Michael Opifanti hat eigentlich keinen Grund, sich beruflich zu verändern. Der Gas-Wasser-Installationsmeister ist seit zehn Jahren selbstständig. Das Geschäft, das er zusammen mit einem Auszubildenden betreibt, bezeichnet er als Selbstläufer. „Aufträge bekommen wir durch Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt Opifanti. „Deshalb müssen wir kein Marketing betreiben.“ Trotzdem drückt er gerade die Schulbank. Am Solar Energie Zentrum Stuttgart (SEZ) ist Opifanti einer von 14 Teilnehmern, die derzeit den Pilotkurs der berufsbegleitenden Weiterbildung zum Vertriebstechniker für Solartechnik besuchen. Das neue Berufsbild stellt laut SEZ eine Schnittstelle zwischen Kunde und Techniker dar. Opifanti reizte die vertriebliche Seite an der Fortbildung. „Seit 25 Jahren arbeite ich auf dem Bau – wer weiß, wie lange ich das noch machen kann.“ Er könnte sich vorstellen, später im Vertrieb tätig zu werden. Seine praktische Erfahrung sei dafür eine gute Voraussetzung.
Für Berufstätige wie Opifanti hat das SEZ die Weiterbildung zum Vertriebstechniker für Solartechnik geschaffen. Im genauen Wortlaut heißt die Bezeichnung Solarteur-Vertriebstechniker für Industrie, Handel und Handwerk. Sie wendet sich an zwei Gruppen von Teilnehmern. Die eine Zielgruppe sindFachleute, die von der technischen Seite kommen. Solarteure und Solarfachleute, Handwerksmeister und Gesellen können hier ihr Wissen über Marketing und Vertrieb aufpolieren, um so kundengerechter und erfolgreicher zu verkaufen. Zum anderen haben Beschäftigte aus kaufmännischen Berufen wie Vertriebsleute und Betriebswirtschaftler, die bisher nichts oder wenig mit erneuerbaren Energien zu tun hatten, in dem Kurs Gelegenheit, sich Basiswissen über Photovoltaik, Solarthermie und Wärmepumpen anzueignen. Für sie bezeichnet SEZ-Leiter Jörg Veit die Weiterbildung als „sanften Einstieg in dieerneuerbaren Energien“. Grundsätzlich könne diese Fortbildung jeder besuchen, der „sich zum Vertrieb berufen fühlt“.
Technik und Vertrieb kombinieren
Veit hat die Weiterbildung zusammen mit Joachim Groß konzipiert, der den Bereich Unternehmensführung am SEZ leitet. Beide stießen zunächst unabhängig voneinander auf einen Bedarf. Groß entwickelt Konzepte für neue Berufe und führte hierzu eine Umfrage unter Innungsbetrieben durch. Was kann man im Bereich Verkauf für Handwerker machen? „Eine Kombination aus Technik und Vertrieb: Das ist es, was die Leute brauchen“, war das Fazit, zu dem er kam.SEZ-Leiter Veit andererseits war immer wieder damit konfrontiert, Interessenten an der Weiterbildung zum Solarteur ablehnen zu müssen. Das SEZ, das an der Innung für Elektro- und Informationstechnik Stuttgart angesiedelt ist, bildet nur Fachleute zum Solarteur aus, die bereits Gesellen und Meister in den Gewerken Sanitär-Heizung-Klima oder Elektro sind oder aus den Ausbaugewerken kommen. Durch diese Einschränkung will das SEZ einen hohen Qualitätsstandard der späteren Arbeit sicherstellen. Das technische Wissen ist zudem notwendig, da etwa 50 Prozent der Ausbildung die praktische Arbeit an und mit den entsprechenden Anlagen beinhaltet. Veit wollte daher ein Angebot für all die entwickeln, die Interesse an einer Solarausbildung haben, aber nicht die nötigen fachlichen Voraussetzungen erfüllen. Das Ergebnis beider Überlegungen war der Vertriebstechniker für Solartechnik. Mitte September startete der erste Kurs.
Zwei Ausbildungsblöcke
Der erste Ausbildungsblock trägt den Namen „Systemtechnik für Erneuerbare Energien“. In 112 Unterrichtseinheiten dreht es sich um die Technik von Solarstrom- und Solarwärmeanlagen sowie Wärmepumpen. Die Referenten des SEZ und aus freien Unternehmen vermitteln außerdem die Grundlagen der Gebäude- und Energietechnik, und sie stellen die wichtigsten Gesetze und Vorschriften im Bereich der erneuerbaren Energien vor.Der zweite Block mit 128 Unterrichtseinheiten befasst sich mit dem Vertriebsmanagement. Jetzt lernen die Männer und Frauen, Vertriebs- und Verkaufskonzepte zu erstellen. Sie kalkulieren Preise, erstellen Finanzierungskonzepte und führen Wirtschaftlichkeitsberechnungen durch. Weiterhin erfahren sie, was zum aktivenund strategischen Verkaufen dazugehört, also Kunden zu beraten, zu überzeugen und langfristig zu halten. Kursteilnehmer, die die Weiterbildung zum Solarteur absolviert haben, sind vom ersten Block befreit. Dies gilt jedoch nicht für die sogenannten Fachkräfte für Solartechnik, die ihr Zertifikat an einer Handwerkskammer erworben haben. Bei der HWK-Fortbildung liegen die Schwerpunkte auf Photovoltaik und Solarthermie. Den Absolventen fehlt laut Veit das Wärmepumpen-Know-how. Allerdings hält er Ausnahmeregelungen für denkbar. „Der Interessent müsste einen gleichwertigen Nachweis erbringen, dass er sich mit Wärmepumpen auskennt.“ Im Block Vertriebsmanagement sind keine Freistellungen möglich, nicht einmal für Betriebswirtschaftler mit Schwerpunkt Marketing oder Verkaufsprofis. Dies begründet Groß damit, dass in der SEZ-Fortbildung alle Projektarbeiten am Beispiel der erneuerbaren Energien durchgeführt werden. Ein BWL-Studium sei zu allgemein gehalten, ein Vertriebsprofi aus einer anderen Branche kenne sich mit der Technik nicht aus.
Ereignis Kundenauftrag
Die Weiterbildung charakterisiert Groß als praxisnah und prozessorientiert. „Wir haben ein Ereignis, und das ist der Kundenauftrag“, erklärt der Marketingexperte. Die Kursteilnehmer bekommen beispielsweise die Aufgabe gestellt, einen Auftrag für eine PV-Anlage auf einem Wintergarten durchzuspielen. Dies beginnt bei der Beratung des Kunden und reicht über die Zusammenstellung des Materials und die Angebotskalkulation bis hin zur Nachbetreuung. Ziel der Fortbildung ist es jedoch nicht, die Anlagen selbst montieren zu können. „Die Absolventen können bei der fundierten Bedarfsermittlung helfen, Auslegung und Montage der Anlage müssen aber durch einen Fachmann erfolgen“, betont Groß. Die Zielsetzung umschreibt er deshalb mit „Beraterkompetenz auf Meisterniveau“.Für die Abschlussprüfung muss jeder Teilnehmer ein 20 bis 30 Seiten starkes Vertriebskonzept erarbeiten. Die Teilnehmer haben die Wahl, ob sie einen Projektvorschlag der Kursleitung annehmen oder eine Marketingmaßnahme bearbeiten, die gerade bei ihnen ansteht oder die sie grundsätzlich interessiert. Möglichkeiten gibt es viele: von der PV-Anlage auf einem Wohnhaus über die Kombination von Photovoltaik und Wärmepumpe bis hin zur Kooperation mit einem Dachdecker. In jedem Fall muss das Projekt die klassischen Komponenteneines Vertriebskonzeptes beinhalten, von der Analyse der Kommunikationsidee über die Planung der Maßnahmen und die Durchführung bis zur Auswertung des Ergebnisses. In der mündlichen Prüfung muss jeder sein Konzept präsentieren und es „kaufmännisch und technisch verteidigen“, wie Joachim Groß es nennt.
Vor Ort und online lernen
Groß erläutert auch das Konzept des Blended Learning, als welches die Ausbildung angelegt ist. Blended kommt aus dem Englischen und steht für vermengt. Und so setzt sich die Weiterbildung aus 160 Unterrichtseinheiten am SEZ, 60 Einheiten Selbstlernen mit Hilfe von Unterrichtsmaterial im Internet und 20 Einheiten Online-Tutorien zusammen. „Das reine Lernen mit Hilfe des Internets, das als E-Learning kurzzeitig populär war, hat nicht funktioniert“, erklärt Groß. Blended Learning sei die Weiterentwicklung.Von den Handwerkskammern ist das Berufsbild offiziell nicht anerkannt, ebenso wenig wie der Solarteur ein anerkannter Handwerksberuf ist. Letzteres hängt unter anderem damit zusammen, dass der Begriff Solarteur als Wortmarke von dem Schöpfer dieser Solarfortbildung, Werner Rauscher, heute Leiter des Europäischen Zentrums für Erneuerbare Energie im österreichischen Güssing, geschützt ist. Die Kammern lehnten es ab, ein Berufsbild zu übernehmen, dessen Wortmarke im Besitz eines Privatmannes ist, und schufen ihre eigene Fachkraft Solartechnik. Um der Weiterbildung eine höhere Anerkennung zu sichern, führt Jörg Veitderzeit Gespräche mit dem TÜV, der möglicherweise eine Qualitätskontrolle durchführen wird. Langfristiges Ziel ist es, die Weiterbildungen am SEZ vom Berufsbildungsausschuss der Handwerkskammern anerkennen zu lassen. Die Tatsache, dass die Fortbildung zum Solarteur von zwölf Einrichtungen in Deutschland angeboten wird, ermöglicht Jörg Veit die Aussage: „Der Solarteur-Vertriebstechniker ist einzigartig in Deutschland.“ Wie er von dem Urheber Werner Rauscher weiß, bietet keine andere Einrichtung eine Weiterbildung zum Vertriebstechniker in Kombination mit dem Solarteur an, so dass er hier noch Vorreiterstatus genießt. Vorreiter sind so auch die Teilnehmer am ersten Kurs. Sie haben unterschiedliche Motive, die Weiterbildung zu besuchen – was sie vereint, ist, dass sie entweder mehr Wissen über die regenerativen Energietechniken oder den professionellen Vertrieb haben möchten. Ein Teilnehmer ist Peter Tippelt. Der Volkswirt ist seit 20 Jahren im Vertrieb tätig, für seinen jetzigen Arbeitgeber vertreibt er Telefon- und Datenbanksysteme. Freiberuflich hat er angefangen, Photovoltaikanlagen zu verkaufen – kurz- bis mittelfristig soll das sein Hauptberuf werden. Abschlüsse tätigt er bereits, allerdings ist er mit dem Ergebnis nicht zufrieden: „Im Job habe ich eine Abschlussquote von drei zu eins, das heißt auf drei Verkaufsgespräche kommt ein Auftrag.“ Für einen guten Verkäufer sei das normal. Bei den PV-Anlagen beträgt die Quote jedoch nur zehn zu eins. „Daran merke ich deutlich, dass ich noch wastun muss“, stellt Tippelt fest und lacht. Seine Kollege am SEZ, Frank Nowak, ist ebenfalls in einer anderen Industriebranche tätig. Nowak ist Installationsmeister für Gas und Wasser und technischer Fachwirt. Er absolvierte bereits die SEZ-Weiterbildung zum Gebäudeenergieberater und will nun sein Wissen vertiefen. Diese Fortbildung hat er gewählt, „um mehr in den Vertrieb reinzukommen“. Auch er könnte sich vorstellen, in der Erneuerbare-Energien-Branche tätig zu werden.
Voneinander profitieren
Bruno Larson hingegen, Mitglied im Solarverein Stuttgart und Organisationsberater, hat ein konkretes Projekt vor Augen. Er will ein mobiles Solarlabor einrichten, mit dem er Schulen besucht und dort Unterrichtseinheiten anbietet. Der Sozialwissenschaftler hat sich für die Weiterbildung entschieden, weil er mehr über Technik und Vertrieb erfahren will. Im zweiten Block, der Mitte November startet, lernen die „Nichttechniker“ dann ihre Kollegen kennen: allesamt am SEZ ausgebildete Solarteure, die erst dann dazustoßen. Die Solarfachleute ihrerseits werden vielleicht von den Vertriebserfahrungen ihrer Kollegen lernen können.Jörg Veit und Joachim Groß sind mit der Resonanz auf ihr neues Angebot zufrieden. Statt der geplanten zehn haben sie 14 Teilnehmer im ersten Kurs. Die maximale Teilnehmerzahl für alle weiteren Kurse ist auf 16 begrenzt. Für den zweiten Kurs, der im Februar startet, gibt es bereits zehn Interessenten und zwei Anmeldungen. Besonders freut Veit, dass, kaum nachdem er die neue Weiterbildung bekannt gemacht hatte, erste Firmen anriefen: Ein Photovoltaikhersteller, ein Handwerksbetrieb aus Südbaden und ein Großhändler bekundeten Interesse an den Absolventen.