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Infrastruktur

Endlich birektional laden

Die Zahl der Elektroautos nimmt zu. Dies hat Auswirkungen auf das Stromnetz. Die Autos können aber auch die Energiewende beschleunigen. Schließlich wird der Bedarf an Netzdienstleistungen und Speichern bei steigendem Anteil volatiler Stromerzeugung aus Solar- und Windkraftanlagen zunehmen.

Hier bieten sich die Elektroautos als mobiler Speicher an. Die ersten Ansätze gibt es bereits. Welche Möglichkeiten die mobilen Akkus für das Netz bieten, zeigt der Darmstädter Anbieter von Stromtankstellen Lade. Das Unternehmen hat eine Simulation entwickelt, die abhängig vom Ausbau der Ökostromversorgung und der Marktentwicklung der Elektromobilität den möglichen Einsatz von Elektroautos als Netzspeicher zeigt (siehe auch Interview auf Seite 67).

Viele Ladepunkte notwendig

Lade geht davon aus, dass sich das bidirektionale Laden in Zukunft etablieren könnte. „Das ist wie mit THG-Zertifikaten. Diese werden gesammelt und als Pakete gehandelt. So könnte man das auch mit den Fahrzeugspeichern machen“, prognostiziert Dennis Schulmeyer, Geschäftsführer von Lade. „Dadurch kann man einen gigantischen vernetzten dezentralen Speicher gegenüber den Netzbetreibern darstellen und Regelenergie vermarkten. Da muss man niemanden überreden. Die Autobesitzer werden das machen“, ist er sich sicher.

Das Unternehmen hat seine Geräte technisch schon darauf vorbereitet. Das Entscheidende ist dabei die Qualität der eingespeisten Energie. „Wir brauchen dafür aber möglichst viele Ladepunkte, damit die Autos angeschlossen werden können, wenn sie länger stehen“, bschreibt Schulmeyer den ersten Schritt. „Der zweite Schritt ist, dass der Ladepunkt mit dem Auto kommuniziert.“

Der Nutzer bekommt Geld

Hier liegt es vor allem an den Autoherstellern, die Möglichkeit in ihre Fahrzeuge zu integrieren, dass der Fahrer angeben kann, für wie viele Kilometer er bei der nächsten Fahrt Energie braucht. „Man könnte auch das Nutzerverhalten konkret abfragen“, sagt Schulmeyer. „Im nächsten Punkt versuchen wir, mit künstlicher Intelligenz zu prognostizieren, in welchem Zeitfenster das Fahrzeug zur Verfügung steht und wann es mit welcher Energiemenge wieder gebraucht wird. Intuitive Apps und Ladepunkte muss man dann so bauen, dass der Nutzer am Ende gar nicht mehr merkt, dass sein Akku verwendet wird, sondern er bekommt einfach Geld für die Nutzung.“

Die Intelligenz für die Abwicklung des bidirektionalen Ladens muss dann ein bisschen in der Ladesäule, aber vor allem in einer Cloud-Infrastruktur stecken. Dabei geht Dennis Schulmeyer davon aus, dass die Umwandlung des Wechselstroms in Gleichstrom ins Auto verlagert wird und die Ladesäule nur Wechselstrom liefert – in beide Richtungen. „Denn Laden auf der AC-Seite ist definitiv sinnvoller“, betont der Lade-Chef. „Andernfalls müsste die gesamte Umwandlung des Stroms in die Ladesäule integriert werden. Das kostet viel Geld – wir rechnen mit dem Faktor zwei bis drei im Vergleich zu einer AC-Ladesäule.“

Das ist zwar bei Ladesäulen nicht anders. „Doch wenn wir die Autos als stationäre Speicher nutzen wollen, brauchen wir mehr Ladepunkte als Autos“, begründet Schulmeyer den Ansatz. „Denn ein Auto steht in der Regel an mehreren Orten pro Tag. Dort müsste sich immer eine Ladesäule befinden, an die das Auto angeschlossen werden kann. Deshalb ist es besser, bei Komponenten des Systems die Kosten zu sparen, wo mehr Geräte gebraucht werden und das ist beim bidirektionalen Laden das Auto und nicht die Ladesäule.“

Bisher ist das bidirektionale Laden aber noch weitgehend Zukunftsmusik. Momentan geht es eher darum, dass die Besitzer ihre Elektroautos überhaupt laden können, und zwar möglichst mit Ökostrom. Was im Einfamilienhaus maximal eine Frage der Nutzung des selbst produzierten Solarstroms ist, ist im Gewerbe und in Mehrfamilienhäusern mit Tiefgaragen allerdings schon eine Frage der Ladestrategie, dass zum vorgegebenen Zeitpunkt die Akkus der Autos wie geplant voll sind.

Ganze Fahrzeugflotten laden

Hier müssen Prioritäten her. „Denn wenn die Leistung des Netzanschlusses inklusive Photovoltaik nicht ausreicht, kann nicht einfach langsamer geladen werden. Denn dann besteht das Risiko, dass einzelne Autos nicht ausreichend geladen sind, wenn sie gebraucht werden. Das ist heute noch selten der Fall, weil noch wenige Autos an einem Punkt geladen werden. Doch in Zukunft wird sich das ändern“, weiß Matthias Suttner, Leiter des Key Account Managements Wholesale bei The Mobility House.

Simulation: Wenn die Ausbauziele für die Ökostromerzeugung der Bundesregierung erreicht sind und die Akkus der Elektroautos als Speicher genutzt werden, bleibt in einer Februarwoche kaum noch Platz für konventionellen Strom im Netz.

Foto: Lade

Simulation: Wenn die Ausbauziele für die Ökostromerzeugung der Bundesregierung erreicht sind und die Akkus der Elektroautos als Speicher genutzt werden, bleibt in einer Februarwoche kaum noch Platz für konventionellen Strom im Netz.

Kunden laden schneller

Das Unternehmen sammelt seit Jahren Erfahrungen mit dem Aufbau von intelligenten Ladeinfrastrukturen in Gewerbe- und Bürogebäuden, aber auch in Wohnimmobilien und bei Logistikunternehmen. So errichtet The Mobility House unter anderem die Ladeinfrastruktur für die österreichische und die irische Post. Auch bei Zalando hat das Unternehmen die Infrastruktur für das Laden der Fahrzeugflotten aufgebaut. „Hier geht es um höchste Zuverlässigkeit“, betont Suttner. „Denn die Autos müssen am nächsten Tag sicher voll geladen sein, sonst bekommt der Logistikdienstleister riesige Probleme.“

Schließlich ist es teuer, an einer externen Ladestation das Fahrzeug schnell vollzutanken. Deshalb sind hier ein ständiges Monitoring und ein sofortiger technischer Service entscheidend, um schnell reagieren zu können, wenn eine Ladestation ausfällt. Die Möglichkeiten reichen dann vom Neustart der Ladesäule aus der Ferne bis hin zum Servicetechniker, der schnell vor Ort ist und das Problem beheben kann.

Dynamisches Lastmanagement

So groß ist die Herausforderung für die Ladeinfrastruktur der Unternehmens- oder Supermarktparkplätze oder der Tiefgaragen von Mehrfamilienhäusern nicht. Dennoch muss der Planer auf die Anforderungen vor Ort achten. So müssen Unternehmen auf ihren Parkplätzen unterschiedliche Strategien abbilden.

Da muss das Auto eines Kunden, der nach zwei bis drei Stunden wieder weiterfahren muss, anders priorisiert werden als das Auto des Mitarbeiters, das acht Stunden auf dem Parkplatz steht. Dieses kann langsamer laden und muss auch nicht zwingend voll geladen sein, damit der Mitarbeiter wieder nach Hause kommt. Solche Ladestrategien sind im Mehrfamilienhaus wiederum komplizierter. Denn die Infrastruktur ist hier stärker beschränkt, weil die Leistungsreserve beim Laden in der Regel geringer ist. Dazu kommt noch, dass die Autos in der Regel abends ankommen, wenn die Familien im Gebäude kochen.

Das ist eine Herausforderung für das Energiemanagement. „Wir setzen deshalb in der Regel einen eigenen Anschluss oder rüsten den vorhandenen Anschluss auf, um genügend Leistung zur Verfügung zu haben“, erklärt Matthias Suttner. Das hängt von der Größe des Objekts ab. Rein rechnerisch würden zwei Kilowatt pro Fahrzeug acht Stunden lang ausreichen, um die tägliche Durchschnittsstrecke eines Elektroautos von 50 Kilometern abzudecken.

Unterschiedliche Ansprüche berücksichtigen

Es ist aber nicht immer klar, ob und welche Autos schneller geladen werden müssen. Entsprechend muss das Lade- und Energiemanagement flexibler ausgelegt werden als bei einem Unternehmen, wo klar getrennt werden kann, an welcher Ladesäule die Schnelllader hängen. „Damit dann der zentrale Anschluss nicht überlastet wird, bietet sich ein dynamisches Lastmanagement an“, sagt Suttner. „Dazu messen wir kontinuierlich die Lastspitzen im Gebäude und reagieren mit der Ladeinfrastruktur darauf.“ So wird es möglich, dass abends, wenn die Bewohner viel Strom brauchen, die Autos langsamer geladen werden als nachts, wenn kaum Stromverbrauch vorhanden ist.

Hier ist eine gewisse Priorisierung der Lasten im Gebäude dringend notwendig und bei der Planung zu berücksichtigen. Das gilt auch für alle anderen Komponenten wie eine vorhandene Solaranlage, Speicher, elektrische Heizsysteme, elektrische Rampenheizungen in Tiefgaragen, Klimaanlagen oder andere Großverbraucher wie Entlüftungen im Brandfall

Kommunikation standardisiert

Diese müssen auf jeden Fall immer mit Strom versorgt sein. „Die Ladesäulen müssen mit solchen Systemen gekoppelt sein. Entweder messen wir dazu den Netzanschluss über einen eigenen Zähler oder wir binden die Ladestationen über standardisierte Modbus-Schnittstellen in ein vorhandenes Energiemanagement ein“, beschreibt Matthias Suttner den Aufbau.

Die standardisierten Kommunikationsschnittstellen wie das Open Charge Point Protocol (OCPP 1.6) vereinfachen auch die spätere Nachrüstung von weiteren Ladesäulen. Solche Parameter sollten auf jeden Fall bei der Planung berücksichtigt werden. „Denn es wird in Zukunft mehr intelligente Strategien brauchen, um die Priorisierung von Ladevorgängen und Ladestationen sowie die Einbindung in das Energiemanagement zu realisieren, damit die Akzeptanz für die Elektromobilität nicht leidet“, prognostiziert Suttner.

Auf Supermarktparkplätzen wiederum können völlig andere Strategien eine Rolle spielen. Denn hier kommt es darauf an, was der Betreiber damit erreichen will und wer die Kunden sind, die zum Einkaufen kommen. So wäre es kaum notwendig, in einer ländlichen Region mit vielen Einfamilienhäusern Schnellladestationen auf den Parkplätzen aufzubauen. Denn in der Regel laden die Autobesitzer dann ohnehin zu Hause.

Chancen für Supermärkte

In Städten wäre der Schnelllader auf dem Parkplatz wiederum ein Magnet, um Kunden zu binden. Denn wenn ein Autobesitzer weiß, dass er dort nach dem Einkauf ein volles Elektroauto hat, wird er immer wieder kommen. Hier wäre es sogar denkbar, nicht die leistungsstärksten Ladestationen zu installieren. Denn dann könnte eine etwas längere Ladezeit einige Kunden dazu animieren, eventuell länger zu bleiben und in der angeschlossenen Bäckerei noch einen Kaffee zu trinken.

Solche Strategien könnten sogar so weit gehen, dass die Betreiber von Supermärkten an Autobahnabfahrten die Ladesäulen anbieten könnten, um einen Raststättenersatz zu bieten. Denn dann können die Autofahrer schnell von der Autobahn abfahren, ihre Fahrzeuge auf dem Supermarktparkplatz laden und nebenbei einkaufen gehen und sich für die Weiterfahrt stärken.

Nicht nur fürs bidirektionale Laden müssen jede Menge Stromtankstellen aufgebaut werden.

Foto: Velka Botička

Nicht nur fürs bidirektionale Laden müssen jede Menge Stromtankstellen aufgebaut werden.

BayWa r.e.

Digitale Steuerung der Ladeinfrastruktur

Baywa r.e. und die Tank E haben einen Rahmenvertrag zur Bereitstellung intelligenter Ladeinfrastruktur für Industrie- und Gewerbekunden geschlossen. Auf dieser Basis wollen die beiden Unternehmen im Bereich E-Mobilität künftig enger zusammenarbeiten. Baywa r.e. liefert dazu die entsprechenden Komponenten. Der Mobilitätsdienstleister Tank E wiederum unterstützt die Firmenkunden dabei, entsprechende Standorte digital mit intelligenter Steuerungssoftware auszurüsten.

Die beiden neuen Partner haben auch schon das erste gemeinsame Projekt beim Bau- und Logistikunternehmen Max Wild in Berkheim umgesetzt. Dort hat Baywa r.e. den Parkplatz mit einem Solarcarport mit einer Leistung von etwa 180 Kilowatt überdacht. Zusätzlich wurden fünf Ladestationen installiert. Die Mitarbeiter und Kunden von Max Wild können ihre Elektroautos dort auftanken.

Gesteuert wird die Ladeinfrastruktur über die Chargecloud von Tank E. Die Ladelösungen werden dabei in die Energieinfrastruktur vor Ort integriert und mit der Backendplattform verbunden. Neben einer Übersicht über zugeordnete Standorte und Ladepunkte werden auch Ladevorgänge live angezeigt. Ein integriertes Energiemanagementsystem sorgt für die Vernetzung der verschiedenen Komponenten und regelt gleichzeitig die Ladeleistung, abhängig vom Gesamtstromverbrauch des Standorts.

Foto: Baywa r.e.

Kurz nachgefragt

Dennis Schulmeyer ist Geschäftsführer von Lade, einem Anbieter von kompletten Ladelösungen. Das Unternehmen hat einen Simulator entwickelt, der das Potenzial des bidirektionalen Ladens zeigt.

Foto: Julia Teine

Dennis Schulmeyer ist Geschäftsführer von Lade, einem Anbieter von kompletten Ladelösungen. Das Unternehmen hat einen Simulator entwickelt, der das Potenzial des bidirektionalen Ladens zeigt.

„Die Grundsteine für bidirektionales Laden legen“

Sie zeigen mit einem Simulator, wie viel Energie Akkus von Elektroautos speichern und wieder einspeisen können. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Dennis Schulmeyer: Wir wollen einerseits der Öffentlichkeit zeigen, welches gigantische Potenzial die Elektroautos als Zwischenspeicher für Strom aus regenerativen Quellen haben. Auf der anderen Seite wollen wir die Politik davon überzeugen, dass sie Autohersteller dazu verpflichtet, bidirektionale Ladegeräte für AC-Laden in ihre Autos einzubauen. Denn wir müssen jetzt die Grundsteine legen und mit dem Aufbau der entsprechenden Technologie beginnen, wenn wir bidirektionales Laden in einigen Jahren etablieren wollen.

Auf welchen Daten basiert die Simulation?

Wir haben drei verschiedene Szenarien für den Ausbau der erneuerbaren Energien und das Marktwachstum der Elektromobilität simuliert: den jetzigen Status, der mit Schiebereglern an jedes gewünschte Szenario angepasst werden kann, die Ziele der Bundesregierung bis 2030 mit 15 Millionen Elektroautos und das Szenario aus der Studie Klimaneutrales Deutschland 2045 von Agora Energiewende.

Welche Batteriekapazität der Elektroautos haben Sie hinterlegt?

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die Batteriekapazität von Elektroautos in den nächsten Jahren weiter steigt. Der Standard liegt derzeit bei 50 Kilowattstunden und er wird bis 2030 wahrscheinlich auf 100 Kilowattstunden steigen. Wir rechnen konservativ mit 50 Kilowattstunden und gehen davon aus, dass nur die Hälfte der Autos gleichzeitig an eine Ladestation angeschlossen ist. Daraus ergibt sich dann das zur Verfügung stehende Speichervolumen der Elektroautos. Wir gehen gleichzeitig von einer Lade- und Entladeleistung von zehn Kilowatt aus. Zudem haben wir den Wirkungsgrad und auch die Netzlast einkalkuliert, die die Elektroautos verursachen. Was wir noch nicht mitein­gerechnet haben, ist die Glättung dieser Netzlast, die durch das intelligente Laden der Elektroautos möglich wird.

Die Visualisierung zeigt ein riesiges Potenzial. Für wie realistisch halten Sie es, dass sich das bidirektionale Laden etabliert?

Allein wenn Fahrzeuge verpflichtend für bidirektionales Laden ausgestattet wären, würde es ausreichen, damit unsere berechneten Szenarien so eintreten. Denn dies würde das Interesse der Besitzer der Elektroautos wecken, ihre Akkus als Speicher für den Regelenergiemarkt zur Verfügung zu stellen.

Das Interview führte Sven Ullrich.

Wirelane

Netzdienliche Steuerung von Ladesäulen im Test

Der Anbieter von Wallboxen Wirelane testet zusammen mit Netze BW, wie die intelligente Steuerung von Ladesäulen die Netze entlasten kann. Dazu haben die beiden Projektpartner in Künzelsau acht Haushalte, die an einem gemeinsamen Stromkreis angeschlossen sind, mit einer Ladesäule und einem Elektroauto ausgestattet. Über sechs Monate sollen damit die Auswirkungen der Elektromobilität im realen Netzbetrieb getestet werden.

Um das netzdienliche Lademanagement zu erproben, werden intelligente Messsysteme – digitale Stromzähler – genutzt und durch zusätzliche Steuerboxen ergänzt. „Mit diesen beiden Komponenten können wir Ladevorgänge beeinflussen. Das ermöglicht uns, eine größere Anzahl von E-Fahrzeugen in unser bestehendes Stromnetz zu integrieren – bei gleich bleibender Versorgungssicherheit“, erklärt Sven Zahorka, Projektleiter von Netze BW. Die in Künzelsau gemachten Erfahrungen sollen helfen, eine einheitliche Steuerung des Ladens zu entwickeln. „Zusätzlich gewinnen wir praxisnahe Einblicke in die Nutzung von Ladeinfrastruktur am Zielort sowie die stufenlose Steuerung der Ladeleistung an den Ladepunkten, um Lastspitzen im Stromnetz ideal zu managen“, ergänzt Sergius Badea, Technikchef von Wirelane.