Ein sibirischer Ostwind pfeift über die Äcker und Wiesen vor den Toren Neustadts bei Coburg, tief hängen die Wolken über den Fluren Oberfrankens. Sechs vermummte Männer stapfen mit schwerer Last durch ein verschneites Feld; dicke Jacken, Mützen und Handschuhe schützen sie vor der Kälte. Die Männer schleppen ein Garagentor über den Acker. Ein Garagentor? Nein, ein elegant-anthrazitfarbenes Fullsize-Modul aus der SunFab-Produktionslinie von Applied Materials, das mit einer Größe von 2,6 mal 2,2 Metern und einer Fläche von 5,7 Quadratmetern wahrlich Garagentorgröße hat.
Die Installation dieser Fullsize-Module in Neustadt sollte ein Testlauf sein: Wie viel Zeit lässt sich mit der halbautomatisierten Montage der Großmodule gegenüber dem üblichen manuellen Aufbau von kleinformatigen Produkten sparen? Eine Frage, die an jenem Dezembertag allerdings unbeantwortet blieb, weil die arktischen Minusgrade Gehrlicher einen Strich durch die Rechnung machten. Denn bei Temperaturen von acht Grad unter null musste der Hebekran, der die Module auf das Montagesystem hätte platzieren sollen, in der Garage bleiben, da die Vakuum-Saugnäpfe bei der Kälte nicht zuverlässig arbeiten. So blieb keine andere Wahl, als die 100 Kilogramm schweren Module von Menschenhand auf die Tragekonstruktion zu wuchten.
Insgesamt 72 der rahmenlosen XXL-Module hat die Gehrlicher Solar AG an jenem winterlichen Tag in einem Solarpark installiert – als einer der ersten Systemintegratoren weltweit; nur in Sizilien, Singapur und Kalifornien wurden bislang weitere Großmodule in Freiflächenanlagen verbaut. Die Riesenmodule sind Blickfang in diesem 540-Kilowatt-Solarpark nahe Gehrlichers Logistikzentrum. Doch im Grunde sind sie nur Randerscheinung: Den Löwenanteil des erwarteten Ertrags von jährlich 530.000 Kilowattstunden liefern die 4.500 Quartersize-Module, die wie ihre „großen Schwestern“ aus den Werkshallen des chinesischen Herstellers ENN Solar Energy stammen.
Bis dato hatte Gehrlicher in seinen Solarparks fast ausschließlich Dünnschichtmodule von First Solar montiert – beispielsweise in der 20-Megawatt-Anlage auf dem Flugplatz Rothenburg in der Oberlausitz, wo im vergangenen Jahr 273.000 Module des Cadmiumtellurid-Spezialisten in handelsüblicher Größe verbaut worden waren. Warum nun dieser Versuch mit den 5,7-Quadratmeter-Modulen aus der Applied-Materials-Produktionslinie? Firmenchef Klaus Gehrlicher zieht einen interessanten Vergleich: „Die Errichtung von Solarparks ähnelt heute dem Kathedralenbau im Mittelalter: Viele Menschen haben aus vielen kleinen Backsteinen über Jahre hinweg eine Kirche gebaut. Heute werden Hochhäuser innerhalb kurzer Zeit mit großen Fertigelementen und Maschineneinsatz hochgezogen. Dahin müssen wir auch im Solarbereich: Großmodule, vorgefertigte Einheiten, weniger elektrische Verkabelung, weniger Fehleranfälligkeit, denn wir möchten große Solarparks schneller, effizienter und damit günstiger bauen.“ Je schneller die Freiflächenanlage steht, desto niedriger die Montagekosten – und desto eher geht das System ans Netz, angesichts der Degression bei der Einspeisevergütung ein wichtiger ökonomischer Faktor.
Projektierer setzen auf Skaleneffekte
„Um Solargroßkraftwerke im Megawattbereich langfristig ohne Subventionen wirtschaftlich bauen zu können, müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, die uns die Technik bietet“, fasst Klaus Gehrlicher zusammen. Ein zentraler Schritt kann dabei der Einsatz der Großmodule sein, argumentiert der Unternehmensgründer. Bram Britcher, Systems Engineer bei Applied Materials, stimmt ihm da natürlich zu: „Mit den Fullsize-Modulen profitieren die Projektierer vom sogenannten Skaleneffekt: Für eine bestimmte Fläche brauchen sie weniger Schrauben und Klammern, weniger Kabel und elektrische Verbindungen.“ Am meisten Ersparnis bringe jedoch der geringere Arbeitsaufwand bei der Montage, ergänzt Britchers Kollege Dave Harris: „Ein 5,7-Quadratmeter-Modul entspricht in der Fläche etwa acht konventionellen Modulen mit einem Ausmaß von 0,6 mal 1,2 Metern. Ein einziges großes Modul lässt sich natürlich deutlich schneller installieren als acht kleine.“ Basierend auf den Erfahrungen mit der Montage der Fullsize-Module in einem kalifornischen Solarpark rechnet Applied Materials damit, den Zeitaufwand für die Installation mit den Riesenmodulen – verglichen mit der Montage von acht kleinen Modulen – um mehr als 50 Prozent zu reduzieren. Ein zentraler Faktor sei dabei der Einsatz eines Hebekrans, der die Module vom Transportwagen auf das Tragesystem hievt. Zudem ließen sich bei der Verkabelung 30 Prozent an Material- und Arbeitskosten einsparen, weil nur ein Anschluss nötig sei, so das US-Unternehmen.Einen wichtigen Hebel zur Kostenreduktion sieht Applied Materials neben dem Maschineneinsatz in dem Montagesystem, das der Hersteller für seine Fullsize-Dünnschichtmodule entwickelt hat und das auf den Maschineneinsatz ausgerichtet ist. Es besteht aus zwei horizontalen Schienen aus galvanisiertem Stahl, auf denen vier auf die Rückseite der Module geklebte Schienen, die ebenfalls aus Stahl gefertigten Back-Rails, liegen. Diese werden dann mit Hilfe von acht Halteklammern an den horizontalen Balken fixiert. Dazu werden die Klammern mit einer Schraube pro Befestigungselement mit Hilfe von Akkuschraubern an die Schienen montiert. Wird ein Hebekran benutzt, wie er beim Glastransport üblich ist, können nach Angaben von Applied Materials fünf Mitarbeiter in weniger als 90 Sekunden ein Modul installieren – gemessen vom Aufsetzen der Vakuum-Saugnäpfe der Hebevorrichtung bis zum Anschluss der Kabel.
90 Sekunden? Eine Zeitspanne, die Toni Näbauer, Leiter Produktentwicklung bei Gehrlicher Solar, schmunzeln lässt. „Unter Idealbedingungen mag das möglich sein. Aber die Realität sieht ja meist anders aus“, sagt Näbauer. Er hätte gern die Behauptung des US-Konzerns auf die Probe gestellt, doch die Witterung ließ den Einsatz des Hebekrans nicht zu. Mehrere Dutzend Meter des Montagesystems von Applied Materials hat er auf Rammpfosten setzen lassen. Und gleich daneben ein eigenes System aufgebaut: das Gehrtec-Backrail-Montagesystem. Der größte Unterschied zum US-Produkt liegt darin, dass hier auf den horizontalen Streben zusätzliche vertikale Schienen angebracht sind, die sogenannten Carrier-Rails. Diese V-förmigen Balken nehmen die Schienen auf, die auf die Rückseite der Module geklebt sind. Entlang des Carrier-Rails finden sich etwa 20 zirka fünf Zentimeter lange Schlitze, die in gleich langen Vorsprüngen an den Back-Rails der Module ihr Gegenstück haben. Durch das Eigengewicht der Module rasten die Vorsprünge an den Modulschienen automatisch in die Schlitze ein, sobald das Solarmodul auf das Tragesystem aufgelegt wird. Eine in das Carrier-Rail gelegte Montagehilfe sorgt dafür, dass die Mitarbeiter das Modul mit einem einzigen Handgriff in die richtige Position schieben können. Dieses Montagesystem lässt sich für alle Module ab einer Größe von 1,4 Quadratmetern einsetzen.
Montage binnen 60 Sekunden?
Gehrlicher will mit seinem eigenen System die 90-Sekunden-Marke von Applied Materials knacken. An jenem frostigen Dezembertag benötigten die sechs Montagehelfer zwar noch knapp zwei Minuten, um ein Fullsize-Modul zu installieren – gemessen von dem Moment, in dem das Modul vor dem Rail steht. Doch das Solarunternehmen entwickelt zurzeit gemeinsam mit Applied Materials einen Roboter, der die Module aus der Transportkiste hebt und in die Carrier-Rails einpasst. Handarbeit ist dann nur noch bei der Feinjustierung der Module nötig. Im April soll ein Prototyp der Maschine fertig sein. Dann lässt sich überprüfen, ob Gehrlicher sein selbst gestecktes Ziel erreicht hat: die Montage der XXL-Module binnen einer Minute.Eine Marke, die Florian Schönberger, Geschäftsführer beim Münchener Projektierer Deutsche Solar Werke (DSW), mit Skepsis sieht: „Sagen wir mal so: Es ist ein sehr sportliches Ziel, 40 Fullsize-Module in einer Stunde zu installieren. Denn der Roboter muss sich zunächst positionieren. Anschließend braucht er Zeit, um sich zu orientieren, bevor er Module aufnimmt und absetzt“, so Schönberger. Statt auf die halbautomatisierte Montage von Großmodulen zu setzen, will das Unternehmen die Installation von Quartersize- und anderen Dünnschichtprodukten in herkömmlicher Größe vereinfachen – ohne Roboterunterstützung. „Die Flächen sind ja häufig nicht einfach zu befahren, etwa weil sie verschlammt oder uneben sind. Damit ist es schwierig, einen Hebekran in kürzester Zeit so zu positionieren, dass sich dessen Einsatz überhaupt lohnt“, sagt Sharam Roghani, Teamleiter Konstruktion und Prototypenbau beim Engineering-Spezialisten Vispirion, der Muttergesellschaft der DSW.
Die DSW hat deshalb ein eigenes Railsystem namens Flexrail entwickelt, bei dem die Module von oben per Hand in zwei Halterohre eingeschoben werden – ähnlich wie der Einbau der Rückwand eines Billy-Regals von Ikea. Dazu sind an die beiden vertikalen Modulseiten zwei schmale runde Schienen geklebt, die sich in die Halterohre an der Stützkonstruktion einführen lassen. Die Solarmodule sollen dann durch die Schwerkraft automatisch in die richtige Position rutschen und nicht mehr mit Schrauben oder Bügeln fixiert werden müssen. „Dies wird die Gesamtmontagezeit um ein Drittel gegenüber konventionellen Systemen verkürzen“, ist Schönberger überzeugt. Zudem sinke das Risiko von Glasbruch über die Betriebszeit der Anlage, so der Geschäftsführer: „Anders als bei den anderen Systemen ist beim Flexrail das Modul nicht fest mit der Tragekonstruktion verbunden. Es ist also schwimmend gelagert. Das hilft, thermisch bedingten Spannungsbrüchen vorzubeugen, die durch die Längenausdehnung entstehen.“ Ebenso soll zur Stabilität beitragen, dass die Module als tragende Bauteile statisch in die Unterkonstruktion integriert sind und diese aussteifen. Einen weiteren Vorteil sieht Schönberger bei der Logistik, da wegen des Verzichts auf Backrails die Module leichter sind und dichter gepackt werden können.
DSW testet eigene Systeme
DSW hat das Flexrail bereits testweise in einem 500-Kilowatt-Solarpark in Frankfurt an der Oder verbaut. Zurzeit durchläuft das System die IEC- und TÜV-Zertifizierung sowie das Patentverfahren. Sind diese Schritte abgeschlossen, soll das Flexrail auch anderen Projektierern sowie PV-Herstellern angeboten werden. Momentan ist das Produkt nur für die manuelle oder halbautomatische Montage von Modulen herkömmlicher Größe ausgelegt. Mittelfristig will das Unternehmen auch mit einer Flexrail-Variante auf den Markt kommen, die für die roboterunterstützte Installation von XXL-Modulen geeignet ist –„aber erst wenn wir auf den Baustellen sehen, dass mit den Fullsize-Modulen tatsächlich Vorteile erzielt werden“, sagt Sharam Roghani. „Und das erwarten wir für 2010 noch nicht.“ENN Solar Energy hingegen scheint von den Vorteilen bereits überzeugt zu sein. Das Unternehmen hat den Solarpark in der Nähe von Gerhrlichers Logistikzentrum nach Inbetriebnahme zum Jahresende 2009 auch gekauft. Die Tochter des chinesischen Energieversorgers ENN kann damit nun ihre erste Referenzanlage im europäischen Photovoltaikmarkt vorweisen.