Von einem Tag auf den anderen wollte das Pferd nicht mehr in den Stall. Kurz zuvor war ein Wechselrichter für die Solaranlage auf dem Stalldach neu installiert worden. Eine Rinderherde soll in der Nähe eines neuen Photovoltaikumrichters ebenfalls gemütsmäßig aus dem Tritt geraten sein. Könnte das Schallgemenge aus den Geräten schuld am tierischen Unbehagen sein? Es sind nicht nur solche Gerüchte, die Wechselrichterhersteller haben aufhorchen lassen. „Immer wieder wollen Kunden wissen, ob es mit der Geräuschentwicklung Probleme geben kann, wenn ein Wechselrichter statt im Keller zum Beispiel im Flur, Treppenhaus oder im Büro installiertwird“, sagt Steffen Seeber, bei Voltwerk Electronics zuständig für Zertifizierung und Standards. Auch in Internetforen wird man unter den Stichworten Wechselrichter und Lärmbelästigung fündig. Doch zurzeit gibt es nicht einmal verbindliche Vorschriften dafür, wie die Lautstärke der Geräte zu messen ist. „Wie die Herstellerangaben zu den Schallpegeln zustande kommen, lässt sich kaum nachvollziehen“, meint Seeber. Und vor allem sagen diese Angaben nichts darüber aus, ob und – falls ja – wie unangenehm das Wechselrichtergeräusch ist.
Das ist das Thema des Forschungsprojektes Optinos. Hier arbeiten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel gemeinsam mit fast allen deutschen Wechselrichterherstellern, einem Prüf- und Zertifizierungsinstitut des Frankfurter Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik sowie einem Hersteller von Prüfsystemen seit fünf Jahren an verlässlichen Wechselrichter-Qualitätsstandards. Das Projekt wird vom Bundesumweltministerium gefördert. Eine erste, nach Vermutung der Projektpartner weltweit einzigartige Studie zu den Geräuschemissionen von Wechselrichtern hat das Team gerade abgeschlossen. Die Ergebnisse sollen als Grundlage für einheitliche Messvorschriften genutzt werden.Bisher gelten für Wechselrichter vor allem Vorschriften zum Schutz vor unmittelbaren gesundheitlichen Gefährdungen, zum Beispiel die DIN EN 50524 und die erst kürzlich veröffentlichte DIN 62109-1. Danach müssen Geräuschemissionen ab 75 Dezibel – so laut, wie es schlimmstenfalls beim Unterricht in einem Klassenzimmer zugeht – im Datenblatt angegeben werden. Ab 80 Dezibel muss das Warnsymbol „Achtung, Risiko eines Hörschadens, Hörschutz tragen“ hinzu. „Die Angabe des Schalldrucks in Dezibel ist ohne zusätzliche Informationen aber nicht ausreichend“, sagt Projektkoordinatorin Maria Roos vom IWES. Bei dieser Deklaration sei nicht einmal klar, ob es sich um eine Angabe für den Schalldruck handelt, der unter anderem vom Abstand zur Geräuschquelle abhängt, oder um einen Schallleistungspegel, für den diese Abhängigkeit nicht gilt. „Noch wichtiger ist aber, dass die Dezibel-Zahl nur wenig über die subjektive Empfindung aussagt“, so die Ingenieurin.
Die IWES- und TU-Wissenschaftler wollten deshalb herausfinden, ob die Unangenehmheit, so der Fachausdruck, der Wechselrichtergeräusche bestimmt und mit welchen Größen sie am besten beschrieben werden kann. Und sie waren erfolgreich. „Mit unseren Methoden und einer Formel, die wir dazu entwickelt haben, lässt sich sehr gut vorhersagen, ob ein Wechselrichtergeräusch als unangenehm empfunden wird oder nicht“, berichtet Roos. Die Trefferquote betragebei den untersuchten Geräten rund 90 Prozent. Verlässt man sich dagegen nur auf Schallpegelmessungen, trifft nur etwa jede zweite Vorhersage zu.
Peak bei hohen Frequenzen
Das Forscherteam hatte fünf Wechselrichtermodelle mit Leistungen von drei bis 15 Kilowatt, vier davon mit Lüfter ausgestattet, auf den Prüfstand gestellt – genauer gesagt: an eine Holzplatte gehängt. „Wichtig dabei war, dass der Prüfling keine direkte Verbindung zur Holzwand hatte, um Resonanzen zu verhindern“, berichtet Roos. Um die Wechselrichtergeräusche erst einmal physikalisch zu charakterisieren, Schalldruck und -leistungspegel zu messen, tasteten die Forscher den Schall mit Mikrofonen auf insgesamt 40 Messpositionen ab. Die Messpunkte lagen auf einer imaginären Halbkugelfläche, angelehnt an die DIN-Vorschriften EN ISO 3744 und EN ISO 3746 für die Messung des Schalldrucks. Mit den Mikrofonen konnten sie Frequenzen zwischen 100 und 20.000 Hertz erfassen. Diese Frequenzen nehmen typischerweise Menschen wahr, auch wenn im Alter die Empfindlichkeit für hohe Frequenzen abnimmt. Ein zusätzliches Mikrofon erfasste Frequenzen im Ultraschallbereich bis 40 Kilohertz, die nur von Tieren gehört werden.
Die Wissenschaftler haben verschiedene Betriebszustände der Wechselrichter vermessen und diese dafür mit 25, 50, 75 und 100 Prozent Leistung laufen lassen. „Nach der Messung mit 100 Prozent Leistung haben wir, falls vorhanden, den Lüfter stufenweise zugeschaltet“, berichtet Roos. Das Ergebnis dieser Messungen waren Schalldruckspektren. Sie zeigten, welche Frequenzen zu welchen Anteilen im Geräuschgemenge enthalten sind. So bekam jeder Wechselrichter sein eigenes physikalisches Geräuschprofil. Die Profile hatten alle ein ähnliches Muster. „Dominierend war ein Peak bei hohen Frequenzen zwischen 16 und 18 Kilohertz“, sagt Roos. Mit zunehmender Leistung der Wechselrichter ohne Lüfter wurde der gemessene Frequenzpegel stärker; der Schalldruckpegel stieg deutlich an, bei den größeren Geräten von gut 40 auf über 70 Dezibel. Rauschte noch zusätzlich ein Lüfter, hob das den Pegel der mittleren Frequenzen zwar an, die Dezibelzahl insgesamt und der Hochfrequenzpeak änderten sich hingegen kaum.Zusätzlich zu den physikalischen Spektren haben die Forscher noch sogenannte psychoakustische Größen ermittelt. „Lautheit ist eine solche Größe“, berichtet Wolfgang Ellermeier, der an der Technischen Universität Darmstadt unter anderem zum Thema Psychoakustik forscht und lehrt. Lautheit sei so etwas wie die gefühlte Schallintensität, sagt er. Sie hängt aber nicht nur von der Dezibelzahl ab, sondern auch vom Frequenzspektrum eines Geräusches. Eine zweite psychoakustische Messgröße ist die Schärfe. Sie wird Ellermeier zufolge durch den Anteil hochfrequenter Komponenten bestimmt, also dadurch wie hell oder schrill ein Geräusch klingt. Die dritte psychoakustische Größe, die die Forscher ermittelt haben, heißt Rauigkeit und wird durch Tonhöhen- oder Lautstärkenwechsel im Frequenzbereich zwischen 15 und 300 Hertz verursacht. „Ein Presslufthammer zum Beispiel hört sich rau an, ein Flötenton dagegen glatt“, so Ellermeier. Für die Messung derpsychoakustischen Größen hatten die Wissenschaftler einen Kunstkopf in den Messaufbau integriert, der an den Ohrenpositionen mit zwei Mikrofonen gespickt war. „Mit diesen binauralen Messungen kommt man dem natürlichen Höreindruck mit zwei Ohren deutlich näher“, erklärt Ellermeier.
Lautheit, Schärfe, Rauigkeit
Wie gut die ermittelten physikalischen und psychoakustischen Messdaten den subjektiven Höreindruck tatsächlich beschreiben, überprüften die Forscher schließlich mit einer Probandengruppe aus 42 Mitarbeitern und Studierenden der TU Darmstadt. „Die Gruppe war zwar vom Altersdurchschnitt recht jung und daher nicht ganz repräsentativ für die Bevölkerung. Uns war aber wichtiger, dass die Testpersonen alle hörgesund waren und noch keine Einbußen bei höheren Frequenzen hatten“, berichtet Ellermeier. Die Wissenschaftler spielten den Probanden die verschiedenen gemessenen Wechselrichtergeräusche vor.
Die Probanden sollten sie jeweils mit einem Standard-Wechselrichterklang vergleichen. „Die Urteile fielen relativ einhellig aus“, sagt der Forscher. Für fast alle Geräte nahm die Unangenehmheit des Klangs mit steigender Geräteleistung zu. Als besonders lästig wurden die Gerätegeräusche bewertet, wenn auch noch der für die Kühlung unverzichtbare Lüfter rauschte. Man kennt dieses Geräusch unter anderem vom Heimcomputer. „Die Bewertung ‚unangenehm‘ stieg bis auf das Fünffache“, berichtet der TU-Forscher. Und das, obwohl die Dezibelzahl sich nur unwesentlich änderte.
Der beste Tipp für eine „Lästigkeitsprognose“ ist den Untersuchungen zufolge die psychoakustische Lautheit. „Mit ihr kommt man schon auf eine Trefferquote von 80 Prozent“, sagt Ellermeier. Schärfe und Rauigkeit erhöhten die Trefferwahrscheinlichkeit auf über 90 Prozent. Zugleich räumt er ein, dass es sich bei den Untersuchungen um eine Laborsituation handelte. Die Probanden hörten die Testklänge nur für eine kurze Zeit. „Wie es aber ist, wenn man die Geräusche über Wochen oder Monate hört, wissen wir nicht“, betont er. Auch was die Frequenzen aus dem Ultraschallbereich betrifft, die möglicherweise Tiere irritieren können, fehlen noch handfeste Hinweise. „Wir haben erst einmal festgestellt, dass diese hohen Frequenzen im Spektrum der Wechselrichter enthalten sind“, so Ellermeier. Wie störend sich diese auf Tiere auswirken, müsste durch eine Zusammenarbeit mit Biologen und Tiermedizinern erst noch gezeigt werden.
Die Wissenschaftler wollen jetzt erst einmal in einer zweiten, noch größer angelegten Studie mit mehr verschiedenen Wechselrichtern sehen, ob sich die Erkenntnisse bestätigen lassen. „Außerdem müssen wir prüfen, ob sie auch in einem gängigen Prüflabor reproduziert werden können“, berichtet Projektleiterin Roos. Nicht zuletzt solle versucht werden, den Aufwand für die Messungen zu minimieren. Erst dann kann damit begonnen werden, eine Kennzeichnungsvorschrift zu entwickeln.
Die Wechselrichterhersteller überlegen zudem, die Ergebnisse auch bei der Entwicklung künftiger Gerätegenerationen zu berücksichtigen und Bauteile mit lästigem Klangcharakter auszutauschen. Wie der ideale Wechselrichter klingen könnte, vermag Voltwerk-Experte Steffen Seeber allerdings nicht zu sagen. „Die Frage lässt sich zurzeit nicht beantworten“, sagt er. „Vielleicht wollen einige Kunden durchaus hören, wenn bei schönem Sommerwetter die Kilowattstunden rattern. Ich gehe aber davon aus, dass die meisten ein möglichst leises Geräusch wollen.“ Ein Engagement von Klangdesignern, wie sie beispielsweise im Auftrag von Automobil- oder Elektrogeräteherstellern besonders verkaufsträchtige Türklapp- oder Staubsaugergeräusche entwerfen, ist jedenfalls vorerst nicht geplant.