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Von Absturz bis Einsturz

„Sie glauben ja gar nicht, was für schlaue Leute es gibt“, sagt Helmut Schwickert, Schadensregulierer bei den Mannheimer Versicherungen, und schon sprudelt er los. Schwickert ist für technische Versicherungen im Außenbereich zuständig. Immer häufiger wird er zu fehlerhaft montierten Photovoltaikanlagen auf Flachdächern bestellt. Dort erstaunt ihn mittlerweile nichts mehr. Mal ist in die Plastikwannen, die die Anlagen auf dem Boden halten sollen, kein Kies eingefüllt. In einem anderen Fall montierte der Installateur anstelle der in Rechnung gestellten 440 nur 200 Dachhaken. Auch diverse überbaute Blitzschutzeinrichtungen hat Schwickert schon gesehen.

Häufig enden solche Fälle vor Gericht, da die beteiligten Parteien sich nicht einigen können, wer den Schaden verursacht hat und wer die Kosten für die Ausbesserungenübernehmen muss. Das erspart sich, wer gleich umsichtig plant und fachgerecht montiert.

Befestigen oder beschweren

Zwei Möglichkeiten gibt es, um eine nicht integrierte Photovoltaikanlage auf einem Flachdach sicher anzubringen. Das Gestell kann an das Dach befestigt oder es kann beschwert werden. Daraus leiten sich die Hauptursachen für mögliche Schäden ab. Bei der Befestigung werden Löcher, die durch das Schrauben oder Bohren entstehen, unter Umständen nicht sorgfältig abgedichtet. Die Folge: Wasser tritt in das Gebäude ein. Bei der Beschwerung wird oft nicht gründlich genug geprüft, ob das Dach die zusätzliche Last durch die Betonplatten oder Wannen tragen kann. So entstehen Risse in der Dachhaut bis hin zur Einsturzgefahr.Ein Beispiel für eine fehlerhafte Befestigungschildert Karl-Heinz Krawczyk aus Freiburg, Dachdeckermeister und stellvertretender Landesinnungsmeister für Baden-Württemberg. Im vergangenen Jahr wurde er zu dem Besitzer eines Flachdachs zitiert, das er vor einiger Zeit saniert hatte. „Das Dach war undicht, da fällt der Verdacht schnell auf den Dachdecker.“ Diese Vermutung löste sich allerdings bald in Luft auf: Der Besitzer hatte zwischenzeitlich eine Photovoltaikanlage installieren lassen. Weil er Angst hatte, dass die aufgeständerte Anlage wegfliegt, ließ er das Gestell mit Schrauben befestigen. „Die Bohrlöcher waren nur provisorisch eingedichtet“, sagt Krawczyk, der den Schaden anschließend beheben durfte. Zunächst musste die gesamte Anlage demontiert und vom Dach transportiert werden. Dann legte Krawczyk das Dach trocken. Hierfür schuf er mehrereÖffnungen, um warme Luft einblasen zu können. Als das bestehende Bitumendach wieder trocken war, schmierte er die Bohrlöcher mit Faserkitt zu. Zusätzlich dichtete er es mit Schweißbahnen neu ab. Eine Gummimatte auf der Dachabdichtung sorgte dann für eine Trennung zwischen Dach und Anlage. Darauf kamen Betonklötze, auf denen das Gestell angeschraubt wurde. „Das Dach sollte auf keinen Fall wieder durchdrungen werden“, so Krawczyk. Trotz seiner Erlebnisse mit fehlerhaften Durchdringungen ist der Dachdeckermeister nicht grundsätzlich gegen eine solche Befestigung von Photovoltaikanlagen. „Sie muss nur fachgerecht ausgeführt sein“, betont er. Damit vertritt er eine klare Position in einer Frage, die polarisiert. Anlagenprojektierer Herbert Völlner aus Bayern vertritt die entgegengesetzte Position: „Wenn ein Dach dicht ist, ist es dicht. In eine vorhandene Dachhaut sollte man mit nichts eindringen.“ Zwar gebe es Kleber und Folienflächen für die Abdichtung von Löchern, aber, so Völlner: „Ich habe da meine Zweifel, ob die auch wirklich 30 bis 40 Jahre halten, wie die Hersteller es versprechen.“ Diese Bedenken kennt Cedrik Zapfe, beratender Ingenieur in Haag. Zapfe erstellt Statikgutachten für Photovoltaikanlagen und vertritt die Ansicht: „Die Angst vor der Durchdringung ist das Problem, nicht die Durchdringung selbst.“

Zu viel Auflast durch Beschwerung

Anders gelagert sind die Probleme bei der Beschwerung. Auch hierfür hat Krawczyk ein Beispiel parat. Er berichtet von einem etwa 20 Jahre alten bituminösen Flachdach. „Die Oberfläche war versprödet, durch UV-Strahlung waren Risse in der Dachhaut entstanden. Das Dach war aber noch dicht“, schildert er den Fall. Dies änderte sich durch eine aufgeständerte PV-Anlage, die mit Wannen beschwert wurde. Die Auflast war für das alte Dach zu schwer. Dort, wo die Wannen lagen, entstanden Druckpunkte. Die alte Dichtung riss ein. Auch hier drang Feuchtigkeit in das Dach ein. „Man konnte nicht nachweisen, ob das Dach durchfeuchtete, weil es alt war, oder ob der Schaden durch die Solaranlage entstanden war“, sagt Krawczyk. Saniert werden musste es so oder so.Wieder musste die ganze Anlage runter, damit das Dach komplett erneuert werden konnte. Schlechte Karten hatte die Solarfirma: Sie hatte nicht gründlich genug geprüft, ob das Dach für die Anlage geeignet ist. Der Fall ging vor Gericht. Einen Teil der Kosten musste die Solarfirma tragen, weil sie die Dacheignung nicht nachweisen konnte, den anderen Teil der Besitzer, weil die Dachsanierung früher oder später ohnehin nötig gewesen wäre. Vorsichtig sollte man auch bei alten PVC-Abdichtungen sein, rät Krawczyk. Diese Folien enthielten früher Weichmacher, die über die Zeit aus der Folie austreten und sie spröde und hart machen. Dadurch wird die Dachabdeckung ebenfalls anfälliger für Risse.

Dächer oft sanierungsbedürftig

„Bis zehn Jahre sind Flachdächer halbwegs fit“, sagt Karl-Heinz Krawczyk. „Dächer, die zehn Jahre und älter sind, sind meistens sanierungsbedürftig, bevor eine Solaranlage daraufkommt.“ Warum dieser Punkt häufig vernachlässigt wird, weiß er aber auch. Ein neues Dach kostet zwischen 10.000 und 40.000 Euro – Installateure haben es daher oft schwerer, eine Photovoltaikanlage zu verkaufen, wenn eine Dachsanierung Voraussetzung für deren Montage ist. Krawczyk, der auch PV-Anlagen verkauft und montiert, hat es sich trotzdem zum Grundsatz gemacht, erst das Dach und dann die Anlage zu verkaufen.Ein zu hohes Gewicht durch Module und ihre Unterkonstruktion kann noch weitaus schlimmere Schäden als Feuchtigkeit verursachen. Wenn zu viel Gewicht auf das Dach kommt, droht im schlimmsten Fall der Einsturz. „Die Lasten werden deutlich unterschätzt“, kritisiert Statiker Cedric Zapfe. „Das Gewicht wird häufig aus dem Gefühl heraus bestimmt.“Wie unzureichend die Planung in vielen Fällen ist, bestätigt Hans Urban, Leiter des Bereichs Solarmontagesysteme bei der Schletter GmbH in Haag. „Oft bekommen wir Anfragen, auf denen nur die nötigsten Angaben zu dem Dach gemacht sind.“ Länge und Breite seien meistens noch dabei, aber nicht weitere Details: von wann das Dach ist, wie viel Last es zusätzlich tragen kann, wie die Dachhaut beschaffen ist, wo gebohrt werden kann. Urban bietet dann den Service seiner technischen Planungsabteilung an, die die Statik des Gebäudes prüft und ein entsprechendes, individuell geplantes Montagesystemempfiehlt. In einem Fall wurde Schletter hinzugezogen, als ein Besitzer sein altes Befestigungssystem nicht mehr wollte. Die Anlage war mit Wannen beschwert worden, in die zu wenig Kies eingefüllt wurde: Die Anlage verrutschte und beschädigte das Dach. Der Besitzer ließ es reparieren und seine PV-Anlage mit Schrauben an die neue Dachhaut befestigen.

Zu wenig Kies in den Wannen

Mit Wannen hat auch Helmut Schwickert seine Erfahrungen gemacht. Bei einem Schadensfall stellte er fest, dass der Installateur nicht, wie vom Hersteller vorgesehen, eine Wanne für jeweils ein Modul genommen hatte. Stattdessen stellte er die Wannen in Abständen von drei bis vier Metern auf, verband sie mit Querschienen und befestigte die Module daran. „Das war viel zu wenig Ballast“, sagt Schwickert. Die nötige Schwerkraft, um die Anlage gegen Winddruck und -sog zu schützen, wurde nicht erreicht. Mehrere Modulreihen kippten um. Ist eine Anlage nicht ausreichend beschwert, können Modulreihen umfallen, sich verschieben oder vom Dach wehen, wie es auch schon vorgekommen ist.Weil er solche Schadensfälle von Anfang an vermeiden will, tendiert Dachdeckermeister Andreas Hahn aus Berlin heute zu dachintegrierten PV-Anlagen. Wenn der Landesinnungsmeister der Dachdecker-Landesinnung Berlin aber doch noch einmal eine Aufdachanlage baut, sichert er sich mit einer Konterlattung im Dachinneren ab. Die Stahlplatten bringt er unter dem Dachan und verbindet sie mit der PV-Unterkonstruktion. „Dadurch schaffen wir ein Gegengewicht zu den Windlasten.“ In der Regel verwendet er speziell angefertigte Dachhaken, die zu der Stahl-Holz-Verbindung passen. Hahn und sein Kollege Karl-Heinz Krawczyk empfehlen, bei der Planung einer Photovoltaikanlage auf dem Flachdach einen Dachdecker hinzuzuziehen. „Der kann dann eine Dachprobe nehmen“, sagt Krawczyk. Durch eine kleine Probeöffnung stellt ein Dachdecker dabei fest, ob schon Feuchtigkeit im Dach oder ob es noch dicht ist. Außerdem kann der Fachmann prüfen, wo und wie eine Dachhaut am besten durchbohrt werden kann und welche Schrauben sich eignen.

Zu viele Gewerke

„Dachdecker wären noch am ehesten die richtigen Handwerker für eine Flachdachanlage“, sagt Helmut Schwickert von den Mannheimer Versicherungen. Er sieht ein Problem darin, dass sich immer mehr Gewerke mit der Planung und Montage dieser Anlagen befassen. Allerdings würde er auch nicht jeden Dachdecker uneingeschränkt empfehlen. „Manche haben leider von Elektrotechnik keine Ahnung.“ Denn bei seinen Anlagenbegutachtungen stellt Schwickert auch häufig elektrische Fehler fest. Oft werden Trennungsabstände zu vorhandenen Blitzschutzanlagen nicht eingehalten. Dadurch wird der Blitzschutz außer Kraft gesetzt. Oder die Kabelwege sind schlecht geplant, die Leitungswege zu lang. Hin und wieder ist eine Anlage auch nicht fachgerecht geerdet, so dass sie morgens, wenn noch Tau auf der Anlage liegt, unter Spannung steht. Schwickert rät Handwerkern aller Gewerke daher, entweder mit anderen Fachleuten zu kooperieren oder sich das Wissen der anderen Gewerke anzueignen.

Statik gründlich prüfen

Welches sind nun die wichtigsten Empfehlungen, um Schäden an Anlagen, Gebäuden und Menschen durch Flachdach-Photovoltaikanlagen von vornherein zu vermeiden? Immerhin ist mittlerweile Gewissheit, dass Stürme wie Kyrill und Emma keine Ausnahmen bleiben werden. Da ist als Erstes die Statik zu nennen: Gründlich recherchierte Gebäude- und Umgebungsdaten helfen, den Zustand des Daches zu erfassen und zu beurteilen, ob es auch wirklich die nächsten 25 bis 30 Jahre standhält. Parameter sind Dachhöhe, Windzone, Schneelasten sowie Gewicht von Modulen und Tragekonstruktion. Die maßgebliche Norm für diese Berechnungen ist die DIN 1055 für Lastannahmen an Bauten. Sie enthält alle Angaben für Wind- und Schneelasten für bestimmte Dachformen. Die DIN 1055-100 befasst sich mit Einwirkungen auf Tragwerke, mit Tragwerksplanung, Sicherheitskonzepten und Bemessungsregeln. Statikgutachten erstellen Bauingenieure und Statiker, Photovoltaik-Systemhäuser und Anbieter von Montagesystemen.Auf Basis dieser Daten kann als Nächstes festgestellt werden, ob die Anlage besser beschwert oder befestigt werden sollte. Ist die Entscheidung für ein System gefallen, sollte diese Befestigung exakt nach den Montageanleitungen des Herstellers montiert werden. Bei den Produkten zählt die Qualität, bei den Materialien wie bei ihrer Verarbeitung. Helmut Schwickert empfiehlt, Produkte mit RAL-Gütesiegel zu nehmen. Weiterhin sei es ratsam, sich an bewährte Montagetechniken zu halten – worüber besonders kreative Anlagenplaner sich auch gern einmal hinwegsetzen. Die ungewöhnlichste Montageart, die Schwickert bisher gesehen hat, ist eine Anlage, die mit Magneten an ein Blechdach befestigt ist. „Durch einen Sturm kam die Anlage ins Rollen. Der Installationsbetrieb verstärkte die Befestigung einfach mit mehr Magneten.“ Beim nächsten Sturm begann die Anlage wieder, sich vom Boden zu heben. Schickert war zufällig vor Ort. Passiert ist zum Glück nichts, aber geändert wurde auch nichts. „Die vertrauen nun einfach darauf, dass da nichts passiert“, sagt der Schadensregulierer leicht fassungslos.

Ina Röpcke

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