Pünktlich zur Vorlage der Mittelfristprognose für die EEG-Umlage flammt Mitte November in Deutschland die Diskussion über einen Deckel für die Photovoltaik wieder auf. Zunächst sprechen sich die Vertreter in der Arbeitsgruppe Energie der Regierungskoalition und die Wirtschaftspolitiker der CDU für eine Begrenzung des Zubaus bei jährlich 1.000 Megawatt aus. Zur Begründung heißt es, der Ausbau der Photovoltaik in Deutschland sei „technisch und finanziell nicht verkraftbar“. Kurz danach schließt sich auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler von der FDP diesem Ansinnen an. Seither vergeht kaum eine Woche, in der diese Forderung nicht medial in die öffentliche Diskussion gebracht wird.
Vorläufiger Höhepunkt ist schließlich ein Brief der Fraktionsvorsitzenden derRegierungsparteien an den Umweltminister Norbert Röttgen, der zugleich auch an Rösler geht. Die beiden Minister werden darin von Volker Kauder (CDU), Gerda Hasselfeldt (CSU) und Rainer Brüderle (FDP) aufgefordert, die „Reduzierung der Einspeisevergütung bei der Photovoltaik entweder durch Begrenzung des Zuwachses oder Senkung des Zielkorridors auf 1.000 Megawatt oder aber durch eine Verschärfung der Degressionsstufen bei den Vergütungssätzen oder eine Kombination aus Zielkorridor- und Degressionsstufenveränderung“ zu prüfen und Vorschläge vorzulegen.
Explizit an das Bundesumweltministerium wird der Auftrag formuliert, „eine Strategie zur Einhaltung der Zielmarke für die EEG-Umlage bei 3,5 Cent je Kilowattstunde vorzulegen“. Das Jahr 2011endet politisch für die Photovoltaik damit so Zubau, wie es begonnen hat: mit Forderungen nach einem Deckel.
Der CDU-Umweltminister Norbert Röttgen hat kein Interesse an einer starren Begrenzung. Er will am von ihm kreierten „atmenden Deckel“ festhalten, wie sein Sprecher Jürgen Maaß bestätigt. In einer Veröffentlichung des Ministeriums von Mitte November wird die „deutliche Reduktion“ der Zubauzahlen 2011 diesem Instrument zugeschrieben. Erstmals seit Einführung des EEG gab es in Deutschland keinen Marktzuwachs, sondern einen Rückgang um voraussichtlich 20 Prozent. Das Umweltministerium rechnet damit, dass es dennoch zum 1. Juli 2012 zu einer weiteren Senkung der Einspeisevergütung von sechs bis neun Prozent kommen wird. Ein weiterer Beweis,dass der „atmende Deckel“ funktioniere. Es sei absehbar, dass sich die Photovoltaik in dem gesetzlich geplanten Ausbaukorridor zwischen 2.500 und 3.500 Megawatt in den kommenden Jahren einpegeln werde. Die gesetzlich festgelegte Degression werde zudem dazu führen, dass auch die Kosten für Solarstrom weiter sinken werden, heißt es beim Ministerium.
Doch was sind die Argumente des Umweltministers wert? In dieser Debatte gibt es so viele verschiedene Ebenen, die diesen Angriff aber eben so schwerwiegend machen. Die Angriffe kommen aus unterschiedlichen Stoßrichtungen, doch sie steuern alle auf ein Ziel hin – die Photovoltaik in Deutschland endlich zu begrenzen. „Es ist ein weiterer Versuch, die Photovoltaik aus dem Weg zu räumen“, sagt Christian Breyer, Geschäftsführer des Reiner-Lemoine-Instituts (RLI) in Berlin.
Der Kampf ums Geld
Im Vordergrund steht die politische Ebene. Die Wirtschaftspolitiker der Union sehen ihre Zeit gekommen, nun ihre Machtposition gegen Röttgen zu stärken (siehe Kommentar, S.16). Dabei überlagern andere Probleme wie der Euro-Rettungsschirm die eigentliche Debatte, in deren Windschatten nun die politischen Gegner des Umweltministers agieren können. Die im Frühjahr noch heftig diskutierte Energiewende in Deutschland ist hingegen weitgehend aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Geblieben ist nur der Kampf ums Geld – auch und gerade mit Blick auf die Photovoltaik.
Röttgens größter Fehler im Frühjahr war wahrscheinlich, die Energiewende ohne große Mehrkosten zu versprechen. Ein grundlegender Wandel des Energiesystems ist aber eben nicht zum Nulltarif zu haben. Die Photovoltaik muss dann gern als Sündenbock herhalten, weil sie momentan eben erst gut drei Prozent der Stromversorgung in Deutschland decken kann, zugleich aber rund die Hälfte der Einspeisevergütungen ausmacht. In einigen Jahren wird sich dies grundlegend ändern – nur eben wird dies in der momentanen Debatte gern unter den Tisch fallen gelassen.
Andererseits sind die Angriffe aber auch ein Indiz, dass die Erfolge der Photovoltaik neue Ängste schüren – gerade weil sie sich in absehbarer Zeit zu einer ernst zu nehmenden Größe in der deutschen Energieversorgung entwickelt. Wiederholt äußern die Befragten die Vermutung, dass die im Wirtschaftsministerium gut vernetzte Braunkohle-Lobby hinter der neuen Deckel-Forderung für die Photovoltaik steckt. Die Wirtschaftlichkeit vieler fossiler Kraftwerke steht auf dem Spiel, je mehr die Erneuerbaren ausgebaut werden. „Ein Braunkohlekraftwerk kann nur wenige Kaltstarts pro Jahr verkraften“, sagt Volker Quaschning, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Momentan seien diese Kraftwerkenoch wahre Gelddruckmaschinen. Wenn erst einmal die Atomkraftwerke vom Netz sind, dann könnte sich dies schnell ändern. Die Braunkohlekraftwerke sind die nächsten, die dann nicht mehr zu einem Stromnetz mit fluktuierenden erneuerbaren Energien passen werden.
Deshalb schieben die Kritiker der Photovoltaik nun auch wieder die Kosten ins Blickfeld. Sie werden plastisch an der EEG-Umlage und damit an der steigenden Belastung für die Stromkunden festgemacht. Dabei haben deren gestiegene Kosten wenig mit dem Ausbau der Erneuerbaren, sondern fast ausnahmslos mit den zunehmenden Privilegien für Industriebetriebe zu tun (siehe photovoltaik 11/2011, S. 16).
Die Kostensenkungen bei der Photovoltaik in den vergangenen Jahren sind hingegen enorm. „Die ersten Photovoltaikanlagen in Deutschland haben bereits jetzt die Netzparität erreicht“, sagt Chris
tian Breyer. „Dies ist ein Meilenstein, aber kein Grund, auf die Förderung zu verzichten.“ Nun beginne die Zeit, in der sich der finanzielle Spielraum für die Speichersysteme ergebe (vgl. Grafik, S. 15). In wenigen Jahren könnten Speicher bereits wirtschaftlich zu betreiben sein.
Dafür ist es allerdings notwendig, diese Systeme zu einer Massenware werden zu lassen. In dieser Beziehung hat die Bundesregierung die letzten 10 bis 15 Jahre einfach verschlafen, ergänzt Quaschning. Er sieht dringenden Handlungsbedarf, wenn es um die weitere Entwicklung der Speichersysteme geht, aber auch um den Netzausbau. Gerade bezüglich von Speichersystemen sieht Quaschning aber gute Chancen, binnen weniger Jahre einen Massenmarkt aufzubauen, wenn die richtigen Anreize gesetzt werden. Zugleich sei dies aber auch eine neue Art der Bedrohung für die Energiekonzerne. „Das Thema Eigenverbrauch wird in denkommenden Jahren massiv an Dynamik gewinnen“, sagt Volker Quaschning mit Blick auf die Zukunft (siehe Seite 50). Christian Breyer ist überzeugt, dass in den kommenden Jahren die Frage kommen wird: „Wo ist der Punkt erreicht, an dem Speicher sinnvoller sind als ein Netzausbau?“ Die befragten Wissenschaftler machen sich ihre ganz eigenen Gedanken, wie es mit der Solarförderung in Deutschland weitergehen sollte. „Photovoltaik ist eine wichtige Komponente der Energiewende, zusammen mit der Energieeffizienzverbesserung insbesondere bei der dezentralen Energieversorgung hat sie eine wichtige Aufgabe. Wenn die Vergütungssätze und die Kosten weiter sinken, rechnen sich in der Zukunft Photovoltaikanlagen auch ohne große Förderungssteigerung. Daher sollte man den Zubau nicht beschränken – wohl aber die Vergütungssätze“, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
In eine ganz andere Richtung gehen die Ideen von Volker Quaschning und Christian Breyer. Beide befürworten die Einführung regional angepasster Einspeisetarife, um einen möglichst gleichmäßig über Deutschland verteilten Photovoltaikzubau zu erreichen. „Damit lässt sich zum einen Solarstrom verbrauchernah erzeugen, zum anderen lassen sich die Netzausbaukosten begrenzen“, sagt Breyer.
EEG-Umlage mit Kosten überladen
Mittelfristig – so sind beide Wissenschaftler überzeugt – wird Solarstrom den Strompreis dämpfen. Dies hilft in der gegenwärtigen Debatte allerdings nicht viel weiter. „Die EEG-Umlage ist mit Kosten überladen, die nichts mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu tun haben“, sagt der RLI-Geschäftsführer mit Blick auf die zunehmenden Ausnahmeregelungen für die Industrie. Daher fordert er nicht nur, die EEG-Umlage auf eine neue Berechnungsgrundlage zu stellen, sondern auch eine reelle Ermittlung des sogenannten Merit-Order-Effekts, der kostendämpfend wirkt, und mehr Transparenz an der Strombörse. Außerdem gehe immer wieder unter, dass Photovoltaik viel weniger externe Kosten verursache als etwa Atomkraft und Kohle, sagt RLI-Geschäftsführer Breyer.
Ein Punkt, den Quaschning ebenfalls anspricht. „Die Verteilungskämpfe
haben begonnen“, sagt er auch mit Blick auf die stetigen Angriffe des EU-Energiekommissars Günther Oettinger auf die Photovoltaik und das deutsche EEG. Aus seiner Sicht leistet die Solarbranche zu wenig Lobbyarbeit, um den Beitrag der Photovoltaik zur Energiewende mehr herauszustellen und auch die Parteien und Menschen mitzunehmen. „Es fehlt die Vision“, sagt Volker Quaschning.
Beim Bundesverband Solarwirtschaft setzt man indes auf Argumente. „Relevante Anschubinvestitionen waren für die erfolgreiche Entwicklung der Solarindustrie notwendig. Sie werden sich langfristig volkswirtschaftlich mit mindestens 50 Milliarden Euro auszahlen. Eine Begrenzung des Zubaus hätte auf diese Anschubinvestitionen keinen Einfluss mehr. Der weitere Ausbau der Photovoltaik selbst fällt kostenmäßig nicht mehr ins Gewicht“, kommentiert dessen Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig die laufende Debatte.
Die politischen Gegner stützen sich bei ihrer Argumentation für einen Deckel aber nicht nur auf die Kostenfrage, sondern auch auf die angeblich gefährdete Netzstabilität. Breyer und Quaschning widersprechen. Der RLI-Geschäftsführer hält einen weiteren Ausbau der Photovoltaik von jährlich fünf Gigawatt für absolut machbar. Quaschning betrachtet die Ausbauziele der Bundesregierung als nicht ausreichend. Aus seiner Sicht sind sieben bis acht Gigawatt neu installierter Leistung pro Jahr absolut notwendig, um die Energiewende und die angestrebte Minderung der Treibhausgase zu erreichen. Es gibt aus Sicht der Wissenschaftler allerdings einige Grundvoraussetzungen, die für den weiteren zügigen Ausbau der Photovoltaik zu berücksichtigen sind.
Regionale Einspeisetarife
„Statt über einen Deckel zu diskutieren, sollten sich die Politiker lieber Gedanken über wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und die Weiterentwicklung von Speichern machen“, sagt Volker Quaschning. So ist es aus seiner Sicht wichtig, dass Speichersysteme schnell zu einer Massenware werden und deren Einsatz mit variablen Stromtarifen zusätzlich angereizt wird. Außerdem sollte die Photovoltaik regional gleichmäßiger über Deutschland verteilt werden, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Bislang konzentriere sich der Zubau zu sehr auf Süddeutschland und die Konversionsflächen im Osten. Gerade in sonnenreichen Frühjahrs- und Sommermonaten stießen die Netze im Süden des Landes bereits jetzt an ihre Grenzen, sagt Quaschning. Dies ließe sich ändern, wenn differenzierte Vergütungsstufen mehr Anreize für den Bau von Anlagen in bislang ausbauschwachen Regionen setzten. Gerade in den Städten gibt es nach Ansicht des HTW-Professors noch große Potenziale. Damit käme dann ein weiterer Vorteil der Photovoltaik zum Tragen – Solarstrom lässt sich verbrauchernah erzeugen, wie Quaschning sagt.
In der Tat läuft die Bundesregierung mittlerweile Gefahr, hinter ihre eigenen Photovoltaik-Ausbauziele bis 2020 zurückzufallen, zumal wenn sich eine Deckelung des Marktes politisch durchsetzen wird. Ende 2011 dürften in Deutschland rund 23 Gigawatt Photovoltaikleistung am Netz gewesen sein. Das Ziel der Regierung ist laut Nationalem Aktionsplan, dies bis 2020 auf 53 Gigawatt zu steigern. Doch wie sollen 30 Gigawatt in neun Jahren installiert werden, wenn nur noch ein Gigawatt gefördert wird?
„Würgender Deckel“ droht
Das Beispiel Spanien zeigt, wie schnell Photovoltaikmärkte zum Erliegen kommen, wenn die Regierung mit einer Deckelung den Investoren jegliche Planungssicherheit nimmt. Doch nicht nur eine starre Begrenzung lässt die Branche zittern. Ein weiteres Szenario wäre der „würgende Deckel“, wie ihn Grünen-Energieexperte Hans-Josef Fell nennt. Dieser bedeutet, die Bundesregierung senkt den Zielkorridor für den jährlichen Zubau von derzeit 3.500 auf 1.000 Megawatt und erhöht gleichzeitig die Degressionsschritte von drei auf fünf Prozent. Auch dies würde vermutlich den Photovoltaikmarkt in Deutschland schnell zum Erliegen bringen.
Es ist ein dünnes Eis, auf dem sich Röttgen und die Solarindustrie derzeit bewegen. Spätestens Ende Januar sollte klar werden, wohin die Reise gehen wird. Es wird sich zeigen, ob die Photovoltaik in Deutschland eine Zukunft hat oder ob der 2011 öffentlich bekundete Wille zur Energiewende, zu dem auch der Ausbau der Photovoltaik gehört, nur Show war.
Röttgen und Rösler haben bis zum 25. Januar Zeit für ihre Vorschläge. Dann tagt erneut die Koalitionsarbeitsgruppe „Energie“, aus deren Feder die Aufträge stammen. Aus Röttgens Ministerium gibt es zu dem Brief der Fraktionsvorsitzenden nur eine sehr schmallippige Antwort. „Der Minister wird den Brief beantworten“, erklärt sein Sprecher Maaß. Das Ministerium ist sich durchaus der Tragweite des Angriffs bewusst. Zumal die EEG-Novelle zum Zeitpunkt, als sich die Gegner in Stellung brachten, noch nicht einmal in Kraft war.