Justo Montero Vera ist derzeit alles andere als glücklich. Damit geht es ihm wie vielen Spaniern in diesen Tagen. „Als die wirtschaftlichen Probleme anfingen bedeutend zu werden, ist der Regierung nichts Besseres eingefallen, als die Kleinsten anzugreifen“, sagt der Präsident der Asociación Nacional de Productores e Inversores de Energías Renovables (ANPER) im Gespräch mit photovoltaik frustriert. Die neue, Anfang Juni 2010 gegründete Organisation vertritt die Interessen der Eigentümer von Spaniens Solaranlagen, und damit vor allem der „Privatpersonen, die ihr Geld, ihre Ersparnisse in die Photovoltaik gesteckt haben“. In Spanien sind das rund 35.000 private Investoren. Die spanische Regierung hatte für Monate ernsthaft überlegt, die Vergütungssätze von bereits ans Netz angeschlossenen Solarkraftwerken rückwirkend zu kürzen. Doch diese Idee ist nun anscheinend erst mal vom Tisch. Zu groß waren die Befürchtungen der Investoren, im Nachhinein ihre Renditen schwinden zu sehen.
Wie stark die Vergütungssätze abgemindert werden sollen, ist immer noch nicht entschieden. Bei Freiflächenanlagen spricht die Regierung von einer Größenordnung von ungefähr 65 Prozent. Zusätzlich soll die Anzahl der vergüteten Kilowattstunden pro Anlage begrenzt werden. Das Industrieministerium schlägt derzeit eine Begrenzung auf 1.250 Kilowattstunden für statische Anlagen und 1.644 Kilowattstunden für nachgeführte Systeme vor. Aus informierten Kreisen heißt es, dass diese Begrenzungen auch wieder für bereits bestehende Anlagen geltend gemacht werden könnten. Hintergrund dafür ist die für die Regierung überraschend große Leistungsfähigkeit der in den letzten Jahren installierten Solarstromkraftwerke. Spanischer Solarstrom deckte nach Berechnungen des Höchstspannungsnetzbetreibers Red Eléctrica de España im Juni 2010 bereits vier Prozent der gesamten Stromnachfrage des Landes.
Würde Klarheit über die künftigen Vergütungshöhen herrschen, könnte ein Stück Sicherheit in die Branche zurückkehren. Der Markt würde wieder in ein normales Wachstumstempo übergehen können, schätzt Pedro Alonso von 9Ren España. Das Unternehmen führt die Geschäfte des einstigen spanischen Modulproduzenten Gamesa Solar fort, der im vergangenen Jahr vom Wind kraftkonzern Gamesa an US-Investoren verkauft worden war. Das Madrider Unternehmen hat nach eigenen Angaben Großkraftwerke mit 85 Megawatt in Spanien realisiert. Für die Umsetzung weiterer 30 Megawatt in Spanien ist Alonso zuversichtlich. „Wahrscheinlich werden wir einen Photovoltaiksektor sehen, der anders strukturiert sein wird als bisher, mehr in Richtung Dachanlagen und Kleinverbraucher. Aber ohne Zweifel bleibt die Photovoltaik eine Zukunftsenergie, die sich mit Hilfe der Energiepolitik auch weiterentwickeln wird.“
In der Tat plant Madrid zur Erfüllung seiner CO2-Pflichten gegenüber der EU weiter mit der Solarenergie. In seinem Aktionsplan für regenerative Energien, den Spanien als eines der ersten Mitgliedsländer Anfang Juli an die EU-Kommission verschickte, sollen die Photovoltaikkapazitäten bis 2020 auf 8.367 Megawatt ansteigen. Das wäre ein Plus von rund 4.800 Megawatt. Dies ist weniger, als in der Vergangenheit diskutiert wurde. „Ohne Probleme und finanziellen Mehraufwand könnten wir auch das Doppelte an Kapazitäten bis 2020 erreichen“, moniert etwa Tomas Diáz, Spre cher der Solarindustrievereinigung ASIF (Asociación de la Industria Fotovoltaica). „Spanien hat die besten Voraussetzungen, die Entwicklung der Photovoltaik weltweit anzuführen.“ Daraus wird wohl erst mal nichts, doch könnte der Markt ein deutlich höheres Volumen schaffen als zuletzt. 2009 wurden laut Erhebungen der Nationalen Energiekommission (CNE – Comisión Nacional de Energía) wenig mehr als 100 Megawatt neu installiert. Und auch 2010 wird das Volumen nur unwesentlich größer ausfallen.
Dächer statt Freiflächen
Nach dem vom staatlichen Energieinstitut IDAE (Instituto para la Diversificacion y Ahorro de la Energía) verfassten Aktionsplan wird nahezu der gesamte Zuwachs auf den Dächern stattfinden. Zwei Drittel der solaren Gesamtkapazitäten sollen 2020 Dachkraftwerke sein. Von den aktuell installierten rund 3.500 Megawatt sind dagegen 90 Prozent Großanlagen auf der grünen Wiese. Der Energieplan umreißt die Rahmenbedingungen, mit denen Spanien die von der EU-Kommission geforderte CO2-Reduktion von 20 Prozent bis 2020 umsetzen will. Er weist dem Solarstrom elf Prozent der geplanten regenerativen Gesamtkapazitäten zu. Bei der Offensive auf dem Dach wird ab 2015 laut IDAE das Thema Eigenverbrauch relevant werden. Dann werde die „Parität der solaren Erzeugungskosten mit den Energiekosten für den Endkunden“ erreicht sein.
Dass die Zeit der Großanlagen in Spanien definitiv abgelaufen ist, zeigt auch ein Blick in das Online-Register für regenerative Kraftwerke beim Industrieministerium. Dort stehen mehr als 1.000 Freiflächenprojekte in der Warteschleife, die eine Vergütung beantragt haben. Höchstens 100 davon erhalten jedes Quartal eine Lizenz. Neuprojekte müssen sich hinten anstellen und dürften kaum noch die Chance zum Bau bekommen. Doch auch bei den Dachanlagen geht aktuell wenig. Wegen der Diskussionen über die Neugestaltung des spanischen Fördersystems steht der gesamte Solarmarkt in Spanien seit Monaten „praktisch still“, wie Diáz sagt. „Keine Bank gibt einem Photovoltaikprojekt Geld, wenn sie sich nicht auf die staatlichen Regelungen verlassen kann.“
Ein Blick in die Statistik der Energiekommission bestätigt das. Demnach sind bis Ende März 2010 weniger als 50 Megawatt neu ans Netz gegangen. Im zweiten Quartal ist „so gut wie nichts dazugekommen“, sagt ANPER-Präsident Montero, „weil die Banken nichts finanzieren.“ Dabei haben die Banken und Sparkassen in Spanien das Gros
der Solarinvestitionen kreditiert. Insgesamt geht es dabei um rund 15 Milliarden Euro. Teilweise hatten die Finanzhäuser bis zu 90 Prozent der Investitionen übernommen.
Das Geld bleibt knapp
Der aktuell ausgetrocknete Bankenmarkt ist vor allem ein Problem für die Unternehmen, die in den letzten anderthalb Jahren Lizenzen zum Bau neuer Solarkraftwerke erhalten, bis jetzt diese aber noch nicht umgesetzt haben. Denn seit der Novellierung des Einspeisegesetzes 2008 müssen die Investoren mit finanziellen Sicherheiten unterlegte Anträge stellen, über die das Industrieministerium vierteljährlich entscheidet. Wer einen positiven Bescheid erhält, hat zwölf Monate Zeit, das Projekt zu verwirklichen. Einige Lizenznehmer hätten das laut ASIF-Sprecher Diáz wegen der fehlenden Bankzusagen nicht geschafft, ihnen drohe der Verfall der Lizenz. Andere konnten immerhin Käufer gewinnen. Dazu zählt die Spanientochter der Münchener Projektgesellschaft Phoenix Solar. „Wir haben spanische Lizenzen erworben und setzen sie derzeit auch um“, sagt eine Sprecherin. Dabei handele es sich ausnahmslos um Dachanlagen.
Investoren machen Druck
Nach Einschätzung von Pedro Alonso vom Wettbewerber 9Ren könnte sich auch der Bankenmarkt wieder erholen, wenn die Regierung künftig zu „klaren und verlässlichen Botschaften“ zurückfinde. Obwohl sich Investoren, Banken und Lieferanten bei der Realisierung von Photovoltaik-Kraftwerken in der Vergangenheit darauf verlassen hatten, dass die Vergütungen dauerhaft Bestand haben, wollte „die Regierung die Spielregeln mitten im Spiel ändern“, wie ANPER-Präsident Montero es beschreibt.
Das sollte zwar nicht wirklich rückwirkend gelten, wie das Industrieministerium betonte. „Retroaktivität heißt nicht, dass einmal gezahlte Vergütungen zurückgefordert werden“, versuchte Energiepressechef Emilio Jarillo Ibañez zu beruhigen. Doch die einst erteilten Genehmigungen für die Parks ließen Tarifanpassungen während des Betriebs zu. „Das ist absolut gesetzeskonform. Solche Regelungen sind bereits gerichtlich bestätigt worden.“
Dennoch schreckte Spaniens Präsident José Luis Zapatero vor den möglichen Folgen einer solchen Entscheidung zurück. Großinvestoren hatten gedroht, Spanien künftig zu meiden. Das wäre angesichts der ohnehin angeschlagenen Kreditwürdigkeit des südeuropäischen Landes ein fatales Signal für die Finanzmärkte gewesen. Dabei stößt die Absicht, die teils hohen zweistelligen Renditen bestehender Parks zu kürzen, auf Verständnis bei den Branchenverbänden. „Exorbitante Exzesse reduzieren zu wollen, ist nachvollziehbar“, räumt ASIF-Kommunikationschef Diáz ein. Zu solchen „windfall profits“, unerwarteten Gewinnen, hatte 2008 der königliche Erlass (Real Decreto) 661/2007 beigetragen, der für einen gewaltigen Boom in Spanien, insbesondere bei den Freiflächenanlagen, sorgte. Obwohl die Regierung nur einige hundert Megawatt initiieren wollte, wurden nach Auskunft der Nationalen Energiekommission allein in jenem Jahr Photovoltaik-Kraftwerke mit 2.750 Megawatt Leistung neu installiert. Damit hatte sich der Markt innerhalb eines Jahres versiebenfacht.
Zu viel Sonne
Hintergrund war, dass die sozialistische Regierung eine hochattraktive Vergütung für Anlagen größer zehn Megawatt von über 40 Cent je Kilowattstunde eingeführt hatte, die 25 Jahre gelten sollte. Dank exzellenter Einstrahlungsbedingungen von bis zu 2.000 Kilowattstunden jährlich pro Quadratmeter sprossen die „huertos solares“ genannten regenerativen Gärten (huerto = Gemüsegarten) wie das Gemüse in den Gewächshäusern Andalusiens aus dem Boden. Als die Regierung das Gesetz wegen des riesigen Andrangs zum Ende des Jahres 2008 wieder kassierte, standen noch mehrere tausend Megawatt an Großprojekten in der Warteschleife.
Offensichtlich hatten die regierenden Sozialisten den Erfolg ihres Gesetzes unterschätzt, der ihnen auch finanziell aus dem Ruder lief. Denn anders als etwa in Deutschland werden die Tarife zunächst vom Staat bezahlt, der diese dann auf den Strompreis umlegt. Da die Regierung wegen der Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit von 20 Prozent eine Erhöhung der Strompreise möglichst vermeiden wollte, versuchte sie, durch die nachträgliche Änderung der Vergütungen Kosten zu reduzieren. Von rund einer Milliarde Euro pro Jahr an Tarifeinsparungen war die Rede. Nach der jüngsten CNE-Statistik vom Juni 2010 fallen monatlich rund 250 Millionen Euro an Zahlungen aus den Einspeisevergütungen für die Photovoltaik an. „Die Photovoltaik für die finanziellen Löcher im Stromsektor verantwortlich zu machen, ist nicht korrekt“, beschwert sich Montero. „Die Kohle erhält ja eine viel größere Unterstützung.“ In der Tat resultiert der Großteil des spanischen Tarifdefizits aus der Zeit, als es noch keine nennenswerte Photovoltaikförderung gab.
Die letzten Hürden
Doch die Branche musste in diesem Jahr auch an anderer Front kämpfen. In der spanischen Presse tauchte eine Reihe von Betrugsvorwürfen auf. So sollen einige Antragsteller durch Rückdatierungen und andere Fälschungen unberechtigterweise in den Genuss der nur bis 30. September 2008 gültigen hohen Vergütungen gelangt sein. Solarverbände wie die ASIF räumten nach Untersuchungen ein, dass es solche Vorfälle gegeben habe. Teile der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP) berichten von einer weiteren dreisten Betrugsmethode. Des Nachts sei Strom in das öffentliche Netz eingespeist und als Solarstrom vergütet worden. In Wirklichkeit soll es sich aber um Strom aus fossilen Energiequellen wie zum Beispiel aus Dieselaggregaten gehandelt haben. Die für die Untersuchung solcher Fälle zuständige Energiekommission CNE bestätigte die Verdächtigungen allerdings nicht.
Nach Einschätzung der ASIF wurden viele dieser Vorwürfe durch die traditionellen Energieversorger lanciert, die im Vorfeld der Tarifänderungen für regenerative Energien insbesondere gegen die Solarenergie zu Felde zogen. „Die großen Oligopolisten sind selbst die größten Windstromerzeuger, beim Solarstrom aber kaum vertreten“, erklärt Diáz die Angriffe gegen die Photovoltaik. In der Tat waren in den letzten Monaten verstärkt negative Äußerungen von Energieerzeugern wie Endesa und Iberdrola zu hören. Mit der Verabschiedung neuer Regierungspläne ist es aber wahrscheinlich, dass das mediale Feuer gegen den Solarstrom eingestellt wird und Normalität in den Markt zurückkehrt.
Wichtig wäre vor allem, den verunsicherten Solarstromnutzern und Investoren eine verlässliche Rechtsgrundlage
zu bieten, die auch über einen längeren Zeitraum Bestand hat. „Ich hoffe, dass wir uns derzeit nur in einer Anpassungsphase befinden“, sagt 9Ren-Manager Alonso. Dann könnte die Zeit der Sonnenfinsternis in Spanien allmählich vorübergehen.