Die Räumung im Hambacher Forst ist vorbei, die Rodung vorerst gestoppt. Eine Atempause, in der nicht nur die Kohlekommission über Alternativen nachdenken kann. Denn die Kohlereviere an Mulde, Spree und Rhein bergen enorme Chancen für die Energiewende.
Wenn man die Diskussionen über den Ausstieg aus der Kohle verfolgt, muss man vor allem zwei Dinge mitbringen: Geduld und Fantasie. Geduld, weil es um historische Veränderungen geht. So etwas braucht eben Zeit, im Osten wie im Westen. Geduld, weil sich die notwendigen Veränderungen in manchen Köpfen nur sehr langsam vollziehen, quasi durch die Hirnwindungen tropfen, kriechen, sickern. In diesem Sinne ist die politische Kaste im Osten wie im Westen erstaunlich ähnlich gestrickt: Ihre Trägheit beim Kohleausstieg ist das erste wirklich gesamtdeutsche Projekt schlechthin.
Wer bringt die Jobs?
Doch die Geduld hat ein Ende, wird langsam belohnt. Mittlerweile geht es in den Debatten, Interviews und Talkshows nicht mehr darum, ob Ausstieg oder nicht. Sondern um die Modalitäten des Übergangs, neudeutsch: des Strukturwandels. Die Kardinalfrage lautet: Wie gelingt es, den betroffenen Regionen eine wirtschaftliche Zukunft zu geben?
Dabei wird – ebenfalls unisono in Ost und West – vor allem von Jobs gesprochen. Es wird kaum darüber geredet, was mit den gigantischen Gruben geschehen soll, mit den unzähligen Restlöchern, Kanälen, Straßen, Halden, Brachen und Gebäuden, die zur Kohle gehörten. Oder mit den Kraftwerken, die nach der Abschaltung niemand mehr braucht. Wer macht die Sauerei eigentlich weg, und wer zahlt die Zeche?
Die Säure aus den Halden
Die gute Nachricht zuerst: Kohle erzeugt keinen radioaktiven Abfall. Man könnte die Flächen, die gemäß Bergrecht zu sichern sind, problemlos verwerten. Die schlechte Nachricht: Die Abraumhalden stecken voll von Mineralien, die einst hunderte Meter unterm Mutterboden schlummerten. Die besser nicht ans Tageslicht hätten kommen dürfen.
Beispiel Lausitz: Werden die Pumpen abgestellt, laufen die Tagebaue nach und nach voll, steigt das Grundwasser auf. Doch der Abraum enthält giftige Pyrite. Das sind schwefelhaltige Mineralien, die das Wasser versäuern. Deshalb vergiftet der steigende Pegel in den Gruben den Spreewald, das touristische Kleinod in dieser Region. Die saure Suppe tötet alles, was am Ufer und unter der Wasseroberfläche wachsen könnte. Sie hinterlässt braune, leblose Ödnis.
Dennoch schwadronieren die Politiker (lokal, regional, föderal) vom Tourismus und vom Wassersport, wenn die gigantischen Mondkrater eines Tages vollgelaufen sein werden. Was davon zu halten ist, sieht man in der Gegend südlich von Leipzig: Zwar lauert dort weniger Säure in den Halden, enthalten die Böden mehr Kalk, wirken neutralisierend. Zwar sind einige Tagebaue mittlerweile geflutet, bis zum Rand.
Keine Seen in Neuseenland
Doch auch „Neuseenland“ hat eigentlich keine Seen. Sondern gigantische Schüsseln: viel Wasser, aber keine Pflanzen, Lurche oder Fische. Tote Löcher sind das! Das einzige Leben an der Grube ist ein bisschen Wassersport – jawoll! Es gibt ein paar Wassergrundstücke mit Ausblick auf die Böschung gegenüber – jawoll! Tragende Konzepte sehen anders aus.
Manche Politiker schwärmen vom Ausbau des Breitbandgiganetzes, um Startups in die alten Kohlereviere zu locken, eine neue Gründerszene. Carbon Valley ausgerechnet in Düren, Borna oder Lauchhammer? Die jungen Gründer wären längst da, wenn es irgendwie lukrativ wäre. Mit dem Ausbau des Internets hat das nichts zu tun. Niemand geht in die Wüste, der er am Puls der Zeit bleiben will. (HS)
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