber in Peking jedoch schwer. Denn die dezentrale Versorgung durch Millionen kleinere Solargeneratoren ist ohne das Engagement der Bürgerinnen und Bürger undenkbar. Nur wenn die Menschen selbst investieren – in ihre eigene Versorgung mit sauberem Strom – kann die Wohlstandswende gelingen.
Das kennen wir aus Deutschland: Eben die von den Bürgerinnen und Bürgern betriebene Energiewende liegt den Bürokraten in den Kommunen, in den Bundesländern und in Berlin schwer im Magen. Denn der Staat muss sich aus der Energieversorgung zurückziehen, muss einen wichtigen Pfeiler seiner Macht abgeben. Das tut er nicht freiwillig, nirgends, das muss ihm das Wahlvolk abringen.
Es kann nur noch darum gehen, die solare Energiewende einfach zu ermöglichen. Damit Millionen Privathaushalte und Unternehmen selbst investieren, damit der Umbau der Wirtschaft und die Energiewende zugleich gelingen. Nur dann hat der Wohlstand in Deutschland – oder anderswo – eine Chance.
Die Energiewende ist ein gigantisches Modernisierungsprojekt, dass viel Arbeit in regionale Wertschöpfungsketten bringt. Es steht ein grundsätzlicher Wandel an: Weg vom Import teurer Brennstoffe, weg von wenigen Großkraftwerken mit teuren Hochspannungstrassen, hin zu sauberen Eigenversorgung vor Ort.
Eine Ökonomie, die sich darauf stützt, braucht keine Werkbank in Fernost. Sie braucht keine russischen Gasbarone, keine Ölscheichs und keine Uranmagnaten aus Kanada, Kasachstan oder Mali. Sie kann aus sich selbst heraus organisch wachsen, ohne noch mehr Schmutz, Smog oder Atommüll anzuhäufen. Weil saubere Energie um Überfluss vorhanden ist.
Die Planwirtschaft kann es nicht richten
Es geht nicht nur um Energie und ums Klima. Es geht darum, ob Wohlstand für eine Gesellschaft künftig überhaupt noch möglich ist. Autokratische Systeme wie in China kennen nur das Diktat von oben, die Planwirtschaft soll es richten. Planwirtschaft und Totalitarismus gehören zusammen, das haben die Nazis, die Sowjetunion und Mao Zedong gemeinsam.
Die dezentrale Energiewende passt nicht mit zentralistischen Machtstrukturen zusammen. Darum geht es im Kern, in China und andernorts. Wenn die sogenannte Kommunistische Partei Chinas ernst machen wollte mit der sozialen Revolution, müsste sie bereit sein, Macht abzugeben. Das ist nicht zu erwarten, an diesem Zwiespalt ist schon die Sowjetunion gescheitert – die ungleich mehr Ressourcen zur Verfügung hatte als das Reich der Mitte.
Wenn in den chinesischen Megastädten die Lichter ausgehen – und derzeit gehen sie aus – steht das Regime in Peking auf der Kippe. Es kann sich nur halten, weil es 1,5 Milliarden Menschen bessere Lebensbedingungen verspricht. Das ist das Mantra der Machthaber in Peking, ihr rot gefärbter Katechismus. Es ist ein Wechsel auf die Zukunft, der irgendwann eingelöst werden muss.
Denn die Unzufriedenheit steigt. Das beweist das Aufbegehren der Jugend in Hongkong, das beweist der Exodus der chinesischen Eliten ins Ausland. Offenbar bekommt der Koloss Risse. Genauso sind der zunehmende Isolationismus, die Aufrüstung der chinesischen Armee, die Drohgebärden gegen Hongkong und Taiwan und der wachsende Personenkult um Chinas neuen Führer Xi Jinping zu verstehen. Alles altbackene Konzepte von gestern - ohne Chance auf wirkliche Lösung der Probleme.
Das größte Projekt zur Demokratisierung
Die Energiewende ist das größte Demokratisierungsprojekt in der Geschichte der Menschheit, mächtiger als alle Revolutionen zusammen. Denn mit den fossil-nuklearen Kraftwerken verschwindet die auf Verschmutzung und Verwüstung der Umwelt angelegte Großindustrie, macht kleineren und intelligenteren Systemen Platz. Dinosaurier gegen Ratte: Dieser Umbau erfordert ein Höchstmaß an Kreativität, setzt die Freiheit des Gedankens und der politischen Gestaltung voraus.
Die roten Mandarine spüren, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Dass der Druck im Kessel steigt. Das bürokratische Monster, dass von Peking aus über das ganze Land herrscht, wird der Probleme nicht mehr Herr.
Peking war bereits eine Millionenstadt, bevor London (Londinium) von den Römern gegründet wurde. Fünftausend Jahre Zivilisation haben ein kluges und erfahrenes Volk geschaffen, oder besser: ein Völkergemisch, dem man Augenmaß und Kreativität nicht absprechen sollte. Das Problem ist nicht die chinesische Kultur, die seit Konfuzius durch Werte wie Bescheidenheit, Regsamkeit und Familienliebe getragen wird.
Das Stigma der Geschichte
Das Problem ist die Zwangsjacke überkommener politischer Selbstherrlichkeit, mit der die Führer in Peking und ihre Handlanger regieren. Dieses Stigma durchzieht die chinesische Geschichte seit Menschengedenken. Ob die lange Kette der Himmelssöhne bis Pu Yi, dem letzten Kaiser von China; ob die roten Kaiser von Mao über Deng bis Xi Jinping: China leidet an seinen Mächtigen.
Deshalb hocken Millionen Menschen im Dunkeln, frieren in der Kälte des Winters. Und deshalb werden chinesische Lieferanten für europäische Kunden auf absehbare Zeit sehr unsichere Kantonisten sein.
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