Talaván ist eine kleine Gemeinde rund 300 Kilometer südwestlich von Madrid. Aufregend wird es in dem 1.000-Seelen-Ort an den Ufern des großen Rio Tajo jedes Jahr am ersten Maiwochenende zur Wallfahrt der Jungfrau vom Fluss, zu der Fiestafreunde aus dem ganzen Umland anreisen. Dieses Jahr gibt es einen weiteren Grund, erwartungsvoll gen Himmel zu blicken. Die Firma Gehrlicher hat die Gemeinde zum Standort für das bisher größte Solarprojekt Europas ausgesucht, das sich ohne staatliche Unterstützung rechnen soll.
Das von der Oliven-, Getreide- und Hühnerwirtschaft geprägte Talaván liegt die meiste Zeit des Jahres unter einem tiefblauen Himmel und scheint damit wie geschaffen für das Solarkraftwerk, das Gehrlicher zufolge über mindestens 250 Megawatt Leistung verfügen soll. Die Region um die Provinzhauptstadt Cáceres in der Autonomen Gemeinschaft Extremadura zählt mit einer Einstrahlung von 4,5 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Tag im Jahresdurchschnitt nach der Solardatenbank der Europäischen Union (PVGIS) zu den sonnenverwöhntesten Flecken Europas. Im Juni und Juli erreichen die Werte sogar mehr als sieben Kilowattstunden pro Tag.
Dank dieses hohen solaren Energieangebots plant Gehrlicher bei 250 Megawatt mit einer jährlichen Stromerzeugung von 400 Millionen Kilowattstunden. Der Ertrag könnte noch steigen, sollte das Kraftwerk, wie von Gehrlicher-Solar-España-Chef Guillermo Barrea gegenüber spanischen Medien angekündigt, auf 300 Megawatt erweitert werden. Barrea will dafür keine staatlichen Gelder in Anspruch nehmen. Einer Pressemeldung zufolge will Gehrlicher das Projekt ohne Einspeisevergütung oder andere finanzielle Anreize realisieren. Denn mit staatlicher Unterstützung können Firmen und Investoren in Spanien in Zukunft nichtmehr rechnen. Noch immer hat sich die Regierung in Madrid nicht zur Dauer des im Januar 2012 verkündeten Moratoriums für die Förderung der erneuerbaren Energien geäußert, das vor allem auf die Photovoltaik unmittelbar negative Auswirkungen hatte. Denn anders als bei regenerativen Energien wie Wind oder Solarthermie wurde die Zahlung von Einspeisetarifen für Photovoltaik-Neuinstallationen sofort eingestellt. Nach einem Entwurf der Nationalen Energiekommission CNE (Comisión Nacional de Energía) könnte das Moratorium bis 2016 anhalten. Eine erste Abschätzung der Folgen der Politik lässt die Behörde einen Stillstand der Photovoltaikinstallationen in den kommenden vier Jahren erwarten: Von 3.985 Megawatt Ende 2011 könnten sie bis 2013 noch auf 4.177 Megawatt steigen, um dann bis 2015 zu stagnieren. Die Prognose ist wohl nur als Fingerzeig zu verstehen, denn Vorhaben wie das von Gehrlicher wurden dabei nicht berücksichtigt.
Eigenverbrauch und Großanlagen
„Wir schätzen, dass sich nach dem Verschwinden von jeglichen finanziellen Anreizen im Markt zwei verschiedene Richtungen herauskristallisieren werden“, sagt Sonia Gomez Borges, Kommunikationschefin von Gehrlicher España. Neben Systemen für den Eigenverbrauch seien das „Großanlagen, die wegen des benötigten Kapitals künftig nur noch von großen Unternehmen“ realisiert werden könnten. Gehrlicher gibt die Investitionen für 250 Megawatt mit 250 Millionen Euro an, deren Finanzierung bisher aber noch nicht in trockenen Tüchern sei. „Wir sprechen aktuell mit einer Reihe von Finanzinstituten, die ihr Interesse bekundet haben, sich zu beteiligen.“ Dass die spanischen Banken in den letzten anderthalb Jahren aufgrund ihrer Belastungen aus der Immobilienkrise des Landes kaum als Finanziers für Solarparks in Erscheinung getreten waren, bestreitet Gomez nicht, sieht aber im Falle des Großprojektes in der Extremadura für die Banken eine andere Risikosituation: „Die Finanzierung von PV-Installationen ist für Banken und Investoren vor allem wegen der regulatorischen Unsicherheiten sehr schwierig gewesen.“ Die Institute bräuchten stabile Rahmenbedingungen, um die Rückflüsse ihrer Investitionen einschätzen zu können. Sonst investierten sie nicht.
Diese Sicherheit war aber durch die spanische Solarpolitik der letzten Jahre verloren gegangen. Schlüsselereignisse waren die Beschlüsse zu den rückwirkenden Änderungen an den Einspeisevergütungen durch die sozialistisch geführte Regierung Ende 2010 und die Aussetzung jeder Förderung durch die konservative Volkspartei, die seit November 2011 an der Macht ist. „Zahlreiche Interessenten aus Finanzkreisen sehen bei unserem Projekt stabile und verlässlichere Rahmenbedingungen gegeben“, gibt Gomez sich zuversichtlich. Denn Gehrlicher wolle seinen Strom auf dem Energiemarkt verkaufen, der nicht von einem durch Kürzungen oder Fördereinstellungen geprägten regulatorischen Umfeld gekennzeichnet sei.
„Das vielleicht wichtigste Charakteristikum ist dabei, dass Solarstrom nicht von den Ereignissen auf den Märkten für Energierohstoffe abhängig ist wie Öl, Gas und Kohle. So lässt sich der Preis pro Kilowattstunde auch langfristig vorhersagen“, erklärt Gomez. Eine konkrete Aussage zu treffen scheut sie sich dennoch, spricht lieber von einem „Verkaufspreis, der für bestimmte Kunden und Investoren wettbewerbsfähig ist“. Wer den Strom abnehmen wird, ist ebenfalls noch nicht sicher. Das könnten neben Händlern oder dem Großmarkt auch industrielle Großverbraucher sein.
Noch hat Gehrlicher Zeit, die Angebote zu studieren, denn der erste Solarstrom in Talaván wird kaum vor 2015 erzeugt werden. Der erste Spatenstich ist für 2013 geplant. In jedem Fall kann die Firma auf Unterstützung derRegionalregierung Extremaduras rechnen, die angesichts der Wirtschaftskrise und der Flaute im einstmals so wichtigen Bausektor um jeden Arbeitsplatz kämpft. 2.000 Jobs soll der Bau bringen, später entstehen 100 Arbeitsplätze für den dauerhaften Betrieb. Die Unterstützung des spanischen Bundesstaates ist für Genehmigungsfragen und die Netzeinspeisung Gold wert.
Ohne Kooperationen geht nichts
Denn auch wenn Solarstrom rein rechnerisch in Südspanien konkurrenzfähig wäre: Damit allein ist das Wohlwollen spanischer Netzbetreiber längst nicht gesichert. „Ohne die Kooperation von Land, Kommune und des örtlichen Stromnetzbetreibers wird es schwierig“, weiß Robert Kröni, Geschäftsführer der Schweizer Ingenieursgesellschaft Jendra Power, die in der Nähe von Murcia einen 20-Megawatt-Solarpark plant, dessen Strom ebenfalls am freien Markt wettbewerbsfähig sein soll. Bisher hat die Firma für Schweizer Energieversorger eine Reihe von noch geförderten Solarparks realisiert. „Es gibt auch Netzbetreiber, die Monate bis zur Anschlusszusage verstreichen lassen“, berichtet er.
„Unter optimalen Bedingungen aber lässt sich der Solarstrom mittlerweile für sechs bis sieben Cent je Kilowattstunde herstellen“, rechnet Kröni vor. Basis sei ein Einkaufspreis der Module von 53 Cent pro Watt. Daraus ergebe sich für Investoren eine durchaus attraktive Gesamtkapitalrendite von 5,0 bis 5,5 Prozent. Doch die Rechnung ist nicht ohne Risiko. „Das Haupthindernis ist momentan der fluktuierende Strommarktpreis in Spanien, der eine Renditerechnung auf 25 Jahre erschwert“, sagt Kröni. DerVerkauf von Grünstromzertifikaten für die saubere Energie könne bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung zwar helfen, doch noch stehe dieser Markt „auf wackligen Beinen“. Insgesamt schwärmt Kröni aber von der „bahnbrechenden Entwicklung zu Grid-Parity-Preisen“ in Spanien, die offenbar immer mehr Entwickler in den Bann zieht.
Firmen prüfen Projekte ohne Einspeisevergütung
„Wir wissen, dass Firmen prüfen, bereits geplante PV-Projekte künftig ohne Einspeisetarif zu realisieren“, bestätigt auch Alberto Sanromán, General Director von Albasolar. Viel mehr bleibt ihnen auch nicht übrig. Denn der zweite absehbare Vermarktungsweg für PV-Strom in Spanien läuft über den Eigenverbrauch und betrifft damit eher kleinere Dachanlagen. Noch ist allerdings nicht klar, wann eine solche Regelung kommt, die erstmals in Spanien den Eigenverbrauch von Solarstrom möglich machen würde, und wie sie konkret aussehen wird. Zwar hatte schon die Vorgängerregierung einen Entwurf an die CNE geschickt und die amtierende ebenfalls eine Regelung angekündigt, doch entschieden war bis zum Mai noch nichts. Entsprechend verhalten zeigt sich Albasolar-Manager Sanromán: „In diesem Jahr wird es schwierig.“ Selbst wenn die Regelung zeitnah käme, bräuchten die Haushalte Zeit, damit auch umgehen zu lernen.
„Wir gehen weiter davon aus, dass die Eigenverbrauchsregelung kommen wird. Das ist der natürliche Weg für die Photovoltaik.“ Noch gibt es eine Reihe umstrittener Punkte, etwa ob die Haushalte, die ihren Strom selbst verbrauchen, dennoch Netznutzungsgebühren zahlen. Das, befürchtet Sanromán, könnte den Anreiz für die eigene Nutzung erheblich vermindern. Klar ist indes schon, dass es für die selbstverbrauchte Energie keinerlei finanzielle Vergütung, damit aber auch keine Begrenzung der Installationszahlen geben wird. Sorge tragen manche Beobachter aber hinsichtlich des neu gewonnenen Einflusses der großen, im Verband UNESA (Asociación Española de la Industria Eléctrica) organisierten Energieversorger. Die Elektrizitätswirtschaft wolle das Geschäft mit dem Eigenverbrauch künftig lieber selbst ohne die Solarspezialisten machen, ist aus dem Branchenverband APPA (Asociación de Productores de Energías Renovables) zu hören, da sie um ihren klassischen Stromabsatz fürchte.
Mit Szenarien von wirtschaftlich schwächelnden Energiekonzernen machen die Firmen bei der industriefreundlichen konservativen Regierung offenbar Eindruck. Die Forderungen der UNESA an die Regierung wurden so unverblümt, dass sich das Industrieministerium genötigt sah, in einer Pressemitteilung darauf hinzuweisen, dass es seine Entscheidungen unabhängig von der Lobbyorganisation trifft. Trotz der bestehenden Unsicherheiten zeigt sich Albasolar für eine mögliche Einführung des Eigenverbrauchs vorbereitet. „Wir haben unseren Produktkatalog bereits angepasst, der Speziallösungen für solche Installationen beinhaltet“, sagt Sanromán. Dazu zähle zum Beispiel ein eigener Modulwechselrichter.
Technische Neuentwicklungen wird es für Großprojekte wie das in Talaván nicht brauchen. Doch ein bisschen himmlischer Beistand, wie ihn die kleine Gemeinde am Rio Tajo Anfang Mai bei der Wallfahrt der Jungfrau vom Fluss erbeten hat, wäre angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit Ende der Franco-Diktatur für die gesamte spanische Solarbranche wohl hilfreich.