Nordrhein-Westfalen hat eine Förderung von Mieterstrom beschlossen. Wie wichtig ist Sonnenstrom für die Mieter in NRW, für die Städte und Kommunen?
Carl-Georg Graf von Buquoy: Bei über 60 Prozent der rund 8,5 Millionen Wohnungen in NRW handelt es sich um Mietwohnungen. In den Großstädten und Ballungsräumen an Rhein und Ruhr liegt diese Zahl noch bedeutend höher und beträgt dort bis zu 75 Prozent. Die Dachflächen dieser Häuser vor allem in den dicht bebauten Städten bieten ein enormes Potenzial für die Installation von Solarstromanlagen. Bisher hatten Mieter keine Möglichkeit, sich direkt an der Energiewende durch dezentrale Erzeugung und Verbrauch von erneuerbarem Strom zu beteiligen. Durch potenzielle Angebote von Mieterstrom durch Energieversorger, Genossenschaften, Dienstleister und auch Wohnungsbauunternehmen kann Mietern ein preisstabiler und ökologisch nachhaltiger Strom angeboten werden. Dies wird gerade vor dem Hintergrund, dass sich die Strompreise in den vergangenen fünf Jahren um etwa 25 Prozent erhöht haben, noch interessanter.
Wie anspruchsvoll sind die Konzepte für den solaren Mieterstrom?
Zunächst muss vorausgeschickt werden, dass das Mieterstromprojekt ein komplexes Produkt ist, an dem mehrere Akteure beteiligt sind. Zum einen müssen die Schnittstellen von den einzelnen Wohnungen zum Verteilnetzbetreiber in Einbeziehung von Photovoltaik-, gegebenenfalls Blockheizkraftwerks- und Netzbezugsstrom aufgebaut werden. Zum anderen sind anschließend das Messkonzept und das damit verbundene Abrechnungssystem aufzusetzen. Durch digitale Zähler mit der notwendigen Verschaltung und entsprechender Software lässt sich das komplexe Gebilde nun aber gut darstellen. Da diese Kosten für Messkonzept, Zähler und Anbindung aber derzeit dazu führen, dass sich Mieterstrommodelle nicht rechnen, hat das Land NRW eine Förderung innerhalb des Förderprogramms Progres NRW aufgesetzt.
Wie wird der solare Mieterstrom jetzt in NRW konkret gefördert?
In NRW werden sowohl die Zähler als auch deren Installation (hier sollte möglichst direkt auf digitale Zähler gesetzt werden) beziehungsweise intelligente Messkonzepte bis hin zu Smart Metern gefördert. Des Weiteren wird auch die erforderliche Hard- und Software für die Abrechnung und Anbindung an bestehende Softwarelösungen gefördert. Die Förderung ist bis zu einem Maximalbetrag von 30.000 Euro je Anschlusspunkt möglich. Um die Fördermittel zu bekommen, muss der Anbieter von Mieterstrom garantieren, dass er die Kilowattstunde um 1,5 Cent günstiger als der günstigste Tarif des jeweiligen Grundversorgers vor Ort anbietet. Dadurch wird gewährleistet, dass es sich auch für die Mieter um ein attraktives und preisstabiles Angebot handelt. Neben solaren Mieterstromprojekten können auch Kombinationen aus KWK-Technik und Photovoltaik gefördert werden.
Wie hoch sind die Mittel, die zur Verfügung stehen?
Sowohl das Förderprogramm zum Mieterstrom als auch zu den Speichern wird im Rahmen des Förderprogramms Progres NRW/Markteinführung aufgelegt. In diesem Gesamtprogramm stecken Mittel von mehreren Millionen Euro.
An welchen Stellen berühren sich die Förderung von Mieterstrom und das neue Förderprogramm für Stromspeicher in NRW?
Mit dem bereits Mitte Oktober aufgelegten NRW-Programm zur Förderung von Stromspeichern werden stationäre Batteriespeichersysteme in Kombination mit einer Photovoltaikanlage mit einer Leistung größer 30 Kilowatt gefördert. Der Zuschuss, der nicht wie bei der KfW an einen Kredit gebunden ist, beträgt bis zu 50 Prozent der Kosten, allerdings nur des Speichers. Die Obergrenze der Förderung je Speicher liegt bei 75.000 Euro.
Lassen sich beide Programme kombinieren?
Wenn Mieterstromprojekte mit einer Photovoltaikanlage größer 30 Kilowatt realisiert werden, kann auch das Speicherprogramm zusätzlich in Anspruch genommen werden. Durch den Einsatz von Speichern lassen sich je nach Projektkonfiguration sowohl der Eigenverbrauch des auf den Dächern produzierten Solarstroms als auch der Autarkiegrad, also das Verhältnis von selbst erzeugtem Strom zu externem Netzstrom, erhöhen.
Was sollten interessierte Mieter oder Vermieter jetzt tun?
Mieter können auf ihre Vermieter zugehen und sie auf die Möglichkeiten der dezentralen Stromproduktion und Stromlieferung von ihren Dächern ansprechen. Vermieter können sich mit ihren Stadtwerken vor Ort, mit bundesweit agierenden Anbietern von Mieterstrom, zum Beispiel mit Ökostromanbietern oder auch Kontraktoren, kurzschließen und gemeinsam Angebotspakete zum Mieterstrom schnüren.
Welche Rolle können die Wohnungsbaugesellschaften spielen, die ja oft in kommunaler Hand liegen?
Eine Wohnungsbaugesellschaft steht immer noch vor dem Problem des Verlustes des reduzierten Gewerbesteuersatzes, wenn mehr als zehn Prozent ihrer Tätigkeiten nicht mit Vermietung und Verpachtung zu tun haben. Deshalb bietet sich hier die Möglichkeit an, dass zum Beispiel Mieter oder Vermieter eine Energiegenossenschaft gründen oder im Umkreis befindliche Energiegenossenschaften angefragt werden, um nachhaltigen Strom zu liefern.
Das Gespräch führte Heiko Schwarzburger.
Energieagentur NRW
Alle Informationen aus einer Hand
Die Energieagentur von NRW kann Interessenten umfangreiche und detaillierte Informationen zum Mieterstrom und zu den Förderprogrammen im westlichen Bundesland zur Verfügung stellen. Sie sind auch auf den Internetseiten der Agentur erhältlich.
BSW-Solar
Leitfaden für solaren Mieterstrom veröffentlicht
Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) hat einen kostenlosen Leitfaden veröffentlicht. Auf rund 70 Seiten werden Beispiele verschiedener Geschäftsmodelle mit solarem Mieterstrom vorgestellt. Der Leitfaden kann auf der neuen Website für Mieterstrom (www.sonneteilen.de) kostenlos heruntergeladen werden. Dort informiert der Verband auch über Förderprogramme, wie sie jüngst in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen aufgelegt wurden.
Das Potenzial für Mieterstrom ist groß. Nach Schätzungen des BSW-Solar könnten Photovoltaikanlagen auf Mietshäusern mittelfristig jährlich rund vier Milliarden Kilowattstunden Solarstrom erzeugen, der zum überwiegenden Teil ohne Belastung der öffentlichen Stromnetze direkt vor Ort verbraucht wird. „Mithilfe von Mieterstromangeboten werden künftig auch Menschen in den Städten in den Genuss preiswerten Solarstroms gelangen“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW-Solar. „Gleichzeitig werden die Stromnetze entlastet und die Energiewendekosten gesenkt. Das wird die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung weiter steigern.“
Der Leitfaden wurde von Harald Will und Fabian Zuber verfasst, beide ausgewiesene Experten für das Metier. Er richtet sich an die Mieter, aber auch an Wohnungsbaugesellschaften, Energiegenossenschaften, Stadtwerke oder Grünstromversorger. Durch Mieterstrommodelle ergeben sich neue Geschäftsmodelle für spezialisierte Dienstleister, die den gesamten Prozess aus einer Hand anbieten.
Das Ziel ist es, die solare Energiewende nun auch in die Städte zu tragen. Noch offen ist bislang eine Verordnung des Bundeswirtschaftsministeriums zum Mieterstrom. Sie war für den Herbst angekündigt und sollte zum Januar 2017 in Kraft treten. Bislang hat das Ministerium jedoch noch keinen Entwurf vorgelegt.
Carl-Georg Graf von Buquoy
leitet seit 2013 das Themenfeld Photovoltaik bei der Energieagentur NRW in Düsseldorf. Zuvor war er geschäftsführender Gesellschafter der Firma GvB-NT in Düsseldorf und Mülheim, die sich mit der Planung und Installation von Solargeneratoren befasste. Davor war er geschäftsführender Gesellschafter von Unicorn Consultants GmbH in Düsseldorf. Seine akademische Ausbildung erhielt er an der RWTH Aachen, wo er Maschinenbau studierte. Später kamen Studienaufenthalte in den USA hinzu. In Leeds und Bradford absolvierte er ein MBA-Studium.