Auf der Homepage der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) ist die brisanteste Information geradezu unverschämt offensiv platziert. Oben stehen die Erfolgsmeldungen – „Nauru, Oman, Rumänien ratifizieren das IRENA-Statut“ –, doch gleich darunter findet sich der Link „Staaten, die zum IRENA-Haushalt beigetragen haben“: eine Art Schuldnerverzeichnis der IRENA-Mitgliedsländer. Noch Ende August fehlten über acht Millionen US-Dollar im 13-Millionen-Budget. Die größten säumigen Zahler: die USA mit drei Millionen Dollar, Japan mit 2,1 Millionen, Italien mit rund 870.000. Spanien schuldet 550.000 US-Dollar, Australien 330.000.
„Ich mache mir allergrößte Sorgen. Die IRENA ist auf dem besten Weg zu scheitern“, sagt Axel Berg, Vorsitzender von Eurosolar Deutschland. Und auch die Generaldirektorin der IRENA Hélène Pelosse ist skeptisch. An ein Scheitern glaubt sie nicht, fürchtet aber, dass die Agentur „die Erwartungen nicht erfüllen könnte“, so Pelosse Anfang September gegenüber der photovoltaik. Noch im Januar 2009 sah alles anders aus, zumindest offiziell. 75 Staaten unterzeichneten in Bonn nach langem Tauziehen den IRENA-Vertrag. Die Agentur soll für einen schnellen globalen Wechsel zu regenerativen Energien sorgen, indem sie Industrie- wie Entwicklungsländer bei der Umstellung vor Ort berät. Inzwischen sind es 148 Mitgliedsstaaten plus die Europäische Union, doch mit der Umsetzung hapert es: Nur 34 Länder haben das IRENA-Statut bislang ratifiziert, darunter neben Deutschland, Indien, Japan und den Emiraten eine Reihe von kleinen Inselstaaten wie die Malediven, Palau, Samoa und Tonga. Die USA, Australien oder Frankreich fehlen.
IRENA leidet aufgrund der fehlenden Mitgliedsbeiträge unter einem Haushaltsvorbehalt. „Der Ausbau des Sekretariats ist gestoppt“, so Pelosse. Bewerber, die bereits im Frühsommer ausgewählt worden waren, mussten auf die Überweisung von Geldern aus den Emiraten warten, bis sie tatsächlich eingestellt wurden. Das Administrativkomitee der IRENA hatte zuvor einen Einstellungsstopp empfohlen. Ähnlich sieht es jetzt beim Auswahlverfahren für Direktoren auf der zweiten Führungsebene aus. Nach Angaben von Pelosse wurde der Bewerbungsprozess Anfang September abgeschlossen, die Einstellungen hängen jedoch vom Eingang weiterer Zahlungen ab. Derzeit arbeiten in Abu Dhabi 38 Beschäftigte, davon 23 mit dauerhaften Verträgen, die meisten von diesen allerdings in Bereichen wie IT, Finanzen oder Kommunikation. „Der Großteil der Mitarbeiter, der unmittelbar für erneuerbare Energien arbeitet, ist von den Mitgliedsstaaten abgestellt worden. Einige davon haben keine Fachkenntnis in den Erneuerbaren“, kritisiert Pelosse. „Das ist eine billige Lösung, aber nicht die richtige, um Fachkenntnis innerhalb der IRENA aufzubauen.“
Interne Verhinderungstaktik
Auch die Praxisprojekte hinken hinterher. Derzeit gibt es neben einer E-Learning-Plattform im Bereich Politikberatung lediglich das Pilotprojekt „Tonga Energy Road Map“, mit dem der Pazifikstaat unabhängiger von fossilen Energien werden soll. Die IRENA berät dort vor allem bezüglich der Nutzung von erneuerbaren Energien ohne Netzanschluss.
Abgesehen von Eurosolar wagen sich Kritiker des derzeitigen IRENA-Zustands noch nicht öffentlich aus der Deckung. Hinter vorgehaltener Hand sind jedoch deutliche Worte zu hören. Die fehlenden Beitragszahlungen etwa aus den USA, Japan und Australien bestätigen die Skepsis, die bereits beim Beitritt der Staaten zu IRENA im Januar 2009 herrschte. Die drei Länder galten lange als Gegner des Projekts, weil sie deren Aufgaben innerhalb der Internationalen Energieagentur (IEA) angesiedelt wissen wollten. Sie erklärten erst im letzten Moment ihre Bereitschaft zur Unterschrift – als die Gründung von IRENA nicht mehr zu stoppen war. Nun, so vermuten Skeptiker, würden sie ihre Verhinderungstaktik innerhalb der Agentur fortsetzen.
Wie die Beitragsprobleme dauerhaft gelöst werden können, ist offen. Zumindest für 2010 sieht Pelosse schwarz: „Wenn bei diesen Ländern eine Zahlungsbereitschaft vorhanden wäre, hätten sie uns das Geld schon überwiesen, fürchte ich.“ Eine Verbesserung der Zahlungsmoral könnte die erste IRENA-Vollversammlung bieten, die aller Voraussicht nach im ersten Halbjahr 2011 stattfindet und aufgrund der Ratifizierung des Statuts durch den 25. Mitgliedsstaat einberufen werden muss. Bis dahin gelten die IRENA-Gremien lediglich als vorläufig, die Beitragszahlungen als freiwillig. Die Zahlungen sind freilich auch nach der ersten Vollversammlung nur für die Staaten verpflichtend, die den Vertrag ratifiziert haben.
Problem Beitragsschlüssel
Abhilfe schaffen könnte ein neuer Beitragsschlüssel. Mit dem jetzigen hat sich die IRENA einen Teil ihrer Probleme selbst geschaffen. Denn mit steigender Mitgliederzahl wachsen die Einnahmen nicht parallel mit. Das Haushaltsvolumen von 13 Millionen Euro wird lediglich unter den bestehenden Mitgliedern neu aufgeteilt, der Beitragssatz sinkt also für die einzelnen Länder. Große Mitgliedsstaaten, die beitreten und damit laut Beitragsschlüssel einen hohen Betrag aufbringen müssten, können durch ihr Nichtzahlen damit automatisch die Erfüllung der laufenden Aufgaben gefährden. Die Zahlungen von Staaten wie Samoa, die lediglich 137 US-Dollar im Jahr überweisen müssen, fallen dagegen kaum ins Gewicht. Unklar ist, ob die Europäische Union zahlen wird, für die wegen ihres Status als supranationale Organisation kein Beitrag fällig ist. Der Europäische Rat hat allerdings bei seiner Ratifizierung des IRENA-Statuts im Mai 2010 einen nicht näher bestimmten jährlichen Beitrag beschlossen, die Kommission bislang aber nicht über die Frage entschieden.
Unabhängigkeit gefährdet
Auch die Frage, wie fehlende Mitgliedsbeiträge ausgeglichen werden sollen, dürfte zum Streitfall werden. Pelosse hält es „nicht für eine realistische Option“, Länder, die bereits zahlen, zu bitten, noch mehr zu zahlen. Auch das Einspringen der Emirate sei keine Lösung: „Die Unabhängigkeit der Institution ist in Gefahr, wenn die Vereinigten Arabischen Emirate die Haushaltslücke mit einem außerordentlichen Betrag überbrücken.“ Sie setzt eher auf private Geldgeber: „IRENA könnte dazu gezwungen sein, Fundraising-Projekte im privaten Sektor zu starten oder um zweckgebundene Beiträge für bestimmte Projekte zu werben.“
Ohnehin, so Pelosse und Eurosolar übereinstimmend, sei das Budget mit 13 Millionen US-Dollar niedrig angesetzt. Die IRENA-Chefin erinnert daran, dass die deutsche Bundesregierung 20 Millionen Dollar „für das erste Jahr einer solchen internationalen Organisation erhoffte“. Berg glaubt, wenn man das jetzige Budget verdoppele, sei man auf dem richtigen Weg. „Die derzeit 13 Millionen US-Dollar sind zu niedrig – da verdient ja der RWE-Vorstand mehr. Die IRENA müsste Topleute für ein paar hunderttausend Dollar im Jahr einstellen können. Wer ist schon bereit, in der Wüste für 50.000 Euro zu wohnen?“ In der Tat scheint es schwierig, Mitarbeiter für Abu Dhabi zu rekrutieren. Pelosse berichtet von einer Reihe kleinteiliger Probleme: „Die Mieten sind hoch, die Eigentümer erwarten die Bezahlung einer Jahresmiete im Voraus. Wir mussten eine Übereinkunft ausarbeiten, die erst Ende März abgeschlossen werden konnte, gemäß der das Gastgeberland die Mieten subventioniert, weil keiner unserer neuen Mitarbeiter die Kosten aufbringen konnte. Bezüglich der Vorauszahlung haben wir erst im August 2010 eine Lösung gefunden: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben schließlich zugestimmt, die Kosten zu übernehmen.“
Die Französin Pelosse ist übrigens nicht unumstritten – zumindest in Deutschland gibt es Unzufriedenheit mit ihrer Amtsführung, auch wenn sie durchaus für erneuerbare Energien engagiert sei. „Hélène Pelosse ist zu unerfahren. Und sie war zu entscheidungsunfreudig, die richtigen Mitarbeiter für IRENA auszuwählen. Es gibt weltweit gute Leute, und die wären auch bereit, bei IRENA mitzumachen. Sie hat aber so lange gewartet, bis die Mitgliedsländer gesagt haben, das machen wir selbst: ein gefährlicher Schritt, weil die IRENA als Organisation handlungsfähig sein muss“, sagt Axel Berg.
Pelosse weist die Kritik zurück: „Der Aufbau des Sekretariats ist in der Tat eine große Herausforderung gewesen und sehr langsam erfolgt. Daher war es für viele Leute, einschließlich mich selbst, ein sehr frustrierender Prozess.“ Dafür seien zum einen die Wohnungsprobleme für neue Mitarbeiter verantwortlich gewesen, die erst jetzt gelöst werden konnten. Zum anderen die Probleme mit dem Personal in Abu Dhabi: „Das Sekretariat hing zu Beginn bei technischen Leistungen vollständig von Mitarbeitern ab, die von den Emiraten abgestellt worden waren und keine Erfahrung beim Aufbau von internationalen Organisationen hatten. Wenn eine neue internationale Organisation aufgebaut wird, erhält man üblicherweise die Unterstützung einer alten. Das war aber in den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht möglich. Der Aufbau der Informationstechnik war eine besondere Herausforderung; viele IT-Projekte müssen immer noch entwickelt werden.“
Deutsches Büro im Werden
Abu Dhabi war im Juni 2009 den Mitbewerbern aus Bonn und Wien als Standort vorgezogen worden. Als Ausgleich erhielt Bonn das IRENA-Innovations- und Technologiezentrum, Wien ein Verbindungsbüro für die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen im Bereich erneuerbare Energien. Auch dort ist bislang nichts geschehen, obwohl die beiden Institute jeweils von den nationalen Regierungen und nicht aus dem Gesamtbudget der IRENA finanziert werden. Noch stehen dem Arbeitsbeginn der Abschluss des sogenannten Headquarters agreement für Bonn und Wien entgegen: „Die Verhandlungen wurden gestoppt, weil zunächst das Hauptquartier in Abu Dhabi vollständig aufgebaut werden sollte. Unglücklicherweise sind die Verhandlungen daher noch nicht abgeschlossen“, so Pelosse noch Anfang September. Der Bonner Bürochef ist inzwischen jedoch ausgewählt, die Räumlichkeiten sind funktionsfähig. Die deutsche Bundesregierung selbst rechnet daher mit einem Arbeitsbeginn in Bonn noch Ende 2010.
Am 24. und 25. Oktober wird in Abu Dhabi die vierte Sitzung des sogenannten Vorbereitungskomitees der IRENA die weiteren Weichen stellen. Dort stehen nicht nur Verhandlungen über die Vorgehensweise auf der ersten Vollversammlung 2011 an, sondern auch die Beratungen über einen Haushalt, der bis zu dieser Vollversammlung die weitere Arbeit finanziert.