Karin Franzen arbeitet da, wo andere Urlaub machen – in Südamerika, zwischen Andenkordillere und Pazifik. Als sie 2008 ihr deutsches Diplom als Ökonomin in der Tasche hatte, packte die heute 30-Jährige ihre Koffer mit Ziel Santiago de Chile, um dort ein sechsmonatiges Praktikum bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Bereich erneuerbare Energien zu machen.
Der chilenische Strommarkt ist wie die meisten anderen Industrien des Landes liberalisiert. Die aktuelle konservative Regierung setzt auf Innovation und will den Unternehmergeist auf dem eigenen Markt fördern. Mit der Wirtschaftskraft wächst der Stromverbrauch in Chile seit der Jahrtausendwende um jährlich 6,2 Prozent. Und bis 2020 wird ein Ausbau der Kraftwerksleistung auf 24.000 Megawatt erwartet. Rund 13.000 Megawatt waren es im Jahr 2000. Während bis Anfang des Jahres 2012 der Anteil an erneuerbaren Energien nur gut vier Prozent betrug, sollen es laut Gesetz bis 2024 mehr als doppelt so viel sein. Diskutiert werden neben dem Quotenmodell für erneuerbare Energien auch Net-Metering-Konzepte, bei denen der eingespeiste mit dem aus dem Netz bezogenen Strom verrechnet wird. In Zusammenarbeit mit der GIZ ist bereits ein Solardachkataster entstanden. Auch werden durch die internationale Kooperation in Chile mittlerweile neun Solarmessstationen betrieben. Die Daten sind zum einen für Investoren zugänglich und dienen zum anderen als Validierung für den Solaratlas des Landes.
In diesem Szenario arbeitet Karin Franzen. Gleich im Anschluss an ihr Praktikum erhielt sie einen befristeten Vertrag für zwei Jahre bei der GIZ in Santiago. Mittlerweile ist sie im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) als Politikberaterin tätig. Ihr Arbeitsplatz befindet sich im chilenischen Energieministerium. Ihr Thema: „Ausbaustrategie der Erneuerbaren“.
Handwerkliches Know-how
Franzen hat komfortable Arbeitsbedingungen nach deutschem Muster. Doch wer sich in Chile auf eigene Faust bewirbt, mag die Konditionen gewöhnungsbedürftig finden. „Arbeitnehmer haben nur 15 Tage Urlaub – und oft sogar erst ab dem zweiten Jahr im Unternehmen. Kündigungsschutz wie in Deutschland gibt es nicht“, erzählt Franzen. „Flüge von und nach Europa müssen natürlich aus eigener Tasche bezahlt werden.“ Dabei ist der Arbeitsmarkt in Chile vor allem für ausländische Ingenieure durchaus interessant. Bewerber mit spanischen Sprachkenntnissen sind klar im Vorteil. Gehaltsniveau sowie Lebenshaltungskosten in Santiago lassen sich in vielen Fällen mit denen in Berlin vergleichen.
Aber auch Techniker und Installateure haben Chancen, meint Berater Rainer Wüst, denn handwerkliches Know-how sei gefragt und mitunter Mangelware. Für Heizungsbauer gibt es in Chile keine vergleichbare Ausbildung wie bei uns“, so der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie. Dieser gemeinnützige Verein mit Sitz in Berlin berät Unternehmen und Regierung, schult, informiert und publiziert Handbücher.
Bei Verbänden fragen
Wüst verbringt viel Zeit in Chile. Im Norden des Landes seien diverse Projekte in der Pipeline. Für Installateure und Elektriker aus Europa sieht er durchaus Möglichkeiten. „Einige Solarprojekte durchlaufen gerade die Umweltverträglichkeitsprüfung oder Gespräche zum Thema Kauf und Garantiemengen seitens der Versorgungsunternehmen und könnten im kommenden Jahr anden Start gehen“, glaubt Wüst. Der Berater empfiehlt, sich bei der Recherche zunächst an (Unternehmer-)Verbände zu wenden (beispielsweise Acesol) oder bei der Deutsch-Chilenischen Industrie- und Handelskammer Camchal anzuklopfen. Vor allem Projektentwickler und europäische Unternehmen, die in Südamerika tätig sind, seien direkte und gute Ansprechpartner.
Startpunkt für Südostasien
Diese Einschätzung teilt Hendrik Bohne. Der 30-Jährige ist Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung für den Mittleren Osten und Südostasien für Conergy. „Viele europäische Unternehmen, die in Südostasien aktiv werden wollen, machen zunächst ein kleines Büro in Singapur auf. Die meisten haben hier auch ihr Hauptquartier für den Markt Südostasien“, so der Wirtschaftsingenieur. Deshalb sei es sinnvoll, hier mit der Recherche zu beginnen. „Das größte Volumen an Projekten gibt es derzeit in Thailand. Aber kaum jemand entsendet Personal aus Deutschland. Gesucht wird lokal, zum Beispiel Ingenieure, Controller, Vertriebler“, fügt Bohne hinzu, der ebenfalls lokal angestellt ist. Und anders als in Malaysia oder auf den Philippinen, wo Englisch gesprochen wird, seien in Thailand die Kenntnisse der Landessprache sehr hilfreich. „Man kann Jobs finden, aber nicht unbedingt massenhaft. Mitunter gründen Selbständige auch kleine Beratungsfirmen für Photovoltaikprojekte.“
Moderne Jobnomaden
Statt bei der Suche Jobbörsen wie Stepstone oder Monster zu bemühen, sollten Interessierte besser direkt bei den Unternehmen anfragen, die in der Region aktiv sind. Ein Grund dafür ist auch, dass die einstellenden Unternehmen eine Schlüsselfunktion beim Antrag für Visum und Arbeitserlaubnis innehaben. Gleiches gilt für Chile. Wirtschaftliche Not macht mobil und gilt in der Weltgeschichte als einer der wichtigsten Gründe für Auswanderer, ihr Glück in der Ferne zu suchen. Für viele moderne Jobnomaden ist eine Arbeitsstelle im Ausland aber nicht nur ein Pluspunkt im Lebenslauf, sondern oft auch eine Möglichkeit, der Lust am Reisen und am Erleben fremder Kulturen nachzugeben. Auch Hendrik Bohne verspürte Fernweh, während er für Conergy seine Diplomarbeit über das Potenzial der Wasserkraft in Indien verfasste. Anschließend arbeitete er für den Konzern bereits in Bangalore, bevor er mit mehr Verantwortung und zum Thema Solar nach Singapur wechselte.
Am Puls der Zeit
„Man arbeitet hier deutlich länger als von 9 bis 18 Uhr, und auch an den Wochenenden“, so seine Erfahrung. „Doch was mich reizt, ist die Aufbruchstimmung. Ich bin am Puls der Zeit, habe hier viel mehr Möglichkeiten mitzugestalten“, sagt er. „Man kann Veränderung und Fortschritt hier hautnah spüren. Alles ist in den Startlöchern.“ Und für die knapp bemessene Freizeit gebe es von Singapur aus faszinierende Urlaubsziele wie Pukhet und Bali. Bohne verspürt keinerlei Wunsch, in den kommenden Jahren seinen Wohnsitz nach Europa zu verlagern. Erst kürzlich hat er seine australische Freundin geheiratet.
„Erfolg bemisst sich in kleinen Schritten, und oft braucht man auch eine Portion Frustrationstoleranz“, sagt Martin Amtmann. Der Maschinenbau-Ingenieur ist wie Karin Franzen im Auftrag der GIZ als Junior-Consultant entsandt worden, allerdings nach Mexiko-Stadt. „Die Lernkurve ist sehr steil“, sagt der 31-Jährige zu seiner ersten Karrierestation nach dem Diplom in Baden-Württemberg. „Reines Ingenieurwissen ist längst nicht genug. Aber natürlich ist es sehr hilfreich – bei Themen wie Qualitätssicherung und Normierungsprozessen.“ Mexiko ist eines der Länder mit der intensivsten Sonneneinstrahlung der Welt. 2009 beschloss die Regierung eine Energiesektorreform, um die schwindenden Ölreserven durch alternative Energien auszugleichen. „Wir helfen dabei, diesen Reformprozess zu unterfüttern“, sagt Amtmann. Bereits während des Studiums in Stuttgart kam er durch ein Praktikum mit der GIZ und mit Mexiko in Berührung. Als Studienschwerpunkte hatte er Technologie-Management und Energiesysteme gewählt. Sein derzeitigesAufgabengebiet ist breit gefächert. In Zusammenarbeit mit Akteuren wie Behörden, Unternehmen, Verbänden und Wohnungsbaugesellschaften arbeitet er als Teamleiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit daran, die Rahmenbedingungen für den Solarmarkt gesetzlich zu beeinflussen und zu verändern.
Wichtige Softskills
Vor allem in der Kommunikation machte Amtmann einschneidende Erfahrungen. „Die Menschen hier sind extrem freundlich. Die Arbeitsweise in Mexiko ist ganz anders. Der knappe, gezielte, sachliche Schriftverkehr ist viel unwichtiger als bei uns. Infovermittlung erfolgt direkt – und über private Gespräche. Das soziale Leben ist sehr wichtig, um auch inhaltlich etwas zu erreichen“, so sein Resümee. Und: „Mit Sprachkenntnissen allein kommt man nicht weit genug. Man muss die Codes verstehen, die mexikanischen Mythen und Nationalhelden, die Geschichte kennen, um all die Zwischentöne zu dechiffrieren.“ Der Ingenieur kann sich vorstellen, in den kommenden Jahren wieder in Europa zu arbeiten. „Der Solarmarkt in Ländern wie Mexiko wächst, aber die technologische Innovation findet eher in Europa statt, auch wenn die Wirtschaft dort schwächelt.“ Damit Bewerber für solche komplexen beruflichen wie persönlichen Anforderungen gewappnet sind, hat die GIZ ein sorgfältiges Auswahlverfahren. Rund 60 Stellen sind pro Jahr im Bereich der erneuerbaren Energien zu vergeben. Zwischen Bewerbung und Abflug vergehen im Schnitt sechs Monate. „Oft werden Ingenieure, Ökonomen und Politikwissenschaftler gesucht“, sagt Personalreferentin Astrid Wollermann. Neben den Fachkenntnissen werden Managementfähigkeiten verlangt und vor allem interkulturelle Kompetenz. „Unsere Berater sind als Mittler und Moderatoren im Ausland – sie benötigen auch ein hohes Maß an zwischenmenschlichem Geschick, um die Ziele unserer Partnerländer zu unterstützen.“
Starterkit von der GIZ
Bevor die Kandidaten dann entsandt werden, bekommen sie eine Art „Starterkit“ mit auf den Weg – zum einen Kurse über das Portfolio und die Aktivitäten der GIZ, zum anderen über die Inhalte ihrer Tätigkeit. Die Arbeitsverträge laufen zwei bis vier Jahre.
Neben der „marktgerechten Vergütung“ nach deutschen Maßstäben gehören zum Arbeitsvertrag auch Auslandszulagen, Mietzuschüsse und Pauschalen für die mitreisenden Familienmitglieder. „Beim Jobinterview interessieren wir uns sehr für die persönlichen Motive: Hat der Kandidat die Bewerbung mit seiner Familie abgestimmt? Oder soll der Job eher eine Art Ausweg aus Deutschland sein? Wir suchen Mitarbeiter, die möglichst ausgeglichen, souverän und in ihrer Mitte sind“, sagt Astrid Wollermann.
Wer auf eigene Faust ausreisen oder auswandern will, muss sich selbst um Kurse, Sprach- und Marktkenntnisse kümmern, auch um Versicherungen und Visum. Das erfordert viel Initiative und eine aufwendige Recherche.
Erwartungen vorher klären
Das Raphaelswerk in Hamburg hilft Menschen mit konkreten Abwanderungsgedanken beim Ausloten ihrer Erwartungen: Wie ist die Jobsituation im Zielland? Infos über Aufenthaltsmöglichkeiten und Arbeitsmarktkonditionen in anderen Ländern kann man hier in der persönlichen Beratung erhalten. Broschüren und Online-Jobbörsen runden das Angebot ab. Auch potenzielle Heimkehrer finden beim Raphaelswerk Ansprechpartner.