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Ambitionierte Ziele

Dass die Bundesländer beim Ausbau der erneuerbaren Energien eine gewichtige Rolle spielen, spürt im Moment ganz besonders die Windbranche: Seit dem Atomunfall im japanischen Fukushima steht der Ausbau der Windkraft auch bei bisher windskeptischen Landesregierungen ganz oben auf der Tagesordnung. Konsequenzen für einen schnelleren Ausbau der Photovoltaik forderte der bayerische Agrarminister Helmut Brunner (CSU): Er würde im EEG gerne wieder eine großzügigere Förderung von Freiflächenanlagen sehen, und zwar nicht nur – wie vor der jüngsten Novelle – fürAckerflächen, sondern auch für Grünland. Dabei können die Regionen den Ausbau der Photovoltaik auch ohne Rückenwind aus Berlin beschleunigen.

Länder überholen den Bund

Wenn es um die Formulierung von Ausbauzielen geht, sind die Länder dem Bund jedenfalls weit voraus. Während die Bundesregierung bis 2020 die Zielmarke von 35 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien anpeilt, summieren sich die Länderziele laut Deutscher Energie-Agentur auf mehr als die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs. Viele Landkreise, Kommunen und Energieregionen und sogar das Bundesland Rheinland-Pfalz gehen weit darüber hinaus: Sie wollen schon bis 2030 wenigstens bei Strom eine Vollversorgung aus Erneuerbaren erreichen. Je näher an der Basis, also je dezentraler, umso eher halten die Akteure offenbar ehrgeizige Ziele für erreichbar.

Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, soll die Photovoltaik bis 2020 nur 5,9 Prozent zur Stromversorgung beitragen. Dabei deckte der Solarstrom im ersten Halbjahr 2011 schon 3,5 Prozent des hiesigen Strombedarfs. Auch die Branchenprognose des BundesverbandesErneuerbare Energie schätzte den Anteil des Solarstroms für 2020 auf nur 7 Prozent, bei insgesamt 47 Prozent Stromerzeugung aus Erneuerbaren. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) erhöhte die Prognose inzwischen eher moderat auf zehn Prozent. Doch selbst für dieses eher gemäßigte Ziel dürfte das jährliche Marktvolumen der Photovoltaik in Deutschland nicht weiter wachsen, sondern müsste dauerhaft um fast ein Drittel schrumpfen.

Die massiven Preis- und Kostensenkungen im Solarsektor lassen jedoch eher etwas anderes realistisch erscheinen. Nachdem die Preisparität mit den Verbraucherstrompreisen schon im kommenden Jahr erreicht werden könnte, peilt die Industrie ein ehrgeiziges Ziel an: die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Strommarkt. Auf der jüngsten PVSEC in Hamburg hat der europäische Photovoltaikverband EPIA dazu eine Studie präsentiert, die selbst in Deutschland bis 2020 Solarstrom als konkurrenzfähig einschätzt. Der Siliziumhersteller Wacker ist noch optimistischer und sieht die Konkurrenzfähigkeit mit konventioneller Stromerzeugung sogar schon Jahre früher gegeben: Das Unternehmen hält es für möglich, dass sich in Deutschland ab 2016 Photovoltaikstrom für acht Cent pro Kilowattstunde produzieren lässt. Solarstrom würde damit viel schneller wirtschaftlich werden als bisher angenommen und in allen Szenarien berücksichtigt.

Keine Rede mehr vom teuren Spielzeug

Da erscheinen die ehrgeizigen Ziele der Bundesländer nicht mehr unerreichbar. Doch mancher Meinungswandel ist dann doch überraschend. So hatte die bayerische Landesregierung, seit Jahrzehnten fest in CSU-Hand, die Photovoltaik in der Vergangenheit regelmäßig als teures Spielzeug verspottet. Mit der jetzt verkündeten radikalen Wende in der Energiepolitik setzt aber gerade das Bundesland mit den meisten Anlagen die ehrgeizigsten Ausbauziele: Schon heute steht in Bayern ein Drittel der bundesweiten Photovoltaikleistung, und in nur zehn Jahren soll sich der Anteil des Solarstroms mehr als verdoppeln – auf 16 Prozent. Was die bayerische Regierung dabei vielleicht auch im Blick hat, ist der Landtagswahltermin 2013 – und das Verhindern eines Regierungswechsels wie gerade im Nachbarland Baden-Württemberg. Doch obwohl die Grünen dort zum ersten Mal in ihrer Parteigeschichte in einem Bundesland den Regierungschef stellen, soll die Photovoltaik im Ländle in zehn Jahren nur halb so viel Strom liefern wie in Bayern.In Berlin dagegen ging der gerade beendete Wahlkampf an der Photovoltaik völlig vorbei. Wie auch in den anderen Stadtstaaten Hamburg und Bremen findet in der Hauptstadt die Solarstromerzeugung bisher fast nicht statt, der Anteil liegt heute bei weniger als einem Zehntel des bundesdeutschen Durchschnittes. Ohne jeglichen Ehrgeiz peilte die bisherige rot-rote Landesregierung für das Jahr 2020 lediglich eine Steigerung auf zwei Prozent an – also einen Anteil am Stromverbrauch, der bundesweit bereits 2010 erreicht war.

Offenbar ist es in Flächenländern leichter, die vom Bundesgesetzgeber geschaffenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Photovoltaik in den Bau von Anlagen umzumünzen. Weil es für Windkraftanlagen in den Stadtstaaten nur wenige Standorte gibt, könnten diese eher durch Photovoltaik auf Dächern und Fassaden punkten. Dass dies kaum geschieht, führen Experten auf die Eigentumsverhältnisse zurück. Gerade in Berlin ist der Anteil der Mieter mit 86 Prozent besonders hoch, und die Immobilienbesitzer zeigen bisher wenig Interesse, mit dem Bau von Solarstromanlagen neue Geschäftsfelder zu erschließen. Hinzu kommen steuerliche Hürden für Wohnungsgesellschaften. Diese dürfen neben den Mieteinnahmen nur wenige Prozent ihrer Einkünfte ausgewerblichen Umsätzen erzielen. Genau darum handelt es sich aber beim Betrieb von Photovoltaikanlagen auf ihren großen Gebäudeflächen. Diese Hürde im Steuerrecht können die Länder nur mit Hilfe des Bundes überwinden.

Baurechtsfrage lange übersehen

Anders bei der jahrelang übersehenen Baurechtsfrage, die erst durch ein Gerichtsurteil des Oberlandesgerichts Münster auf die Tagesordnung kam: Bis dahin ging man davon aus, dass in den Bauordnungen der Bundesländer die Genehmigungsfreiheit von Photovoltaikanlagen ausreichend geregelt sei. Im vergangenen Jahr zeigte sich dann, dass der gewerbliche Charakter einer netzgekoppelten Solarstromanlage auch eine andere Nutzung des Gebäudes bedeuten kann. Und auch dafür benötigen Bauherren eine Genehmigung, wenn es in den Gesetzen und Verordnungen nicht anders geregelt ist. Angepasst werden müssen dafür neben der Baunutzungsverordnung im Bund nach Expertenmeinung auch die Bauordnungen der Länder. In Thüringen und in Berlin ist diese Änderung schon erfolgt, in Nordrhein-Westfalen und Sachsen steht sie bevor. Doch bis zur Verabschiedung der angepassten BauNVO, voraussichtlich Mitte 2012, wird es keine abschließende Rechtssicherheit geben.

An den Unterschieden in der Sonneneinstrahlung zwischen den nördlichen Stadtstaaten und den südlicheren Flächenstaaten kann das geringe Interesse an der Photovoltaik in Berlin jedenfalls nicht liegen. Pro Kopf wurde in den nördlichen Flächenländern Schleswig-Holstein und Brandenburg im vergangenen Jahr deutlich mehr Photovoltaikleistung installiert als in Baden-Württemberg. „Dieser Trend widerlegt das Klischee, Solaranlagen würden sich nur in Süddeutschland lohnen“, sagt BSW-Solar-Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig.

Städte mit Nachholbedarf

Vier von fünf im Jahr 2010 neu gebauten Anlagen hatten bis zu 30 Kilowatt Leistung und fanden ihren Platz eher auf kleineren Wohndächern sowie auf Scheunen und Lagerhallen, also im ländlichen Raum. Verstärkt gebaut wurden aber auch Großkraftwerke im Megawattbereich, die größten darunter sogar in Norddeutschland. Bei den für größere Gebäude im städtischen Bereich zuerwartenden Anlagen zwischen 30 und 1.000 Kilowatt gibt es dagegen Nachholbedarf – und das vermutlich auch in den Großstädten der anderen Bundesländer. Der erste und einfachste Schritt, den Landesregierungen und Kommunalverwaltungen dazu unternehmen können, ist: konsequent landeseigene Gebäude und Flächen für Photovoltaikanlagen freigeben. So hat es in Baden-Württemberg auch Grün-Rot im Koalitionsvertrag vereinbart: „Das Potenzial der Solarenergie wollen wir über das EEG hinaus durch geeignete Rahmenbedingungen im Land stärker voranbringen. Geeignete landeseigene beziehungsweise mit Landesmitteln geförderte Dachflächen sollen vorrangig für Bürgersolaranlagen zur Verfügung gestellt werden.“ Dabei käme es auch darauf an, die Nutzung zu erleichtern, indem man die Nutzungsbedingungen und Vertragsgestaltung vereinfacht.

Ein weiteres Instrument, die Nutzung der Solarenergie voranzutreiben, ist ein Solaratlas, wie ihn beispielsweise das Land Berlin eingerichtet hat. Das Internetportal zeigt gebäudescharf das Solarpotenzial der Stadt. Immobilieneigentümer und Investoren können sich hier kostenfrei informieren, wie viel Energie ein Dach liefern kann, und ermitteln, ob sich die Investition lohnt. Ergänzt wird der Atlas durch eine Dachbörse, bei der sich Investoren um Gebäudeflächen der öffentlichen Hand bewerben können.

Photovoltaikausbau heißt in Zukunft aber nicht nur mehr Solarstromanlagen, sondern auch Systemdienstleistung und Speicherung. Für den dezentralen Ausbau können die Bundesländer ihre Einflussmöglichkeiten und Budgets nutzen, um mit den kommunalen und regionalen Energieversorgern diese zusätzlichen Aufgaben umzusetzen, in Pilotprojekten und bei der Umstellung von Stadtwerken auf die Vollversorgung mit Erneuerbaren mit einem hohen Anteil von Solarstrom. Für diese Ziele ließen sich Mittel aus den Landesetats für Forschung, Entwicklung und Markteinführung wirkungsvoll einsetzen. So will Bayern künftigfassadenintegrierte Anlagen durch Investitionszuschüsse im Bereich der Gebäudesanierung oder durch Forschungsförderung unterstützen.

Länderinitiativen im Bundesrat

Entscheidend für Investoren bleiben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des EEG. Bei der gerade verabschiedeten Novelle plädierte der Bundesrat für eine umfassendere Vergütung der Freiflächenanlagen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Weil Freiflächen-Solaranlagen schon bald günstigeren Strom liefernals die Offshore-Windkraft, weil sie bei kommunalen Versorgungskonzepten eine wichtige Rolle spielen und weil sie den Kommunen erhebliche Einnahmen unter anderem durch die Gewerbesteuer sichern, würden sich aber weitere Länderinitiativen im Bundesrat lohnen.

Bis dahin können die Länder und Kommunen jedoch selbst aktiv werden und von sich aus Flächen suchen, die sich für Photovoltaik eignen und gemäß dem aktuellen EEG vergütungsfähig sind. Schon wenige Prozent gemeindlicher Fläche können hohe Solarstromanteileermöglichen, wie die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Solarinitiativen in ihrem „Leitfaden Freiflächenanlagen“ erklärt. Um weitere „Instrumente für einen erfolgreichen Strukturwandel“ vor Ort und die Frage, wie Kommunen, engagierte Menschen und Politiker aller Parteien vor Ort in den Bundesländern eine wichtige Leit- und Koordinierungsfunktion übernehmen können, geht es beispielsweise beim Kompetenznetzwerk Dezentrale Energietechnologien (Deenet) und dem jährlichen Kommunalkongress „100 % Erneuerbare-Energie-Regionen“.

Dass auch die Photovoltaikbranche selbst nicht nur auf politische Unterstützung warten sollte, sondern auch Allianzen schmieden kann, um den Ausbau zu beschleunigen, zeigt das von Solarworld und der Deutschen Umwelthilfe getragene Projekt „Solarlokal“. Rund 400 Kreise, Städte und Gemeinden haben sich der Kampagne inzwischen angeschlossen, unterstützt vom Deutschen Landkreistag, dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund. Immer stärker setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich die Solarwirtschaft in den Ländern besser organisieren sollte als bisher. Es gibt längst Netzwerke für die Photovoltaikforschung und -industrie, aber kaum welche für die Förderung der Anwendung. Stattdessenhaben sich Vertrieb und Installationsbetriebe bisher einfach auf die finanziellen Rahmenbedingungen des EEG verlassen. Eine trügerische Sicherheit, wie sich im ersten Halbjahr zeigte: Der Markt kam nur schwer in Gang. Die Kauflust war viel geringer, als die Preis- und Vergütungssituation hätte erwarten lassen – die Stimmung also schlechter als die Situation, verursacht von einer monatelangen Medienkampagne gegen die Photovoltaik und für drastische Vergütungskürzungen. Viele potenzielle Kunden verloren dabei vermutlich das Interesse für die Frage, wie attraktiv die Photovoltaik tatsächlich immer noch ist.

Regionale Vernetzung zählt

Da die rechtlichen Beschränkungen für Photovoltaikanlagen im Vergleich zur Windenergie weitaus geringer sind, hätte die Branche mit ihren Akteuren an der Basis viel mehr Möglichkeiten, selbst den Ausbau der Photovoltaik zu beschleunigen. So ließe sich die Beratung potenzieller Interessenten noch deutlich verbessern, wenn es kompetente Anlaufstellen gäbe, die in den Regionen aktive Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Einem Markteinbruch wie im ersten Halbjahr könnte die Branche damit aktiv gegensteuern.

Gerade Bayern ist ein gutes Beispiel dafür, wie die regionale Vernetzung von Initiativen, Unternehmen und Experten den Photovoltaikmarkt antreibt. In keinem anderen Bundesland gibt es eine so aktive Szene von Basisaktivisten, die seit Beginn der 1990er Jahre den Boden für einen boomenden Solarmarkt bereitet haben. Aushängeschild ist die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Solarinitiativen, ein loses Netzwerk sich gegenseitig unterstützender und antreibender Initiativen. „Bayern ist“, so ein langjährig Aktiver, „nicht wegen der bisherigen Politik der bayerischen Staatsregierung im Ausbau der Photovoltaik führend – sondern trotzdem.“

Thomas Seltmann

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