Wer nach Bielefeld ins Werk von DMG Mori kommt, spürt: Hier brummt eine Industrie, die ihre Wurzeln in der Old Economy hat. Das klingt ein bisschen wie altbacken oder wie Schnee von gestern. Doch der Schein trügt. Denn DMG Mori gehört zu den wichtigsten Produzenten von Werkzeugmaschinen auf der Welt.
In der Industrie würde sich kein Rad drehen ohne Dreh- und Fräsmaschinen. Auch und erst recht nicht in der sogenannten New Economy: Auch Computer, Laufwerke, Datenspeicher oder optische Verstärker müssen hergestellt werden. Da beißt die Maus keinen Faden ab. DMG steht für Deckel Maho und Gildemeister. Das sind Firmen aus dem traditionellen Werkzeugmaschinenbau, die in Deutschland seit 2013 zusammen mit dem japanischen Unternehmen Mori Seiki zu DMG Mori wurden. Weltweit erwirtschaftet die DMG Mori Aktiengesellschaft mit ihren über 7.000 Mitarbeitern jeweils mehr als 2,2 Milliarden Euro Umsatz in den letzten Jahren.
Energie immer wichtiger
In Bielefeld werden unter anderem Drehmaschinen hergestellt, für Kunden aus aller Welt. Dieses Geschäft ist mit dem Namen Gildemeister verbunden, der traditionsreichen Marke. Industriekunden weltweit stehen in den Datenbanken von DMG Mori, und sie alle brauchen mittlerweile viel mehr als Drehspindeln, Spannfutter und elektronische Maschinensteuerungen.
„Energie wird immer wichtiger, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können“, erläutert Christian Kleinhans. „Für die Industrie spielen die Energiekosten eine immer bedeutsamere Rolle. Sie zu senken bedeutet: mithalten zu können, die Nase vorn zu haben.“
Kleinhans leitet die Projektentwicklung der Gildemeister Energy Solutions, die in Würzburg sitzt. Nach Bielefeld ist er angereist, um seinem Gast den eindrucksvollen Energiepark am Drehmaschinenwerk zu zeigen. Denn DMG Mori redet nicht nur über Energieeinsparung, sondern setzt die Ideen kompetent um. Seit 2010 ist Christian Kleinhans bei Gildemeister Energy Solutions damit beschäftigt, zunächst die Werke des Konzerns auf Energieeinsparungen zu durchforsten. Das Werk in Bielefeld ist Prototyp und Vorzeigeobjekt zugleich. Hier erproben die Ingenieure, wie mit modernem Energiemanagement, Photovoltaik und Stromspeichern richtig Geld gespart werden kann.
Einsparung im großen Stil
„In Bielefeld haben wir unsere Energiemanagement-Technik entwickelt und wichtige Erfahrungen gesammelt“, erzählt Kleinhans. „Danach rollten wir dieses Geschäftsfeld bei unseren Kunden aus.“
Es geht um die Einsparung von Energie und die kostengünstige Erzeugung aus erneuerbaren Quellen – im großen Maßstab für die Industrie. In Bielefeld wurden zunächst die Möglichkeiten zur Einsparung ausgelotet und ein industrietaugliches Monitoring entwickelt. „Zuerst muss man die Energieströme in so einem Werk kennen“, meint Christian Kleinhans. „In unserer Fabrik haben wir viele digitale Zähler installiert, damit wir den aktuellen Verbrauch in der Datentechnik erfassen können, von einer Betriebswarte aus.“ Kein leichter Job, denn das Werk hat eine Fläche von rund 60.000 Quadratmetern. Dort arbeiten etwa 1.000 Leute.
Kleinhans ging es nicht nur um Strom und Wärme, sondern auch um Beleuchtung und Lüftung. Denn es stellte sich heraus, dass fast ein Drittel des Stromverbrauchs bei der Hallenbeleuchtung anfiel, immerhin 27 Prozent für Lüftung und Klimatisierung. Nur ein Viertel des Stroms floss in die Maschinen der Fabrik, ein paar Prozente ins Rechenzentrum.
Mit sparsamen LEDs, mit neuer Lüftungstechnik und optimierten Schließmechanismen für Fenster und Türen ließ sich der Verbrauch deutlich senken, um bis zu zwei Drittel. Das Wichtigste an dem Prozess war, die Mitarbeiter zu überzeugen, dass das Verbrauchsverhalten immens wichtig ist, um die ambitionierten Ziele der Energieeffizienzagenda DMG Mori 15/30 zu erreichen.
Im zweiten Schritt ging es an die Erzeugung: „Für uns ist die Photovoltaik eine kostensenkende Maßnahmen wie LEDs statt Halogenlampen“, kommentiert Christian Kleinhans.
In Bielefeld wurden rund 850 Kilowatt Photovoltaik installiert, auf Trackern, die der Sonne nachlaufen, sowie durch fixe Systeme und Aufdachanlagen. Vor einigen Jahren hatte DMG Mori die A+F GmbH übernommen, einen Hersteller von Gussstahl für Maschinenfundamente. A+F war schon 2004 ins Solargeschäft eingestiegen, mit Trackern der Baureihe Suncarrier 260. Sie wurden erstmals 2005 verkauft.
An Trackern festgehalten
Obwohl in Deutschland nur noch selten Solartracker eingesetzt werden, hält Gildemeister Energy Solutions unter anderem an der Technik des Suncarrier fest. „Mit dem Tracker sind höhere Erträge aus den Modulen möglich, sie ergänzen die starren Aufdachanlagen, vor allem wenn es um Lastspitzen und Stromspeicher geht. Und oft sind die Hallendächer von der Statik her zu leicht, um ausreichend Solargeneratoren aufzunehmen.“
Die meisten der installierten Anlagen sind heutzutage Festaufständerungen, nichtsdestotrotz gibt es einige Anwendungen, in denen Tracking energiewirtschaftlich sinnvoll ist.
In Bielefeld installierte Gildemeister Energy Solutions auch die Vanadium-Redox-Flow-Speicher namens Cellcube, mit denen das Unternehmen seit 2010 am Markt ist. Damals wurde die Firma Cellstrom übernommen, die sich auf solche Großspeicher spezialisiert hatte. In Bielefeld laufen drei Speichersysteme. Ein großer Cellcube FB 200-400 mit einer Leistung von 200 Kilowatt und einer Speicherkapazität von 400 Kilowattstunden sowie zwei von seinen kleinen Brüdern namens Cellcube FB 30-130.
Sie haben die Aufgabe, die Lasten zu kappen und mit der Erzeugungskurve aus den Suncarriern, den fest aufgeständerten Modulen (Freifläche und zwei kleinere Dachanlagen) und drei Windrädern zu harmonisieren. Ebenso gibt es hier kostenlos 100 Prozent grünen Strom aus E-Tankstellen für die E-Fahrzeuge der Mitarbeiter und Kunden.
Mittlerweile erreicht der Bielefelder Standort einen Autarkiegrad von fast 20 Prozent. Rund 30 Prozent der Energiekosten wurden 2015 im Vergleich zu 2012 eingespart, ein Blueprint für die Werksstandorte der DMG Mori weltweit. „Derzeit werden die anderen Werke ebenfalls auf Potenziale zum Eigenverbrauch von Solarstrom analysiert“, berichtet Christian Kleinhans. „Dann bekommt das örtliche Management die entsprechenden Zielvorgaben. Wir können unsere Energiekosten sogar in Kilowattstunden je ausgelieferter Drehmaschine berechnen.“
Eigene Speicher mit Redox-Flow-Technik
Mittlerweile verkauft Gildemeister Energy Solutions seine Lösungen an die Industrie. Die Redox-Flow-Speicher werden in Wien gefertigt, in Würzburg werden die Solarsysteme geplant. „Wir bieten der Industrie ein Rundum-sorglos-Paket an, um die Energiekosten nachhaltig zu senken“, erläutert der Manager. „Ein reines Solarthema gibt es in der Industrie nicht. Immer müssen die Verbräuche erfasst, gezielt gesenkt und dann mit erneuerbaren Generatoren abgedeckt werden. Energie, Industrie und Digitalisierung greifen ineinander.“
Bisher hat Gildemeister Energy Solutions weltweit rund 250 Megawatt Photovoltaik aufgebaut. „Ich sehe, dass der industrielle Bedarf an Eigenverbrauchslösungen mit Photovoltaik weltweit wächst“, kommentiert Kleinhans. „Hier sind es mal 150 Kilowatt, dort ein halbes Megawatt.“
Sogar in Russland, im Werk in Uljanowsk von DMG Mori, wurden Solargeneratoren mit insgesamt 250 Kilowatt Leistung installiert. In Kairo entsteht gerade ein Park mit rund einem Megawatt.
2014 hat Gildemeister Energy Solutions weltweit rund 30 Megawatt Photovoltaik installiert, 2015 waren es schon 40 Megawatt. „Die Tendenz ist eindeutig steigend. Das sieht man an den Projekten, die uns angetragen werden. Dahinter stehen große Investorengruppen.“
Umbau der globalen Wirtschaft
Langsam nimmt der Umbau der globalen Wirtschaft an Fahrt auf. Weil Sonnenstrom und Windkraft die Kosten senken. Weil Stromspeicher wie die Redox-Flow-Systeme maßgeschneiderte Systeme erlauben. Gildemeister Energy Solutions hat sich ganz dieser Technik verschrieben, „weil wir damit eine Anwendung schaffen, die mit Lithium schwerer erreichbar ist“, wie Christian Kleinhans beschreibt. „Der Speicher muss so lange laufen wie die Solaranlage, also mindestens 20 Jahre.“
Zudem ist der Redox-Flow-Speicher ein reiner Kapazitätsspeicher, dessen Aufnahmevermögen sich modular erweitern und an die Bedürfnisse der Industrie anpassen lässt. „Er kann solare Überschüsse über einen langen Zeiten wegpuffern und läuft zyklenneutral“, erklärt Kleinhans. „Denn die Elektrolyte in den beiden Tanks verbrauchen sich nicht. Mehr Tanks bedeuten höhere Kapazität.“
Bei Bedarf werden die Elektrolyte (Hauptelemente sind unter anderem Wasser, Vanadium und Schwefelsäure) aus den Tanks in die Stacks des Speichers gepumpt, an deren Membranen sie eine Spannung aufbauen. Ein Cellcube FB 200-800 beispielsweise hat 800 Kilowattstunden Kapazität, kann also vier Stunden lang 200 Kilowatt abgeben. Lithiumspeicher hingegen können ihre volle Leistung nur kurzzeitig abgeben.
Ein Speicher für 600 Haushalte
Bisher hat Gildemeister Energy Solutions rund 130 Redox-Flow-Speicher im Feld aufgebaut, der Verkauf läuft seit 2008. So stehen Lösungen des Unternehmens unter anderem bei großen Automobilkonzernen in Wolfsburg, Zwickau, Emden und Bratislava.
Handelsketten für Lebensmittel nutzen solche Speicher, um ihren Eigenverbrauch zu erhöhen. Ein sehr großer Speicher (FB 200-1.600) steht für Eon auf Pellworm, um mehr als 1.000 Menschen in rund 600 Haushalten zu versorgen.
Wenn der Fachmann dagegen über Kleinspeicher redet, meint er die Baureihe FB 10/20/30, die zehn, 20 oder 30 Kilowatt Leistung bereitstellt. Damit kann sich ein Unternehmen durchaus die Nacht hindurch versorgen, ohne Netzstrom in Anspruch nehmen zu müssen. Im indischen Bhopal beispielsweise laufen drei Redox-Flow-Speicher mit Photovoltaik im Offgrid-Modus als Inselsystem.
Zwischenpuffer für Sendemasten
Solche Anwendungen sind auch für die Telekommunikation interessant, um Sendetürme mit zu versorgen. Sendemasten laufen bisher meist mit Dieselaggregaten, die den Strom für die Sendemasten erzeugen. Ihre Sendeleistung beträgt fünf Kilowatt.
Auch ohne Photovoltaik senkt der Redox-Flow-Speicher die Kosten spürbar. Wird ein 15-Kilowatt-Dieselaggregat mit einem oder zwei Zehn-Kilowatt-Speichern (zum Beispiel mit je 100 Kilowattstunden) kombiniert, fungiert der Speicher als Zwischenpuffer. Wenn er voll ist, kann das Dieselaggregat eine Pause einlegen.
Diesel nur noch für Notstrom
Allein diese Betriebsweise senkt die Generatorstarts und schont den Dieselmotor. Kommt noch die Photovoltaik hinzu oder kleine Windräder, wird der Diesel zum Notstromsystem zurückgestuft – falls einmal keine Sonne scheint oder kein ausreichender Wind weht.
Diese ausgefeilte Technik bietet Gildemeister Energy Solutions mit der Betriebsführung und Wartung an – sowohl für Offgrid-Lösungen als auch für industrielle Kunden. Nur dann wird gewährleistet, dass die Anlagen bei den Industriekunden wirklich die Ergebnisse und Erträge einfahren, die mit der Investition versprochen wurden.
Vom TÜV zertifiziert
Schon 2014 wurde Gildemeister Energy Solutions vom TÜV Rheinland als Fachbetrieb für die Wartung von Photovoltaikanlagen zertifiziert.
Zu den Kriterien zählen unter anderem die Qualifikation des Personals, die Qualität und der Umfang der Arbeiten sowie eine vollständige und transparente Dokumentation inklusive Protokollierung.
CellCube
Redox-Flow-Speicher für E-Tankstelle
In Martigny in der Schweiz wurde Ende 2015 ein Energiespeicher der Baureihe Cellcube installiert. Er basiert auf der Vanadium-Redox-Flow-Technik und soll eine elektrische Tankstelle speisen. Das Projekt ist an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) angesiedelt. Ziel ist die Entwicklung einer Ladestation, die durch Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien sowohl elektrische als auch Fahrzeuge mit Brennstoffzellen oder Wasserstoffmotor laden kann.
Der neue Cellcube FB 200-400 ist bereits das zweite Vanadium-Redox-Flow-Speichersystem, das in Martigny installiert wird. Die kleinere Version, ein Cellcube FB 10-40, ist bereits seit über einem Jahr am Laboratory of Physical and Analytical Electrochemistry der EPFL im Einsatz. Der neue Großspeicher wird 200 Kilowatt leisten und 400 Kilowattstunden aufnehmen. Er bildet das Kernstück der geplanten Tankstelle. Als Steuerungszentrale steht er sowohl zur Beladung von batteriebetriebenen Fahrzeugen zur Verfügung, steuert aber auch die Erzeugung von Wasserstoff durch zwei Elektrolyseure.
Zusätzlich schützt das Speichersystem die Tankstelle vor Störungen des Stromnetzes und übernimmt die Notstromversorgung bei Stromausfällen. Auch bestimmt der Cellcube, wann Strom aus dem Netz bezogen und ins Netz abgegeben wird. Im Laufe des Projekts soll die Steuerung optimiert werden, damit der Betrieb der Tankstelle rein über erneuerbare Energien möglich wird.
Durch die Nutzung von Vanadiumsalzen erhöht sich die Sicherheit und Lebensdauer der Batterie, da diese nicht brennbar und nicht explosiv sind und keinem Verlust von reaktivem Material unterliegen. Somit ist eine praktisch unbegrenzte Zyklisierung mit bis zu 80 Prozent Wirkungsgrad und einer Tiefenentladefähigkeit von 100 Prozent möglich. Mit seiner einfachen und unabhängigen Skalierbarkeit in Leistung und Kapazität ist der Cellcube für individuelle Industrieanwendungen, zur Glättung von Lastspitzen, für die Elektromobilität, aber auch als netzunabhängige Komplettlösung in Regionen ohne stabiles Netz bereits rund 130 Mal im Einsatz.