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“Die Ausschreibungen müssen intelligenter werden“

Die Ergebnisse der ersten drei Ausschreibungsrunden für Solarparks sind kein Grund zum Jubeln, findet Martin Grundmann von Arge Netz. photovoltaik hat ihn und den Arge-Netz-Gesellschafter Jess Jessen dazu befragt. Anlagenbetreiber Jessen war einer der Gewinner der ersten Ausschreibungsrunde.

Herr Grundmann, Genossenschaften kritisieren, dass das Ausschreibungsmodell für Photovoltaikanlagen auf der Freifläche die Beteiligung von Bürgern hemmt. Wie bewerten Sie die Erfahrungen der ersten drei Solarausschreibungen nach Vorgaben der EU?

Martin Grundmann: Das Gros der gewonnenen Ausschreibungsmenge deckt nur wenige Unternehmen ab. Das Kostenziel der Regierung ist mit der Vergütung von acht bis neun Cent pro Kilowattstunde sicher erreicht worden. Dennoch können die drei Ausschreibungsrunden nicht als Erfolg bewertet werden. Denn gerade bei Photovoltaikprojekten es ist wichtig, dass sich Bürger beteiligen können. Nur eine direkte Beteiligung erhöht auch die Akzeptanz für die Energiewende und den weiteren Ökostromausbau.

Jess Jessen: Die gewünschte Vielfalt bei den Teilnehmern der Ausschreibungen war nicht ausreichend vorhanden. Zudem wurde das Ausbauziel der Bundesregierung von mindestens 2,4 Gigawatt pro Jahr deutlich verfehlt. Und das, obwohl Photovoltaik jedes Jahr wirtschaftlicher wird. Den Zubau einfach abzubremsen, macht wenig Sinn. Die Regierung muss sich die Frage stellen, ob die Energiewende auf dem richtigen Weg ist, wenn sich Bürger aus Kostengründen nicht mehr beteiligen können. Umgekehrt fragen sich die Bürger, ob es Sinn macht, für ein bis drei Prozent Rendite in eine unternehmerische Beteiligung einzusteigen.

Hinzu kommen die Importzölle, die die chinesischen Solarmodule für Projekte in Deutschland verteuern und die Rendite schmälern.

Grundmann: Richtig. Der deutsche Steuerzahler bezahlt dafür, dass eine Zukunftstechnologie wie die Photovoltaik weltweit den Durchbruch schafft. Im Gegenzug profitiert er nicht einmal von den sinkenden Modulpreisen – das ist absurd. Die Zölle sollten abgeschafft werden.

Wie können sich Genossenschaften künftig an der Energiewende beteiligen?

Grundmann: Die Ausschreibungen müssen intelligenter werden. Bis zum Start der drei Pilotprojekte für Ausschreibungen war es üblich, dass Bürgerenergiegesellschaften Solarparks gebaut haben. Genau diese Bürgersolarparks nun zu einer tolerierten Ausnahme zu machen, führt in die falsche Richtung. Wenn es zu teuer ist, dass sich Bürger beteiligen, weil beispielsweise Prospekte gedruckt werden müssen, stimmt etwas nicht.

Gibt es Bedenken für die geplante Übertragung des Ausschreibungsmodells auf Windparks?

Grundmann: Die gibt es. Beispielsweise gilt die De-minimis-Regel für Anlagen bis zu einem Megawatt für alle Technologien, also auch für Windanlagen. Aus unserer Sicht macht eine De-minimis-Regelung im EEG 2016 nur dann Sinn, wenn sie analog zu den Kriterien der EU-Beihilfeleitlinien erfolgt: Hier liegt der Grenzwert für Beihilfen ohne Ausschreibung für eine installierte Erzeugungskapazität bei 18 Megawatt mit maximal sechs Erzeugungseinheiten.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz für den Netzausbau unter den Bürgern in Norddeutschland ein?

Grundmann: Die Akzeptanz für Trassen an der Nordseeküste war laut Umfragen relativ hoch. Aber man muss die Bürger auch beteiligen. Eine Bürgerdividende, die von einer staatlichen Behörde ausgeschüttet wird, ist im Prinzip eine gute Idee. Der ehemalige Umweltminister Peter Altmaier hat das seinerzeit ins Spiel gebracht. Das dann tatsächlich angebotene Beteiligungsprodukt, eine Hybridanleihe, war so komplex, dass es für Bürger nicht verständlich war. Das Verfahren muss folgendermaßen bewertet werden: Der Prozess war gut, aber die regulatorischen Vorgaben waren zu hoch.

Jessen: Ein Projekt, das aufgrund fehlender Akzeptanz nicht weitergebaut wird, kostet jeden Tag zusätzliches Geld. Deshalb sollte Akzeptanz oder fehlende Akzeptanz monetär bewertet werden und direkt mit in die Kalkulation einfließen. Letztlich sehen wir das heute mit der Entscheidung der Bundesregierung für die Erdverkabelung.

Ist der geplante Netzausbau nötig?

Grundmann: Auf der Ebene der Übertragungsnetze ist der Netzausbau unvermeidlich. Wir werden ein europäisches Netz bekommen, das die einzelnen nationalen Märkte miteinander verbindet. In Europa gibt es allein durch die Offshore-Windparks einen hohen Transportbedarf. Bei dem Trassendesign gibt es mehrere Pilotprojekte, die sich mit Innovationen im Rahmen der erlaubten Vorgaben beschäftigen.

Jessen: Ein engmaschiges Stromnetz ist für fluktuierende Energien immer noch die beste Lösung. Man muss aber darauf achten, dass nicht zu viele Netzkilometer für fossile Kraftwerke geplant werden, die nach 2020 oder 2030 nicht mehr am Netz sind und zurückgebaut werden müssen.

Die HGÜ-Trassen halten Sie nicht für überdimensioniert?

Grundmann: Der Netzausbauplan basiert auf bestimmten Planungsansätzen für fossile Kraftwerke und Ökostromanlagen. Es gibt unterschiedliche Szenarien, und es werden sicher nicht alle Möglichkeiten in Betracht gezogen und durchgerechnet. Vor diesem Hintergrund ist es ebenso wichtig, dass die Energiesektoren enger verzahnt und die verschiedenen Energiemärkte verknüpft werden. Überschüssiger Ökostrom braucht künftig mehr Wärmesenken und Abnahmemöglichkeiten für Prozesswärme in der Industrie und der Mobilität. Hier müssen die Märkte und ihre Potenziale für die Nutzung erneuerbarer Energien mehr zusammen gedacht werden. Letztlich benötigen wir daher eine Doppelstrategie: Erstens eine weitere Beschleunigung beim Ausbau der Stromnetze. Und zweitens müssen Mengen, die das Stromnetz nicht aufnehmen kann, für sogenannte Power-to-X-Lösungen verwendet werden können.

Welche Dienstleistungen können Erneuerbare für das Stromsystem erbringen. Wie sieht das derzeit in der Praxis aus?

Jessen: Windparks und auch Photovoltaikparks können ohne Weiteres Spannungshaltung, Blind- sowie Wirkleistung bereitstellen. Es gibt ein Pilotprojekt des Netzbetreibers 50 Hertz, bei dem Ökostromanlagen identische Systemdienstleistungen erbringen wie konventionelle Kraftwerke. Technisch ist das bereits kein Problem mehr, nur die gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen dafür müssen noch geschaffen werden. Ein weiteres Beispiel: Die Software der Wechselrichter in den Solarparks ist seit 2014 dafür ausgelegt, auch nachts Blindleistung bereitzustellen. Diese Stütze fürs Netz stellen sie mithilfe eines kleinen zusätzlichen Stroms rund um die Uhr bereit. Das Problem ist nur, dass der Gesetzgeber diese Systemdienstleistung nicht vergütet.

Was muss passieren, damit Ökostromanlagen auch Regelenergie am Markt anbieten?

Grundmann: Entscheidend dafür ist der regulatorische Rahmen. Beim Bieterverfahren sind die Fristen noch zu lang und die abgeforderten Leistungen zu groß. Dort müssen noch Hürden abgebaut werden, nur so können auch kleinere Anlagen mit weniger Leistung am Markt teilnehmen. Das Marktdesign muss den Erneuerbaren noch angepasst werden. Wir brauchen auch kurzfristigere Märkte im Regelenergiemarkt. Andere Länder wie Dänemark und deren Übertragungsnetzbetreiber machen das heute schon. Es gibt das Argument, dass mit der Verringerung der Gebotsanforderungen der Aufwand steigt. In Zeiten von Echtzeitdatenlieferung dürfte das kein Problem mehr sein, dafür bietet die Arge Netz ihr erneuerbares Kraftwerk zur Steuerung an. Die Leitwarte befindet sich hier in Breklum.

Sie betreiben ein virtuelles Ökostromkraftwerk in Breklum. Was leistet es für die Versorgungssicherheit?

Grundmann: Das erneuerbare Kraftwerk wird wie ein herkömmliches Großkraftwerk gefahren. Die Anlagen werden also, je nach Bedarf, dazu- und abgeschaltet. An unserem Hauptsitz steuern wir mittlerweile Anlagen mit einer Leistung von 1.200 Megawatt und bündeln die Energie. Die Daten stellt eine Software den Netzbetreibern und dem Energiemarkt zur Verfügung. Der Clou dabei: Die Daten werden in Echtzeit abgebildet. Genau das wird künftig der Standard sein: Sogenannte Aggregatoren bündeln mehrere Ökostromanlagen und bilden sie zusammen ab.

Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.

www.arge-netz.de

Dr. Martin Grundmann

ist promovierter Soziologe und Geschäftsführer von Arge Netz, einem Verbund aus 300 Anlagenbetreibern mit Hauptsitz im nordfriesischen Breklum. Jess Jessen ist einer dieser Anlagenbetreiber. Zudem hat Arge Netz Büros in Berlin und Brüssel. Aus der Leitwarte in Breklum steuert der Verbund ein virtuelles Kraftwerk mit 1.200 Megawatt Leistung.

MVV Energie

Stromkonzerne vernachlässigen erhebliche Marktpotenziale

Eigenversorgung und Batteriespeicher werden die deutsche Energiewirtschaft auf den Kopf stellen: Holger Krawinkel vom Regionalversorger MVV Energie skizzierte auf dem PV-Symposium in Bad Staffelstein für die Photovoltaikbranche eine strategische Partnerschaft.

„Photovoltaik wird zum Konsumgut und so selbstverständlich wie der private Pkw“, sagte der Experte, der beim Mannheimer Energieversorger MVV seit knapp zwei Jahren für Kundenbedürfnisse und Innovation zuständig ist. Zuvor war er beim Verbraucherzentrale Bundesverband Deutschland als oberster Verbraucherschützer in Energiefragen tätig.

Er ist nicht nur der Meinung, dass die Photovoltaik viel stärker ausgebaut werden sollte als zurzeit. Er ist auch davon überzeugt, dass sich dieser Ausbau in den nächsten Jahren stark beschleunigen wird. Die Energiewende wird für die Stromkonzerne so einschneidend sein wie die Massenproduktion von Autos für die Bedeutung der Eisenbahn. „Das muss die Stromkunden nicht mehr kosten“, ist er überzeugt.

Und: „100 Prozent erneuerbare Energien bedeuten auch 100 Prozent Elektrifizierung“, warf er in die Diskussion. Denn zur Energiewende gehören auch die Wärmeversorgung und Elektroautos. Krawinkel sieht mehr denn je die Privathaushalte als Treiber und die Energieversorger vor einem Paradigmenwechsel: „Die neuen Geschäftsmodelle liegen nicht vor, sondern hinterm Zähler – beim Kunden. Die Kunden wollen mehr Unabhängigkeit, Eigenversorgungssicherheit und ihre Elektroautos am liebsten zu Hause laden.“ Dieses Marktpotenzial werde zurzeit von den Anbietern aber bei Weitem nicht abgeschöpft, mahnt Krawinkel.

Krawinkel sieht das Unternehmen MVV Energie für diese Chancen gut gerüstet: „Wir wollen mit den Kunden die Technologie auf den Weg bringen. Dafür müssen wir mehr mit ihnen kommunizieren und eine neue Solarstrategie umsetzen.“

Die Politik hingegen sei noch weitgehend unvorbereitet und deshalb seien von dort auch keine Impulse zu erwarten. Dennoch warnte er davor, den Einfluss der Politik zu ignorieren: „Trotz aller Marktwirtschaft sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen sehr wichtig“, meinte er. „Vor allem müssen wir disruptive Änderungen verhindern.“ Unausgegorene politische Schnellschüsse haben dem deutschen Photovoltaikmarkt in den letzten Jahren erheblich zugesetzt.

Aber auch der überbordenden Bürokratie erteilte Krawinkel eine Absage: „Einige Regeln sind heute so, als müsste man beim Kauf einer neuen Küche jede einzelne Herdplatte bei der Bundesnetzagentur anmelden.“

Krawinkel will raus aus dem EEG. Er propagiert den Verzicht auf finanzielle Förderung und fordert dafür eine deutliche Anhebung der Bagatellgrenzen und technische Vereinfachungen für Mieterstrom. Zudem: „Wenn die Importbeschränkungen durch Mindestpreise wegfielen, wäre Mieterstrom sofort wirtschaftlich wegen der billigeren Solarmodule“, sagte er. „Die meisten Wohnungsbaugesellschaften wollen das auch.“

Sogar Einbaupflichten kann Krawinkel sich vorstellen: „Im Rahmen von energieneutralen Gebäuden wird die Eigenversorgung zum Standard. Wenn die Kosten dafür moderat sind, ist das gut durchzusetzen.“ (Thomas Seltmann)

www.mvv-energie.de

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