Ein gutes Glas Wein gehört in Frankreich zur Lebensqualität, mit der sich manche Geduldsprobe besser bestehen lässt. Das könnte auch zehntausend französischen Stromverbrauchern die Wartezeit verkürzen helfen, die in die Produktion von Solarstrom einsteigen wollen, aber derzeit nicht können: Mehr als 20.000 Anträge befinden sich nach Auskunft des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie und Arbeit bei den regionalen Tochtergesellschaften des Stromkonzerns Électricité de France (EDF) in der Warteschleife. Sie stehen für eine Leistung von weit mehr als 3.000 Megawatt.
Bis diese Solarstromkapazität in Frankreich Realität wird, dürften allerdings noch Jahre vergehen. Denn nach dem seit Ende August vorliegenden National Renewable Energy Action Plan, der die Ausbauziele für die regenerativen Energiequellen bis 2020 detailliert auflistet, ist dieses Photovoltaikvolumen erst für 2017 vorgesehen. Der Plan bestätigt zudem das bereits bekannte Regierungsszenario für die Photovoltaik im Jahr 2020 von 4.860 Megawatt – obwohl, wie die Autoren einräumen, „die Zahl der in 2008 und 2009 initiierten Projekte den Schluss erlaubt, dass dieses Ziel vorzeitig erreicht wird.“
Allein 2009 stellten die Franzosen Anträge zum Anschluss von mehr als 4.000 Megawatt. Der Run begann erst gegen Ende des Jahres; nach Aussage des Ministeriums wurden mehr als 75 Prozent dieser Leistung bei EDF im Dezember beantragt. Hintergrund waren die angekündigten Tarifanpassungen zum 1. Januar 2010. Was die meisten nicht ahnten: Schon neun Monate später setzte die Regierung erneut den Rotstift an. Denn Paris hat Anfang September überraschenderweise die Vergütungen für alle Solarstromanlagen ab einer Leistung von drei Kilowatt (kW) erneut um zwölf Prozent gekürzt. Gebäudeintegrierte Photovoltaiksysteme ab drei kW erhalten seitdem je nach Standort zwischen 37 und 51 Euro-Cent je eingespeister Kilowattstunde. Große Freiflächenanlagen können je nach geografischer Lage mit einer Vergütung zwischen 27,6 und 35,2 Cent in Frankreich und von 35,2 Cent in den Überseegebieten rechnen. Lediglich bei den kleinen integrierten Hauskraftwerken bis drei Kilowatt bleibt der Tarif mit 58 Cent je Kilowattstunde konstant. Zur Begründung verwies das Wirtschaftsministerium auf die hohe Nachfrage und ähnliche Kürzungen in Deutschland und Spanien. Für alle Solarstromerzeuger in spe, die sich in der Warteschleife befinden, gibt es dabei eine gute Nachricht: „Produzenten, die ihren Antrag vor dem 2. September 2010 gestellt haben, profitieren von den früheren Tarifen“, so EDF.
Frankreich setzt Rotstift an
Das schnelle Wachstum der Solarstromkapazitäten ist Paris auch aus einem anderen Grund ein Dorn im Auge, wie ein ausführlicher Bericht zur Situation der Photovoltaik in Frankreich bestätigt, den das Wirtschafts- und das Finanzministerium wenige Tage nach Inkrafttreten der neuen Tarifstruktur vorlegten. Dieser nach seinem Verfasser Jean-Michel Charpin, einem Spitzenbeamten aus der Finanzdirektion, benannte Rapport Charpin empfiehlt der Politik, sich bei der Förderung „vor allem an den Bedürfnissen der französischen Industrie zu orientieren“, damit diese künftig am „starken Wachstumspotenzial des Weltmarkts“ teilhaben könne. Bisher wächst von Quartal zu Quartal aber nur das französische Defizit im Handel mit Solarstromkomponenten. Es erreichte 2009 laut Charpin mit 800 Millionen Euro einen neuen Rekord.
Chancen für neue französische Unternehmen sieht der Bericht bei den „Solarzelltechnologien der zweiten und dritten Generation“, da der Solarmarkt „erst in zwei Jahrzehnten das Reifestadium“ erreiche. Wichtig sei deshalb, Forschung und Entwicklung zu stärken. Bei einer ungebremsten Förderung sieht Charpin die installierte Solarleistung der Grande Nation bis 2020 auf 17 Gigawatt steigen. Das führe zu Kosten im Stromsektor von 4,5 Milliarden Euro jährlich und nutze der heimischen Industrie wenig. Halte sich Paris dagegen an das Ziel, nicht mehr als 5.000 Megawatt bis 2020 zuzulassen, seien es nur 1,5 Milliarden Euro. Für die Zukunft bringt Charpin eine Tarifrevision ähnlich wie in Spanien ins Gespräch. Alle vier Monate könnte die Vergütung angepasst werden. Noch hat sich die Pariser Regierung nicht zu weiteren Kürzungsschritten geäußert. Nach Ansicht der Solarindustrievereinigung Enerplan handele es sich beim Rapport Charpin „um einen Plan, nicht um Politik“. Die Organisation warnte aber für den Fall weiterer Kürzungen vor den ökonomischen Folgen für die eigene Industrie.
Nach Ansicht von Jean-Michel Charpin sollten angesichts ihrer Kapitalkraft vor allem die großen Energiekonzerne wie Total und Gaz de France Suez (GDF) in Photovoltaik investieren. Total-Sprecher Frederic Texier wollte gegenüber der photovoltaikallerdings keine Medienberichte kommentieren, wonach der Ölkonzern die Mehrheit am Gemeinschaftsunternehmen Tenesol übernehmen wolle, das in Toulouse eine Modulproduktion mit 85 Megawatt Leistung unterhält. Stattdessen verweist er auf die „massiven Anstrengungen“, die der Konzern in der Photovoltaik für „Forschung und Entwicklung und die Umsetzung“ unternehme. In der Tat ist Total einer der stärksten in Photovoltaik investierenden internationalen Öl- und Gaskonzerne. Total S.A. ist auch gemeinsam mit GDF Suez Eigentümer des belgischen Zellproduzenten Photovoltech, der im laufenden Jahr eine neue 70-Megawatt-Produktionslinie in Betrieb nehmen will. Außerdem ist Total seit Juni 2010 zu einem Drittel an dem Silizium-Startup AE Polysilicon mit Sitz in Philadelphia (USA) beteiligt, das eine effiziente Polysiliziumproduktion aufbauen will.
Zu viel Sorge um fremden Einfluss muss sich Frankreich bei der Erzeugung des Solarstroms indes nicht machen. Denn in der Praxis geht nichts ohne den zentralen Stromversorger EDF. Der Konzern regelt per Gesetz den Ankauf des Solarstroms über seine Tochterunternehmen. Er wickelt Antragsannahme, die Bearbeitung und die Genehmigung eigenständig ab. „Die Verbraucher müssen letztlich warten, bis es der EDF genehm ist“, kritisiert Raphael Krause, Vorstand des deutsch-chinesischen Projektentwicklers Sinosol, der einen Solarpark an der Route Napoleon in der Nähe von Gap in den provenzalischen Alpen betreibt. „Weder in Italien noch in Spanien ist der Genehmigungsaufwand so komplex.“
Dennoch wird Frankreich 2010 ein solares Rekordjahr erleben. Die Zahl der installierten Kapazitäten wird sich laut Wirtschaftsministerium im Vergleich von 81 Megawatt 2008 auf 850 Megawatt mehr als verzehnfachen. Im ganzen Land ist der Aufbruch zu beobachten. Kommunen setzen verstärkt auf solar betriebene Verkehrszeichen, Parkautomaten oder Fahrradstationen. Auf immer mehr Dächern finden sich die solaren Stromerzeuger – teilweise vollständig integriert, teilweise mit Unterkonstruktion auf der Dachhaut.
Die Unterscheidung zwischen vollintegriert (intégration au bâti) und einfach integriert (intégration simplifée) ist für die Vergütungszahlungen von entscheidender Bedeutung. So erhält eine vollständig integrierte drei Kilowatt starke Anlage 21 (bisher 16) Cent je Kilowattstunde mehr als eine „intégration simplifée“. Die Krux dabei: Noch ist nicht klar, wo die Trennlinie zwischen beiden Anwendungen verläuft. Der für diese Fragen zuständige Ausschuss CEIAB (Comité d‘évaluation des produits photovoltaïque intégré au bâti) arbeitet noch an den Kriterien.
Trotz der verschärften Wettbewerbsbedingungen dürften die solaren Geschäfte nach Ansicht von Didier Laurens von der Bank Société Générale mehr als auskömmlich bleiben. Mit Blick auf den börsennotierten französischen Solarpark-Entwickler EDF Energies Nouvelles stellt er in einer Investorenanalyse fest: „Die Tarifsenkungen werden die Gewinne nur um 0,5 bis 0,7 Prozent schmälern.“
Enel-Börsengang in Italien
Die an regenerativen Unternehmen interessierten Investmentbanken schauen in diesen Wochen aber weniger nach Frankreich als nach Italien. Denn dort plant der Energiekonzern Enel einen der europaweit größten Börsengänge des Jahres. Das Tochterunternehmen Enel Green Power, das regenerative Energieparks weltweit betreibt, soll an den Kapitalmarkt. In Italien sieht sich Enel mit 100 Megawatt installierter Photovoltaikleistung als Marktführer.36Der Heimatmarkt bietet dem Börsen-Kandidaten noch weiteres Entwicklungspotenzial, stellen Analysten unisono fest. Nicht nur, dass Enel gemeinsam mit Sharp eine moderne Produktion von Dünnschichtmodulen auf Sizilien aufbaut, auch der Absatzmarkt vor der Haustür dürfte trotz der jüngsten Absenkung der Einspeisetarife weiter florieren. „Von 2011 bis 2013 hat Italien beste Chancen, der attraktivste Solarmarkt in Europa zu werden“, sagt Sinosol-Chef Krause. Die Frankfurter Firma hatte im Juni mit dem Florentiner Baukonzern Mazzanti und dem Metallverarbeiter Metalco aus dem Veneto ein Jointventure für Solarparks in Italien beschlossen. 35 Megawatt stehen für 2011 in der Planung. Die Zusammenarbeit mit Enel – Stromerzeuger und Netzmonopolist in einem – beurteilt Krause positiv. „Wir haben nur gute Erfahrungen gemacht.“
lagen und sonstigen Photovoltaikanlagen. Beispielsweise sinken die Vergütungssätze für eine Dachanlage mit 20 bis 200 Kilowatt Leistung im Verlauf des kommenden Jahres von 35,8 Cent auf3132,3 Cent. 2012 und 2013 greifen weitere Degressionen von je sechs Prozent. Dachintegrierte, „architektonisch innovative“ Anlagen erhalten 2011 rund zwölf Prozent
Die neue Einspeiseregelung Conto Energia sieht für 2011 eine dreistufige Absenkung der Tarife zum 31. Dezember 2010, 30. April und 31. August 2011 vor. Unterschieden wird zwischen Dachanmehr als andere Dachanlagen gleicher Leistung. Die Degression 2012 und 2013 beträgt dort jeweils zwei Prozent.
Zugleich hat Italien auch seinen National Renewable Energy Action Plan verabschiedet, der bis 2020 für die Photovoltaik ein Ausbauziel von 8.000 Megawatt festschreibt. Dies wäre ein Zuwachs von 5.500 Megawatt. Noch ist allerdings nicht klar, mit welchen Fördermechanismen Rom dies ab 2014 schaffen will. Doch mit diesem Ziel setzt Italien zum Sprung an, um langfristig Spanien zu überholen, das laut den Planungen der einzelnen Mitglieder der Europäischen Union (EU) noch bis 2020 hinter Deutschland das Land mit den meisten Photovoltaik-Kapazitäten sein wird. Einen Vorgeschmack der mediterranen Wachablösung haben die Aussteller der diesjährigen Messe PVSEC in Valencia bekommen, die sich über die geringe Besucherzahl wunderten. Ein Grund dürfte wohl die Konkurrenzveranstaltung PV Rom Mediterranean gewesen sein, die im Rahmen einer Greentech-Messe Anfang September in der italienischen Hauptstadt stattfand, und, obwohl deutlich kleiner, nach Auskunft der Veranstalter mehr als 25.000 Besucher anzog.
Von Portugal bis Griechenland
Neben Italien, Spanien und Frankreich planen auch die Mittelmeeranrainer Portugal und Griechenland deutliche Zuwächse bei der installierten Solarleistung bis 2020. Portugal will in den kommenden Jahren 850 Megawatt an solaren Neuinstallationen ans Netz bringen. Damit wäre es immerhin der siebtgrößte Photovoltaik-Stromerzeuger innerhalb der EU. „Doch der Kuchen ist in Portugal schon verteilt“, meint Raphael Krause von Sinosol. Neben dem Strom-Monopolisten Energias de Portugal (EDP) sind auch die großen spanischen Konzerne präsent.
Umfangreicher sind die Pläne Griechenlands, das bis 2020 rund 2.000 Megawatt an neuen Solarkraftwerken aufbauen will. Im Juni hatte die Regierung in Athen die bestehenden Einspeisetarife für Anlagen mit einer Leistung ab zehn Kilowatt bestätigt. Lediglich die Förderung auf den griechischen Inseln, die nach alter Regelung noch eine Besserstellung kleinerer Anlagen vorsah, wurde vereinheitlicht. Alle sechs Monate werden die Tarife für Neuanlagen nun gesenkt. Das führt zu einer Reduzierung für Kraftwerke größer 100 Kilowatt von 39,5 Cent je Kilowattstunde im August 2010 auf 29,4 Cent vier Jahre später. Auf dem Papier sind die Vergütungen durchaus attraktiv, was Firmen wie die deutsche Conergy-Gruppe für verstärkte Vertriebsaktivitäten nutzen. Doch der Großteil der Branche scheint eher skeptisch. Griechenland habe derzeit wirklich andere Probleme als die Photovoltaik zu fördern, ist immer wieder zu hören.
Wie viel diese Ausbaupläne tatsächlich wert sind, welche die verschiedenen EU-Staaten in den vergangenen Wochen nach Brüssel geschickt haben, ist also noch völlig offen. Investoren werden sich in manchen Ländern auf Wartezeiten einstellen müssen – für Franzosen ein Anlass, sich mal wieder einen guten Wein zu gönnen.
Einspeisevergütung Italien (in Euro-Cent pro Kilowattstunden) | ||||||
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Inbetriebnahme zwischen 31.12.2010 und 30. 04. 2011 | Inbetriebnahme zwischen 30. 04. 2011 und 31. 08. 2011 | Inbetriebnahme zwischen 31. 08. 2011 und 31. 12. 2011 | ||||
Aufdach-Installationen | Übrige Installationen | Aufdach-Installationen | Übrige Installationen | Aufdach-Installationen | Übrige Installationen | |
1 bis 3 kW | 40 | 36 | 39 | 35 | 38 | 33 |
3 bis 20 kW | 38 | 34 | 36 | 32 | 34 | 30 |
20 bis 200 kW | 36 | 32 | 34 | 31 | 32 | 29 |
200 bis 1.000 kW | 34 | 30 | 31 | 27 | ||
1.000 bis 5.000 kW | 35 | 31 | 33 | 29 | 30 | 26 |
über 5.000 kW | 33 | 30 | 31 | 28 | 29 | 25 |
Photovoltaik-Dachintegration 2011 (innovative Architektur) | ||||||
1 bis 20 kW | 44 | |||||
20 bis 200 kW | 40 | |||||
über 200 kW | 37 | |||||
Quelle: National Action Plan Renewable Energy |
Einspeisevergütung Frankreich (in Euro-Cent je Kilowattstunde) | ||
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bis 31.08.10 | ab 01.09.2010 | |
Gebäudeintegrierte Anlagen | ||
Wohngebäude, kleiner 3 kW | 58 | 58 |
Wohngebäude, größer 3 kW | 58 | 51 |
Schul- und Gesundheitsgebäude | 58 | 41 |
Andere öffentliche/gewerbliche Gebäude | 50 | 44 |
Vereinfachte Dachintegration | 42 | 37 |
Freiflächenanlagen | ||
Nordfrankreich | 37,68 | 33,12 |
Südfrankreich | 31,4 | 27,6 |
Überseegebiete | 40 | 35,2 |
Quelle: Wirtschafts- und Finanzministerium Frankreich |