77 Quadratmeter Photovoltaik schmücken das Haus von Karl Heinzle im österreichischen Batschuns. Heinzle ahnte nichts Böses, als er die rahmenlosen Module auf seinem Satteldach installieren ließ, das bisher den Schnee mit Dachhaken zurückhielt. Als der Rentner an einem sonnigen Wintertag nach Hause kam, traute er seinen Augen nicht: Schneemassen türmten sich im Vorgarten über den Trümmern einer umgekippten Natursteinmauer. Die erst im Herbst errichtete, ein Meter hohe Mauer stand viereinhalb Meter vom Haus entfernt.
Kein Einzelfall
„Das haben wir nie gedacht, dass die Schneemassen so weit vorschießen“, staunt Heinzle noch heute. Auch die Wucht, mit der der Schnee unten auftraf, verblüffte ihn. Seitdem steigt der Rentner nach jedem Neuschnee auf sein Dach – zum Räumen. Auch andernorts in der Vorarlberger Gemeinde, die für ihr Umweltengagement und die zahlreichen Solaranlagen ausgezeichnet wurde, sind ähnliche Probleme aufgetreten. Bei der Installation einer 120 Quadratmeter großen Anlage auf dem Süddach der Volksschule hatten die Handwerker ein Schneefanggitter an der Traufe des um 35 Grad geneigten Daches befestigt. Doch schon im ersten Winter haben die Schneemassen das Gitter abgedrückt. Ebenso wie im Fall Heinzle war auch hier der angetaute Schnee zwischenzeitlich gefroren. Dadurch hat sich Eis im unteren Dachbereich gebildet, auf das immer wieder Neuschnee fiel. Zu Schaden gekommen ist auch hier glücklicherweise niemand.
Viele Orte im westösterreichischen Vorarlberg liegen im Mittelgebirge, vergleichbar mit deutschen Ortschaften im Schwarzwald, im Harz oder auf der Schwäbischen Alb – in Höhenlagen zwischen 600 und 900 Metern. Dort herrschen im Winter besondere klimatische Verhältnisse. Langanhaltende Schneelagen nehmen zwar ab, trotzdem kann es punktuell zu extremen Wetterlagen kommen. Mehrreihig angeordnete Schneefanggitter oder flächendeckend montierte Schneehaken halten die Schneemengen auf den um 20 bis 45 Grad geneigten Dächern. Dass sich trotz dieser Maßnahmen Schnee von den Dächern lösen kann, ist in den Regionen allgemein bekannt. Im Unterschied zu Hochgebirgslagen taut der Schnee im Verlauf des Winters immer wieder an, wenn die Sonne durchbricht. Dadurch können die weißen Massen ins Rutschen geraten. Dass das auf einer glatten, gläsernen Oberfläche wie der von Photovoltaikmodulen besonders leicht der Fall ist, liegt auf der Hand. Dass sich die abgehenden Schneelawinen stark beschleunigen und je nach Gebäudehöhe mehrere Meter weit nach vorne schießen, ist allerdings den wenigsten klar.
Im Gegenteil: Betreiber von Solarstromanlagen freuen sich sogar, wenn der Schnee vom Dach verschwindet. Denn das Ziel ist eine schneefreie Anlage, die auch an sonnigen Wintertagen möglichst viel Strom produziert. Aus diesem Grund haben mit Photovoltaikmodulen belegte Satteldachflächen oft gar keine Schneefangvorrichtung. Über die Dynamik, die eine 20 Zentimeter hohe Schneeschicht auf gläsernen Dachflächen entwickelt, wird hingegen selten gesprochen.
„Das Thema Schnee kommt im Kundengespräch auf“, sagt Elektromeister Klaus Schönmetzler von der Firma Dürr aus Nagold im Schwarzwald. Die Frage laute dann jedoch: Wie kriege ich den Schnee von der Anlage herunter, damit ich auch im Winter Strom produziere? Auch Michael Rehm, Elektroinstallateur im benachbarten Westerheim, berichtet aus der Praxis: „Vorkehrungen gegen Schneeabgänge haben wir bisher nicht getroffen. Die Grundstücke sind bei uns groß und öffentliche Verkehrsflächen nicht betroffen.“ Doch sollte nicht auch auf privatem Gelände Sicherheit gewährleistet werden?
Veränderte Sicherheitslage
Judith Kalbasser wurde von ihrem Installateur nicht einmal über die veränderte Sicherheitslage informiert. „Wir haben uns vor der Installation keine Gedanken gemacht über den Schnee“, sagt die Gemeindesekretärin von Viktorsberg. Auch dieser Ort liegt im österreichischen Vorarlberg, auf 880 Meter Höhe. Auf dem um 45 Grad geneigten Dach ihres Wohnhauses sammeln sich in den Wintermonaten etwa 20 Zentimeter Schnee. Wenn dann die Sonne scheint, komme der gesamte Schnee in zwei bis drei Schüben herunter, berichtet Kalbasser. Seitdem sie die Lawinenabgänge gesehen hat, ist sie besonders vorsichtig beim Schneeschaufeln auf der Terrasse. Der Nachbar sperrt den Bereich unterhalb seiner Solarstromanlage sogar mit einem Zaun ab.
„In Viktorsberg überlegt jeder selbst, wie er das Problem lösen kann“, sagt Kalbasser. Anlagen auf öffentlichen Gebäuden gibt es in dieser Gemeinde nicht.
Anders in Freudenstadt im Schwarzwald. Die 23.000-Einwohner-Stadt liegt 750 Meter über dem Meeresspiegel. Jahr für Jahr türmt sich der Schnee auf den Straßen und Dächern. Nichtsdestotrotz liebt auch die Freudenstädter Lokalpolitik Strom aus Sonnenlicht. Auf öffentlichen Gebäuden mit Flachdächern sind bereits PV-Anlagen in Betrieb. Nun beginnt der Ansturm auf die Satteldächer.
Auch das Süddach der Falkenschule ist für den Bau einer Photovoltaikanlage in den Fokus der Stadtwerke gerückt. Seit Jahren wird nun diskutiert. Die Krux: Michael Kitzlinger, Prüfstatiker im Landratsamt, beobachtete mehrmals Schneeabgänge von beträchtlichem Ausmaß vom Photovoltaikdach am eigenen Amtsgebäude und auch auf anderen Dächern in der Stadt. Das Dach des Landratsamts weist nicht auf eine öffentliche Verkehrsfläche. Anders verhält es sich jedoch bei der Falkenschule. Deren Süddach liegt auf der Schulhofseite und würde nach Meinung der Baubehörde die Schulkinder in Gefahr bringen. In den ersten beiden Planungsrunden konnten die Anbieter keine befriedigende Lösung für die Schneeproblematik vorlegen. Denn auch ein verstärktes Schneefanggitter unterhalb der PV-Anlage nutzt wenig, wenn nicht genügend Stauraum für den Schnee vorhanden ist. „Um den Schnee oben zu halten, braucht man in erster Linie Platz für den Lawinenstau“, sagt Kitzlinger. „Die geometrischen Bedingungen müssen durch die Höhe des Schneefanggitters und eine freie Dachfläche unterhalb der Module gegeben sein“, weiß der gebürtige Freudenstädter.
Erst im dritten Anlauf wurde das Schuldach endlich mit den geplanten 26 Kilowattpeak rahmenloser Module bestückt und konnte noch im November an das öffentliche Stromnetz angeschlossen werden. Die Lösung: Die Solaranlage bedeckt nur den oberen Bereich des Daches. Für die um 25 Grad geneigte Fläche sieht die Planung zwei etwas erhöhte Schneefanggitter vor. Das erste Gitter wird im Abstand von einem halben Meter zur Modulunterkante angeordnet, anderthalb Meter darunter ein zweites. „Das erste Gitter sitzt dicht dran an den Modulen, damit der Schnee gar nicht erst ins Rutschen kommt“, erklärt Rainer Schuler, technischer Leiter der Stadtwerke Freudenstadt. Wenn die Schneemassen zu groß werden für das erste Gitter, ist in dem Zwischenraum zum zweiten genug Stauraum vorhanden. Außerdem nehmen die Gitter dem Schnee den Schwung. Mit Stützabständen von vier Zentimetern sind sie besonders stabil ausgeführt. Beide Schneefangeinrichtungen werden direkt auf den Sparren verankert.
Denn ein einzelnes Schneegitter kann unter diesen klimatischen Verhältnissen seine Aufgabe nicht stemmen, auch wenn es statisch dafür ausgelegt ist. Eine Anlage in Besenfeld im Nordschwarzwald zeigt dies deutlich. Höhenlage: rund 800 Meter. Trotz der 80 Zentimeter Abstand zur Modulunterkante schießt der Schnee bei einer Dachneigung von 25 Grad über das Gitter hinaus. Deshalb muss der Betreiber den darunter liegenden Parkplatz zwischenzeitlich absperren. „Das Projekt ist noch nicht abschließend gelöst“, sagt Klaus Schönmetzler von der Firma Dürr. Voraussichtlich wird auch Schönmetzler ein zweites Schneefanggitter zwischen den Modulreihen installieren lassen.
Für die PV-Anlage der Berufsschule in Horb am Nekar hingegen hat die Firma Dürr eine interessante Lösung gefunden. Auf dem Dach mit 20 Grad Neigung ständerten die Installateure die Module zusätzlich auf. Nicht um den Einstrahlungswinkel zu verbessern, sondern damit der Schnee besser abrutscht und sich reihenweise sammelt. Dabei ist die Situation in Horb auf 450 Metern gar nicht so kritisch wie in Regionen über 750 Meter.
Systeme gegen Eis und Schnee
Neben den baulichen Maßnahmen, um Schnee wirksam auf den Dächern zu halten, wäre auch der umgekehrte Weg denkbar – den Schnee gezielt vom Dach zu holen. Das Thema Modulheizung steckt zwar noch in den Kinderschuhen, könnte aber genau für diese Problematik interessant sein. Rückwärts in die Module eingespeister Strom erwärmt dabei die Unterseite der Schneefläche und ermöglicht damit einen geregelten Lawinenabgang. Darunter befindliche Verkehrsflächen müssen während des Abtauvorgangs abgesperrt werden.
Seit drei Jahren bietet der Wechselrichterhersteller Solutronic seine De-Icing-Box an. Das Gerät versetzt den Wechselrichter in die Lage, aktiv in den Rückspeisebetrieb zu schalten. Das Prinzip funktioniert bis jetzt nur bei kristallinen Modulen. „Die Modulheizung könnte eine interessante Lösung sein“, meint Michael Kitzlinger aus Freudenstadt im Hinblick auf weitere, städtische Satteldächer. Am Fraunhofer-Institut in Kassel, ehemals ISET, testet Peter Funtan die Möglichkeiten und Grenzen von Modulheizungen im Rahmen des Projekts „Multielemente“. Zur Energiebilanz können zur Zeit allerdings weder die Firma Solutronic noch Funtan wirklich eine Aussage machen.
Bei den Schneelawinenabgängen handelt es sich um ein regional begrenztes Problem der Mittelgebirgslagen. „Auf 450 Höhenmetern ist die Situation gerade noch beherrschbar, auf 740 Meter wird es kritisch“, sagt Kitzlinger. Aber: Nur circa zwei Prozent des Absatzes auf dem deutschen Markt machen die Modulhersteller im Mittelgebirge. Das Bewusstsein für die Problematik entwickele sich leider erst langsam, stellt Kitzlinger fest. Auch bei den Solarteuren.
Und: Je nach Mikroklima verhält sich der Schnee auf den Photovoltaikanlagen unterschiedlich. Das Ganze stellt sich als komplexes Zusammenspiel aus Dachneigung, Schneemenge und Wetterlage dar. Im Schweizer Wallis bleibt der Schnee auf einer Anlage bei 30 Grad Dachneigung liegen, während im Schwarzwald und in Vorarlberg bei 20 und 25 Grad Neigung Lawinen abgehen. Im Wallis tritt das Problem bei 45 Grad Dachneigung auf, während sich der Schnee auf der Grundschule in Vorarlberg bei 35 Grad Neigung ohne Schneefanggitter gar nicht mehr häuft, sondern direkt in kleinen Mengen abrutscht.
Es lässt sich folglich keine einheitliche Lösung finden. Deshalb muss weder auf Photovoltaik in den Mittelgebirgen verzichtet noch ein zu großes Risiko eingegangen werden. Vielmehr sollten sich Handwerker und Kunden für das Thema sensibilisieren.