Die bayerische Landesregierung lehnt den Vorschlag der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner ab, die Energiewende teilweise auf Pump zu finanzieren. Sie stößt nicht nur in den eigenen Reihen auf heftigen Widerstand. Auch die Opposition kritisiert die Idee als unausgegoren. Gehör findet die Ministerin bei der Wirtschaft und bei Verbraucherschützern.
Die Landesregierung von Bayern hat ihre Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) zurückgepfiffen. Auf der heutigen Ministerrunde wurde deren Vorschlag, die Energiewende teilweise über Kredite zu finanzieren, auf Eis gelegt. Konkret heißt es aus der Staatskanzlei in München zu diesem Thema: „Auch die Überlegung von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zu einer Fondslösung wurde inhaltlich beraten. Diese Überlegung wird derzeit nicht weiterverfolgt.“ Die Regierung in München will sich bei der Energiewende jetzt erst einmal auf die Umsetzung der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag konzentrieren. „Im Vordergrund stehen hierbei insbesondere die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) sowie Maßnahmen zur Sicherung der Grundlastfähigkeit“, heißt es in einer Mitteilung aus der Staatskanzlei. Damit ist die Debatte aber noch nicht beendet. Denn „weitergehende Überlegungen werden gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen“, betont die Ministerrunde.
Der Chef lehnt ab
Hintergrund der Debatte ist der Vorschlag von Ilse Aigner, die EEG-Umlage pauschal auf 4,9 Cent pro Kilowattstunde abzusenken. Die fehlenden Mittel für die Finanzierung der festen Einspeisevergütung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen sollen aus einem Fonds kommen, der aus Krediten gespeist wird. Nach dem Auslaufen der EEG-Umlage aufgrund der Marktfähigkeit regenerativen Stroms sollen die Stromkunden die Schulden abtragen, die durch den Fonds angehäuft wurden. Mit dieser Idee stößt Aigner auf offene Ohren bei der Wirtschaft und bei Verbraucherschützern, geht damit aber in eine offene Konfrontation zu ihrem Partei- und Landeschef Horst Seehofer, der diesen Vorschlag rundweg ablehnt.
Ausnahmsweise sinnvoller Debattenbeitrag
Immerhin lobt der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion von B90/GRÜNE im Bundestag Oliver Kirschner den Vorstoß von Aigner als einen ausnahmsweise sinnvollen Debattenbeitrag der CSU, auch wenn er inhaltlich nicht tragbar ist. „Die Stromerzeugungskosten aus Wind und Sonne sind in den letzten zehn Jahren um bis zu 80 Prozent gefallen“, erklärt Krischer. „Wind und Sonne sind damit weltweit zu günstigen Formen der Stromerzeugung geworden. Sie produzieren schon heute Strom günstiger als neue Kohle- oder Gaskraftwerke. Diese beispiellose Technologieentwicklung macht inzwischen den Großteil der EEG-Umlage aus, die Stromverbraucher heute zahlen. Deshalb ist es richtig darüber nachzudenken, ob die Finanzierung dieser Energieinnovation zumindest teilweise nicht besser über einen staatlichen Kapitalfonds abgewickelt wird anstatt allein über eine Umlage auf den Strompreis.“ Allerdings lehnt auch Krischer eine ausschließlich zeitliche Streckung der Kosten ab. Das greife zu kurz, betont er. „Es muss auch über andere Finanzierungsformen nachgedacht werden, die gerechter sind. Es kann nicht sein, dass nur Privathaushalte und nicht befreite Industrie und Gewerbe zahlen. Diese Frage der Gerechtigkeit geht der CSU-Vorschlag mit der bloßen zeitlichen Streckung nämlich nicht an.“
Kritik aus der Opposition
Damit bringt Krischer auf den Punkt, was auch sein Vorgänger als energiepolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag Hans-Josef Fell kritisiert. „Der Vorschlag der bayerischen Energieministerin Ilse Aigner bedeutet nichts anderes, als die mit Lohndumping und Energieverschwendung erschlichenen EEG-Umlagebefreiungen vieler Unternehmen mit Milliardenschulden auch noch von künftigen Stromkunden bezahlen zu lassen“, sagt Fell. „Um in den Vorteil der EEG-Umlagebefreiung zu kommen, nutzen immer mehr Unternehmen skrupellose Praktiken. Sie setzen reguläre Arbeitskräfte auf die Straße und dafür Billiglohnkräfte wie Leiharbeiter ein, um die Grenze zur Energieintensität von 14 Prozent Energieanteil an der Bruttowertschöpfung zu überschreiten. Denn anders als die Kosten für Festangestellte können Betriebe die Kosten für Leiharbeiter von der Bruttowertschöpfung abziehen. Sie treiben mit massiver Stromverschwendung den Stromverbrauch nach oben oder gründen eigens Tochtergesellschaften, die so organisiert sind, dass sie die Grenze zur EEG-Umlage befreienden Stromintensität überschreiten. Zudem kaufen immer mehr Unternehmen den Strom an der Börse und profitieren so schon – anders als Privatverbraucher – vom billigen Solar- und Windstrom.“
Wirtschaft hofft auf niedrige Strompreise
Die Wirtschaft hingegen unterstützt Aigners Vorschläge einer kurzfristigen Absenkung der Strompreise auf Kosten der Verlängerung der Zahlung der EEG-Umlage. „Die Strompreise in Deutschland sind zu hoch und im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig“, behauptet Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). „Bei uns zahlt die Industrie für ihren Strom 50 Prozent mehr als in Frankreich und mehr als doppelt so viel wie in den USA“, rechnet er vor. „Wir brauchen deshalb die Doppelstrategie: sofortige Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die einen weiteren Anstieg der EEG-Umlage verhindert, und die sofortige Senkung der EEG-Umlage auf unter fünf Cent pro Kilowattstunde. Seit mehr als zwei Jahren fordert die vbw die Abschaffung der Stromsteuer. Wenn der Bundesgesetzgeber dies nicht will, bleibt als Alternative die Fondslösung.“
Langfristige Mehrkosten
Mit einem solchen Fonds, wie ihn Aigner vorschlägt, lassen sich zwar die Stromkosten am Industriestandort Deutschland kurzfristig senken. Aber ob es tatsächlich die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland stärkt, wie es der vbw behauptet, bleibt zumindest zweifelhaft. Denn dann müsste die EEG-Umlage länger bezahlt werden. Dazu kommen noch Zinsen für die Kredite, mit denen der Fonds finanziert werden soll. Das bedeutet, die nicht privilegierten Stromverbraucher zahlen zwar erst einmal weniger, aber sie müssen für die Energiewende weiter bezahlen, nachdem die Finanzierung eigentlich abgeschlossen wäre. „Die EEG-Umlage jenseits von 4,9 Cent pro Kilowattstunde mit Krediten zu finanzieren, heißt nichts anderes, als kommende Generationen mit den weitgehend ungerechtfertigten Vorteilen heutiger Industrieentlastungen zu belasten“, kritisiert deshalb Hans-Josef Fell. „Jahrzehntelang müssen dann Stromkunden Schulden abbezahlen, die zunehmend dazu dienen, Fehler in der Berechnung der EEG-Umlage aufrecht zu erhalten, statt diese endlich zu korrigieren.“ Tatsächlich würde die EEG-Umlage durch die Abschaffung der Industrieprivilegien mehr als die von Aigner anvisierten 1,4 Cent pro Kilowattstunde sinken. Immerhin fließt fast ein Viertel des Stroms mit verminderter EEG-Umlage durch das deutsche Netz. Das bezahlen die mittelständischen und privaten Verbraucher mit einer um 20 Prozent höheren EEG-Umlage. Dazu kommt noch das auf die zentrale konventionelle Stromerzeugung ausgerichtete Design des Strommarktes. Denn mit sinkenden Börsenstrompreise, die auf den Merit-Order-Effekt zurückzuführen sind, steigt die EEG-Umlage. „Die längst überfällige Korrektur dieser beiden Kostenanteile – Ausnahmeregelungen für Unternehmen und sinkende Strombörsenpreise – würde die Stromkunden also mehr entlasten, ohne irgendwelche Schulden aufzunehmen“, sagt Fell. „Zudem führt der zukünftige Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mehr zu einer nennenswerten Belastung der EEG-Umlage und braucht Aigners Schuldentöpfe daher gar nicht. Die Begründung Aigners, die Energiewende sei mit Schuldenaufnahme besser zu finanzieren, ist daher nur ein Vorwand, um die Industrieprivilegien zu erhalten, die in Wahrheit von diesen Krediten finanziert werden sollen“, wirft Fell der bayerischen Wirtschaftsministerin vor. (Sven Ullrich)