Vor wenigen Monaten stand Michael Buss selbst vor der Frage, ob er zum Projektentwickler Juwi wechseln will. Der ausgebildete IT- und Telekommunikationsberater war schon bei vielen Firmen tätig, sei es in der Computerbranche oder im Bereich Medizintechnik. „Mit entscheidend für meinen Wechsel war auf jeden Fall, dass das Unternehmen mit aller Kraft daran arbeitet, die Energieversorgung so schnell wie möglich auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzustellen“, sagt Buss. Nun leitet er die Personalabteilung bei dem WörrstadterUnternehmen. Seine Aufgabe ist es, qualifizierte Fachkräfte für Juwi zu interessieren, anzustellen und so den Erfolg des Unternehmens mit zu sichern.
Eine Aufgabe, die nach Ansicht von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen von der CDU in den kommenden Jahren zunehmend schwerer werden dürfte. Bereits heute entstünden in manchen Bereichen wie bei Ingenieuren Personalengpässe. „Das wird auch die Photovoltaikbranche betreffen“, meint Gisela Enders, die das Phänomen Fachkräftemangel in einer Studie für das Bundesumweltministerium unter die Lupe genommen hat. In den nächsten 10 bis 20 Jahren werde es zu einem dramatischen Mangel an qualifiziertem Personal kommen. Dies resultiere aus zwei gegenläufigen Bewegungen: Unabwendbar ist der demografische Wandel, der viel weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt bringen wird und der auf der anderen Seite ab 2015 immer größere Gruppen aus dem Arbeitsmarkt entlässt. Die Babyboomer gehen in Rente.
„Die Zahlen sind erdrückend“, sagt Enders, „und diese Mischung wird dazuführen, dass immer mehr Stellen nicht wieder besetzt werden können.“ Ihre Schlussfolgerung ist: Die Arbeit innerhalb der Personalabteilung wird sich verändern. Die Verantwortlichen werden sich nicht mehr aus zahlreichen Bewerbungen ihren Liebling herauspicken können. Stattdessen wird es darum gehen, attraktive Arbeitsplatzbedingungen anzubieten, damit sich ein heftig umworbener Bewerber für ihr Unternehmen entscheidet.
„Dem kann ich nur zustimmen. Für ein Unternehmen ist es bereits heutzutage von enormer Bedeutung, sich im Markt als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und von Mitbewerbern abzuheben“, sagt Grit Petzholdt-Gühne, Leiterin Personal beim Solarbereich von Schott. Neben harten Faktoren, wie etwa der Höhe des Gehalts, werden weiche Faktoren, wie die Identifikation mit einem Unternehmen, die auch für Buss entscheidend für seinen Wechsel zu Juwi war, eine immer größere Rolle spielen.
Mehr Eigenwerbung
„Viele Unternehmen der Solarbranche könnten da ruhig etwas selbstbewusster auftreten“, meint Gisela Enders. Je größer die Konkurrenz um geeignete Fachkräfte, desto wichtiger wird die Eigenwerbung. „Gerade Ingenieure mit noch nicht so viel Arbeitserfahrung haben in jungen Unternehmen der Solarbranche wesentlich mehr Entscheidungsfreiheit und Gestaltungsspielraum als in alteingesessenen Energieunternehmen“, sagt Enders. Die Energiewende mitgestalten, Teil einer zukunftsträchtigen Branche sein, eigene Ideen einbringen – solche Pluspunkte könnten deutlich mehr kommuniziert werden, denn vielen Menschen bedeutet es eine Menge, in einem Photovoltaikunternehmen für „die gute Sache“ zu arbeiten.
„Viele alteingesessene Unternehmen stylen ihren Auftritt komplett durch, von Mitarbeiterporträts auf der Firmenwebsite bis hin zum Facebook-Eintrag, wo von den Vorteilen des Unternehmens berichtet wird. Im Vergleich dazu wird die PR in eigener Sache in der Solarbranche manchmal etwas vernachlässigt. Gerade bei mittelständischen Unternehmen, deren Namen nicht jedem Hochschulabsolventen geläufig sind, besteht noch großes Potenzial“, meint Enders.
Juwi hat das früh erkannt. Klickt man auf die Karriereseite des Unternehmens,kann man dort ausführlich lesen, aus welchen Gründen Juwi findet, „ein ausgezeichneter Arbeitgeber“ zu sein. Zur Bestätigung prangen auf der Website gleich mehrere Auszeichnungen von Zeitschriften und Karriereforen.
Empfehlungen aus eigenen Reihen
Neben der Anzeige auf der Website erscheint den Unternehmen Empfehlungsmarketing die erfolgreichste Methode zu sein, um neue Mitarbeiter zu finden, ermittelte Enders in ihrer Studie. Die beste Quelle sind dabei die eigenen Mitarbeiter. „Diese Methode wird bei einigen Firmen sogar finanziell belohnt. Bis zu 3.000 Euro erhält der empfehlende Mitarbeiter, wenn die neue Kraft die Probezeit beendet hat und im Unternehmen weiterarbeitet“, sagt Enders. Auch ohne besondere Prämie funktioniert dieser Weg gerade im ländlichen Raum gut. Dort kennt man sich eher als in der Großstadt, und es weiß immer jemand im Betrieb, wer in der Umgebung noch gut ist und nach einer neuen Stelle sucht.
Die Mischung aus guter Außendarstellung, regionaler Verwurzelung undinternationaler Ausrichtung scheint sich bei Juwi auszuzahlen. „Wir haben monatlich zwischen 2.000 und 2.300 Bewerber“, sagt Buss. Von Fachkräftemangel also keine Rede? „Ja und nein“, sagt der Personalchef. Einige Jobprofile seien durchaus schwierig zu besetzen, wie etwa Bauingenieure und erfahrene Projektmanager für spezielle technische und betriebswirtschaftliche Aufgaben. „Momentan gibt es vor allem in den Bereichen der Natur- und Ingenieurwissenschaften weniger Absolventen, als der Arbeitsmarkt aufnehmen könnte“, bestätigt auch Petzholdt-Gühne von Schott. „In der jetzigen, etwas schwierigeren Situation kommt uns enorm zugute, dass Schott als sehr attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird. Das merken wir vor allem in Gesprächen mit den Bewerbern“, fährt sie fort.
„Bei unserer Untersuchung haben wir festgestellt, dass es für die meisten Unternehmen der Erneuerbaren-Energien-Branche im Moment kein Problem zu geben scheint, neue Mitarbeiter zu rekrutieren“, sagt Enders. „In den letzten zwei Jahren hat die Wirtschaftskrisedazu beigetragen, dass es wieder etwas leichter war, Fachkräfte zu finden. Aus anderen Branchen orientierten sich Ingenieure und Fachkräfte um und fanden in der Solarbranche und bei den anderen Erneuerbaren eine neue Heimat“, erläutert die Expertin. Das werde jedoch nicht so bleiben.
Früh Begeisterung wecken
Eine gute Gelegenheit, die Bekanntheit bei künftigen Fachkräften zu steigern, sei die Kooperation mit Hochschulen. Wenn ein Student ein freiwilliges oder ein Pflichtpraktikum in einem Unternehmen absolviert beziehungsweise dort eine Semester- oder wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt, kann der potenzielle Mitarbeiter in dieser Zeit auf Herz und Nieren geprüft werden (siehe photovoltaik 07/2011, Seite 118). „Fragt man die Unternehmen, dann wird bereits viel mit Universitäten zusammengearbeitet. Oft verlassen sich die Personalverantwortlichen aber darauf, dass die Hochschulen auf das Unternehmen zugehen“, sagt Enders Auf den Firmenwebsites hingegen fehlen meist genaue Beschreibungen von Diplomarbeitsthemen oder ein Hinweis darauf, was der Student davon hat, sich ausgerechnet für dieses Unternehmen zu entscheiden. „Natürlich, im Moment, wo scheinbar noch kein Fachkräftemangelherrscht, mutet so etwas eher wie die Kür an. Aber hier gibt es einen Anknüpfungspunkt, um aus der Branche heraus einem zukünftigen Fachkräftemangel Eigeninitiative entgegenzusetzen“, sagt Enders.
Ausbildung wird vernachlässigt
Was können die Unternehmen darüber hinaus tun, um passende Mitarbeiter zu finden? Ein weiterer Weg ist es, Mitarbeiter selbst auszubilden. „Die eigene Ausbildungsquote ist bei den Unternehmen, die nach 1990 gegründet wurden, deutlich geringer als bei älteren Unternehmen mit einer Ausbildungstradition. Bisher verlassen sich viele Unternehmen darauf, dass die Ausbildung von den Hochschulen geleistet wird“, so die Expertin Enders. „Der Ruf nach mehr neuen Studiengängen ist laut. Ich denke, das Bewusstsein für die eigene Verantwortlichkeit könnte größer sein.“ „Wir betrachten Ausbildung sowohl als Verpflichtung als auch als strategische Entscheidung“, sagt Michael Buss. Momentan lernen 30 junge Menschen bei Juwi. Das Unternehmen hat gemeinsam mit der IHK Mainz einen Ausbildungsberuf auf den Weg gebracht, der speziell auf die Anforderungen der jungen Industrie zugeschnitten ist: Den Mechatroniker mit dem Schwerpunkt erneuerbare Energien. Für das Projektmanagement im Bereich Windenergie ist ein speziellesTraineeprogramm entwickelt worden. Ein ähnliches Programm für die Photovoltaik ist in Planung.
Neben der Erstausbildung bietet Schott auch ein internationales Graduate-Programm für Berufseinsteiger mit akademischem Abschluss an. Das Unternehmen setzt darauf, Fachkräfte nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Ausland zu rekrutieren. „Schott ist in über 40 Ländern weltweit vertreten und hat über die Jahre ein sehr gutes und internationales Recruiting aufgebaut“, sagt Petzholdt-Gühne. Dies ist ein Weg, den die Bundesregierung künftig erleichtern will. Ursula von der Leyen plant, die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen zu vereinfachen, und wirbt dafür, die sogenannte Vorrangprüfung für zuwanderungswillige Ingenieure auszusetzen. Denn bislang müssen Unternehmen, die Kandidaten von außerhalb der EU einstellen wollen, nachweisen, dass es hierzulande keinen geeigneten Bewerber gibt. Vor allem aber, so mahnt die Ministerin, müsse Deutschland eine „Willkommenskultur“ entwickeln.
„Willkommenskultur“ entwickeln
Das „Willkommen“ übernimmt bei Juwi die hauseigene „Academy“, in der alle neuen Mitarbeiter auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet werden. Während der Probezeit durchlaufen sie ein auf ihren Einsatzbereich abgestimmtes, insgesamt zwölftägiges Ausbildungsprogramm, das es ihnen ermöglichen soll, sich schnell in das Unternehmen und das Themenfeld der erneuerbaren Energien einzufinden.
Interne und externe Referenten geben einen Überblick über das Themenspektrum der erneuerbaren Energien und beantworten unter anderem betriebswirtschaftliche, technische und rechtliche Fragen. „So stellen wir sicher, dass alle Mitarbeiter auf dem gleichen Stand sind und verstehen, was die Vision ‚100 Prozent erneuerbar‘ bedeutet“, erläutert Buss.
Erst finden, dann binden
Die Juwi-Academy bietet den Mitarbeitern auch die Möglichkeit der ständigen Weiterbildung, dazu gehören Sprachkurse und individuelle Trainingsmaßnahmen. Auch sonst bemüht sich das Unternehmen aus der rheinland-pfälzischen Provinz, für seine Mitarbeiter langfristig attraktiv zu bleiben. „Wir sindum eine angemessene Work-Life-Balance bemüht“, sagt Buss. Dazu gehört das „Juwelchen“ – der firmeninterne Kindergarten –, ein Fitnessraum mit verschiedensten Kursen, Außenanlagen mit Gehwegen, Sitzbänken und einem Grillplatz, ein Fußball- und ein Beachvolleyball-Feld und sogar ein Andachtsraum.
Viele Unternehmen kommen bisher auch ohne solche Angebote aus. „Die durchschnittliche Fluktuation bei den Mitarbeitern ist in der Branche faszinierend niedrig“, sagt Enders. Bemerkenswert für einen Arbeitsmarkt, in dem viele Fachkräfte gesucht werden, denn es besteht ja die Möglichkeit, sich bei der Konkurrenz zu verbessern oder bei Unzufriedenheit den Arbeitgeber zu wechseln – neue Stellen sind verfügbar. Die Bindung an die Unternehmen ist also bereits hoch. Oft habe sie bei der Befragung für die Studie in „leuchtende Augen“ geblickt, wenn Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber sprachen, erzählt Enders. Hohe Identifikation, flache Hierarchien, gute Stimmung im Unternehmen – eben die weichen Faktoren wissen die Angestellten zu schätzen.
Führungskräfte coachen
Die Fluktuationsrate wird aller Voraussicht nicht ewig so niedrig bleiben. Gute Stimmung kann schnell kippen, insbesondere in schnell wachsenden Unternehmen: Eine Organisationsstruktur, die nicht mit der Realität mitwächst, ein Abteilungsleiter, der mit neuen Aufgaben
überfordert ist – die Gründe für Frust bei Mitarbeitern sind vielfältig. „Ein schlechter Chef kann für eine Abteilung fatal sein“, sagt Enders. Um solche negativen Entwicklungen zu verhindern, werden seit den 1980er Jahren zunehmend Coachs eingesetzt, um Top-Führungskräfte im Umgang mit Mitarbeitern zu schulen.
Ist die Personalabteilung überlastet, kann einem Coach aber auch deren Aufgabe zufallen, Mitarbeiter individuell zu beraten, wie diese sich innerhalb des Unternehmens weiterentwickeln können. Es geht darum, die Zufriedenheit und Arbeitsmotivation des Mitarbeiters zu erhöhen, und zwar bevor dieser sich nach einer Perspektive außerhalb des Unternehmens umsieht.
Betriebliche Mitbestimmung
Während der Untersuchung stellte Enders auch fest, dass die betriebliche Mitarbeitervertretung in Form von Betriebsräten bisher in der Branche nicht sehr gut etabliert ist. „Von den Unternehmern haben wir dann oft Sätze gehört wie: ‚Wir wollen arbeiten, wir brauchen so was nicht.‘“ Unter der Hand sei aber zu erfahren gewesen, dass einige Mitarbeiter so etwas durchaus kritisch sehen. „Schließlich geht es bei betrieblicher Mitbestimmung immer auch um Fragen wie Bezahlung, Entscheidungen, wo die Gewinne hinfließen und welche Art von Weiterbildungsmaßnahmen getroffen werden. Langfristig könnte eine fehlendeMitbestimmungsmöglichkeit ein Negativkriterium werden“, spekuliert Gisela Enders.
Bereits heute zeichnet sich ab, dass neben Gehaltsvorstellungen zunehmend Arbeitszeiten, Arbeitsklima, Anerkennungskultur und Entscheidungskompetenzen wichtige Kriterien bei der Auswahl des Arbeitgebers sein werden. Die Familienfreundlichkeit und der Bedarf nach flexiblen Arbeitszeiten werden sich nicht mehr auf die Versorgung von kleinen Kindern beschränken, sondern zunehmend wird es dabei auch um die Betreuung älterer Menschen gehen. Junge Fachkräfte werden sich nicht nur um ihre Kinder, sondern auch um Eltern und zum Teil noch Großeltern kümmern müssen. Die entsprechenden Wünsche nach befristeter Teilzeit über einen kürzeren oder auch längeren Zeitraum werden sich nicht mehr nur einer bestimmten Zielgruppe, etwa den jungen Frauen, zuordnen lassen, sondern in fast jeder Lebensphase auftreten können.
Das Wachstum der Solarindustrie wird die Branche vor besondere Herausforderungen stellen. „Es besteht bereits heute eine hohe Nachfrage nach Fachkräften, und das scheint in naher Zukunft auch nicht weniger zu werden“, sagt Enders. Wer sich heute Gedanken darüber macht, wie sein Unternehmen als Arbeitgeber attraktiv werden kann, ist vorbereitet, wenn geeignete Fachkräfte Mangelware werden.