Ohne weitere Maßnahmen wird Deutschland seine Klimaziele für 2030 im Stromsektor um rund 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid verpassen. Ein teilweiser Kohleausstieg könnte das ändern. Die Klimaziele wären mit tragbaren Zusatzkosten erreichbar.
Deutschland muss zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um sein selbst gestecktes Klimaziel im Stromsektor zu erreichen. Dafür müssten die Kohlendioxidemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken. Dies ergibt die druckfrische Studie „Closing the emissions gap: Germany’s 2030 climate policy options in the power sector“ der Forscher von Aurora Energy Research. Die Experten haben die verbleibende Lücke untersucht und Optionen verglichen, mit denen die Klimaziele noch erreicht werden können. Betrachtet werden ein Kohleausstieg bis 2040, ein regionaler CO2-Mindestpreis einiger ehrgeiziger EU-Staaten und ein Ausbau der Förderung von Kraftwärmekopplung (KWK).
„Aus ökonomischer Sicht wäre ein europaweiter Kohlendioxidpreis die bevorzugte Variante zum Erreichen der Klimaziele“, sagt Andreas Löschel, Professor für Energie- und Ressourcenökonomik an der Universität Münster und Mitglied des deutschen Beirats von Aurora Energy Research. Allerdings müsse er über den derzeitigen europäischen Emissionshandel hinausgehen, weil dieser auf die weniger ehrgeizigen europäischen Einsparungsziele ausgerichtet sei. „Zudem müsste der ambitioniertere Mindestpreis auf gesamteuropäischer Ebene vereinbart werden, sonst verschiebt sich ein erheblicher Teil der Emissionen in nicht teilnehmende Nachbarländer.“
Kohleausstieg vergleichsweise günstig
Ist eine europaweite Vereinbarung nicht umsetzbar empfehlen die Autoren einen regionalen Mindestpreis für Kohlendioxid oder einen teilweisen Kohleausstieg als einfacher umsetzbare Lösungen. Die Studie ist vor diesem Hintergrund auch als Diskussionsbeitrag zu den derzeitigen Überlegungen der Bundesregierung zu sehen, einen Kohleausstieg „deutlich vor 2050“ durchzuführen.
Der Vergleich der drei Optionen ergibt, dass die durchschnittlichen Kosten pro Tonne in Deutschland vermiedenem Kohlendioxid bei einem regionalen Mindestpreis 21 Euro und bei einem Kohleausstieg 24 Euro betragen. Dagegen liegen die Kosten bei der dritten Option, einer erhöhten Förderung für KWK in Gaskraftwerken, bei 83 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Dabei berücksichtigt die Studie die Folgeeffekte auf den Börsenstrompreis, die EEG-Umlage, die Kosten für die Bereitstellung einer Kapazitätsreserve zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und eventuell notwendige zusätzliche KWK-Subventionen.
Verluste für Kraftwerksbetreiber begrenzt
Unbestreitbar würde ein Kohleausstieg für viele deutsche Kraftwerksbetreiber zusätzlich belasten. Betrachtet man jedoch die Gewinne, die den Betreibern der als erstes zu schließenden Braunkohlekraftwerke entgehen, betragen diese addiert von 2017 bis 2030 rund 1,3 Milliarden Euro. Im Gegensatz zu den 23 Milliarden Euro, die als Belastung der Atomkraftwerksbetreiber für Rückbau und Endlagerung diskutiert werden, erscheint das in der Summe vergleichsweise wenig. Die Effekte sind jedoch sehr ungleich verteilt: Ein Kohleausstieg träfe am stärksten die Betreiber der als erstes stillgelegten Kraftwerke. Allerdings sind bei den derzeitigen Strompreisen nur wenige Kohlemeiler überhaupt profitabel.
Durch den europäischen Strommarkt führen Maßnahmen wie ein deutscher Kohleausstieg zu Emissionsverschiebungen in Nachbarländer: Von den 385 Millionen Tonnen CO2, die in Deutschland bei einem Kohleausstieg zwischen 2017 und 2030 weniger emittieren würden, werden so nur 235 Millionen tatsächlich eingespart, da gleichzeitig die Emissionen in den Nachbarländern um 150 Millionen Tonnen höher wären. „Das mindert den Klimaschutzeffekt der Maßnahme um rund 40 Prozent, wodurch sich die Kosten pro wirklich vermiedener Tonne von 24 Euro auf 39 Euro erhöhen“, sagt Mitautor Manuel Köhler und Leiter von Aurora Energy Research in Deutschland. (nhp)