Mit zweifelhaften Behauptungen wird oft Stimmung gegen die erneuerbaren Energien gemacht. Stromversorger begründen Preiserhöhungen teilweise mit Kosten der erneuerbaren Energien, RWE behauptet in seiner im Internet abrufbaren Präsentation zur Strompreisgestaltung, dass der Verbraucher für die Subventionierung von Ökostrom „etwa 2,9 Milliarden Euro“ zahle, und Thomas Hüne, zuständig für Presse und Kommunikation beim Bundesverband der Deutschen Industrie, bekräftigt: „die Umlage der Erneuerbaren Energien wird auf den Strompreis oben drauf gelegt“. Das ist jedoch eine Vereinfachung, die die Marktauswirkungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) ignoriert.
Auf den ersten Blick sieht es in der Tat so aus, als ob der Stromkunde draufzahlt: Die Energieversorgungsunternehmen sind durch das EEG verpflichtet, den Strom aus erneuerbaren Energien zu festen Preisen abzunehmen, die über denen des Marktes liegen. Dafür mussten sie allein im Jahr 2006 zirka drei Milliarden Euro mehr zahlen. Pikanterweise publizierten Eon Mitarbeiter vor zwei Jahren die ersten Indizien, dass die Einspeisung von Windenergie trotzdem zu sinkenden Stromkosten führen könnte. Zeitgleich kam der Bundesverband Windenergie in einer Studie zu ähnlichen Ergebnissen. Vergangenes Jahr beauftragte das Bundesumweltministerium dann Frank Sensfuß vom Fraunhofer Institut für Innovations- und Systemforschung in Karlsruhe nachzurechnen.
Sinkende Preise an der Strombörse
Der Karlsruher Ökonom simuliert Angebot, Nachfrage und Preise auf dem Strommarkt im Detail. „Wir lassen das Modell einmal mit Einspeisung erneuerbarer Energien und einmal ohne laufen“, erklärt er. „Dann rechen wir für jede Stunde die Preisdifferenzen aus“. Das geschieht analog zum Geschehen an der Leipziger Strombörse. Via Internet geben die Kraftwerksbetreiber dort ihre Angebote auf dem so genannten Spotmarkt bekannt. Die Energieversorger melden gleichzeitig ihren Bedarf an. Punkt zwölf Uhr fällt der Hammer. Dann wird festgelegt, wer zu welchen Preisen und zu welchen Uhrzeiten den Zuschlag erhält. Die Einsatzreihenfolge – Experten benennen sie nach dem englischen Fachbegriff „Merit Order“ – folgt einfachen Marktgesetzen: Die billigen Kraftwerke kommen zuerst zum Zuge. Je größer die Nachfrage ist, desto teurere Kraftwerke können ihren Strom verkaufen.
Ein vereinfachtes Beispiel hilft, den preissenkenden Effekt des EEG zu ver stehen: An einem Taxistand bieten fünf Transportunternehmen ihren Service an. Das Taxi des ersten Unternehmens verbraucht am wenigsten Benzin. Es kann die Dienstleistung dementsprechend am billigsten anbieten. In aufsteigender Reihenfolge haben die Unternehmen höhere Betriebskosten. Unternehmen fünf ist also am teuersten. Wenn kein Kunde den teuren Preis bezahlen will und nur vier Fahrgäste jeweils eine Autofahrt buchen, geht das fünfte Unternehmen leer aus und nur die vier billigeren Unternehmen werden ihre Dienstleistung verkaufen.
Der teuerste Preis zählt
Der springende Punkt ist: Obwohl ihre Autos unterschiedlich viel Benzin verbrauchen, stellt sich auf dem Markt für alle vier Taxen der gleiche Preis ein. Ihn zahlen alle Fahrgäste, denn bei einem höheren Preis möchte kein weiterer Kunde fahren, bei einem niedrigeren wollen Unternehmen nicht genug Fahrten anbieten. Fährt jetzt zusätzlich ein Bus und nimmt einen Fahrgast umsonst mit, sinkt die Nachfrage auf drei Taxen. Dann fällt dementsprechend der Preis aller drei Transportunternehmen auf den, der durch den Verbrauch des dritt teuersten Autos festgelegt ist. Genau das geschieht durch das Erneuerbare Energien Gesetz. Die Energieversorger müssen den Ökostrom abnehmen und kaufen deshalb weniger Kilowattstunden auf dem Markt ein. „Die Erneuerbaren sorgen dafür, dass die teuersten Kraftwerke, die den Preis setzen, nicht mehr gebraucht werden. Dadurch fällt der Strompreis insgesamt“, erklärt Sensfuß. Da das an der Einsatzreihenfolge der Kraftwerke liegt, wird der Mechanismus auch mit Merit-Order -Effekt bezeichnet. Nach Sensfuß‘ Rechnung sparten die Energieversorgungsunternehmen dadurch im Jahr 2006 drei bis fünf Milliarden Euro. Das ist gleich viel oder sogar mehr, als sie für den Ökostrom zusätzlich ausgeben mussten.
Diese Zahlen sind jedoch umstritten, da sie auf einigen Unwägbarkeiten beruhen. So berücksichtigt die Rechnung nicht, ob sich der Markt an das EEG angepasst hat. Wenn Kraftwerksbetreiber zum Beispiel wegen des EEGs unrentable Kraftwerke stilllegen, verringern sie das Stromangebot in Deutschland und der Preis würde steigen. Das Gegenargument lässt Sensfuß jedoch nicht gelten. Nachfragen bei den Kraftwerksbetreibern hätten ergeben, dass die meisten Kraftwerke nicht wegen des EEGs stillgelegt worden seien, sondern weil sie renovierungsbedürftig oder zu teuer gewesen seien.
Das Bundesumweltministerium hat sich Sensfuß? Einschätzung angeschlossen und konstatiert im EEG-Erfahrungsbericht 2007, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz „einen deutlichen Preis dämpfenden Einfluss auf die Stromhandelspreise in Deutschland ausgeübt“ hat. Bei der Formulierung der EEG-Novelle, die das Bundeskabinett beschlossen hat und jetzt Bundesrat und Bundestag vorliegt, hat sich jedoch das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner Auffassung durchgesetzt. Es hält es „für unzulässig, den Merit-Order-Effekt als Einsparung für Verbraucher darzustellen“. Eines der Argumente: Auch ein gesetzlicher Vorrang für Kohlestrom hätte den gleichen Effekt, da er das Stromangebot erhöhen würde. Deshalb könne man den Merit-Order-Effekt nicht den erneuerbaren Energien als Vorteil gut schreiben.
Umverteilung dank EEG
„Stimmt nicht“, widerspricht Sensfuß. Der Merit Order Effekt spiele zwar volkswirtschaftlich keine Rolle, da er nicht die Kosten der Erneuerbaren Energien insgesamt betrachtet. Er dämpft aber trotzdem die Strompreise, da er zu Gunsten der Kunden „zu einer Umverteilung von den konventionellen Stromerzeugern zu den erneuerbaren führt“. Ob das Ergebnis von 2006 auch für die Zukunft gilt, ist ungewiss. Mittelfristig werden sich die Kraftwerksbetreiber tatsächlich an die durch das EEG geschaffene Marktsituation anpassen. Die Lehre aus dem Merit-Order-Effekt bleibt jedoch bestehen: Nur eine Gesamtbetrachtung aller Kosteneffekte lässt eine Aussage darüber zu, wie sich die Erneuerbaren Energien auf die Strompreise auswirken.