Ein wenig geht es der Photovoltaikindustrie heute so wie vielen Menschen Mitte 30, die sich nach Jahren des Sturm und Drang zum ersten Mal die Frage stellen, was eigentlich im Alter aus ihnen werden soll. Denn lange Zeit hieß es für die Branche ausschließlich: „Höher, schneller, weiter!“ – mehr Effizienz, eine zügigere Fertigung, niedrigere Kosten. Jetzt, wo die ersten installierten Module ausrangiert werden, wird den Solarunternehmen plötzlich schmerzhaft bewusst, dass ihre Produkte eines Tages zum alten Eisen gehören werden. So wie sich die Thirtysomethings auf einmal mit Riester und Rürup beschäftigen müssen, so sind auch die Firmen gezwungen, eine Art Altersvorsorge aufzubauen – sprich, Lösungen für die Entsorgung ausgedienter Module zu finden.
Es gibt einen ganz profanen Grund dafür, dass das Thema gerade jetzt mit Macht auf die Agenda rückt: Mit der Diskussion um das Verbot von Cadmium in Dünnschichtmodulen sowie um eine mögliche Aufnahme der Photovoltaik in die Elektroschrott-Verordnung zwingt die Europäische Union die Solarbranche, sich Gedanken über den Modulmüll zu machen. Wie intensiv sie dies tut, zeigt die Konferenz „Recycling in der Photovoltaik“, die das Zentrum für Technologietransfer Bayern Innovativ im Dezember in München organisierte. Die 160 Teilnehmerplätze waren lange vor der Veranstaltung ausgebucht.
Der Bayern-Innovativ-Geschäftsführer Josef Nassauer machte deutlich, dass der Branche nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, eine Antwort zu finden: „Ab 2015 wird die Menge an Altmodulen stark ansteigen, weil die Anfang der 90er Jahre installierten Panels dann das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben“, prognostizierte er. Zeit, die die Solarunternehmen nutzen wollen, um in Eigenregie eine Infrastruktur für das Sammeln und Verwerten kristalliner wie Dünnschichtmodule aufzubauen. Diese Aufgabe übernimmt die internationale Brancheninitiative PV Cycle, der sich bislang 120 Hersteller und Großhändler angeschlossen haben. Die ersten Schritte hat PV Cycle bereits getan: Heute gibt es in Europa etwa 80 zertifizierte Sammelpunkte, meist bei Installateuren und Großhändlern, die ausrangierte Module zurücknehmen. Von dort werden sie in die Recyclinganlage der Solarworld-Tochter Sunicon im sächsischen Freiberg gebracht. Bei dieser einen Anlage wird es nicht bleiben; die Zahl der Stationen soll, genauso wie die der Sammelpunkte, in den nächsten Jahren wachsen. Den Endkunden wird die Entsorgung so bequem wie möglich gemacht werden: Sie müssen sich nur um die Demontage der Module kümmern. Alles Weitere übernimmt PV Cycle – auch die Kosten. Denn das Recycling wird zunächst einmal ein Zuschussgeschäft sein, wie Sylke Schlenker von Sunicon erläuterte. Wegen der manuellen Separation der Modulkomponenten und des geringen Durchsatzes sind die Kosten der Freiberger Pilotanlage noch hoch. Mit einer Automatisierung der Verwertungsprozesse und aufgrund von Economy-of-Scale-Effekten sinken diese zwar deutlich. Doch bis sich mit dem Recycling tatsächlich Geld verdienen lässt, wird wohl noch einige Zeit vergehen.
Finanzierung des Systems noch offen
Und wie wird dieses System finanziert? PV-Cycle-Präsident Karsten Wambach, zugleich Sunicon-Vorstandsmitglied, erklärte in München, dass diese Frage noch offen sei. „Ein mögliches Modell ist die Gründung einer Genossenschaft, die die Kosten trägt. Wenn ein Akteur den Markt verlässt, werden dessen Anteile von den anderen Unternehmen übernommen“, erläuterte Wambach. Denkbar sei auch ein Fonds, der von PV Cycle verwaltet wird. „Alternativ dazu könnten die Firmen selber Rückstellungen bilden, die insolvenzsicher angelegt werden müssen“, so der PV-Cycle-Chef. Bei der Planung des Systems legt die Organisation für Transport, Verwertung und Organisation Kosten von 240 Euro pro Tonne zugrunde. Allerdings ist diese Zahl nicht allzu zuverlässig. Deshalb will PV Cycle anhand der ersten praktischen Erfahrungen mit dem Rücknahmesystem belastbarere Daten sammeln. Wambach geht davon aus, dass die tatsächlichen Kosten künftig niedriger liegen werden.
In welcher Höhe sich die Unternehmen an der Finanzierung beteiligen, könnte sich nach den Marktanteilen richten. „Aber all dies wird zurzeit noch diskutiert“, sagte Wambach. Zugleich machte er deutlich: „Die Hersteller werden für die Entsorgung zahlen müssen. Wenn nicht über PV Cycle, dann im Rahmen der Elektroschrott-Richtlinie.“ Denn falls der Aufbau industrieeigener Entsorgungsstrukturen scheitern sollte, könnte die EU die Photovoltaik doch noch in dieses Regelwerk aufnehmen.
Welche Kosten beim Rückbau ganzer Solarparks anfallen, hat Gerd Becker, Professor an der Hochschule München, zusammen mit Gehrlicher Solar anhand der Zehn-Megawatt-Freiflächenanlage Helmeringen I untersucht. Becker kommt bei dieser virtuellen Betrachtung – die Anlage wurde erst 2008 errichtet – auf Personal-, Maschinen- und Planungskosten von 322.000 Euro für den gesamten Solarpark. Darin enthalten sind auch die Beträge, die die Betreiber mit dem Weiterverkauf einzelner Komponenten und Materialien erzielen. So können sie zum Beispiel damit rechnen, für die Kabel 9.100 Euro pro Megawatt zu erlösen. Dem stehen Personal- und Maschinenkosten für den Rückbau der Verkabelung von 2.050 Euro gegenüber.
Die Verwertung der insgesamt 140.000 Module berücksichtigt Becker in seiner Berechnung allerdings nicht, da deren Hersteller First Solar eine kostenfreie Rücknahme anbietet. Auf diese Zusage könne man sich auch langfristig verlassen, meint der Wissenschaftler. Die Kosten und Erlöse könnten sich allerdings im Laufe der Zeit deutlich verändern: „Sie sind stark von den wirtschaftlichen Entwicklungen und den Rohstoffpreisen der nächsten 20 Jahre abhängig. Deshalb ist diese Abschätzung natürlich mit Risiken behaftet“, warnt Becker. Dennoch wagt er ein Fazit: „Es zeigt sich deutlich, dass die Kosten für den Rückbau in Relation zum gut prognostizierbaren jährlichen Ertrag der Anlage sehr gering ausfallen.“
Recycling – wirklich ökologisch?
In ähnlicher Weise hat Michael Held vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart eine Kosten-Nutzen-Rechnung für das Modulrecycling vorgenommen – allerdings aus ökologischer Sicht: Er hat anhand von Cadmiumtellurid (CdTe)-Modulen ermittelt, wie sich deren Verwertung auf Parameter wie den Primärenergieverbrauch oder das Versauerungs-, Eutrophierungs- und Treibhauspotenzial auswirkt. Dabei hat er auf der Soll-Seite unter anderem den Energieverbrauch des Recyclings und die dafür nötigen Betriebsstoffe, die Abwassernachbehandlung und die Entsorgung von Abfällen berücksichtigt. Auf der Haben-Seite stehen Gutschriften etwa für die thermische Verwertung der Kunststoffe sowie für das Wiederverwerten von Kupfer und der Glasscherben. Beim Energieverbrauch zum Beispiel schlägt der für das Recycling nötige Strom mit elf Prozent der Menge zu Buche, die bei der Herstellung eingesetzt wird. Allerdings spart die Verwertung an anderer Stelle Energie ein, etwa wenn das Altglas aus den Modulen für die Produktion von neuem Glas verwendet wird. Zudem lässt sich mit dem Verbrennen der Kunststoffe Energie gewinnen.
Fließen solche Faktoren in die Rechnung mit ein, dann mindert das Recycling unter dem Strich den Energieverbrauch – insgesamt um zwei Prozent dessen, was bei der Produktion verbraucht wird. Auf ein ähnliches Ergebnis kommt der Wissenschaftler bei der Analyse des Treibhauspotenzials: Die ökologische Belastung durch das Recycling liegt gemessen an dem der Herstellung bei dreizehn Prozent. Unter Einberechnung der Gutschriften, etwa der Reduzierung des Energieverbrauchs durch das Recycling, sorgt die Verwertung jedoch für eine Minderung des Treibhauspotenzials um sechs Prozent.
So lautet Helds vorsichtiges Fazit: „Das Recycling kann einen Beitrag zur Verbesserung des Umweltprofils leisten.“ Vorsichtig vor allem deshalb, weil der Forscher die Verwertung des Halbleitermaterials im Filterkuchen bei seinen Berechnungen nicht berücksichtigen konnte, da die Datengrundlage hier noch unzureichend ist. „Solche Fragestellungen müssen künftig im Detail untersucht werden, um belastbare Ergebnisse zu erhalten“, so Held.