Allein im ersten Halbjahr 2015 wurden in Österreich 815 rein elektrisch betriebene Elektrofahrzeuge neu zugelassen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Plus von 20 Prozent. Laut dem österreichischen Umweltbundesamt waren Ende 2015 rund 8.000 Stromer unterwegs, bis 2017 sollen es 23.000 sein. Dies beinhaltet aber auch Plug-in-Hybridautos.
Der VW-Skandal über manipulierte Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen hat die Öffentlichkeit schockiert. Kann „Dieselgate“ helfen, dass mehr Elektroautos schneller auf die Straßen kommen?
Jürgen Halasz: Das Image des weltweit größten Autobauers ist enorm angekratzt, so viel ist klar. Volkswagen kann deshalb nur die Flucht nach vorn antreten. Und wenn ein Konzern dieser Größe eine Technologie voranbringen will, passiert auch etwas. Ich erinnere mich, dass VW sich lange den Pick-up-Markt nur angeschaut hat. Die Wolfsburger dachten, dass andere das besser können. Als der Markt aber immer größer wurde, ist VW eingestiegen und dort relativ schnell die Nummer eins geworden.
VW hat 20 neue elektrische Modelle für die nächsten fünf Jahre angekündigt, darunter sind vor allem Hybridmodelle. Bringen Hybridantriebe die Elektromobilität ebenso voran – oder verlängern sie die Dominanz der Verbrennungsmotoren?
Antriebe mit Elektro- und Verbrennungsmotor bremsen den Umstieg auf eine rein elektrische Mobilität, anstatt sie zu beschleunigen. Denn viele private Fahrer kommen mit der Reichweite der Stromer eigentlich aus. Da braucht es keinen zusätzlichen Dieselmotor. Hinzu kommt: Der Literpreis für Öl ist derzeit einfach zu billig. Voraussetzung für eine emissionsfreie Elektromobilität ist natürlich, dass vollständig Ökostrom geladen wird.
Für wen lohnt sich die Anschaffung eines E-Autos?
60 Prozent der Neuwagen werden als Dienstwagen zugelassen. Es ist also wichtig, Anreize für Firmen zu setzen, damit sie sich für ein Elektromodell entscheiden. Ich denke, dass zuerst Leute im Topmanagement die Rechenübung machen werden, ob anstelle eines Audi Q6 vielleicht ein Tesla infrage kommt. Voraussetzung dafür ist, dass der Fahrer mit 300 Kilometer ehrlicher Reichweite auskommt. Das Unternehmen kann zudem die Vorsteuer abziehen, das gilt derzeit nur bei Elektroautos. Darüber hinaus ist der Stromer auch ein Image-Gewinn für die Firma. Anschließend könnte ein Skaleneffekt einsetzen. Nur durch den Verkauf von mehr mit Strom betrieben Mittelklassewagen, werden die E-Autos auch in diesem Segment billiger und somit konkurrenzfähig zu einem Verbrenner.
Was können private Unternehmen oder ein Versorger wie Wien Energie dazu beitragen, Stromer schneller auf die Straße zu bekommen?
Wir sammeln derzeit Erfahrungen mit verschiedenen E-Fahrzeugen, die in unserem Fuhrpark sind. Aus den Daten der Nutzung wollen wir lernen, um den Fuhrpark künftig peu à peu elektrisch umzustellen. Derzeit sind 18 Fahrzeuge von rund 400 elektrisch angetrieben, sprich rund fünf Prozent. Aber das ist sicher nicht das Ende der Fahnenstange.
Was halten Sie für möglich?
Ein anderes Beispiel aus Österreich zeigt, was bereits heute möglich ist. Die Kollegen von Energie Graz haben bereits die Hälfte ihrer gesamten Flotte auf Elektroantrieb umgestellt. Bei Wien Energie muss man sagen, dass die Grenzen unseres Versorgungsgebietes nicht mehr mit einem Elektrofahrzeug erreichbar sind. Deshalb sieht unser Mix im Fuhrpark derzeit noch konservativer aus. Aber ein Wert von 50 Prozent sollte in den nächsten Jahren auch für uns machbar sein.
Wird Mobilität künftig ein interessantes neues Geschäftsmodell für Versorgungsunternehmen sein?
Sicher, Mobilität ist als Dienstleistung immer mehr gefragt. Versorger bieten den Kunden künftig ein Fahrzeug zur Miete an. Und das muss nicht nur ein Pkw oder Nutzfahrzeug, sondern kann auch ein Zweirad wie E-Roller oder E-Bike sein. Gerade die Zweiräder steigen in der Gunst der Kunden immer mehr, weil sie damit in der Stadt meist schneller vorankommen.
Konzerne aus verschiedenen Branchen arbeiten an Elektroflitzern: Autobauer, Energieversorger ebenso wie Mobilfunkanbieter und IT-Unternehmen. Wer hat die besten Karten?
Es wird wohl auf ein Zusammenspiel hinauslaufen. Jedes Unternehmen hat seine eigenen Kernkompetenzen und kann dementsprechend nicht alles andere gleichermaßen gut. Aber klar, Autokonzerne können sich vorstellen, künftig auch selbst Strom in die Akkus ihrer Kunden zu füllen. Bei den etablierten Unternehmen wird die Umstellung aber nicht so schnell gehen.
Wo liegen die Herausforderungen?
Die Ladekarte muss beispielsweise durchgängig in verschiedenen Gebieten funktionieren. Das ist wichtig für die Akzeptanz der elektrischen Mobilität. Der BEÖ ist ein Zusammenschluss von elf regionalen und kommunalen Energieversorgern. Der Verband hat sich auf die Fahnen geschrieben, dass es möglich sein soll, mit einer einzigen Ladekarte oder einer App in allen Regionen zu laden. Anfangs hat jeder Versorger eigene Ladesysteme aufgesetzt. Künftig müssen alle Systeme für die Kundenverwaltung synchronisierbar sein. Die Schnittstellen der Software müssen in Zukunft für alle neuen Systeme offen sein. An den E-Tankstellen von Wien Energie können teilweise bereits andere Kartensysteme eingesetzt werden. Wir lernen daraus und bauen das Angebot sukzessive aus.
Hat Wien als größte Stadt in Österreich eine Vorreiterrolle für die Elektromobilität?
Ja und nein. Einerseits fährt die U-Bahn schon mehr als 100 Jahre elektrisch. Auf der anderen Seite muss man sich überlegen, inwieweit der Individualverkehr überhaupt gefördert werden soll. Das Strichwort lautet hier Parkraumbewirtschaftung. Deshalb hat Wien gerade beschlossen, E-Taxis und Carsharing-Kunden an Ladesäulen im öffentlichen Raum aufladen zu lassen, aber eben keine privaten E-Autofahrer. Die können in Garagen laden, wo die Installation einer Wallbox auch günstiger ist. Allerdings ist es auch wichtig, die Elektromobilität für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen – und das geht nicht verborgen in einer Garage.
Die Schweiz und Norwegen sind bei Elektromobilität inzwischen weiter. Sind die Stromer noch Luxusgüter?
In Norwegen, Holland oder der Schweiz gibt es klassische, sprich direkte Kaufsubventionen. Dort tut sich mehr, aber das ist wenig überraschend. Die Sachbezugsbesteuerung soll auch Unternehmen in Österreich anreizen, künftig mehr neue Stromer anzuschaffen. Den Markt für Firmenwagen gilt es zuerst zu erschließen.
Welche Erkenntnisse liefert das Projekt Neumo?
Neumo steht für das Konsortium Neue Urbane Mobilität GmbH. Mehrere Unternehmen und zwei Forschungseinrichtungen sind daran beteiligt. Das Konzept verbindet den öffentlichen Nahverkehr und verschiedene Mietwagenanbieter sowie Carsharing. Außerdem gibt es das Projekt Smile. Es steht allen Anbietern von Mobilitätsangeboten offen und soll einen möglichst reibungslosen Übergang zwischen öffentlichen und individuellen Verkehrsmitteln ermöglichen. Ein weiteres Projekt in Wien ist E-Taxi. Ein Taxi kann mit bis zu 8.000 Euro gefördert werden. Das ausgegebene Ziel: Bis 2018 sollen 250 Elektrotaxis in der Stadt unterwegs sein. Zudem installiert Wien Energie in 2016 sieben bis zehn Schnellladestationen.
Sehen Sie Elektroautos künftig als mobile Speicher?
Das hängt entscheidend von der Reichweite der Autos ab. Bei 130 Kilometern echter Fahrleistung werden die Kunden das E-Auto sicher nicht ins öffentliche Stromnetz entladen. Bei mehr Reichweite könnte das interessant werden, zusammen mit neuen Tarifen in einem Smart Grid.
Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.
www. beoe.at
Jürgen Halasz
ist Manager bei Wien Energie und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Elektromobilität Österreich, kurz BEÖ. Seit Anfang 2015 gibt es den Verband für Elektromobilität im Nachbarland. Privat besitzt Halasz übrigens kein Auto, da er in einer autofreien Siedlung wohnt. Zu dienstlichen Terminen fährt er allerdings gern elektrisch.