Fast ein Drittel der Konzessionsverträge für die lokalen Strom- und Gasnetze in Rheinland-Pfalz laufen in den nächsten Jahren aus. Sowohl die Landesregierung als auch die Bürgerenergiegenossenschaften sehen darin eine Chance, die Konzessionen zu übernehmen und die Netze wieder unabhängig von großen Versorgungskonzernen zu betreiben.
Anders als in Berlin steht in Rheinland-Pfalz die Landesregierung hinter der Rekommunalisierung der Strom- und Gasnetze. Die Möglichkeiten sind da. Denn in den nächsten Jahren laufen in Rheinland-Pfalz etwa 30 Prozent der Konzessionsverträge aus. „Wir ermuntern die Kommunen und Bürger die Chance zu nutzen und die Netze zurück in Bürgerhände zu holen“, erklärt die Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz Eveline Lemke (B90/Grüne) auf dem Fachtag „Stromnetze in Bürgerhand“. „Das Ziel der Energiewende in Rheinland-Pfalz ist die Dezentralisierung der Energieerzeugung, verbunden mit dem Ausbau erneuerbarer Energien. Wir brauchen ein anderes Marktdesign, weg von Oligopolen, hin zu einem funktionierenden Energiemarkt mit vielen Playern und smarten Technologien,“ betont Lemke.
Kommunen wollen Netze wieder selbst betreiben
Organisiert wurde der Fachtag vom Landesnetzwerk BürgerEnergie-Genossenschaften Rheinland-Pfalz (LaNEG), in dem derzeit immerhin 76 Prozent der Energiegenossenschaften des Bundeslandes organisiert sind, der Energieagentur Rheinland-Pfalz und dem Netzwerk „Energiewende jetzt“. Die Organisatoren wollen mit solchen Informationsveranstaltungen Entscheider aus Kommunen, Stadtwerken und Energiegenossenschaften einen Überblick über die Chancen und Risiken einer Netzübernahmen vermitteln. Die Veranstaltung stößt bei den Angesprochenen auf großes Interesse. Denn zunehmend wollen die Kommunen und regionalen Energiegenossenschaften die regionalen Netze wieder selbst betreiben. „Bürgerinnen und Bürger übernehmen dabei Verantwortung für einen Teil ihrer Daseinsvorsorge und wollen sich unabhängiger von den großen Konzernen machen“, erklärt Verena Ruppert, Geschäftsführerin des LaNEG. „Gleichzeitig fließen damit die Gewinne aus dem Netzbetrieb zurück in die Region.“ Immerhin wurden seit 2007 schon 83 neue Energieversorgungsunternehmen gegründet und gut 200 Konzessionen von kommunalen Unternehmen übernommen. Die anvisierten Ziele, die mit der Übernahme der Netze angestrebt wurden, haben diese kommunalen Unternehmen mehrheitlich erreicht, sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht, hat das Wuppertal Institut in einer Untersuchung festgestellt. Auf der Fachtagung wurden einige aktuelle Beispiele dafür aufgeführt, wie die Netzübernahme erfolgreich funktioniert. So wird in Sprendlingen-Gensingen, nur wenige Kilometer von der Landeshauptstadt Mainz entfernt, ab 1. Januar 2014 der örtliche Versorger Rheinhessen-Energie (RHE) den Strom an die Haushalte liefern. Ab Mitte des kommenden Jahres wird der Versorger auch das Gasnetz übernehmen. „Wir haben im Gesellschaftervertrag 100 Prozent grünen Strom vereinbart: keinen Atomstrom, keinen Strom aus Kohle“, sagt Armin Brendel, Bürgermeister von Gensingen. Er ist außerdem Vorstand der Bürgergenossenschaft Rheinhessen, die mit 23.9 Prozent an der RHE beteiligt ist. Mehrheitsgesellschafter sind mit 51 Prozent die Verbandsgemeindewerke Sprendlingen-Gensingen. Weitere Gesellschafter sind die Stadtwerke Mainz (SWM) und Netzkauf EWS aus dem baden-württembergischen Schönau. Brendel rechnet schon Ende 2014 mit schwarzen Zahlen. „Wir müssen als Kommunalpolitiker vorangehen und die Bürger beteiligen. Wenn wir die Netze selbst betreiben, Strom und Gas selbst verkaufen und die Energie auch selbst produzieren, bleibt die Wertschöpfung vor Ort,“ sagt Brendel. „Die Bürger sind dabei über die Genossenschaft unmittelbar beteiligt.“
Systematische Anreize und Sanktionen der Stromkonzerne
Gegenwind bekommen die neuen Stadtwerke und Energiegenossenschaften, die die Netze übernehmen wollen, von den großen Stromkonzernen. Die behindern mit gebotenen Vorteilen und Druckmitteln den Rückkauf der Stromnetze, woran häufig die Übernahmen scheitern. Die Strategien reichten von überhöhten Netzpreisen, der „politischen Landschaftspflege“, der verzögerten Herausgabe netzrelevanter Daten bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. „An erster Stelle der Verhinderungsstrategien stehen aber immer überhöhte Netzpreise“, erklärte Kurt Berlo vom Wuppertal Institut auf der Informationsveranstaltung. „Die bisherigen Inhaber der Konzession für den Netzbetrieb verlangten meist den Sachzeitwert, der häufig deutlich über dem Ertragswert der Netze liegt, also über dem, was es während der 20 Jahre des Konzessionsvertrages einbringt. Das ist allerdings nicht rechtens. Denn der Netzpreis solle sich am Ertragswert bemessen, betont Berlo. Das heißt, das Netz solle nur so viel kosten, wie es in den 20 Jahren des Konzessionsvertrages wieder einbringt. (Sven Ullrich)