Mehr als zehntausend Menschen versammelten sich am Samstag in Berlin, um gegen das von der Bundesregierung geplante Ausbremsen der Energiewende zu protestieren. Sie fordern den Bundestag auf, den Gesetzentwurf der Regierung so zu ändern, dass die Photovoltaik, die Windenergie, die Bioenergie und die Wasserkraft wieder eine Chance haben.
Die Demonstration gegen das Ausbremsen der erneuerbaren Energien am vergangenen Samstag in Berlin war ein voller Erfolg – zumindest was die Teilnehmerzahl betrifft. Nach Angaben der Veranstalter haben sich 12.000 Menschen neben dem Berliner Hauptbahnhof versammelt und haben mit etwa 120 Booten, Kanus und Flößen auf der Spree sowie einem Demonstrationszug entlang des Flussufers gefordert, die Energiewende nicht kentern zu lassen. Anschließend bewegte sich der Demonstrationszug durch das Berliner Regierungsviertel. „Die Bundesregierung bremst die Energiewende aus, setzt wieder auf Kohlekraft und gefährdet den Atomausstieg“, betont Christoph Bautz, Sprecher des Kampagnennetzwerkes Campact, das die Demonstration mit organisiert hat. „Doch diese Rolle rückwärts in der Energiepolitik trifft auf den breiten Widerstand der Bürger. Sie fordern Bundestag und Bundesrat auf, für eine grundlegende Überarbeitung der EEG-Reform zu sorgen. Während Großunternehmen und Kohlekraftwerke mit Milliarden subventioniert werden, wird die Windkraft gedeckelt und der Ausbau der Solarenergie mit einer Sonnensteuer abgewürgt. Jetzt sind Abgeordnete und Ministerpräsidenten gefragt, diesen Unsinn zu stoppen.
Kritik am Gesetzentwurf
Auf der Abschlusskundgebung vor der CDU-Parteizentrale in Berlin-Tiergarten kritisierte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland Hubert Weiger den Gesetzentwurf. „Die Pläne der Bundesregierung zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verzögern die Energiewende“, betont er. „Das Parlament muss nachbessern und ein Gesetz verabschieden, das die Energiewende beschleunigt anstatt sie abzuwürgen. Deutschland steht vor einer Richtungsentscheidung. Entweder reißen einige wenige Stromkonzerne den Ausbau der erneuerbaren Energien an sich oder er erfolgt verbrauchernah in den Händen hunderttausender Bürgerinnen und Bürger.“ Statt die Energiewende auszubremsen sollte die Regierung lieber alles unternehmen, um den Ausbau von Photovoltaik und Windenergie in den Städten voranzutreiben, sagt Weiger mit Blick auf die Weigerung der Regierung, Solarstrom für Mieter in Mehrfamilienhäusern mit der vollen EEG-Umlage zu belasten.
Harte Worte aus der Branche
Auch die Vertreter der Branchen der erneuerbaren Energien fanden harte Worte der Kritik. „Bislang ging die Energiewende stark von den Bürgern aus. 84 Prozent der Deutschen möchten am liebsten direkt mit Ökostrom aus der Region versorgt werden, wie eine repräsentative Unfrage von TNS Emnid belegt. Wenn die Bundesregierung nun das Grünstromprivileg streicht, wird die Stromlieferung aus heimischen EEG-Anlagen in vielen Fällen unwirtschaftlich“, warnt Fritz Brickwedde, Präsident des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), der dadurch die Akzeptanz der Energiewende bedroht sieht. „Wer die Nutzer der Solarenergie künftig abkassieren will und Klimasünder gleichzeitig in großem Stil entlastet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt“, ergänzt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW Solar). „Die geplante ‚Sonnen-Steuer‘ soll die Energiewende abwürgen. Wir dürfen keinesfalls zulassen, dass sie das Licht der Welt erblickt. Die Politik darf Bürger und Unternehmen nicht daran hindern, ihre Energieversorgung umweltfreundlich selbst in die Hand zu nehmen. Sie sollte sie vielmehr tatkräftig dabei unterstützen.“
„Atomkraftwerke schneller abschalten“
Mit Blick auf die Probleme, die die alte Stromwirtschaft in Konkurrenz zur neue dezentralen Stromerzeugung in den Netzen machen, erklärt Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt: „Würden die Atomkraftwerke schneller als geplant abgeschaltet, verringern sich die riesigen Überkapazitäten im deutschen Strommarkt. Damit stabilisiert sich der Börsenpreis und die EEG-Umlage sinkt. Doch die Bundesregierung plant das Gegenteil: 2017 soll es für die alten maroden Reaktoren eine gigantische Steuerbefreiung geben, da ihr Betrieb sonst nicht mehr rentabel wäre. Das ist Energiewende paradox“, kritisiert er. Noch paradoxer wird es, wenn die Bundesregierung auf das „vergiftete“ Angebot der Energieriesen RWE, Eon und EnBW eingeht. Diese haben dem Bund angeboten, zusammen mit ihm eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu gründen die den milliardenteuren Abriss der alten Atomkraftwerke und die Finanzierung der Lagerung des Atommülls übernehmen soll. Damit wollen die Stromkonzerne die Folgekosten aus der Nutzung der Kernenergie dem Steuerzahler aufbürden. Sie bieten zwar für die alten Atommeiler eine „Mitgift“ von 30 Milliarden Euro an, doch reicht diese Summe bei weitem nicht aus, um die gesamten Folgekosten zu decken. „Als gewinnorientierte Aktionsgesellschaften haben die Stromkonzerne ihr Angebot an den Bund sicherlich genau durchgerechnet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie viel Geld sparen können, wenn am Ende die Steuerzahler die Kostenrisiken beim Abriss der AKW und der Lagerung des Atommülls tragen“, vermutet Jochen Stay. „Jahrzehntelang haben die AKW-Betreiber damit geworben, wie kostengünstig ihr Atomstrom sei. Und jetzt, da das teure Ende droht, wollen sie sich davonstehlen. Wenn die Atomkraftwerke aber so unrentabel sind, dass sie noch nicht einmal ihre Abriss- und Entsorgungskosten einspielen, dann sollten sie sofort abgeschaltet werden und nicht erst 2022“, fordert er.
Billiger Erpressungsversuch der alten Stromwirtschaft
Auch aus der Opposition kommt Kritik an dem Vorschlag der Energiekonzerne. „Der ist ein billiger Erpressungsversuch“, sagt Oliver Krischer, stellvertretender Vorsitznder der Fraktion von B90/Grüne im Bundestag. „Es kann nicht sein, dass RWE, Eon, Vattenfall und EnBW jahrzehntelang Milliarden mit Atomkraft verdient haben und jetzt am Ende die Kosten des Atommülls auf die Gesellschaft und die Steuerzahler übertragen wollen. Nun zeigt sich, wie fatal Merkels Laufzeitverlängerung 2010 war: Nur deshalb ist die Bundesregierung wegen der anstehenden Klagen der Energiekonzerne erpressbar. Die Episode Laufzeitverlängerung kommt Deutschland am Ende teurer zu stehen als die gesamte Energiewende“, rechnet Krischer vor. „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Energiekonzerne voll für die Abwicklung der Atomkraft zahlen und haften. Ansonsten bewahrheitet sich auch hier wieder: Die Gewinne werden privatisiert, die Kosten aber sozialisiert. Dazu gehört, die Rückstellungen in den Konzernbilanzen in Höhe von 30 Milliarden Euro unter öffentliche Kontrolle zu bringen, die Konzerne aber nicht aus der Haftung zu entlassen. Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor allem von RWE gibt es erhebliche Zweifel, ob die Rückstellungen in den Konzernbilanzen überhaupt noch werthaltig sind. Es muss deshalb dringend geklärt werden, was an Werten für den AKW-Rückbau wirklich da ist und wie diese zum Beispiel im Falle von Insolvenz oder Verkauf von RWE gesichert werden können“, warnt Krischer. (Sven Ullrich)