Sie haben sich gegen eine Belastung des Eigenverbrauchs mit der EEG-Umlage ausgesprochen. Was sind die Gründe dafür?
Holger Krawinkel: Die Bundesregierung hat vorgesehen, dass es eine Bagatellgrenze von zehn Megawattstunden pro Jahr geben soll. Das entspricht einer kleinen Photovoltaikanlage mit rund zehn Kilowatt Leistung. Wir haben ausgerechnet, wie sich die Umlage auf die PV-Eigenerzeugung bei den privaten Haushalten auswirken würde. Heraus käme eine Entlastung von 75 Cent im Jahr. Ohne Bagatellgrenze wäre es 1,20 Euro. Um die Idee umzusetzen, benötigt man jedoch mindestens einen neuen Zähler. Auch ist völlig unklar, wer für die Zähler oder die Abrechnung des Eigenverbrauchs zuständig ist. Der Netzbetreiber? Der Bürger? Oder brauchen wir gar eine Art „Strompolizei“? Das halten wir weder für durchführbar noch für akzeptabel.
Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel will die Belastung der Geringverdiener durch die EEG-Umlage reduzieren, so hat er es zumindest erklärt. Kann die Belastung des Eigenstroms mit der Umlage überhaupt zu diesem Ziel führen?
Eher nicht. Insgesamt, also inklusive der industriellen Eigenerzeugung, geht es um eine Entlastung um etwa fünf bis sechs Euro im Jahr. Auf der anderen Seite entwickeln sich um den Eigenverbrauch herum derzeit völlig neue Geschäftsfelder für die Energieversorger, für Anbieter von Hardware und Dienstleistungen. Dieser Markt springt gerade an, und er wächst unabhängig von der Einspeisevergütung. Diese Chancen wären durch die EEG-Umlage gefährdet.
Ab 2017 sind Auktionen geplant. Ab welcher Generatorgröße sollten diese Ausschreibungen gelten? Auch für kleine Anlagen?
Es gibt Pläne, zunächst große Photovoltaikanlagen auszuschreiben. Dagegen habe ich zunächst nichts einzuwenden. Wenn man ausschreibt, muss man jedoch erneuerbare und konventionelle Projekte gleichermaßen ausschreiben. Man muss eine Untergrenze definieren, unter der eine Ausschreibung wirtschaftlich keinen Sinn macht. Man muss Präqualifikationen, also die technischen und betrieblichen Voraussetzungen eines Anbieters, definieren und Mindestziele der Ausschreibungen festlegen. Wenn jemand in einem festgelegten Kostenrahmen mehr Leistung ausschreibt als vorgegeben, dann ist das nicht so schlecht. Eine Frage ist auch, ob regionale Vorgaben eine Rolle spielen sollen.
Und die EEG-Umlage?
Ich halte sie generell für problematisch, auch bei großen Anlagen zur Eigenstromversorgung von Kommunen oder im Gewerbe. Man müsste zumindest zwischen „guten“ und „schlechten“ Anlagen unterscheiden, beispielsweise erneuerbare Erzeugung und KWK ausnehmen. Insgesamt sehe ich auch dort viele marktwirtschaftliche Anfänge. Eigenerzeugung wird zum Selbstläufer. Die Batterien werden sich rasant entwickeln. So hat Tesla kürzlich verkündet, dass die Ersatzbatterie nur noch ein Viertel der Neubatterie kosten wird. Bald sind Speicherkosten von zwei bis drei Cent pro Kilowattstunde möglich. Damit wird der Eigenverbrauch sehr attraktiv, auch ohne Förderung.
Und wenn die EEG-Umlage dennoch kommt?
Noch einmal: Den Eigenverbrauch von Ökostromanlagen mit der EEG-Umlage zu belasten, macht keinen Sinn. Das wäre so, als würden Sie für Ihre selbst gezüchteten Tomaten aus dem Garten eine Abgabe zahlen müssen. Oder Gebühren für einen Komposthaufen, weil Sie weniger Abfälle an die kommunale Entsorgung abgeben. Ich denke, die Leute und die Unternehmen werden in diesem Fall vor allem Solaranlagen bauen, die überhaupt nicht mehr am Netz sind. Um auf diese sogenannten netzparallelen Anlagen eine EEG-Umlage zu erheben, braucht man wirklich eine „Strompolizei“. Das ist einfach Unfug. Man sollte die Photovoltaik und die Batterietechnik einfach laufen lassen, diese Technologien werden so attraktiv und kommen von allein in Gang.
Wie hängen die EEG-Umlage und der weitere Zubau der erneuerbaren Energien zusammen?
Die hohe EEG-Umlage ist entstanden, weil in den vergangenen Jahren sehr viele teure Photovoltaikanlagen angeschlossen wurden. Das bezeichnen wir als Entwicklungskosten für die Technologie. Mittlerweile sind wir bei großen Photovoltaikparks mit den Einspeisetarifen bereits unter neun Cent. Bei Dachanlagen liegen wir zwischen 12 oder 13 Cent, nur ein Viertel dessen, was noch vor wenigen Jahren gezahlt wurde. Der weitere Ausbau schlägt sich kaum noch in der EEG-Umlage nieder. Um die aufgelaufenen Technologieentwicklungskosten zu decken, schlagen wir einen Tilgungsfonds für die Altlasten vor. Er sollte auch von den öffentlichen Haushalten getragen werden. Allerdings scheint Energiewendeminister Gabriel noch nicht bereit für diesen Altlastenfonds zu sein. Er würde damit einige Probleme von heute auf morgen erledigen.
Ist die von der Bundesregierung vorgegebene Zielmarke für die Photovoltaik von 2,5 Gigawatt pro Jahr sinnvoll?
Wir werden bei großen Photovoltaikanlagen und Onshore-Windkraft auf durchschnittlich neun Cent je Kilowattstunde kommen. Das sind fünf Cent mehr als der Preis an der Energiebörse, der um vier Cent liegt. Diese fünf Cent müsste man noch abfangen. Sie sind für die EEG-Umlage relevant. Bei einem Zubau von zehn bis zwölf Terawattstunden pro Jahr macht das 500 bis 600 Millionen Euro aus, also 0,15 Cent pro Kilowattstunde oder fünf bis sechs Euro je Haushalt. Aus Kostengründen braucht man den Ausbau nicht zu deckeln, das halte ich für verfehlt. Bei Offshore-Windkraft sieht die Sache ganz anders aus.
Können Sie das erläutern?
Die Windparks auf See sind aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen gibt es Proteste gegen die neuen Übertragungsleitungen. Diese Trassen kosten viel Geld, um den Strom von der Küste nach Süden zu bringen. Doch auch die Windparks schlagen mit hohen Fixkosten zu Buche. Im Vergleich zur Windkraft an Land wird die maritime Technik immer teurer sein. Sie erhöht die Stromkosten auf Dauer. Deshalb sehe ich sogar 6,5 Gigawatt als Ausbauziel kritisch.
Was bedeutet das für die EEG-Umlage?
Der Ausbau der Windräder vor den Küsten schlägt in der EEG-Umlage etwa mit einem Faktor 100 stärker zu Buche als die geplante EEG-Umlage für photovoltaisch erzeugten Eigenstrom. Sie erhalten hohe Einspeisevergütungen, die Netzbetreiber sind von Haftungsrisiken befreit, und dennoch verteuern sie den Netzausbau erheblich. Im Jahre 2020 zahlt der private Haushalt rund 75 Euro allein für Offshore. Allerdings bin ich skeptisch, ob die 6,5 Gigawatt überhaupt erreicht werden. Ich schätze, bis 2020 werden es vielleicht vier Gigawatt sein. Vielleicht erledigt sich ein Teil des Problems von selbst. Wie seinerzeit beim Transrapid.
Ein wichtiger und wachsender Anteil der Strompreise sind die Kosten für den Netzumbau. Welchen Bedarf sehen Sie für die Energiewende?
Zunächst einmal: Die Netzausbaupläne sind immer noch stark überdimensioniert. Aus historischen Gründen haben wir zu wenige Verbindungen zwischen West und Ost. Insgesamt braucht man vielleicht noch rund 1.000 Kilometer Höchstspannungsleitungen, aber sicher nicht 2.000 oder gar 3.000 Kilometer. Und ehe man eine teure Trasse wie Suedlink baut, sollte Bayern erst einmal versuchen, seinen Bedarf selbst zu decken, beispielsweise durch neue Gaskraftwerke. Insofern hat Seehofer nicht ganz Unrecht. Diese Lösung wäre preiswerter und schneller zu haben als eine weitere, kaum durchsetzbare Leitung durch den Thüringer Wald. Zusätzlich gibt es auf regionaler Ebene sicher Umbaubedarf für die Verteilnetze. Man muss das neue Energiesystem von unten nach oben denken und dann möglicherweise neue Trassen bauen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Suedlink zum Beispiel kaum ausgelastet sein wird, wenn das Projekt überhaupt jemals gebaut wird.
Also regionale Ausbauszenarien?
Man kann vieles auf der dezentralen Ebene der Netzversorgung organisieren. Ich habe schon sehr interessante Projekte gesehen, mit Akkuspeichern für die Sekundenreserve des Netzes. Wir bekommen ein Stromnetz, das so ähnlich funktioniert wie das Gesundheitswesen: vom Hausarzt bis zur Spezialklinik und nicht umgekehrt. Die Verantwortung geht von der oberen Netzebene auf eine untere Ebene über. Es wäre sinnvoll, Deutschland in 25 oder 40 Netzbetriebe auf der Basis des 110-Kilovolt-Netzes aufzuteilen. Innerhalb einer Einheit werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Verbraucher sicher zu versorgen. Darüber hinaus wird man nur einen kleinen Bedarf für den Transport von Strom zwischen den einzelnen Einheiten haben. Zwei bis drei Dutzend Versorgungseinheiten, die sich weitgehend selbst organisieren: Aufbauend auf Eigenerzeugung, Wind- und Solarparks stellen sie überwiegend eigene Reservekapazitäten bereit.
Kann die Energiewende mit dem derzeitigen Design des Strommarkts überhaupt in Gang kommen?
Die alten Energiekonzerne sitzen in ihren alten Geschäftsmodellen fest. Früher war mit der Erzeugung von Strom viel Geld zu verdienen. Heute bringt nur noch der Handel etwas ein, der jedoch in wenigen Jahren eine geringere Rolle spielen dürfte. Dezentrale Geschäftsmodelle, das kann ein Großteil dieser Unternehmen wahrscheinlich nicht. Also versuchen sie vor allem, Zeit zu gewinnen. Ob das reicht, darf bezweifelt werden, denn für viele Unternehmen ist es in diesem Technologiegeschäft bereits zu spät.
Was meinen Sie damit?
Bisher gab es in der Energieerzeugung ein klassisches Marktmodell, das im Investitionsgütergeschäft verankert war und hohe Renditen versprach. In der Zwischenzeit haben sich neue Technologien wie die Photovoltaik, die Speichertechnik oder Elektroautos in Nischenmärkten entwickelt. Sie stehen bald bereit, um in den klassischen Markt einzutreten. Aber das sind Konsumgüter, die man auch als Prosumer-Technik bezeichnet, weil sie Strom herstellen, aber auch verbrauchen oder abgeben können. Dem Prosumer geht es um viel mehr als nur den Erzeugungspreis: Unabhängigkeit oder Versorgungssicherheit spielen eine entscheidende Rolle. Darin liegen neue Geschäftsfelder, die wirtschaftliches Wachstum erlauben. Unser Wirtschaftssystem ist ein zentraler Treiber, um die Energieversorgung in den Konsumgüterbereich zu überführen.
Welche neuen Modelle und Lösungen muss es geben, um die Erneuerbaren in den Markt zu integrieren? Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Es ist bisher nicht klar, nach welchem Modell der Energiesektor künftig gestaltet werden soll. Vor allem die Frage der Versorgungssicherheit spielt eine wichtige Rolle. Die Diskussionen in Bayern über die Gleichspannungsleitung zeigen, dass man die Verantwortung stärker regionalisieren sollte. In meiner Vorstellung entstehen drei Sektoren: Die Eigenerzeugung, die völlig autonom ist und die eine weitgehend unbeeinflussbare Grundlage bildet. Dazu kommen regionalisierte Ausschreibungen für Wind- und Solarparks. Die dritte Säule sind ausreichende Kapazitäten für die Versorgungssicherheit bei Netzbetreibern.
Braucht es nicht eine faire Aufteilung in einen Arbeits- und Leistungspreis für die Netzentgelte beim Strom? Wie könnte das aussehen?
Wenn ich auf das Netz angewiesen bin, richtet sich mein Anspruch nicht nach den Kilowattstunden, die ich aus dem Netz beziehe, sondern nach der bereitgestellten Höchstlast. Dann wirkt das Netz als Back-up, falls mein Bedarf nicht aus eigenen Quellen gedeckt werden kann. Nach diesem Modell müsste man die Netzentgelte ausrichten. Das schafft Versorgungssicherheit, das Netz wird wie eine Versicherung genutzt. Gegen diese bestellte Leistung wird dann die Eigenstromerzeugung optimiert. Das kann attraktiver sein als ein Smart Meter, denn man braucht nur eine einmalige Maximalleistung, die man über Rundsteuerempfänger einstellen kann. Das erfordert keine komplexe Kommunikationseinheit. Darin stecken mehr Ideen für neue Geschäftsmodelle.
Sollten die Netzentgelte von der Entfernung zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch abhängen?
Das wären entfernungsabhängige Netzentgelte, ein sogenannter Generatofaktor, wie es in Norwegen gemacht wird. Der G-Faktor könnte für neue Netze und Bestandsnetze gelten, den man zum Beispiel zahlen muss, wenn Strom von Nord nach Süd oder Ost nach West durchgeleitet wird. Das wäre für den Netzausbau transparenter, vor allem, wenn man den Strom aus entfernten Regionen bezieht. Dann bekommt man regional verschiedene Preise, wie auch im Tagesverlauf wechselnde Preise sinnvoll sind. Man könnte Erzeugungs- und Transportkosten transparent und verursachergerecht in die Preise einbeziehen.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Herr Gabriel die steigenden Kosten der Energiewende abbremst?
Herr Gabriel hat derzeit drei Problemzonen: Brüssel, Frau Kraft für die Industrie in Nordrhein-Westfalen und die anderen Bundesländer mit beispielsweise den Herren Seehofer und Albig mit ihren jeweils unterschiedlichen Wünschen an die Förderung erneuerbarer Energien. Das wird sehr schwer unter einen Hut zu bekommen sein, auf eine Weise, die er als Erfolg verbuchen könnte. Ich sehe aber zugleich, dass sich die Strukturen einer neuen, erneuerbaren Energieversorgung entfalten, und zwar von unten. Die Photovoltaik wird in zwei, drei Jahren nur noch sechs oder sieben Cent pro Kilowattstunde kosten. Wenn auch die Batteriekosten wie prophezeit sinken, wird in der Tat der Energiemarkt von unten umgebaut.
Entscheidend ist, wie Wirtschaft und Markt reagieren?
Richtig. Wir haben in Deutschland 17 Millionen Einfamilienhäuser. Wenn davon zehn Millionen eine Zehn-Kilowatt-Anlage installieren, haben Sie schnell 100 Gigawattstunden, die vor Ort verbraucht werden. Das entspricht einem Sechstel des Stromverbrauchs in Deutschland. Im Gewerbe sehe ich ein ähnliches Potenzial. Wir stehen vor einem technologischen Wechsel wie seinerzeit von der Dampflokomotive zum Automobil. Die Eisenbahn gehörte zum Investitionsgütergeschäft, das Automobil ist ein Konsumgut mit sehr hoher Wertschöpfung und technologischen Innovationen, die weit über die Dampfmaschine hinausgehen.
Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.
Verbraucherzentrale Bundesverband
Wie er sich finanziert
Der Kernhaushalt wird zu rund 85 Prozent durch Mittel aus dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft finanziert. Grundlage hierfür ist der Bundeshaushalt, über den alljährlich der Deutsche Bundestag entscheidet. Die übrigen Mittel stammen aus Mitgliedsbeiträgen und aus dem Verkauf von Ratgebern für Verbraucher. Darüber hinaus engagiert sich der Bundesverband in einer Reihe von Projekten, beispielsweise der bundesweiten Energieberatung der Verbraucherzentralen. Diese Projekte werden von verschiedenen Bundesministerien, aber auch aus Mitteln der Europäischen Union finanziert.
Holger Krawinkel
studierte Geografie und Politikwissenschaft an der Universität in Gießen sowie Raumplanung an der Universität Oldenburg. Nach seiner Tätigkeit als Verkehrsplaner beim Regierungspräsidenten in Darmstadt war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Wohnen und Umwelt in Darmstadt. Er promovierte über das dänische Energieplanungssystem und war dann Referent im Energieministerium des Landes Schleswig-Holstein. 1994 wurde er Vorstand der Energiestiftung Schleswig-Holstein in Kiel. Seit 2004 arbeitet er beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin. Er leitet heute den Geschäftsbereich für Verbraucherpolitik und ist Mitglied der Geschäftsleitung.
Foto: VZBV