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Angestellt, ausgeborgt oder abgeschoben

Sie sind die Schattenfrauen und -männer der Solarwirtschaft: Zeitarbeiter. Von den rund 130.000 direkt und indirekt Beschäftigten der Branche sind mehrere tausend nicht fest angestellt, sondern bei einem Personaldienstleister ausgeliehen. Sie arbeiten meist zu schlechteren Konditionen als ihre Kollegen und natürlich mit weniger Arbeitsplatzsicherheit. Die IG Metall schätzt den Anteil der Zeit- oder Leiharbeiter in der Solarbranche auf 20 bis 50 Prozent, ihr Gehaltsniveau liege im Schnitt rund 30 Prozent unter dem der fest angestellten Kollegen. Dass Zeitarbeiter auch in Sachen Arbeitsplatzsicherheit meist schlechter dastehen, wurde vor allem in den vergangenen Monaten deutlich, als sich Deutschlands Solarunternehmen geradezu überboten mit Nachrichten, wer gerade die meisten seiner Zeitarbeiter entlässt: SMA hat im vergangenen Jahr rund 1.000 Zeitarbeiter vor die Tür gesetzt, Solarworldhat rund 300 seiner 500 Zeitarbeiter im sächsischen Freiberg nach Hause geschickt, und der Kampf bei Conergy um mehrere hundert feste und Zeitarbeitsplätze dauert an.

Zwar wurden 2011 in der Photovoltaikindustrie auch Stammbelegschaften abgebaut, die Lage bei den Zeitarbeitern – Gegner sprechen von Leiharbeit – ist aber deutlich ernster. Wenn das Geschäft schlecht läuft, sind Zeitarbeiter oft die Ersten, die gehen müssen; ein Unsicherheitsfaktor, den Arbeitgeber als Flexibilität schätzen und der bei Arbeitnehmern zum schlechten Ruf der Zeitarbeit beiträgt. Hinzu kommen Schlagzeilen wie solche aus dem sächsischen Freiberg: „Leiharbeiter fühlen sich wie Schachfiguren.“ Die Deutsche Solar AG, eine 100-prozentige Tochter der Solarworld GmbH, hatte im vergangenen Herbst bereits 200 Zeitarbeiter entlassen – und es den Mitarbeitern erst mitgeteilt, nachdem diese schon zur Schicht erschienen waren. „Es ist tatsächlich so, dass unsere Leiharbeiter teilweise bei Erscheinen am Arbeitsplatz erfahren haben, dass ihr Einsatz im Unternehmen mit sofortiger Wirkung beendet ist“, erzählt Anke Martin-Heede, Betriebsratsvorsitzende von Solarworld in Freiberg. Die Unternehmensführung habe intern mit Sicherheitsbedenken argumentiert. Solarworld-Sprecherin Susanne Herrmann wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Zu internen Kommunikationsabläufen gebe man keine Auskunft. Dabei bemühe sich die Deutsche Solar AG im Prinzip durchaus um eine offene und transparente Kommunikation, das erkennt auch Betriebsrätin Martin-Heede an. „Es gibt etwa vierteljährliche Informationsveranstaltungen, aber was zwischendurch passiert, wird oftmals nicht kommuniziert“, klagt sie. Zwar scheinen Vorgänge wie die aus Freiberg gemeldeten nicht überallan der Tagesordnung zu sein, aber: „Kommunikation ist immer ein schwieriges Thema in unserer Branche.“ Das sagt Ute Urbon, Geschäftsführerin der Zeitarbeitsfirma Team Time, die für SMA tätig ist. Der schlechte Ruf der Zeitarbeit führe zur Verunsicherung der Mitarbeiter. Umso wichtiger sei es, mit den Mitarbeitern im Gespräch zu bleiben. „Unser Bestreben ist es, den Mitarbeitern durch Offenheit und Transparenz so weit wie möglich Sicherheit zu geben“, sagt Urbon. Das geschehe persönlich, telefonisch und durch Informationsveranstaltungen. Dem pflichtet auch Susanne Henkel, Sprecherin des Kundenunternehmens SMA, bei. „Das heißt bezogen auf die Einsatzbeendigung von Zeitarbeitnehmern, dass die betroffenen Mitarbeiter in persönlichen Gesprächen und Informationsveranstaltungen zeitnah gemeinsam mit dem Zeitarbeitsunternehmen Team Time informiert werden.“ Der SMA-Vorstand arbeite dazu eng mit dem Betriebsrat zusammen.

Vorbildliche Ausnahmen

Team Time und SMA gelten in der Branche als Vorreiter, was die Behandlung von Zeitarbeitern betrifft, das bestätigt auch die IG Metall. So erhalten die bei Team Time angestellten und bei SMA eingesetzten Zeitarbeiter den gleichen Lohn wie ihre fest angestellten Kollegen. „Wir versuchen, unsere Kunden von der Equal-Pay-Philosophie zu überzeugen“, sagt Ute Urbon. Bei SMA sei dies gar nicht nötig gewesen. „Es war von Anfang an Wunschder Geschäftsleitung, den Zeitarbeitnehmern den gleichen Lohn zu zahlen wie den fest angestellten Mitarbeitern, die die gleiche Arbeit verrichten.“ Unterschiede gibt es dennoch: Die Zeitarbeiter haben weniger Urlaubsanspruch und werden in geringerem Umfang am Unternehmenserfolg beteiligt. Die Realität bei anderen Unternehmen sieht allerdings deutlich düsterer aus: Die IG Metall gibt den durchschnittlichen Bruttojahresverdienst eines Angestellten in der Photovoltaikindustrie mit 32.400 Euro an. Ein Zeitarbeiter, dessen Lohn nach Angaben der Gewerkschaft um etwa 30 Prozent weniger verdient, kommt demnach auf 22.680 Euro.

Entlassen ist nicht arbeitslos

Benötigt ein Unternehmen Zeitarbeiter nicht mehr, werden diese abgemeldet. Auch hier werden Zeitarbeiter durchaus anders behandelt als fest angestellte Kollegen. Das bestätigt beispielsweise die Aussage von Stefanie Burandt, Sprecherin des Zeitarbeitsunternehmens I. K. Hofmann, das an fünf Standorten in Deutschland Zeitarbeiter an Firmen der Solarbranche vermittelt. „Abmeldungen werden sehr unterschiedlich gehandhabt“, sagt sie. „Einige Kundenunternehmen haben schon Wochen vorher Bescheid gegeben und sogar mit uns gemeinsam für die betroffenen Mitarbeiter ein Coachingprogramm durchgeführt. Andere haben sehr viel kurzfristiger abgemeldet.“ Grundsätzlich sind die Abmeldefristen zwischen der Zeitarbeitsfirma und dem Kundenunternehmen vertraglich vereinbart.

Dass eine Entlassung im Einsatzunternehmen nicht gleich Arbeitslosigkeit bedeuten muss, ist einer der wenigen Vorteile der Zeitarbeit. „Wenn ein Kundenunternehmen Zeitarbeitnehmer abmeldet, bemühen wir uns sofort um neue Einsatzmöglichkeiten für unsere Mitarbeiter – schließlich sind diese fest bei uns angestellt und wir möchten sie zeitnah in einen neuen Einsatz bringen“, sagt beispielsweise Stefanie Glaser, Sprecherin von Randstad. Der Marktführer hat derzeit rund 1.000 Zeitarbeiter in Photovoltaikbetrieben – eine grobe Schätzung, denn es sind auch Zulieferbetriebe darunter, die nicht ausschließlich für die Solarindustrie fertigen. „Wenn ein Kunde uns mitteilt, dass eine Reduzierung des Zeitarbeitspersonals geplant ist, informieren wir die Mitarbeiter so schnell wie möglich“, so Burandt. „Aufgrund der stabilen generellen Wirtschaftslage gelingt es in der Regel recht schnell, unseren Mitarbeitern einen Folgeeinsatz anzubieten“, sagt auch Glaser, dies sei jedoch immer abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen wie zum Beispiel der Qualifikation und der Flexibilität der Zeitarbeitnehmer sowie der Region. Und falls sich kein Anschlussjob finden lassen sollte? „Auch wenn ausnahmsweise mal kein Folgeeinsatz vorliegt, bekommen unsere Mitarbeiter ihr monatliches Gehalt“, versichert die Randstad-Sprecherin. „Die Zeit ohne Einsatz überbrücken wir gelegentlich auch mit passgenauen Qualifizierungsmaßnahmen. So erweitern die Mitarbeiter ihre Kenntnisse und bleiben fit für den Arbeitsmarkt.“

Helfer stehen schlechter da

Wer seinen Job in der Photovoltaikindustrie verliert, hat je nach Beruf gute Chancen, in einer anderen Branche Beschäftigung zu finden. Dies sei vor allem bei Elektroberufen der Fall, wie Team-Time-Chefin Urbon sagt. „Elektroniker lassen sich relativ leicht weitervermitteln, weil der Beruf im Moment sehr gefragt ist. Auch Metallberufe sind derzeit begehrt.“ Die Automobilindustrie fungiert hier gerade als krisenfester Ersatz für die Photovoltaikbranche. „Ein Großteil der zuvor bei SMA eingesetzten Mitarbeiter ist jetzt entweder bei VW oder bei regionalen Unternehmen anderer Branchen beschäftigt, nur ein kleiner Teil wurde aufKurzarbeit gesetzt“, sagt Urbon. Genaue Aussagen seien hier aber sehr schwer zu treffen – naturgemäß schwanken die Zahlen der Zeitarbeiter von Woche zu Woche.

Schlechter sind die Aussichten für Mitarbeiter, die Helfertätigkeiten in der Produktion ausgeübt haben – und das ist die große Mehrheit der Zeitarbeiter in der Photovoltaik. Einige wenige sind Facharbeiter, die meisten arbeiten als Helfer oder Fachhelfer in angelernten Tätigkeiten, bedienen Maschinen oder halten sie instand, helfen in der Logistik oder im Lager. Lediglich für Letztere gibt es eine gute Nachricht: Auch im Lagerbereich seien derzeit Arbeiter gesucht, so Urbon. I. K. Hofmann hat sogar das Problem, an einigen Standorten Stellen nicht besetzen zu können. „In der Regel möchte jeder an seinem Heimatort eingesetzt werden, was ja auch verständlich ist.“ Stefanie Burandt wünscht sich daher mehr regionale Flexibilität von den Zeitarbeitern. Ist gerade kein Job in Heimatnähe verfügbar, endet auch für Zeitarbeiter der Einsatz mit der Arbeitslosigkeit. „Wir halten aber Kontakt, und sobald wir neue Möglichkeiten gefunden haben, sagen wir Bescheid und bieten eine Stelle an. So konnten wir Mitarbeiter zu uns zurückholen“, sagt Unternehmenssprecherin Burandt.

Schwierig für alle, die bleiben

Offene und rechtzeitige Kommunikation ist aber nicht nur ein Gebot der Fairness gegenüber den Zeitarbeitern – es ist auch sinnvoll, um Verunsicherung und Demotivation in der Stammbelegschaft entgegenzuwirken. Denn auch an denen, die ihren Job (zunächst) behalten, gehen solche Veränderungen nicht spurlos vorüber. Anke Martin-Heede hat bereits festgestellt, dass „gerade im Moment viele Kollegen das Gespräch mit dem Betriebsrat“ suchen. „Die verbliebenen Kollegen sind natürlich zutiefst verunsichert. Der psychische Druck ist definitiv gestiegen“, erzählt sie. „Ich kann mir vorstellen, dass das auch zu mehr Fehlern oder sogar Arbeitsausfällen führt.“ Dem hofft man bei SMA durch die beschriebene Kommunikationspolitik vorzubeugen. In Aushängen und im Intranet gehe man „ausführlich auf die Hintergründe der Entscheidung, aber auch auf die positiven Zukunftsperspektiven für die Photovoltaik und die hervorragende internationale Positionierung von SMA ein“, so Sprecherin Susanne Henkel. „Wir hoffen, dass wir so Verunsicherung und Motivationsverlust vorbeugen.“ Zwar sind Abmeldungen und Entlassungen zum Jahresende in der Photovoltaikindustrie keine Seltenheit. Gerade die Zahl der Zeitarbeitnehmer schwankte aber auch in den vergangenen Jahren stark. Damit glichen Unternehmen nicht nur saisonale Schwankungen aus, sondern reagierten auch flexibel auf innerbetriebliche Veränderungen, etwa den erhöhten Personalbedarf beim Anfahren einer neuen Produktionslinie. SMA beispielsweise verkauft in starken Sommer- und Herbstmonaten viermal so viele Wechselrichter wie in schwachen Wintermonaten, während das erste Quartal eines Jahres traditionell das schwächste ist. Nur durch den Einsatz von Zeitarbeitern lasse sich der Lohnkostenanteil unter zehn Prozent halten, argumentieren viele Unternehmen. Doch mit einer Erholung im kommenden Jahr rechnet niemand. Die Aussichten für 2012 sind nicht ebenrosig – anders als in zurückliegenden Jahren. In den „guten alten Zeiten“ konnten Zeitarbeiter nach einer Abmeldung zum Jahresende oftmals damit rechnen, im darauffolgenden Frühjahr zurückgeholt zu werden. Oder sie wurden gleich übernommen: So hat Solarworld in Freiberg nach eigenen Angaben in den zurückliegenden zwei Jahren rund 200 Zeitarbeiter in eine feste Anstellung übernommen.

Randstad verfügt über keine detaillierten Zahlen zur Photovoltaikbranche, verweist aber auf eine durchschnittliche Übernahmequote von jährlich 30 Prozent bei steigender Tendenz. SMA habe in den vergangenen 18 Monaten 600 Zeitarbeiter in eine feste Anstellung übernommen, so das Unternehmen. „Wir werden das auch in Zukunft tun, wenn wir ein anhaltend hohes Nachfrageniveau erwarten“, so Sprecherin Henkel. Das klingt optimistischer als die meisten anderen Nachrichten aus der Branche – aber festlegen will sich auch SMA nicht. „Die weitere Entwicklung des Marktes für 2012 ist aus heutiger Sicht noch nicht verlässlich zu bewerten“, sagt sie. Man gehe von einem allenfalls leichten Wachstum, wenn nicht gar von einer Stagnation aus.

Auch an den in der Branche tätigen Zeitarbeitsfirmen geht das nicht spurlos vorüber. „Wir sind nun in noch stärkerem Maße bestrebt zu diversifizieren und arbeiten mit Unternehmen zusammen, die entweder antizyklisch funktionieren oder aber anderen Zyklen unterliegen als etwa die Solarbranche, zum Beispiel das Handwerk oder die Automobilzulieferindustrie“, sagt Team-Time-Chefin Ute Urbon.

Astrid Hackenesch-Rump

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