Deutschland hatte bis Ende Juni 2021 Zeit, die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie umzusetzen. Diese Frist hat die Bundesregierung verstreichen lassen. Das ist ein Rückschlag für Bürgerinnen und Bürger, die als Eigentümer, Nachbarn oder Mieter gemeinsam eine Solaranlage betreiben wollen.
Auch für regionale Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, die sich aus eigenen Solar- und Windanlagen versorgen, fehlt der rechtliche Rahmen weiterhin. „Die Energiewende braucht dringend neuen Schwung“, fordert Gunnar Harms, Vorstand des Bündnisses für Bürgerenergie. „Dazu muss es allen Bürgern einfach möglich sein, erneuerbare Energie zu erzeugen und individuell oder gemeinsam zu nutzen.“
Altmaier mauert weiterhin
Laut Bundeswirtschaftsministerium bedarf es keiner weiteren Schritte, um die bürgernahe Energiewende zu beflügeln. Zur Begründung hieß es: Die Richtlinie sei im deutschen Recht vollständig umgesetzt. Diese Fehleinschätzung nehmen das Bündnis Bürgerenergie, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland sowie eine breite Allianz aus Verbänden und Unternehmen nicht länger hin.
Auf der Grundlage einer aktuellen Studie und einer rechtlichen Stellungnahme haben die Verbände nun Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht und fordern ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. „CDU und SPD beteuern ihr Bestreben, den Klimaschutz voranzutreiben. Dafür müssen die erneuerbaren Energien endlich um ein Vielfaches schneller ausgebaut werden“, kritisiert Antje von Broock, Geschäftsführerin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. „Das Gegenteil ist der Fall, weiterhin wird verzögert und gebremst. So auch bei der Umsetzung der EU-Erneuerbaren Richtlinie, welche die Chance für eine neue Ausbaudynamik ergeben hätte.“
Keine Gemeinschaftsanlagen im EEG definiert
Rechtsanwalt Philipp Boos hat im Auftrag des Bündnis Bürgerenergie untersucht, ob die Rechte dürgerinnen und Bürger durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2021 umgesetzt wurden. Im Gegensatz zur Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums belegt sein Gutachten: Die gemeinsame Eigenversorgung genießt bisher nicht die gleichen Rechte wie die individuelle.
Die im EEG geforderte Personenidentität zwischen Anlagenbetreibern und Stromverbrauchern verhindert, dass gemeinsam handelnde Eigenversorgende eine Anlage zur Eigenversorgung auch gemeinsam betreiben können. Zudem hat der Gesetzgeber es versäumt, die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft nach Artikel 22 der Richtlinie zu definieren. Auch wurde ihnen nicht das Recht zugesprochen, gemeinsam erzeugte Energie untereinander zu teilen (Energy Sharing), um sich aus eigenen Anlagen zu versorgen.
Forscher erkennen Defizite
Neben dieser rechtlichen Stellungnahme wurde eine energiewirtschaftliche Studie in Auftrag gegeben. Die Mitarbeiter des Instituts für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme (IZES) konnten darin die Umsetzungsdefizite bestätigen.
Darüber hinaus formulierten sie Lösungsvorschläge, wie der Bürgerenergie bei richtlinienkonformer Umsetzung neuer Rückenwind verschafft und die Akzeptanz sowie der Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland gefördert werden können. Dazu orientierten sie sich auch an Best-Practice-Beispielen aus anderen EU-Staaten.
Breites Bündnis unterstützt bürgernahe Energiewende
Das Bündnis Bürgerenergie wird bei der Beschwerde von einer breiten Allianz von Verbänden und Unternehmen unterstützt. Dazu gehören der BUND, der Solarenergie-Förderverein Deutschland, die Energy Watch Group, der Bund der Energieverbraucher, der Umweltschutzverein in Isernhagen, die Initiative Solarlokal-Kirchorst, das Energie-Forum Zorneding, das Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn, die Erneuerbare Energien Göttingen, die Energiegenossenschaft Lauter Strom sowie Greenpeace Energy, Elektrizitätswerke Schönau, Naturstrom, Prokon, Bundesverband Erneuerbare Energie, Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie, Bürgerwerke, Bergische Bürgerenergiegenossenschaft, die Bürgerenergiegenossenschaft Beng, die Bürgerenergie Altmark, der Verein Energie-Wende Landkreis Cham und der Verein CO2 Abgabe. (HS)
Die rechtliche Stellungnahme von RA Philipp Boos und die Studie des IZES finden Sie hier.
Am 21. Mai 2021 wurde Bundeswirtschaftsminister Altmaier in einem Schreiben aufgefordert, Stellung zur Umsetzung von Artikel 21 und 22 der Richtlinie zu nehmen. Das Bundeswirtschaftsministerium antwortete, dass es mit dem rechtlichen Rahmen für die Eigenversorgung im deutschen Recht Artikel 21 und Artikel 22 der Richtlinie als vollständig umgesetzt ansieht. Das Schreiben und die Antwort finden Sie hier.
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