Wenn dem Geschäftsführer vor den Augen der Belegschaft das Wasser in die Augen tritt, weiß Dietrich Termöhlen: Jetzt wird’s schwierig mit der Wahl eines Betriebsrats. „‚Es läuft doch prima bei uns im Unternehmen, warum wollt ihr denn trotzdem einen Betriebsrat?’, jammern manche Chefs und drücken sich auch schon mal eine Träne aus den Augen – alles schon erlebt“, berichtet Termöhlen, Politischer Sekretär der IG Metall Erfurt. Solche Gefühlsausbrüche lassen manchen hartgesottenen Kämpfer für die Arbeitnehmerrechte weich werden.
Noch bis vor wenigen Jahren waren Betriebsräte bei den Photovoltaikherstellern nur mit der Lupe zu finden – obwohl laut Betriebsverfassungsgesetz Arbeitnehmer in allen Unternehmen mit mehr als fünf Angestellten das Recht haben, eine Interessenvertretung zu wählen. Das Gesetz schreibt fest, dass das Management die Wahl akzeptieren und mit dem Betriebsrat kooperieren muss. „Früher gelang es den Geschäftsleitungen häufig, ihren Beschäftigten zu vermitteln, in den Unternehmen herrsche Friede, Freude, Eierkuchen. Deshalb sei ein Betriebsrat überflüssig. Dabei wollten sie einfach verhindern, dass die Arbeitnehmer ihre Mitbestimmungsrechte wahrnehmen“, sagt Christian Kostyra, Betriebsratsvorsitzender von Solibro. In den frühen Jahren der Photovoltaik lag der Fokus vieler Unternehmer auf der Optimierung der Technologie und der Entwicklung der Märkte; soziale Themen wie die Mitbestimmung fielen dabei schnell mal unter den Tisch. Die Beschäftigten akzeptierten das meist klaglos, denn Unternehmensführungen und Mitarbeiter verband die Überzeugung, sich für die gute, ökologische Sache zu engagieren.
„In Solarbetrieben ist der Bezug der Beschäftigten zu ihren Produkten im Vergleich zu anderen Branchen häufig größer. Die Identifikation ist höher“, sagt Gewerkschaftler Termöhlen. Wozubraucht es dann noch Betriebsräte, wenn Geschäftsführung und Mitarbeiter sowieso in einem Boot sitzen und ein gemeinsames Ziel verfolgen? Eine Haltung, die an den Enthusiasmus der Start-up-Firmen aus den New-Economy-Zeiten erinnert.
Sorge um den Arbeitsplatz
Doch in den vergangenen Jahren hat sich das Bild gewandelt. Solarworld, Bosch Solar, SMA, Fronius, Roth & Rau, Solon, Q-Cells, Schott Solar, Conergy, First Solar, Avancis, Solar-Fabrik: Vor allem in großen Betrieben nehmen die Beschäftigten ihr Recht auf die Wahl einer Interessenvertretung heutzutage häufig wahr. Im Raum Erfurt gibt es sogar bei fünf von sechs Herstellern einen Betriebsrat, berichtet Termöhlen. „Nur Masdar PV fehlt noch. Aber da wollen wir auch noch ran“, sagt der Gewerkschaftler. Damit vollzieht die Solarbranche eine Entwicklung, die andere Industrien, etwa Maschinenbauer und Automobilzulieferer, schon vor längerer Zeit durchlaufen haben – in vielen Unternehmen gibt es häufig schon seit Jahrzehnten Betriebsräte.
Ein wesentlicher Grund dafür ist die Sorge der Beschäftigten um die Zukunft
der deutschen Solarindustrie – und damit um ihre Arbeitsplätze. Nicht wenige Unternehmen schreiben Verluste, manche verlagern ihre Produktion zum Teil nach Fernost. „Wir merken deutlich, dass das Interesse der Beschäftigten an der Wahl von Betriebsräten angesichts der Lage der heimischen Photovoltaikbranche zunimmt. Die Kollegen sehen, dass sie sich organisieren müssen“, sagt Termöhlen. So können Betriebsräte zum Beispiel die Unternehmensleitungen dazu zwingen, einen Sozialplan vorzulegen, wenn es zu umfassenden betriebsbedingten Kündigungen kommen sollte, oder die Einführung von Kurzarbeit verhindern, indem sie ihre Zustimmung verweigern (Details zu den Rechten und Pflichten eines Betriebsrats siehe Kasten).
Zugleich sind die Arbeitnehmer kämpferischer geworden, meint Termöhlen. „Viele Solarbetriebe sind in den neuen Bundesländern angesiedelt. Oft arbeiten dort Menschen, die zuvor lange arbeitslos waren.“ Für einen neuen Job haben sie nicht selten niedrigere Einkommen und häufig auch ein Dreischichtsystem mit Nachtarbeit akzeptiert, wie der Gewerkschaftler erklärt. „Jetzt ist für vieleaber einfach die Zeit gekommen zu sagen: Sie wollen nun endlich bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne haben. Um das durchzusetzen, wählen sie dann einen Betriebsrat.“
Betriebsrat kann vermitteln
Dies trifft etwa bei der Q-Cells-Tochter Solibro zu. Der Hersteller von CIGS-Dünnschichtmodulen aus Bitterfeld hat seit September 2009 einen Betriebsrat. „Auslöser für die Wahl waren das Bonussystem, die niedrigen Löhne sowie die Einführung von Kurzarbeit. Zudem herrschte auf der mittleren Managementebene teilweise ein unmöglicher Ton. Das alles wollten die Mitarbeiter nicht mehr hinnehmen“, erinnert sich Betriebsratschef Kostyra. Die Zusammenarbeit mit der Unternehmensführung lief dabei anfangs alles andere als reibungslos. „Wir mussten jeden einzelnen Paragrafen vorbeten, um unser Mitspracherecht zu begründen“, sagt Kostyra.
Diese Zeiten sind jedoch vorbei, seit die Geschäftsleitung gewechselt hat. „Unsere Gespräche sind sehr konstruktiv, und wir sind akzeptiert. Die neue Führung bezieht uns bei allen Fragen, die Mitarbeiter betreffen, mit ein“, sagt Kostyra. „Sie hat verstanden, dass ein Unternehmen gerade dieser Größe nicht auf einen Betriebsrat verzichten kann. In einem 20-Mann-Betrieb kann ein Geschäftsführer den Kontakt zu den Mitarbeitern vielleicht noch persönlich halten. In einem Unternehmen wie Solibro geht das aber nicht mehr. Da kann sich bei der Belegschaft etwas anstauen, was oben nicht ankommt. Ein Betriebsrat dient dann auch als Vermittler zwischen Mitarbeitern und Geschäftsführung.“ Mitunter kommt es sogar vor, dass die Unternehmensleitungen ihre Mitarbeiter zur Wahl einer Interessenvertretung drängen – so geschehen bei Ersol, das heute in Bosch Solar aufgegangen ist. „Der Arbeitgeber, damals noch die Ersol AG, ist auf uns zugekommen mit dem Vorschlag, einen Betriebsrat zu gründen“, erinnert sich Tino Eisenach, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Bosch Solar im thüringischen Arnstadt und seinerzeit bei Ersol Thinfilm beschäftigt. Wie das Unternehmen von der Interessenvertretung der Arbeitnehmer profitiert, erklärt Bosch-Solar-Personalleiter Martin Wöhr: „Die Mitbestimmung bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Beispielsweise unterhalten sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite regelmäßig über alle wirtschaftlichen und technischen Angelegenheiten, so dass die Sichtweisen der Belegschaft bei Entscheidungen im Rahmen der Mitbestimmung immer einfließen.“ Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung ist in der Tat gut,bestätigt auch Eisenach. „Ich muss ein Lob aussprechen – die Unternehmensleitung geht auf den Betriebsrat zu und sagt auch mal: ‚Ja, da habt ihr Recht gehabt’, wenn es einen Konflikt gab. Natürlich gibt es immer Meinungsverschiedenheiten, aber wir finden immer einen Kompromiss.“ Erleichtert wird dies dadurch, dass Arbeitgeber und -nehmer eindeutige Prozesse und Verantwortlichkeiten definiert sowie einen regelmäßigen Austausch etabliert haben. „So tagt zum Beispiel wöchentlich der Personalausschuss, in dem Entscheidungen oder Maßnahmen gemeinsam schnell und unkompliziert besprochen und umgesetzt werden können“, erläutert Wöhr.
Ein Meilenstein der Kooperation war der Abschluss eines Haustarifvertrags in diesem Jahr. Bosch Solar ist neben der Freiburger Solar-Fabrik bislang das einzige Unternehmen der Branche, das eine solche Vereinbarung mit den Beschäftigten geschlossen hat. „Der Tarifvertrag ist für uns jetzt ein Grundstein, auf dem wir aufbauen können“, sagt Eisenach. So besteht ein Großteil seiner alltäglichen Arbeit nun aus der Umsetzung der Vereinbarung. Dazu gehört zum Beispiel, Mitarbeiter zu unterstützen, die gegen ihre Zuordnung zu einer Tarifgruppe Widerspruch einlegen wollen. „Dabei profitieren wir sehr vom Wissen und den Erfahrungen der IG Metall“, sagt Betriebsrat Eisenach.
Die Dinosaurier sterben aus
Für Detlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall, ist Bosch Solar Vorbild für eine moderne, erfolgreiche Unternehmensführung. „Bei Bosch war stets klar, dass die Arbeitnehmer auf Augenhöhe einbezogen werden. Eine solche Kultur wird immer funktionieren. Bornierte, autoritär strukturierte Firmen dagegen werden international nicht mehr wettbewerbsfähig sein“, sagt Wetzel. Er ist überzeugt, dass sich Unternehmen ohne Betriebsräte ins eigene Fleisch schneiden. „Eine Branche, die sich aus ökologischen Motiven gegründet hat, die aber staatlich gepäppelt wird – was politisch richtig ist –, muss sich überlegen, mit welchem Geschäftskonzept sie künftig arbeiten will. Wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit mit besseren Produkten und innovativeren Arbeitsabläufen wahren will, geht das nur mit motivierten Belegschaften. Das wiederum setzt Strukturen voraus, die sicherstellen, dass sich die Mitarbeiternicht nur dann einmischen dürfen, wenn es der Chef gerade will“, sagt Wetzel.
Ob das tatsächlich so ist, lässt sich schwer nachprüfen. Denn welcher Solarmanager traut sich heute noch, in der Öffentlichkeit gegen die Gründung einer Arbeitnehmervertretung Stellung zu beziehen? Zu groß ist die Angst, den Ruf als Arbeitgeber zu beschädigen und potenzielle neue Mitarbeiter zu verprellen. Daher lässt sich auch nur schwer überprüfen, ob die Zufriedenheit der Mitarbeiter schwerer wiegt als die finanziellen Nachteile, die ein Betriebsrat mit sich bringt.
Nicht zu leugnen ist nämlich, dass die Unternehmen eine Menge Geld sparen, wenn ihre Beschäftigten auf einen Betriebsrat verzichten. So muss eine Firma zum Beispiel sämtliche Ausgaben übernehmen, die bei der Tätigkeit des Gremiums anfallen. Dazu gehören unter anderem Reise-, Gutachter-, Anwalts-, Büro- oder auch Weiterbildungskosten. Ins Gewicht fällt auch die Freistellung der Betriebsräte von ihrer üblichen Tätigkeit im Unternehmen. Gerade Installationsbetriebe mit dünner Personaldecke kann diese Regelung vor Probleme stellen, etwa wenn in den Monaten vor einer Kürzung der Einspeisevergütung jede Hand für Planung und Installation von Solarsystemen benötigt wird. Auch das Informationsrecht des Betriebsrats dürfte mancher Unternehmensleitung Bauchschmerzen bereiten. Sind sie doch verpflichtet, die Arbeitnehmervertretung über fast alle betrieblichen Belange in Kenntnis zu setzen. Das Gremium kann sogar die Aufklärung über Geschäftsgeheimnisse einfordern, sofern dies für seine Arbeit nötig ist.
Kein Wunder also, dass längst nicht alle Betriebe ihre Mitarbeiter zur Wahl einer Interessenvertretung motivieren. Allerdings scheitert die Selbstorganisation der Beschäftigten mitunter schlichtweg auch daran, dass sich nicht genügend Kandidaten für die Betriebsratswahl finden. Auch, weil die Mitarbeiter in manchen Betrieben Repressalien der Unternehmensführung fürchten, wenn sie ihr Recht auf die Gründung einer Interessenvertretung wahrnehmen möchten, meint Termöhlen – ohne allerdings Beispiele nennen zu wollen. Häufig scheuen die Beschäftigten aber auch schlicht die Verantwortung, die mit dem Amt des Betriebsrats verbunden ist. „Viele meinen, sie schaffen es nicht.
Man muss einiges auf sich nehmen, man muss sich qualifizieren. Es wird immer schwieriger, gerade junge Menschen zu gewinnen, denn die haben noch eine Perspektive im Beruf. Wenn ich aber Betriebsratsarbeit mache, bin ich ersteinmal aus dem Arbeitsprozess raus“, sagt der Erfurter Gewerkschaftler.
Auch wenn Betriebsräte längst noch nicht so verbreitet sind wie etwa bei den Autozulieferern oder den Maschinenbauern: „In der Photovoltaikbranche hat sich bei der Wahl von Betriebsräten in den letzten Jahren viel getan. Die Zeit der Dinosaurier, die sich mit Händen und Füßen gegen Betriebsräte wehren, ist abgelaufen“, resümiert Kostyra. Geschäftsführer, die auf die Tränendrüse drücken, dürften wohl bald der Vergangenheit angehören.