Von außen ein relativ unscheinbarer Industriebau in einem Kölner Gewerbegebiet. Wenig deutet zunächst darauf hin, dass sich hinter dieser Fassade die Verwaltung eines Unternehmens der modernen Solarbranche verbirgt. Sogar die Photovoltaikanlage auf dem Dach entzieht sich – zumindest hier – den Blicken der Besucher. „Eine Agentur hätte uns gern den Stempel ‚innovativ’ verpasst, doch wir fanden, wir sind keine innovative Firma“, sagt Thomas Durant, der bei der Energiebau Solarstromsysteme GmbH das Marketing verantwortet. Starke Worte in einer Zeit, da alle meinen, sie müssten sich ihren Kunden als besonders pfiffig, erfinderisch, zukunftsorientiert und vor allem ständig und schnell zu allen Veränderungen bereit präsentieren. Energiebau vertreibt Photovoltaikanlagen und arbeitet so als Dienstleister an der Schnittstelle zwischen Solarindustrie und Handwerk. „Unsere Stärke ist die Kompetenz in der Beratung, und das machen wir offen, ehrlich und klar“, fügt Durant hinzu.
Und doch: Es gibt einen Bereich, da geht das Unternehmen, das 2008 bereits seinen 25. Geburtstag feierte, neue Wege, da ist es sehr innovativ: im Personalmanagement. Völlig neue Wege sind es im Blick auf die eigene Firmengeschichte, wahrscheinlich aber auch ungewöhnlich für die Branche.
Mehr Umsatz, mehr offene Fragen
Zum Hintergrund: Energiebau wächst, und zwar rasant. 1983 von sieben ökologisch orientierten jungen Idealisten als „Energieladen“ in Köln gegründet, arbeitete das Unternehmen über viele Jahre in einer ökonomischen Nische – voller Engagement für die Idee der erneuerbaren Energien, aber im kleinen Rahmen. Die Zeit für große Sprünge war eben noch nicht reif. Das erste „Großprojekt“ ist 1999 eine Photovoltaikanlage als Demonstrationsobjekt für die Handwerkskammer Köln mit 125 Kilowatt. Mit der zunehmenden Bedeutung des PV-Marktes wird die Energiebau Solarstromsysteme GmbH 2001 als eigenständiges PV-Systemhaus ausgegliedert, das 2004 23 Mitarbeiter zählt.Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) setzt ein rasantes Wachstum in Gang: Allein von 2008 auf 2009 verdoppelt die Firma die installierte Leistung nahezu von 50 auf 100 Megawatt. Ende 2009 beschäftigt das Unternehmen zusammen mit seinen Niederlassungen in Italien, Frankreich sowie in den Niederlanden fast 200 Menschen und gehört mittlerweile zu den Top-3-Fachgroßhändlern für Photovoltaiksysteme in Deutschland.
Doch schon im Januar 2010 wird die Mitarbeiterzahl nicht mehr stimmen, denn der Bedarf wächst weiter. „Wir gehen davon aus, dass wir bereits 2012 fast 500 Beschäftigte haben könnten“, sagt Elisabeth Ruechel, die Personalchefin des Unternehmens. Seit sie 2006 diesen Job übernahm, hat sie schon 100 Leute eingestellt. Die 46-Jährige schuf sich ihren Posten quasi selbst und ist heute eine wichtige Schlüsselfigur für die Entwicklung der Unternehmenskultur. Wie das?
Vor ein paar Jahren ließ sie sich parallel zu ihrer Arbeit bei Energiebau zur psychologischen Therapeutin ausbilden und dachte eigentlich nicht im Traum daran, lange bei einem Solarunternehmen zu bleiben. „Jetzt aber will ich nicht mehr weg.“ Denn inzwischen ist eine Menge passiert. Das kam so: „Ich begann mich über die etwas verkrustete Firmenstruktur zu ärgern. Die Mitarbeiter wurden nicht richtig in Entscheidungsprozesse eingebunden, bei Kritik wurde es schnell persönlich.“ Ruechel erlebte den Wendepunkt eines Betriebs, der mit Strukturen aus dem Handwerk zu einem mittelständischen Unternehmen gewachsen war. Dieser Prozess verlief alles andere als reibungslos. Die psychologisch geschulte Buchhalterin schluckte ihren Ärger jedoch nicht runter, sondern suchte das Gespräch mit der Unternehmensleitung und machte klar, dass die Beziehungsebene der Firma aus den Fugen zu geraten drohte. Zu ihrem eigenen Überraschen leitete sie mit ihrer offenen Kritik einen Prozess des Umdenkens ein. „Mir wurde nicht nur zugehört, ich bekam sogar die Aufgabe, das Problem zu beheben.“ Und so fand sich Elisabeth Ruechel ganz plötzlich in der Rolle der Personalleiterin wieder.
Neue Führungsstrukturen
„Mir wurde damals klar, dass unsere alten Strukturen nicht mehr zu einem wachsenden Unternehmen passen“, sagt Michael Schäfer, der die Energiebau vor über 25 Jahren als selbst verwaltetes Unternehmen mit gründete. „Wir haben etliche Mitarbeiter, die fast von Anfang an dabei sind. Sie waren es gewohnt, auf Zuruf zu arbeiten, dass alle über alles mit entschieden. Das geht jetzt nicht mehr. Wir müssen lernen zu delegieren.“ Dem 56-jährigen Schäfer selbst fiel das zunächst sehr schwer. „Ich habe immer operativ gearbeitet, nun muss ich mich ganz auf die Strategie konzentrieren.“Aufgaben abgeben, Arbeits- und Entscheidungsprozesse neu strukturieren, das ist jedoch nicht mal das schwierigste Problem, sondern die Frage: Wie schafft es Energiebau, langjährige Mitarbeiter mit auf diesen Weg zu nehmen? Für neue, jüngere Beschäftigte sind hierarchische Strukturen kein Problem, sie kennen es nicht anders. Wohl aber für Menschen, die bislang ausschließlich die Selbstverwaltung gewohnt sind. „Ich bin denen sehr dankbar, die dieses Unternehmen unter extrem hohem persönlichem Engagement mit aufgebaut haben und dabeiblieben, obwohl die Zeiten für die Solarenergie lange Jahre ungünstig waren“, betont Michael Schäfer. „Deshalb wollten wir alle auf den neuen Weg mitnehmen, was nicht so einfach war. Nicht alle unsere verdienten Fachleute, die Tempogeber unseres Unternehmens sind, sind per se schon gute Führungskräfte, da nehme ich mich gar nicht aus.“
Fehlerkultur stärken
An dieser Stelle war nun die frisch gebackene Personalerin Ruechel gefordert. „Wir mussten zunächst den tatsächlichen Bedarf an Führungsaufgaben definieren und gemeinsam mit den Betroffenen herausfinden, wer für welche Aufgaben geeignet ist. Nicht alle, die aufgrund ihrer langen Betriebszugehörigkeit eigentlich eine leitende Rolle verdient hätten, konnten sie bekommen.“ Viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl war nun gefragt. Elisabeth Ruechel profitierte hier sehr von ihrer therapeutischen Ausbildung. „Sie macht es mir leichter, Menschen wahrzunehmen.“ Doch selbst die richtigen Leute an der richtigen Stelle zu haben, reicht noch nicht aus. Führungsaufgaben sind komplex, insbesondere in einem so dynamischen Markt wie der Solarindustrie. So stellte sich bald heraus, dass sich der eine oder die andere auch überfordert fühlte, insbesondere als der Druck des Marktes immer größer wurde. Besonders betroffen war und ist der Vertrieb. Die Dynamik, die durch das EEG ausgelöst wurde, bescherte der Firma „verrückte Zeiten“, so Ruechel. Vor allem 2008 konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vertrieb oft gar nicht so schnell liefern, wie das die zunehmende Schar von Kunden gerne gehabt hätte. Solarmodule waren aufgrund der gestiegenen Nachfrage knapp. Was also tun, um die Kunden nicht zu verprellen? In vielen Unternehmen setzt sich in solchen Situationen der Druck von außen im Inneren fort, Vorgesetzte geben ihn an ihre Mitarbeiter weiter, und die verteilen ihn wiederum häufig gerne untereinander. So entsteht ein Klima von Vorwürfen, Schuldzuweisungen, schlaflosen Nächten und im ärgsten Fall auch Angst oder gar Mobbing. So weit wollte man es bei Energiebau auf keinen Fall kommen lassen. Schlimm genug sei ja schon gewesen, erzählt Elisabeth Ruechel, dass man begann, sich vor Fehlern zu fürchten. „Eine Kultur, die keine Fehler zulässt, ist Gift für ein Unternehmen.“Spricht man heute mit Mitarbeitern, so hört man Sätze wie: „Ich bin angekommen. Das ist das Unternehmen, das ich mir gewünscht habe. Hier wird hart gearbeitet, aber auch viel gelacht“ (Durant). Und auch Patricia Strauß, die erst im März 2008 in die Firma kam und das Team Export der deutschen Niederlassung führt, sagt: „Ich kann selbstständig arbeiten, mich entwickeln. Hier fühle ich mich nicht wie eine Nummer, wie in dem großen Unternehmen, in dem ich zuvor war.“ Die erst 26-jährige Nicole Gehring meint gar, an manchen Tagen käme sie sich noch vor wie „Alice im Wunderland“. Sie war zuvor in einem stark hierarchisch organisierten Konzern und genießt jetzt das „Wir-Gefühl“ bei der sehr viel kleineren Energiebau Solarstromsysteme GmbH. „Auch unter Stress haben die Kollegen einen guten Umgang miteinander.“ Was also ist inzwischen passiert? Wir erinnern uns: Vor nicht allzu langer Zeit ließ das Klima im Unternehmen sehr zu wünschen übrig.
„Wir begriffen, dass wir vor allem unsere Führungskräfte coachen mussten, und begannen dort, wo die Probleme am dringendsten waren, im Vertrieb“, berichtet Elisabeth Ruechel. Externe Personaltrainer wurden angeheuert, und in vier Workshops zu je zwei Tagen beschäftigten sich die Team- und Abteilungsleiter intensiv mit den Stärken und Schwächen ihres Führungsverhaltens. Schnell wurde klar, dass es nicht den besten Führungstyp gibt. Vielmehr braucht ein Unternehmen Menschen mit verschiedenen Eigenschaften. „Der eine ist beispielsweise eher sicherheitsorientiert, die andere eher experimentierfreudig. Beide Typen sind für uns sehr wichtig. Das Verständnis und die Wertschätzung für solche Unterschiede ist im Verlauf der Coachings sehr gewachsen“, so Ruechel.
Doch manche scheuten auch die ungewohnte Neuerung. Wichtig sei es gewesen, dass aufgeschlossene Mitarbeiter dabei waren, die deutlich machten, dass alle in diesem Prozess nur dazulernen können. „Für die neueren Mitarbeiter war dies leichter, wohingegen die langjährigen anders sozialisiert sind und sich zunächst schwer damit taten, vor anderen auch über ihre Schwächen zu reden.“
Sehr unterstützend habe daher gewirkt, dass sich die Unternehmensleitung zeitgleich ebenfalls auf ein Coaching eingelassen habe. Diese davon zu überzeugen, war ebenfalls keine Kleinigkeit: „Erst hieß es, wir könnten uns nicht allzu viel mit unseren Befindlichkeiten beschäftigen. Außerdem hatte die Unternehmensleitung Ängste, in diesem Prozess könne es zu sehr ans Eingemachte gehen und Trennungen kein Tabu mehr sein“, berichtet die Personalchefin. Doch der Prozess wurde gut vorbereitet, Vorbehalte ernst genommen und thematisiert. Heute sagt auch Michael Schäfer: „Wir haben begriffen, dass man die emotionale Seite in einem Unternehmen nicht vernachlässigen darf und eine Führungskraft auch an ihrer Persönlichkeitsentwicklung arbeiten muss. Ich jedenfalls lerne eine Menge.“
Keine Bonuskultur
Auch Patricia Strauß profitiert sehr von den Workshops: „Wir hatten endlich mal die Chance, mit Kolleginnen und Kollegen anderer Abteilungen in entspannter Umgebung zu sprechen, Probleme auszutauschen und sich auch Tipps zu geben. Das hat das Gefühl, wir gehören zusammen, sehr verstärkt.“ Spannend und lehrreich fand sie vor allem, sich untereinander ein offenes Feedback darüber zu geben, was man am anderen gut und was für verbesserungswürdig hält. Ihr Kollege Paulo Rosa, der ein Team im Vertrieb leitet, hebt hervor, dass er Handwerkszeug für den Umgang mit Konflikten erworben und von den Kollegen auch das ein oder andere Private habe erfahren können. Nun komme es aber auch drauf an, so Rosa, dass diese Unternehmenskultur „in jede Ecke der Firma vordringt“. Das ist auch geplant: Nach und nach sollen alle Unternehmensbereiche in das Coachingprogramm einbezogen werden.Ungelöst, vielleicht aber auch nicht zu lösen ist ein Konflikt, der sich aus der zunehmenden Größe des Unternehmens ergibt: So manche Mitarbeiter, wieder eher die langjährigen, wünschen sich einen direkteren Zugang zum Chef. Das ist nun aber nicht mehr so leicht einlösbar und frustriert den einen oder die andere gelegentlich. Doch schon jetzt hat sich die Atmosphäre im Hause „gedreht, unsere Fehlerkultur ist gut, das Unternehmen öffnet sich, und wir packen vermehrt auch neue Dinge an“, so Ruechel. Zum Beispiel habe man eine Gewinnbeteiligung eingeführt, die alle gleich behandelt. Mit anderen Worten: Alle erhalten denselben Betrag, unabhängig von der Position im Unternehmen, die Lagerarbeiter also genauso viel wie die Unternehmensleitung. Die Belegschaft wurde gefragt, ob sie mit diesem Modell einverstanden sei, und 95 Prozent sagten ja. „Damit hätten wir nicht gerechnet.“ Es gibt also bei Energiebau keine Boni für einzelne sogenannte Leistungsträger, wie das in vielen Unternehmen gang und gäbe ist. „Wir wollen unseren Leuten keine Möhre vorhalten“, erklärt Ruechel. „Mit zu wenig Geld kann man zwar demotivieren, aber mit mehr Geld nicht unbedingt motivieren.“ Nicht Einzelne, das ganze Team soll profitieren, wenn die Geschäftsergebnisse gut sind. Elisabeth Ruechel meint sogar, dass Boni-Systeme Synergien verhinderten: „Damit verbrennt man menschliches Kapital.“
Konkurrenz- und Neidgefühle will man bei der Energiebau also klein halten, Solidarität und Verantwortung für das Ganze dagegen stärken. Gern erzählt Schäfer daher die Geschichte, wie eine Mitarbeiterin im Vertrieb glaubte, ihren gebuchten Urlaub absagen zu müssen, als ein Kollege einen Unfall hatte. Da habe das Nachbarteam interveniert, ihre Arbeit mit übernommen und die Kollegin in die Ferien geschickt. Auch Statusdenken ist der Solarfirma fremd. Das Geld sei nie in dicke Dienstwagen oder in eine repräsentative Ausstattung geflossen, sondern immer im Unternehmen geblieben, erklärt Geschäftsführer Michael Schäfer. Dazu passt, dass man „nicht knallhart auf Rendite“ setzt, sondern „lieber Geld für die Mitarbeiter ausgibt“. Bewusst fiel daher vor wenigen Jahren auch die Entscheidung, nicht an die Börse zu gehen. „Wir hätten sehr viel Kapital bekommen können, doch sehen wir uns lieber in einem kleineren Umfeld, als dass wir für die Begehrlichkeiten der Shareholder arbeiten müssen.“
Schließlich gäben die Menschen einen großen Teil ihrer Lebenszeit für die Firma, und da Unternehmen kein Selbstzweck, sondern Teil der Gesellschaft seien, sei es auch nur recht und billig, dass diese so verantwortlich wie irgend möglich mit ihren Beschäftigten umgingen. Diese scheinen das offenbar zu schätzen, die Fluktuation tendiert gegen null, und es klingt sehr überzeugend, wenn sie sagen: „Wir sind angekommen.“