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Auf Bewährung

Unzählige Zahlenkolonnen und Excel-Listen muss Johannes Oßwald prüfen. Data-Crunching wird der Vorgang genannt, wenn riesige Datenmengen recycelt werden, um daraus Schlussfolgerungen für eine neue Fragestellung zu ziehen. Etwa: Wie viele Ersatzteile benötigt das Unternehmen und woher bekommt man sie schnell zum günstigsten Preis? Das sind zentrale Fragen, auf die eine Firma Antworten braucht, wenn sie ökonomisch arbeiten will. Für den Berliner Modulhersteller Solon analysiert Oßwald mit betriebswirtschaftlichen Untersuchungsmethoden, welche Produkte am stärksten und welche weniger stark am Umsatz des Unternehmens beteiligt sind und welches Teil wie oftgebraucht wird. Er kämpft sich durch die Datenberge, um die Beschaffungslogistik von Solon zu bewerten und schließlich Empfehlungen auszusprechen, wie das Unternehmen diesen Prozess optimieren könnte. Dabei ist Oßwald kein hochbezahlter Angestellter einer Unternehmensberatung mit klangvollem Namen, sondern immatrikulierter Student im Diplomstudiengang Logistik der Technischen Hochschule Wildau. Der Ritt durch die Zahlenkolonnen und Excel-Listen ist Teil seiner Diplomarbeit.

Solons Gesamtlogistikleiter Laszlo Kaszas hat bereits mehrere studentische Abschlussarbeiten begleitet und dabei „durchweg gute Erfahrungen gemacht“. Er betreut auch Oßwald. „Eine Diplomarbeit eignet sich gut, wenn ein Thema erschöpfend behandelt werden muss. Bei dem Logistikthema ist es erforderlich, sich mehrere Wochen so richtig in die Daten reinzuknien. Im normalen Arbeitsalltag kommt man gar nicht dazu“, sagt Kaszas. Anders als bei einem Mitarbeiter, der viel Arbeitszeit auf das aktuelle Tagesgeschäft verwenden muss, kann ein Student sich voll auf eine einzelne Aufgabe konzentrieren, sei es auf das Bücherwälzen für eine Literaturrecherche, auf die Auswertung von Aktenbergen oder aber den Aufbau einer Versuchsanlage und daran anschließende Messreihen inklusive Auswertung. Drei Monate haben Masterstudenten in der Regel laut Prüfungsordnung Zeit für ihreAbschlussarbeit, Diplomanden meist ein halbes Jahr. Viele Unternehmen legen Wert darauf, die Studenten bereits vorab einzuweisen, etwa im Rahmen eines Praktikums. So lernt der Student bereits das Alltagsgeschäft kennen, ebenso wie seine Kollegen und späteren Betreuer.

Gute Vorbereitung

Damit am Ende der Arbeit ein Ergebnis steht, von dem Student und Unternehmen etwas haben, muss der Betreuer allerdings viel Zeit investieren. „Wie bei jedem Projekt, das erfolgreich sein soll, müssen konkrete Ziele festgelegt werden“, sagt Laszlo Kaszas. „Es muss auch sichergestellt werden, dass beide Seiten sie gleich verstanden haben.“ Johannes Oßwald hat vor der Diplomarbeit bereits ein dreimonatiges Praktikum bei Solon absolviert und kennt sich deswegen im Unternehmen schon gut aus. Dennoch muss der Gesamtlogistikleiter einige Zeit in die Betreuung des Studenten investieren. „Die Betreuung war zu Beginn sehr aufwendig. Der Rahmen der Arbeit muss abgesteckt und immer wieder neu justiert werden. Zwischen drei und fünf Wochenstunden hat das anfangs in Anspruch genommen.“ Die Betreuung erfolgt meistens nicht nur durch die Unternehmen, sondern auch durch die wissenschaftliche Einrichtung, von der der Student kommt. „Der Betreuungsaufwand ist unterschiedlich hoch. Es kommt darauf an, ob viele Messungen vorgenommen werden oder ob es sich um eine reine Literaturrecherche handelt. Mal ist der Student mehr an der Uni, mal mehr bei uns“, meint Ralf Zirkler, der bei Centrosolar die Produktentwicklung leitet. Bei ihm gebe es meist eine wöchentliche Sitzung mit den Studenten, die auf ein bis zwei Stunden begrenzt werden könne. Auch Zirklers Abteilung greift regelmäßig auf die Unterstützung von Studenten zurück. „Wir kooperieren gerne mit Hochschulen und anderen Instituten. Gerade für Diplomarbeiten bieten sich Querschnittsthemen über verschiedene Fachgebiete wie Energie-und Elektrotechnik, über Maschinenbauer bis hin zu Materialkundlern an.“ Egal bei welchem Thema, damit es am Ende einer Studienarbeit keine unliebsamen Überraschungen gibt, sollte jedes Unternehmen, das von den Ergebnissen profitieren will, im Vorfeld juristisch prüfen lassen, inwieweit das Urheberrecht allein dem Studenten zusteht oder ob der betreuende Professor beteiligt ist. Gleiches gilt für Patent- oder Gebrauchsmusterschutz. Auch bei der Frage, ob eine Arbeit veröffentlicht werden muss, gibt es unterschiedliche Regelungen.

Insbesondere mit der nahe am Firmensitz gelegenen Universität Paderborn pflegt Centrosolar eine bereits jahrelang andauernde gute Beziehung. „Mal fragen wir an, ob die jemanden haben, oder die Uni kommt auf uns zu. Die Universität kann so zeigen, dass sie marktgerecht ausbildet, und wir profitieren von aktuellem wissenschaftlichen Input“, beschreibt Zirkler die Vorzüge der Kooperation. „Dazu kommt, dass wir auch die Messausrüstung der Uni nutzen können. Das ist praktisch, denn wenn man so teure Geräte nicht ständig nutzt, wäre eine Anschaffung nicht sinnvoll.“

Rückkopplung mit den Unis

Auch Laszlo Kaszas von Solon schildert die Rückkopplung mit Professorin Gaby Neumann als hervorragend. Sie ist Oßwalds Betreuerin von der Technischen Hochschule Wildau. Die Zusammenarbeit bei den Diplomanden klappte in der Vergangenheit so gut, dass die Professorin sich ebenfalls inzwischen an Kaszas wendet, um ihre Studenten für Abschlussarbeiten bei Solon unterzubringen. So zerbricht sich eine Gruppe von fünf Bachelor-Studenten für den Logistiker den Kopf über ein Zollverfahren zur Einfuhr von Drittlandsware. „Das ist ein sehr kompliziertes Thema, das sehr vieldetaillierte Prozesskenntnis erfordert. Das Verfahren transparent zu gestalten ist den Studenten aber gut geglückt“, sagt er mit Blick auf die Ergebnisse. Im Vergleich zur Zusammenarbeit mit Johannes Oßwald fällt Kaszas bei den jüngeren Bachelor-Studenten ein wesentlicher Unterschied auf. „Für den Diplomanden musste ich nur die Rahmenbedingungen abstecken, danach hat er sehr selbstständig gearbeitet. Bei den Bachelor-Studenten musste ich sehr klare Vorgaben geben.“ Auch sei die Betreuung einer ganzen Gruppe deutlich anders als die einer Einzelperson. „Wir hatten einmal in der Woche ein ganztägiges Treffen. Das war schon sehr anstrengend“, sagt Kaszas.

An negative Erfahrungen mit Studenten erinnert sich Ralf Zirkler nicht. Findet sich einmal kein geeigneter Kandidat direkt im Gespräch mit der Hochschule, wird das zu bearbeitende Thema wie eine normale Stellenanzeige auf der Unternehmenswebsite ausgeschrieben. „Wir suchen die Kandidaten sehr genau aus. Es findet ein richtiges Bewerbungsgespräch statt.“ Meistens absolviert der Student auch ein Vorpraktikum. „So lernt er das Tagesgeschäft und alle Arbeitsbereiche kennen. Während der Diplomphase soll er sich dann aber voll auf seine Arbeit konzentrieren können.“ Neben dem Vorteil, dass sich Studenten einem Thema vollständig widmen können, schätzt Kaszas auch ihre Motivation. Dass die Studenten engagiert bei der Sache sind, ist kein Wunder, schließlich ist die Hoffnung groß, nachAbschluss der Arbeit einen Job im Unternehmen zu ergattern. Es ist nicht nur eine Chance für den Studenten, sondern auch für das Unternehmen, das in den Monaten, in denen die Arbeit angefertigt wird, seinen potenziellen neuen Mitarbeiter auf Herz und Nieren prüfen kann. So übernimmt die Studienarbeit die gleiche Funktion wie eine Probezeit, Angestellte und Student lernen sich kennen. Zudem verfügt der Absolvent anschließend über ein vertieftes Wissen über ein unternehmensrelevantes Thema.

Wie sehr sowohl Firmen als auch Studenten von solchen Arbeiten profitieren können, zeigt auch das Beispiel eines Schützlings von Ralf Zirkler. Unter seinen Fittichen beschäftigte sich ein Maschinenbauer der Hochschule Paderborn mit dem Wärmetransport in Solarmodulen. Für den Studenten bedeutete dies zunächst viele, viele Messreihen. Mühselig, aber nach getaner Arbeit waren seine Ergebnisse von allgemeinem Interesse. Ob bei hoher Sonneneinstrahlung ein Modul einen Leistungsverlust erfährt, ist ein viel diskutiertes Thema in der Solarbranche. In der Arbeit beschäftigt er sich auch mit der Frage, ob sich ein Solarmodul als Dämmmaterial eignen könnte. Die Antwort entscheidet mit darüber, wie schnell sich das Produkt Solarmodul von einem reinen Mittel zur Stromerzeugung hin zu einem Multifunktionsbauteil entwickelt. Der Student kann also auch einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Produktpalette von Centrosolar erweitert.

Das Unternehmen muss für diese Ergebnisse verhältnismäßig wenig investieren. Master- und Diplomstudenten erhalten für ihre Mühe in der Regel Gehälter, die zwischen 600 und 1.000 Euro pro Monat liegen. Für die meisten Studenten ist dies jedoch ein attraktiver Betrag. Zusätzlich verfügen sie nach der Abschlussarbeit über ein Expertenwissen, das ihnen auf dem Arbeitsmarkt gegenüber anderen Absolventen ohne Industrieerfahrung einen wesentlichen Vorteil verschaffen kann.

Praxiserfahrung hautnah

„Einfach genial“ findet Izabela Goszczcka die Möglichkeit, direkt im Unternehmen zu erleben, welche wissenschaftlichen Theorien sich im Arbeitsalltag eins zu eins umsetzen lassen und welche sich als wenig praxistauglich herausstellen. Goszczcka untersucht für den Berliner Dünnschicht-Modulhersteller Inventux die Kostenentwicklung bei den verschiedenen Herstellungsverfahren von Solarmodulen: Dünnschicht versus Dickschicht. Eine Frage, die die Gemüter der Solarbranche immer wieder bewegt.

Die 27-jährige Polin hat bereits ein Studium der Präzisionsfertigungstechnik erfolgreich absolviert, sich danach aber, um ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zu erweitern, bei der Steinbeis-Schule, einer deutschen Hochschule für postgraduale Master-Studiengänge, immatrikuliert. Ziel der Hochschule ist es, Theorie und Praxis bestmöglich zu verzahnen. Deswegen bearbeitet jeder Studierende für die Dauer des Studiums ein mit einem beteiligten Unternehmen vereinbartes Projekt. In den Seminarphasen werden den Studierenden an derHochschule für die Problemlösung relevante methodische Kompetenzen und das theoretische Fachwissen vermittelt. Für ihr Forschungsvorhaben stellt Inventux Goszczcka die internen Daten zur Verfügung. „Wenn ich eine Frage habe, bekomme ich sofort eine Antwort. So bekommt man ein Gefühl dafür, was in der Arbeitswelt funktioniert und was nicht. Würde ich meine Arbeit an einer Uni schreiben, wäre das sicherlich nicht so der Fall“, meint Goszczcka. Im August wird sie ihre Ergebnisse und Schlussfolgerungen nach insgesamt einem Jahr Arbeit präsentieren können. Natürlich nur unternehmensintern, schließlich geht es um vertrauliche Daten. Danach will sie sich endgültig auf den Weg in die Arbeitswelt machen.

Wenn sie dann überhaupt noch nach einem Job suchen muss, denn nicht selten bekommen Studierende nach erfolgreicher Abschlussarbeit eine feste Stelle angeboten. Die Vermittlungsquote bei der Steinbeis-Hochschule sei sehr gut, weiß Goszczcka. „Das ist schon ein sehr guter Einstieg. Der Student hat Zeit, sich zu bewähren, man hat Zeit, sich gegenseitig kennenzulernen und auch um festzustellen, ob jemand menschlich ins Team passt“, meint auch Ralf Zirkler. „Alle unsere Studenten haben ein sehr hohes Engagement gezeigt und auch den Willen, das Unternehmen kennenzulernen. Ich finde es immer sehr schön zu sehen, was da für eine interessierte neue Generation heranwächst.“

Investition in die Zukunft

Möglicherweise werden Solarunternehmen auf diese neue Generation besonders gut achtgeben müssen. Wer sich auf erneuerbare Energien spezialisiert, hat derzeit größere Karrierechancen denn je. Mit dem erneut beschlossenen Atomausstieg werden noch mehr Fachkräfte gebraucht, die sich mit dieser Art der Energieerzeugung auskennen. Gerade auch bei Großkonzernen, die eben erst in diesen Industriezweig einsteigen. Der Kampf um geeignete Nachwuchskräfte wird härter, und diese kennen ihren Wert durchaus. „Ich denke schon, dass die Betreuung Kraft und Energie kostet. Aber Unternehmen, die nicht in junge Menschen investieren, haben keine Zukunft“, meint Izabela Goszczcka. Grund genug, Studenten, die sich während ihrer Studienarbeit bewährt haben, schnell an sich zu binden.

Daniela Becker

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