Welchen Ausbau der Netze brauchen wir?
Klaus-Dieter Maubach: Zunächst müssen wir die bekannten Projekte im Übertragungsnetz realisieren. Es gibt seit einigen Jahren konkrete Planungen, deutlich über mehrere Tausend Kilometer an Höchstspannungsleitungen zu bauen. Diese Leitungen müssen jetzt sehr hohe Priorität haben. Da herrscht Einigkeit zwischen allen Beteiligten – der Politik, der Regulierungsbehörde und den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB). Die Thüringer Strombrücke zum Beispiel wird spätestens dann notwendig, wenn das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld bei Schweinfurt Ende 2015 vom Netz geht. Das ist nur ein Beispiel für die Notwendigkeit, die Übertragungsnetze auszubauen.
Die Übertragungsnetze laufen mit Spannungen von 110 oder gar 380 Volt. Dafür haben die Betreiber einen umfangreichen Ausbauplan vorgelegt. Ein großer Teil davon wurde von der Bundesnetzagentur (BNetzA) nicht genehmigt. Planen die Netzbetreiber zu viele Trassen, die am Ende gar nicht gebraucht werden?
Grundsätzlich übernehmen die Übertragungsnetzbetreiber die betriebliche Verantwortung für die Stromversorgung. Es wird immer wieder bezweifelt, dass der Ausbau in dem Maße kommen muss, wie er geplant ist. Diejenigen, die diese Kritik vortragen, müssen aber nicht die Sicherheit für die Stromversorgung übernehmen. Ich hatte lange Zeit Betriebsverantwortung. Ich weiß, man ist für jede Leitung dankbar, die in schwierigen Situationen zur Verfügung steht. Ich tue mich daher grundsätzlich schwer, Kritik an den Übertragungsnetzbetreibern und ihren Plänen zu üben.
Wie könnte man die Planungen absichern?
Um wirklich beurteilen zu können, welcher Netzausbau notwendig ist, müssten wir uns intensiv mit den Annahmen beschäftigen, die in den Planungen unterstellt sind. Das hängt zum Beispiel davon ab, ob es zu dem von der Bundesregierung bisher geplanten Ausbau von Offshore-Wind kommt. Ursprünglich waren bis zum Ende dieses Jahrzehnts etwa zehn Gigawatt geplant. Jetzt soll dieser Ausbau auf sechs bis sieben Gigawatt Leistung zurückgefahren werden. Dann braucht man natürlich für drei bis vier Gigawatt weniger Transportleitung. Insofern hängt der Netzausbau auch von den politischen Weichenstellungen ab.
Speicher und die Fähigkeit der Photovoltaikanlagen, Systemdienstleistungen zu übernehmen, fehlen vollständig in den Ausbauszenarien der Netzbetreiber. Haben sie kein Vertrauen in die technologische Zukunft?
Das verstehe ich. Ich war selbst für viele Jahre bei einem Regionalversorger für das Netz verantwortlich, unter anderem in Sachsen-Anhalt. Wir sind sicherlich vorsichtig an die Planung gegangen und haben nicht den großen Ausbau der Netze geplant. Dann kam der Ausbau der Windkraft in Sachsen-Anhalt aber mit unglaublicher Dynamik, wir liefen mit dem Netzausbau hinterher. Umso stabiler wir vorhersagen, wie viel Erzeugungsleistung wir wo im Netz zukünftig anschließen möchten, desto besser ist die Planung des Netzausbaus.
Muss sich also der Netzausbau an den Zubau der erneuerbaren Energien anpassen?
Wir müssen in der Tat die Netze so ausbauen, wie es die Verbraucher und die Erzeuger brauchen. Das Netz ist eine Dienstleistung. Es ist nicht allein in der Lage, die Stromversorgung sicherzustellen. Es braucht die Erzeuger und die Kunden. Die Herausforderung besteht darin, das möglichst so zu realisieren, dass auch eine gewisse Planungssicherheit besteht. Das gilt weniger für das Verteilnetz. Dort braucht man nicht die unglaublich lange Vorlaufplanung. Aber bei den Übertragungsnetzen wissen wir, dass wir sehr lange Planungsverfahren haben, bis entsprechende Genehmigungen erteilt werden. Da ist es notwendig, dass man eine gute Planung hat.
Das heißt also, dass die Planung und die Umsetzung schneller gehen müssen?
Auf der einen Seite brauchen wir die Netze, die Projekte müssen realisiert werden. Auf der anderen Seite geht das alles nicht so schnell, wie sich das alle Beteiligten vorstellen. Ich will nicht dem Ausschalten von irgendwelchen Planungsstufen das Wort reden. Aber ich denke, dass wir in den vergangenen Jahren gezeigt haben, dass man Infrastrukturprojekte beschleunigen kann – wenn sie für das Land wichtig sind. So gab es die Projekte der deutschen Einheit, große Infrastrukturprojekte. Die Energiewende ist auch ein solches Großprojekt, das alle wollen. Da muss man sich politisch fragen, ob man nicht Wege findet, um die Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen. Das ist schwierig. Vor Ort finden nicht alle toll, wenn sie eine neue Stromleitung vors Haus bekommen. Aber wir müssen das machen, damit die Energiewende vorwärtskommt. Wir brauchen die Infrastruktur, die den Strom nicht nur einsammelt. Sie ist vorhanden. Wir brauchen auch Leitungen, um die eingesammelte elektrische Energie abzutransportieren.
Letztlich zahlen alles die Stromkunden. Brauchen wir eine Veränderung im System der Netzentgelte?
Ich denke schon. Nur ein Beispiel: Der Ausbau der Windkraft geschieht überwiegend in Regionen mit geringer Bevölkerung. Das heißt, der Windstrom wird nicht regional verbraucht, sondern muss abtransportiert werden. Dazu müssen die Netzbetreiber in den Netzausbau investieren. Dieses Geld müssen sie über die Netzentgelte wieder einspielen und legen die Kosten auf die Kunden in ihrem Netzgebiet um. Diese Kunden bezahlen folglich einen Netzausbau, den sie als Stromverbraucher vor Ort gar nicht brauchen, denn sie kommen auch mit dem bestehenden Netz zurecht. Die Netzentgelte steigen also für Kunden, die für den Netzausbau gar nicht verantwortlich sind.
Welche Lösungen würden Sie favorisieren?
Ich rege an, ein neues System der Kalkulation der Netzentgelte zu entwickeln. Auf der einen Seite stehen die Kosten. Die Bundesnetzagentur genehmigt dem Netzbetreiber die Kosten für den Netzausbau. Dieser wiederum muss die Kosten umlegen. An dieser Stelle sollten wir grundsätzlich überlegen, ob wir eine Kostenaufteilung zwischen Erzeugern und Verbrauchern einführen. Andere Länder machen das schon. Sie beteiligen auch die Erzeuger an den Netzkosten.
In der Politik sind die Strompreise ein heißes Eisen, das niemand anfassen will ...
Ich warne vor einem Schnellschuss. Zunächst müssen wir zu der gemeinsamen Überzeugung kommen, dass das System der Netzkostenverteilung, das wir heute haben, für die Energiewende nicht mehr taugt. Erst dann wird es eine vernünftige Lösung geben.
Photovoltaikanlagen speisen meist mit Niederspannung ein. Ist dafür weiterer Netzausbau notwendig?
In den letzten Jahren wurde mit dem massiven Ausbau der Photovoltaik auch massiv in Verteilnetze investiert. Das hat natürlich sehr viel Geld gekostet. Jetzt kommen wir in eine neue Phase der Energiewende. Die Stärken der Photovoltaik liegen darin, dass sie maßgeschneiderte Kundenlösungen möglich macht. Der Zubau kann auf den Verbrauch des Kunden zugeschnitten werden, sodass der erzeugte Strom vom Kunden gleich verbraucht wird. Das ist ein riesiges Potenzial.
Was bedeutet das für den Umbau der Verteilnetze?
Wenn sich das Geschäftsmodell der Photovoltaik so ändert, dann braucht man im Verteilungsnetz kaum weiteren Ausbau. Denn die Zuleitungen, die auf den Verbrauch der Kunden ausgelegt sind, reichen aus. Wenn der Betreiber einmal nicht so viel elektrische Energie verbraucht und für ein paar Stunden tatsächlich die Photovoltaikanlage ins Netz speist, muss dafür nicht die Zuleitung zum Netz ertüchtigt werden. Das ist ein wichtiger Aspekt, den man nicht unterschätzen sollte. Mit dieser Veränderung des Geschäftsmodells kann ein Teil des Problems der Netzausbaukosten gelöst werden.
Konkret heißt das: Für den weiteren Zubau der Photovoltaik ist kein weiterer Netzausbau notwendig?
Wenn wir das Geschäftsmodell auf Eigenverbrauch umstellen, lautet die Antwort: Ja, es ist kein weiterer Ausbau notwendig. Der weitere Ausbau der Photovoltaik findet nicht mehr über das EEG und eine Netzeinspeisung statt. Deshalb wird sich der Netzausbau aufgrund der Photovoltaik nicht weiter fortsetzen. In der Vergangenheit mussten mit dem Ausbau der Photovoltaik oft auch die Netze verstärkt werden. Denn das Netz war von der Kapazität her nicht dafür ausgelegt, so hohe Leistungen aufnehmen zu können. Das kann mit einem anderen Geschäftsmodell aufhören. Man muss nur zulassen, dass die Photovoltaik dem Eigenverbrauch dient.
Und wie sieht es mit großen Solarparks aus?
Sie basieren immer noch auch auf dem Geschäftsmodell des EEG. Das heißt, sie funktionieren nur, wenn die Einspeisevergütung so hoch ist, dass sich die gesamte Investition rechnet. Solche Anlagen werden aber kaum noch gebaut, weil die Einspeisevergütung mittlerweile zu niedrig ist, um sie wirtschaftlich darstellen zu können. Daher werden jetzt vor allem Anlagen für den Eigenbedarf projektiert und gebaut.
Das Gespräch führte Sven Ullrich.
Konferenz in Berlin
Stromnetze der Energiewende
Netzbetreiber, Stadtwerke, Energieversorger, Gerätehersteller und Systemanbieter sowie Forscher und Regulierer diskutieren am 29. und 30. Januar 2014 im Berliner Hilton Hotel darüber, wie die künftigen Stromnetze aussehen müssen. Eine weitere Erhöhung der Anteile fluktuierender und teilweise dezentraler erneuerbarer Stromerzeugung erfordert die Abstimmung verschiedener Interessensvertreter aus Wirtschaft, Politik und Technik. Zusätzliche Themen: Systemdienstleistungen von Erneuerbaren, Flexibilitätspotenziale, Netzplanung und -betrieb, das Smart Grid mit Informations- und Kommunikationstechnik, Speicher- und Energiemanagement sowie künftige Geschäftsmodelle.
Themendossier
Mehr Praxis: Netztechnik
Für unsere Abonnenten bieten wir im Internet unter dem Menüpunkt Dossiers und Themen die gesammelte Fülle unserer Fachartikel an. Dort finden Sie auch kostenfreie Downloads unserer Partner. Die Zugangsdaten stehen auf dem Adressaufkleber auf Ihrer photovoltaik.
Im Buchhandel
Ideen für eine bezahlbare und saubere Versorgung
Klaus-Dieter Maubach hat seine Erfahrungen und Vorschläge 2013 in einem Buch veröffentlicht: „Energiewende: Wege zu einer bezahlbaren Energieversorgung“. Darin legt er Lösungen auf den Tisch, wie die Versorgung mit erneuerbaren Energien aussehen kann und welche Schritte dafür notwendig sind – sowohl ökonomisch als auch politisch. Das Buch ist im Springer Verlag erschienen. Es kostet 19,90 Euro. ISBN 978-3-658-03357-6.
Prof. Dr. Klaus-Dieter Maubach
arbeitete ein Vierteljahrhundert in der Energiewirtschaft. Der studierte Elektrotechniker war bis März 2013 als Technologievorstand für Eon tätig. Außerdem ist er als Wissenschaftler unterwegs. Neben seiner Honorarprofessur an der Technischen Universität Clausthal beschäftigt er sich intensiv mit dem intelligenten Umbau der Energieversorgung.
Foto: privat