Das virtuelle Klassenzimmer des Solar Energie Zentrums (SEZ) Stuttgart öffnet um 17.45 Uhr. Schon erscheint das Bild von Heinz Schröder, selbstständiger Heizungsbauer in Böblingen, auf dem Bildschirm. Schröder hat sich in seinem Büro auf dem Computer eingeloggt, den Kopfhörer aufgesetzt und ist nun bereit für anderthalb Stunden Online-Tutorium zum Thema Photovoltaik. Wenn sein Foto zu sehen ist, heißt es, dass er im virtuellen Klassenzimmer angekommen ist. Einen Moment später ploppt das Bild des Elektrikers Mario Kleber auf dem Bildschirm auf. Auch der Mitschüler aus Rostock ist nun zugeschaltet. Es folgt der Sanitär- und Heizungsfachmann Stefan Heider aus Stuttgart, der in seiner Wohnung vor dem PC sitzt. Kurz vor 18 Uhr ist die Bildergalerie mit 16 Personen komplett. Jetzt meldet sich Jörg Pfalzgraf, Dozent des SEZ, über den Kopfhörer zu Wort. Der Unterricht hat begonnen.
Das Lernen am Computer ist am SEZ, das bei der Innung für Elektro- und Informationstechnik Stuttgart angesiedelt ist, seit 1999 Teil des Ausbildungskonzeptes. Zehn Jahre Erfahrung im computerbasierten Lehren und Lernen: eine Rarität in der Branche. In Konzernen wie Daimler, BMW und Volkswagen sind solche Fortbildungen längst Standard. Das Handwerk und insbesondere die Solarbranche tun sich damit schwerer. Dem Vorreiterbeispiel des SEZ sind bis heute nur sehr wenige Ausbildungseinrichtungen gefolgt.
Jörg Veit, Leiter des Solar Energie Zentrums, erstaunt dies nicht. Er weiß um die Anlaufschwierigkeiten, die mit dem neuen Angebot verbunden sind. Das SEZ, damals noch unter anderer Leitung, stand 1999 vor der Aufgabe, neue Kunden für seine Weiterbildungen gewinnen zu müssen. Der Unterricht fand damals in den Räumen der Innung im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstadt statt. Doch mit der Zeit wurde es schwerer, Teilnehmer in den sogenannten Präsenzunterricht zu bekommen. „Wir sind die Stütze unseres Betriebes. Wir können nicht so lange weg“, habe es oft geheißen, berichtet Veit, Leiter des SEZ seit 2003. Ein Kurs beinhaltet immerhin rund 200 Stunden, aufgeteilt jeweils auf zweitägigen Blockunterricht an der Schule. „Für uns stellte sich die Frage, wie wir unseren Lehrgangsbetrieb aufrechterhalten können“, sagt Veit.
„Die Metropolenregion Stuttgart hatten wir abgegrast. Wir mussten unseren Aktionsradius erweitern.“
Die zündende Idee kam aus den USA, wo man in den 1990er Jahren mit der Nutzung des Internets schon viel weiter war. E-Learning war damals das Schlagwort, und dies sah das Lernen ausschließlich am Computer vor. 1999 startete das SEZ den ersten Versuchsballon. Zum ersten Mal bot die Schule den Kurs „Paragraph 7a – Sanitär- und Heizungstechnik für Elektrotechnikermeister“ computerbasiert an. Das Land Baden-Württemberg förderte das Pilotprojekt. „Wir hatten von Anfang an Kunden“, berichtet Veit. Eine freie Zeiteinteilung und keine Anfahrtswege schienen dem Handwerker mit chronischem Zeitmangel entgegenzukommen. Doch die Euphorie hielt nicht lange an. Ausbildungseinrichtungen, die auf den Trend gesetzt hatten, mussten feststellen, dass E-Learning allein nicht funktioniert. Den Schülern fehlte der persönliche Kontakt zu Dozenten und Mitschülern. Sie vermissten die Lerndisziplin, die eine Gruppe mit sich bringt. Und den Handwerkern fehlten Anschauungsobjekte zum Anfassen und Ausprobieren, kurz die Praxis.
Weiterentwicklung zum Blended Learning
2002 flaute der E-Learning-Boom ab, 2004/2005 war er vorbei. Aus den Fehlern hatte das SEZ gelernt, ebenso andere Entwickler und Anbieter solcher Lehrangebote. Sie passten ihre Kurse den Bedürfnissen der Kunden an. Das einsame Lernen am PC war nun nur noch ein Teil im Unterrichtsprogramm. Mindestens 50 Prozent der Zeit sollte wieder in der Schule gelernt werden. Auch die neue Bezeichnung „blended learning“ war schon kreiert. Das englische Wort „blended“ heißt „vermengt“ und bezieht sich auf die neue Kombination. Sie verbindet Präsenzunterricht, Selbstlernen am Computer und Online-Tutorien. Dieses Konzept griff das SEZ auf und blieb ihm bis heute treu. 2002 fand die Meisterausbildung im Elektrofachhandwerk erstmals als Blended-Learning-Kurs statt. 2003 folgte der Solarteur-Kurs. Weiter ging es mit der Fortbildung zum Gebäudeenergieberater.
Eine typische Aufteilung ist die des Solarteurkurses. 160 Unterrichtseinheiten finden im Präsenzunterricht am SEZ statt. 60 Einheiten lernen die Teilnehmer eigenständig am Computer (Online-Lernen), wobei die Online-Einheiten Durchschnittswerte sind. Denn natürlich lernen die Schüler je nach Vorkenntnissen und Disziplin schneller oder langsamer. Weitere 20 Einheiten finden in Online-Tutorien statt. In den Online-Seminaren werden die Grundlagen der Photovoltaik, Solarthermie und Wärmepumpentechnik vermittelt. Darüber hinaus ist die Weiterbildung praxisorientiert. Dies findet im Solarlabor und an den Testanlagen auf dem Dach des SEZ statt.
Doch wie kann man sich das Lernen im Netz nun vorstellen? Das Prinzip trägt den Namen „mehrkanaliges Lernen“. Durch geschriebenen Text, animierte Bilder und Grafiken sowie gesprochene Informationen sollen möglichst viele Sinne angesprochen werden. Beim Unterrichtspunkt Dotierung beispielsweise finden die Lehrgangsteilnehmer einen Artikel, den sie sich als Einstieg durchlesen können. Eine animierte Grafik zeigt, wie Elektronen aus dem Gitter herausgelöst werden und andere stattdessen hereinkommen. So verbinden die Schüler das Wort mit einem Bild im Kopf. Zudem hören sie über Lautsprecher oder Kopfhörer einen Kurzvortrag mit ergänzenden Informationen zu dem Text.
In den Online-Tutorien kommunizieren Teilnehmer und Dozenten im virtuellen Klassenzimmer, sozusagen im Chat. „Einige unserer Lehrkräfte sind schon richtige Entertainer geworden“, freut sich Veit. Da das SEZ nur noch Fortbildungen nach dem Blended-Learning-Konzept anbietet, sind alle Dozenten als Teletutoren geschult. Drei Solarteurkurse finden momentan jedes Jahr am SEZ statt sowie eine Sommerakademie, die über sechs Wochen läuft und nur einen kleinen Anteil Online-Lernen hat. Um das Internetangebot auch für die anderen Kurse am Laufen zu halten, beschäftigt Veit zwei Techniker, die an der Hotline technische Fragen der Schüler beantworten. Zwei weitere Mitarbeiter wirken hinter den Kulissen, indem sie die Lernplattform pflegen und weiterentwickeln. Zwei Medienfachleute produzieren für das SEZ Sprechertexte, Grafiken und Animationen.
Hoher technischer Aufwand
Der personelle und technische Aufwand ist hoch, und dies ist sicherlich ein Grund dafür, weshalb es bisher kaum Nachahmer gibt. „Wir haben ebenfalls unsere Höhen und Tiefen gehabt“, gesteht Veit ein. „Es gab auch mal nur sieben Teilnehmer in einem Kurs. Aber wir hatten immer die Vision, das neue Konzept zu etablieren und waren dabei beharrlich.“ Heute profitiert er von den Erfahrungen. Ein Wissensvorsprung, den andere noch sammeln müssen.
Von den zwölf Solarteurschulen, die es in Deutschland gibt, hatten mehrere Interesse, Blended-Learning-Kurse anzubieten. Am konkretesten wurde es bei der Handwerkskammer Koblenz. Sie bot nach dem Konzept des SEZ eine Solarteurfortbildung an. Weil es nicht genügend Anmeldungen gab, kam der Kurs gar nicht erst zustande. Jetzt greift das Bildungszentrum für Solartechnik (BZS) in München das Konzept auf. Hier will BZS-Leiter Willi Kirchensteiner im nächsten Winter erstmals das Wärmepumpen-Grundlagenmodul mit Online-Tutorien und Selbstlernen am PC anbieten.
HWK Erfurt steigt ein
Seit etwa vier Jahren stellt Jörg Veit einen „Paradigmenwechsel“ fest. „Jetzt bekommen wir die, die bereit sind, sich auf die neue Technik einzulassen.“ Dies sieht Herbert Stang, Abteilungsleiter für Aus- und Fortbildung an der Handwerkskammer (HWK) Erfurt, ebenso. „Es ist ein langwieriger Prozess, der sich entwickeln muss.“ Im Moment würden viele Handwerker sich noch scheuen, allein am PC zu lernen. Sie wollen „etwas erleben“. Aber er stellt auch fest: „Wir bekommen eine neue Generation von Handwerkern.“ Deshalb wappnet sich die HWK für die Zukunft und bereitet nun ebenfalls einen Blended-Learning-Kurs vor.
Erste Erfahrungen sammelte die Handwerkskammer Erfurt mit einem Lehrgang in Informationstechnik, der Online-Module beinhaltete. Der sei gut besucht gewesen, so Stang. Ab 2010 will er deshalb das Grundlagenmodul der Weiterbildung zur Fachkraft für Erneuerbare Energien online anbieten. Dieses Modul mit den Inhalten Photovoltaik, Solarthermie und Wärmepumpe beinhaltet 64 von insgesamt 256 Unterrichtseinheiten. Stang ist zuversichtlich, dass es funktionieren wird. Denn immerhin werde in vielen Handwerksberufen schon mit dem Internet gearbeitet. So gibt es beispielsweise für Heizungsbauer und Zimmerer schon seit Jahren Branchen-Software für Kalkulationen und Projektierung.
Die Kosten für die Kombination aus Präsenzunterricht, Selbstlernphase und E-Learning sollen in Erfurt nicht über denen für den reinen Schulunterricht liegen. Stang strebt sogar noch einen günstigeren Preis an. Dabei muss er abwägen. Im Online-Unterricht gibt es kleinere Gruppen. Das ist methodisch-didaktisch ein Vorteil für die Teilnehmer. Aber nicht für den Anbieter, die HWK. Sie muss die höheren Kosten für das Online-Angebot erwirtschaften. Letztere sind der Grund dafür, dass die Kursgebühren im Solar Energie Zentrum Stuttgart durch das Blended-Learning-Konzept gestiegen sind. Denn immerhin wollen sechs Personen, die Vollzeit mit dem Internetangebot betraut sind, bezahlt werden. „Das sehen viele Schüler nicht“, sagt Veit.
Dafür sind diese aber umso mehr beeindruckt, wenn jemand die Vorteile des Internetangebotes in vollen Zügen nutzt. Und so erzählt Veit von dem kuriosesten Fall, den er in den vergangenen zehn Jahren erlebt hat. „Einmal hat ein Handwerker von einer Schweizer Skihütte aus am Online-Tutorium teilgenommen. Er war im Skiurlaub und wollte den Unterricht nicht verpassen.“ So saß er dann abends mit Laptop, UMTS-Karte und Headset auf der Hütte. „Er war der Star des Abends, unter den Schülern und bei seinen Kumpels auf der Hütte“, erinnert sich Veit und ergänzt: „Mit unserer Lernmethode, die sonst nur die Großindustrie nutzt, haben wir die Leute in eine andere Sphäre katapultiert. Das traut man den Handwerkern nicht zu.“ Die Teilnehmer der 16 Solarteurkurse, die bisher am SEZ stattfanden, beweisen, dass sie fit sind für die Zukunft.