Die Frist läuft ab, und der Run auf die Zertifizierer hat gerade erst begonnen. Wer bis zum 1. Oktober 2011 kein Anlagenzertifikat vorweisen kann, riskiert, vom Stromnetz getrennt zu werden. Die sich derzeit anstauenden Anträge auf Anlagenzertifizierungen bei den wenigen akkreditierten Zertifizierern zeigen, dass die Branche die Frist für die neuen Zertifikate offensichtlich verschlafen hat. „Die Anforderungen für Anlagenzertifikate sind schon seit über einem Jahr bekannt, es haben sich aber leider seitens der Photovoltaikanlagenbetreiber nur wenige dafür interessiert“, sagt Holger Becker, der beim akkreditierten Zertifizierer Moeller Operating Engineering M.O.E. für die Anlagenzertifizierung von Photovoltaikanlagen zuständig ist.
Im Windenergiesektor ist das Thema Netzrichtlinien bereits länger auf dem Tisch. Schon im Jahr 2003 wurden per Richtlinie technische Regeln für die Netzeinspeisung aufgestellt. Wer die Windbranche im Auge hatte, dem war eigentlich „schon früher klar, dass diese Richtlinien auch für die Photovoltaik kommen werden“, meint Jan Hanno Carstens, Leiter System Technology bei Solon. Im Jahr 2008 wurde dann die Mittelspannungsrichtlinie des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) veröffentlicht, die auch technische Anschlussbedingungen für die Photovoltaik umfasst. Seitdem war es definitiv klar: Auch Photovoltaikanlagen müssen dabei helfen, die Stromnetze zu stabilisieren. Jetzt muss die Photovoltaikbranche das vollbringen, was die Windenergiebranche bereits geschafft hat, allerdings in nur der Hälfte der Zeit.
Das Ziel der Mittelspannungsrichtlinie ist, die Netze sicherer zu machen und zu ermöglichen, mehr erneuerbare Energien in die Netze integrieren zu können. Sie schreibt unter anderem eine Zertifizierungspflicht fest, nach der grundsätzlich jeder Wechselrichter, der ins Mittelspannungsnetz einspeist, ein so genanntens Einheitenzertifikat braucht. Dies ist mittlerweile hinreichend in der Branche bekannt, und entsprechend zertifizierte Wechselrichter werden seit einiger Zeit von Herstellern beworben. Nun verlangt die Richtlinie außerdem, dass ab Oktober Anlagen, die mehr als zwei Kilometer vom Netzverknüpfungspunkt entfernt liegen oder ein Megawatt an Leistung überschreiten, zusätzlich noch ein Anlagenzertifikat brauchen.
Die Frist, um gültige Einheitenzertifikate bei Netzbetreiber vorzulegen, musstebereits mehrfach verschoben werden, zuletzt auf den 1. April 2011. Aber auch diese Frist konnte am Ende von vielen Herstellern nicht eingehalten werden, weil es an Prüfinstituten und Zertifizierern fehlte, die die komplizierten Tests an den leistungsstarken Wechselrichtern durchführen konnten (siehe photovoltaik 01/2011, Seite 60).
Seither gilt eine Übergangsfrist bis zum 30. September 2011. Bis dahin können Hersteller und Projektierer Einheitenzertifikate für Anlagen, die seit dem 1. April in Betrieb genommen wurden, noch nachreichen. Für den darauf folgenden Tag sieht die Mittelspannungsrichtlinie nun allerdings auch die Einführung der Anlagenzertifikate vor. Sollte eines der beiden Zertifikate fehlen, kann der Netzbetreiber den Netzanschluss für die Photovoltaikanlage verweigern, befürchten Anlagenbauer. Zertifizierer sind daher im Moment sehr gefragt.
Wechselrichter im Angebot
Um ein Anlagenzertifikat zu bekommen, braucht man zunächst Einheitenzertifikate für alle in der Photovoltaikanlage verwendeten Wechselrichter. Zertifizierte Wechselrichter sind mittlerweile nicht mehr so schwer zu bekommen wienoch vor ein paar Monaten. „Der Anfang war ein steiniger Weg, weil es auch für die Zertifizierer ein ganz neues Territorium war“, sagt Martin Heidl, Experte für Systemtechnik beim österreichischen Wechselrichterhersteller Fronius. „Aber gemeinsam mit den Zertifizierern haben wir das gut hinbekommen. Bei uns sind jetzt alle entsprechenden Wechselrichter zertifiziert.“ Ähnlich sieht die Lage zum Beispiel bei SMA, Danfoss und Power-One aus.
Andere Hersteller können hingegen noch nicht für alle Wechselrichter Zertifikate vorweisen. Die meisten geben aber an, in Kürze alle Zertifikate zu erhalten. „Ich denke, es wird maximal noch bis Mitte September dauern, bis wir alle Zertifikate für alle Wechselrichter haben, die in das Mittelspannungsnetz einspeisen“, sagt beispielsweise Bernhard Plail, Produktmanager für Photovoltaik-Wechselrichter bei Siemens.
Dies bringt aber so manchen Projektierer dennoch ins Schleudern, da bei Ablauf der Frist ja gleichzeitig auch das Anlagenzertifikat vorgelegt werden muss. Dafür wird das Einheitenzertifikat aber schon während des Zertifizierungsprozesses benötigt. „Wir sind bei der Auswahl der Komponenten, die wir in unsere Parks einbauen, bewusst flexibel“, sagt Jan Hanno Carstens von Solon. „Aber Firmen, die sich nur auf einen oder zwei Wechselrichterhersteller spezialisiert haben, die die entsprechenden Zertifikate noch nicht vorliegen haben, sind natürlich im Nachteil.“ Thomas Bäuml vom Projektierer Gehrlicher Solar sieht für sein Unternehmen ebenfalls kein Problem: „Die Lage bei den Einheitenzertifikaten hat sich entspannt. Für die Hersteller, bei denen wir einkaufen, ist das momentan kein Thema.“ Einen Katalog mit verschiedenen Herstellern, die zertifizierte Wechselrichter anbieten, finden Interessierte zum Beispiel auf der Internetseite der Fördergesellschaft Windenergie und andere Erneuerbare Energien (www.wind-fgw.de, Stichpunkt Einheitenzertifikate). Die Liste ist allerdings nicht immer ganz vollständig, da sie nur in gewissen Abständen aktualisiert wird. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich am besten kurz beim Hersteller nach dem Einheitenzertifikat erkundigen und dabei berücksichtigen, dass eine bloße Konformitätserklärung mit der Mittelspannungsrichtlinie nicht ausreicht.
Das Neue am Zertifikat
Neben den Einheitenzertifikaten wird für das Anlagenzertifikat allerdings noch einiges mehr verlangt. Hierfür interessiert nämlich nicht das Verhalten eines einzelnen Wechselrichters, sondern das Verhalten des gesamten Solarparks inklusive des Zusammenspiels aller Wechselrichter am Netzverknüpfungspunkt. Netzbetreiber wollen damit sicherstellen, dass die gewählte Kombination aus Modulen, Wechselrichtern, Kabeln, Verteilerboxen, Transformatoren und weiteren technischen Einheiten bei der Einspeisung in das Stromnetz keine negativen Rückwirkungen hervorruft. Dabei wird insbesondere die Kommunikation der einzelnen Komponenten unter die Lupe genommen. Dies geschieht für die Zertifizierung zunächst in einer Computersimulation.
„Mit einem Softwaremodell wird simuliert, was passiert, wenn das Netz zum Beispiel die Phase verdreht, ein plötzlicher Spannungsabfall auftritt oder wenn die Frequenz zu hoch ist“, erklärt Professor Martin Spülbeck, Leiter der Abteilung für Standardisierung beim Projektentwickler Phoenix Solar. „Das Softwaremodell für den Wechselrichter kann nur der entsprechende Hersteller liefern, weil die technischen Details des Geräts ja keinem anderen bekannt sind. Der Anlagenerbauer hat dann die Aufgabe, ein Modell für die übrige Anlage zu erstellen, also für Module, Verschaltung, Sicherungen, Transformatoren und alles andere, was dazugehört. Anschließend nimmt der Zertifizierer diese beiden Modelle und führt sie in einer Simulationssoftware zusammen. Er überprüft damit, wie Wechselrichter und Anlage bei gewissen Netzstörungen reagieren. Wenn alles gut ist, bekommt man das Zertifikat, wenn nicht, muss nachgebessert werden“, erklärt Spülbeck den Zertifizierungsprozess. Dabei ärgert ihn, dass Projektierer das Softwaremodell des Wechselrichters oft gar nicht zu sehen bekommen. „Manche Wechselrichterhersteller geben die Daten nicht preis, was wohl mit Betriebsgeheimnissen zu tun hat, die die Hersteller nicht offenlegen wollen. Das wäre aber hilfreich, um die Modelle möglichst gut aufeinander abzustimmen.“
Parkregelung nötig
Damit die technischen Anforderungen des jeweiligen Netzbetreibers erfüllt werden können, ist auch eine sogenannte Parkregelung nötig, die bei der Erstellung des Anlagenzertifikats von Bedeutung ist. Dabei handelt es sich um eine Steuereinheit, mit der der Netzbetreiber Signale bezüglich des Einspeisemanagements an die Photovoltaikanlage senden kann. Sie stellt somit die zentrale Kommunikationsschnittstelle zwischen Stromnetz und Photovoltaikkraftwerk dar. Damit muss die Anlage in gewissen Abstufungen oder auch kontinuierlich regelbar sein, je nachdem, wie es das jeweilige Netz vorsieht. Die Befehle, zum Beispiel für die Blindleistungsregelung, werden durch denEnergieversorger über entsprechende Kontakte herausgegeben. Die entsprechenden Werte müssen dann durch die Kommunikationsschnittstelle an einem zentralen Punkt bearbeitet und an alle Wechselrichter weitergegeben werden. Bestimmte Daten müssen allerdings auch in die andere Richtung fließen, also von der Solaranlage zum Netzbetreiber. Dafür ist am Netzverknüpfungspunkt ein weiteres Messgerät nötig, um Strom, Spannung, Phasenverschiebung oder mögliche Oberschwingungen messen zu können und dem Netzbetreiber mitzuteilen.
„Eine solche Steuereinheit hat eigentlich jeder Hersteller im Angebot. Das ist heute normal“, sagt Bernhard Plail von Siemens. Frank Reinicke, dessen Unternehmen IVR Energieverteilung Lösungen für den Netzanschluss anbietet, erklärt: „Das muss eigentlich mit dem Wechselrichter mitgeliefert werden, weil leider viele Wechselrichterhersteller noch immer ihre eigenen Kommunikationssprachen verwenden und keine IEC-Schnittstelle verwenden, so dass auchExterne dort mit standardisierten Schnittstellen arbeiten könnten.“ Ralf Dajek vom Wechselrichterhersteller Danfoss sagt zum Thema Parkregelung: „Wir haben mit dem TLX Pro + ein spezielles Stringwechselrichterkonzept. Dabei fungiert der Steuerwechselrichter, der als Master definiert ist, sozusagen als Solarparkregler.“ Für Anlagenbauer ist es trotzdem nicht immer ganz leicht, die richtigen Komponenten für die jeweilige Parkregelung auszuwählen. „Die Schwierigkeit liegt darin, dass nicht unbedingt klar ist, was für eine Parkregelung Sie einbauen müssen und was diese kostet“, sagt Martin Spülbeck von Phoenix Solar. „Je nachdem, wie man kalkuliert, können schnell Unterschiede von ein paar tausend Euro entstehen. Oder man bietet aus Sicherheitsgründen die beste Parkregelung an, die es gibt. Dann sagt der Kunde eventuell: Das ist mir zu teuer. Ich kaufe woanders.“ Spülbeck ist aber der Meinung, dass sich das im nächsten Vierteljahr einspielen wird, so dass klar sein wird, welcher Netzbetreiber welche Parkregelung verlangt.
Flaschenhals Zertifizierung
Wenn ein Anlagenbauer weiß, was alles für eine Anlagenzertifizierung nötig ist, heißt das momentan leider aber nicht, dass er auch eine bekommen kann. Zumindest nicht unbedingt rechtzeitig. Der Grund: Die wenigen akkreditierten Zertifizierer, die es am Markt gibt, sind bereits bis mindestens Januar 2012 ausgebucht. „Ich bin überrascht, dass die Anfragen alle erst jetzt kommen. Eigentlich habe ich mit mehr Anrufen im Apriloder Mai gerechnet“, sagt Matthias-Klaus Schwarz, Leiter der Gruppe Elektrotechnik beim akkreditierten Zertifizierer Germanischer Lloyd. „Wenn wir heute eine Anfrage bekommen, können wir das Zertifikat frühestens Mitte Januar liefern.“ Holger Becker von M.O.E. bestätigt dies: „Wir haben aktuell so viele Anfragen, dass wir nur einen Teil der Kunden bis zum 30. September beliefern können. Beauftragen können Kunden in jedem Fall, allerdings nennen wir im Moment Lieferzeiten bis Februar 2012.“ Um den Engpass zu vermeiden, hätten sich natürlich auch noch andere Firmen für die Anlagenzertifizierung akkreditieren lassen können. Das taten sie jedoch nicht. „Die Zertifizierer haben es nicht unbedingt verbummelt, sich rechtzeitig akkreditieren zu lassen“, meint Carstens von Solon. „Die Akteure in der Branche sind alle ihrer marktwirtschaftlichen Positionierung verpflichtet. Deshalb baut jeder nur das Personal auf, das auch nachgefragt wird. Jetzt ist da relativ sprungartig ein neuer Nachweis erforderlich. Aber das Personal kann nicht genauso sprungartig aufgebaut werden.“ Es müssen also schnell mehr akkreditierte Zertifizierer her, nicht nur zur Bewältigung des Engpasses bis zum Frühjahr 2012, sondern auch noch danach, denn Anlagenzertifikate werden zukünftig für alle neu gebauten Anlagen verlangt, auf die die Spezifikationen der Mittelspannungsrichtlinie zutreffen. „Ein Zertifizierer bekommt die Akkreditierung aber nicht von jetzt auf gleich, sondern das dauert ein halbes bis dreiviertel Jahr“, sagt Spülbeck von Phoenix Solar. Ein Zertifizierer bekomme dann zunächst eine vorläufige Akkreditierung, die er bis zu einer gewissen Frist in eine endgültige Akkreditierung umwandeln muss. „Ansonsten verlieren die Zertifikate, die der Zertifizierer ausgestellt hat, irgendwann ihre Gültigkeit.“ Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Zertifizierer, die für die Photovoltaik zugelassen sind, meistens auch eine Zulassung für den Windbereich haben. Das heißt, die Erneuerbare-Energien-Branche muss sich die Zertifizierer teilen. Der Engpass entstand nicht zuletzt auch deswegen, weil mit der vorletzten Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ein Systemdienstleistungsbonus für Windenergieanlagen beschlossen wurde. „Daher waren erst mal alle Zertifizierer damit beschäftigt, dieErgänzungen bei den Windanlagen zu bestätigen“, sagt Plail. Eine Liste von bislang akkreditierten Zertifizierern ist ebenfalls auf der Internetseite der FGW einzusehen (www.wind-fgw.de, Stichpunkt Zertifizierung von Erzeugungseinheiten und Erzeugungsanlagen).
Gebeutelte Projektierer
Für Anlagenbauer ist die Situation daher derzeit sehr schwierig. Sie riskieren, dass ihre Anlagen vom Netz getrennt werden, wenn sie das Zertifikat nicht rechtzeitig vorlegen können. „Sehr unerfreulich ist, dass man für eine Zertifizierung im Moment 12 bis 14 Wochen warten muss“, sagt Spülbeck von Phoenix Solar. Außerdem sei auch den Zertifizierern und Netzbetreibern nicht immer klar, was genau sie für eine Zertifizierung tun müssen. „Am Anfang kannte niemand das exakte Prozedere. Das muss sich jetzt jeder selbst erarbeiten.
Auch bei den Energieversorgern herrscht zum Teil Unwissenheit darüber. Sie wissen zwar, welche Werte am Verknüpfungspunkt erreicht werden müssen, aber das Verfahren der Anlagenzertifizierung ist nicht klar definiert. Hier stehen wir in einem intensiven Austausch mit den Versorgern, um alle Unklarheiten zu beseitigen, was jedoch sehr zeitaufwendig ist. “ Ein Grund für das Durcheinander ist auch die komplexe Arbeitsteilung. Im Zertifizierungsprozess müssen sich vier Parteien miteinander abstimmen, nämlich die Hersteller der Wechselrichter, die Anlagenbauer, die Netzbetreiber und die Zertifizierer. „Wenn sich das erst mal eingespielt hat, wird wahrscheinlich alles weniger problematisch“, meint Spülbeck.Im Moment können die Probleme aber nur durch gute und vor allem rechtzeitige Kommunikation gelöst werden. „Wichtig ist, dass Planer und Projektierer sich möglichst frühzeitig mit der Zertifizierungsstelle in Verbindung setzen, um die Anforderungen noch mal zusammenzufassen und das Regelungskonzept abzustimmen“, sagt Becker von M.O.E. „In der Planungsphase kann man noch wesentlich einfacher Änderungen vornehmen, als wenn sich der Park schon in der Bauphase befindet und vielleicht doch noch das ein oder andere nachgerüstet werden muss.“
Im Voraus reservieren
Projektierer müssen also derzeit besonders gut im Voraus planen. „Ich habe versucht, Rahmenverträge zu machen, in denen wir schon mal Arbeitskapazitäten im Voraus reservieren, ohne ein konkretes Projekt zu haben“, erklärt Spülbeck. „Einige Zertifizierer unterstützen dies, andere nicht.“ Auch Thomas Bäuml von Gehrlicher Solar setzt auf diese Methode: „Wir reservieren uns Slots, damit wir auch kurzfristig noch Anlagen ans Netz bringen können. So können wir dem Kunden das komplette Paket inklusive Zertifizierung anbieten.“ Diese Vorgehensweise ist allerdings etwas riskant, denn Kapazitäten im Voraus zu buchen ist nicht ganz kostenlos. „Wenn jemand bei uns Kapazitäten buchen möchte, wird in der Regel vereinbart, dass eine Anzahlung von einem Drittel der Gesamtzertifizierungskosten geleistet werden muss. Das sind dann ungefähr 5.000 Euro“, sagt Schwarz vom Germanischen Lloyd. Eine Summe, die für große Projektierer relativ leicht zu bezahlen ist, auch wenn die Arbeitskapazität beim Zertifizierer am Ende eventuell doch nicht gebraucht wird.
Für kleinere Anlagenbauer ist dies aber auf Dauer eine kostspielige und auch risikoreiche Praxis. „Die nicht vorhandene Planbarkeit der Zertifizierung sehe ich als großes Problem an, das bisher nicht wirklich gelöst ist. Dies führt zu einer hohen Unsicherheit“, meint auch Jan Hanno Carstens von Solon. „Und solange dieses Zertifikat nicht vorhanden ist, muss man noch mit dem Netzbetreiber über eine Sonderfreigabe sprechen.“ Ein weiteres Problem kann auch dadurch entstehen, dass sich die Planungsphase für den Solarpark verzögert oder dass während der Zertifizierung bei technischenKomponenten noch umgeplant wer- den muss, weil die, mit denen geplant wurde, nicht rechtzeitig geliefert werden können.
„Wir betreuen auch bei Verzögerungen im Planungsablauf alle Projekte bis zum Schluss“, versichert Schwarz vom Germanischen Lloyd. „Es kann aber sein, dass sich die Zertifizierung dann etwas weiter nach hinten verschiebt, insbesondere, wenn es dadurch zu Überschneidungen mit Terminen für andere Anlagenzertifizierungen kommt. Aber wenn alle Unterlagen vorliegen, können wir das Zertifikat in ungefähr drei Wochen fertig machen.“ Die neuen Anforderungen an die Zertifizierung von großen Photovoltaikanlagen bringen für Anlagenbauer also auch entsprechende Mehrkosten mit sich. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) geht von mindestens 10.000 Euro für eine Anlagenzertifizierung aus. Der Germanische Lloyd nennt hingegen eine Summe von ungefähr 15.000 Euro. Die Zertifizierung selbst ist aber nicht das Einzige, was Kosten verursacht. Auch für die erweiterte Parkregelung müssen Mehrkosten berücksichtigt werden.
Bei Phoenix Solar rechnet man für eine 4,7-Megawatt-Anlage mit Mehrkosten von insgesamt ungefähr 40.000 bis 45.000 Euro. „Wenn man eine Zwei-Megawatt-Anlage hat, kostet es immer noch etwa 40.000 Euro. Dann sind die Kosten verhältnismäßig 2,5-mal so hoch wie bei der größeren Anlage“, erklärt Spülbeck. „Das sind relativ fixe Kosten, die vor allem die kleineren Anlagen unwirtschaftlicher machen. Bei den großen Anlagen spielt es dann keine große Rolle mehr.“ Thomas Bäuml von Gehrlicher teilt diese Auffassung: „Bei Anlagen im zweistelligen Megawattbereich haben die Zusatzkosten keinen so großen Einfluss auf die Rendite. Bei kleineren Anlagen schon.“
Fristverlängerung
Dass die Einführung von Anlagenzertifikaten eine sinnvolle Maßnahme ist, darüber sind sich eigentlich alle Branchenvertreter einig. Die dort geforderten technischen Anschlussbedingungen erhöhen die Stabilität der Netze und ermöglichen, mehr Strom aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen zu integrieren. Doch wenn es um die genaue Frist für die Einführung der Zertifikate geht, sind viele Akteure skeptisch. „Generell unterstützen wir die Einführung von Anlagenzertifikaten. Aber ich wäre schon dafür, diese Frist so anzupassen, dass sie auch realistisch einzuhalten ist“, sagt Carstens von Solon. „Denn jemand, der seinen Job richtig macht, indem er die richtigen Komponenten einbaut und die richtige Konfiguration wählt, der wird ja mit der jetzigen Regelung auch nicht erfolgreich sein.“ Auch Holger Becker von M.O.E. würde eine Fristverlängerung begrüßen. „Das würde uns und den Anlagenbetreibern ein bisschen Druck wegnehmen.“ Ralf Dajek von Danfoss erzählt, dass sein Unternehmen beim BSW-Solar angeregt habe, ein Schreiben aufzusetzen, in dem „in freundlicher Weise um ein Überdenken der Frist gebeten wird“. Bernd Engel, Senior Vice President Technology bei SMA, ist Sprecher der Fachgruppe Netzfragen des BSW-Solar. Hier habe man sich beim letzten Treffen am 13. Juli 2011 auf die Forderung verständigt, dass die Verpflichtung zur Einheitenzertifizierung auf den 1. Januar 2012 und die Verpflichtung zur Anlagenzertifizierung auf den 1. Juli 2012 verschoben wird.
Weitere Lösung
Um das Problem zu lösen, gibt es daher eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Frist wird verschoben, oder die Netzbetreiber reagieren kulant und zeigen sich damit einverstanden, dass Anlagenbetreiber beziehungsweise Projektierer die Zertifikate nachreichen. Spülbeck von Phoenix gibt zu bedenken: „Von einer Fristverlängerung würden ja diejenigen begünstigt, die nicht vorausschauend geplant haben. Und diejenigen, die sich rechtzeitig darum gekümmert haben, dass alles läuft, die würden dann sozusagen bestraft werden.“ Es gibt jedoch auch für ihn ein paar Aspekte, die für eine Fristverlängerung sprechen. Er befürchtet, dass manche Netzbetreiber Ernst machen und manchen Anlagen den Netzanschluss verweigern werden. „Bei großen Netzbetreibern kann ich mir das nicht vorstellen, aber den einen oder anderen wird es geben, der Anlagen nicht ans Netz lassen wird.“ Wer in diesem Fall den Schaden für die entgangene Einspeisevergütung trägt, hänge vom Vertrag ab. „Die Energieversorger mit Sicherheit nicht. Das sind dann der Lieferant oder der Kunde oder beide.“ Ob Netzbetreiber wirklich Anlagen vom Netz nehmen oder Anschlüsse verweigern, wird sich wohl erst mit Ablauf der Frist am 1. Oktober zeigen. Eon Edis teilt auf Anfrage mit: „Wenn Anlagenbetreiber bis zum Ablauf der in der BDEW-Richtlinie benannten Frist keine Zertifikate vorlegen, sind wir zwar berechtigt, die Anlagen vom Netz zu trennen, wir werden jedoch vor Ablauf der Frist die Kunden nochmals kontaktieren.“ EnBW erklärt, es gebe „noch keine Entscheidung, wie ab dem Stichtag damit umgegangen wird“. Es sei möglich, dass das je nach Einzelfall entschieden werde. „Wenn aber schon eine Zertifizierung beauftragt wurde, nehmen wir keine Anlage vom Netz. So viel ist schon mal klar.“ Im Einzugsgebiet von Vattenfall Europe sind laut Unternehmen nur sehr wenige Anlagen betroffen. Auf Anfrage der photovoltaik heißt es: „Wir planen keine Abschaltung.“
Netzanschluss möglich
Matthias-Klaus Schwarz vom Germanischen Lloyd meint: „Die Anlagen vom Netz zu nehmen würde auch nicht dazu passen, dass wir die erneuerbaren Energien eigentlich fördern und ausbauen wollen.“ Außerdem sei gar nicht klar, ob Netzbetreiber Anlagen wirklich vom Netz nehmen dürfen. Dies begründet er mit den Anmerkungen in den Ergänzungen zur Mittelspannungsrichtlinie auf Seite neun.
Dort steht: „Sollte der jeweilige Anlagenbetreiber für die Photovoltaikanlage am 1. Oktober 2011 noch keine Zertifikate beim zuständigen Netzbetreiber vorgelegt haben und sollten diese Anlagen die Anforderungen (…) dieser Unterlage nicht erfüllen, ist der Netzbetreiber berechtigt, die Trennung dieser Erzeugungsanlagen vom Netz zu verlangen oder die Trennung dieser Anlagen vom Netz selber vorzunehmen.“ Das Wörtchen „und“ deute in dieser Formulierung darauf hin, dass ein Netzbetreiber den Netzanschluss einer Anlage nicht verweigern dürfe, wenn sie alle technischen Anforderungen erfülle, auch dann nicht, wenn kein Anlagenzertifikat vorliege. „Ich denke, da sollten die Netz- und Anlagenbetreiber besonnen handeln“, sagt Schwarz.
Auch die Clearingstelle EEG weist darauf hin, dass noch zu prüfen sei, ob eine Blockadehaltung der Netzbetreiber mit Paragraf 5 Absatz 1 des EEG 2009 zu vereinbaren sei. Es gebe aber noch keine Stellungnahme, Empfehlung oder Hinweis der Clearingstelle.
Dass sich der Rummel um die Zertifizierung wieder beruhigt, ist zumindest bezüglich der Anlagenzertifikate erst im Laufe des nächsten Jahres zu erwarten. Doch wer weiß, was passieren wird, wenn am 1. Januar 2012 wie geplant die neue Niederspannungsrichtlinie in Kraft tritt. Sollte auch dort eine Zertifizierungspflicht für Wechselrichter oder Anlagen festgeschrieben werden, bleibt nur zu hoffen, dass die Branche diesmal etwas früher reagiert und nicht wieder eine Frist nach der anderen verschoben werden muss, weil die Zertifikate nicht rechtzeitig fertig werden.