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Die Tücken der Großstadt

Ein Meer von Photovoltaikmodulen. Wer sich mit eigenen Augen davon überzeugen will, braucht bloß ins Münchner Bauzentrum im Osten der Stadt zu gehen. In der obersten Etage des Betonklotzes kann er den Blick über die Dächer der Neuen Messe München schweifen lassen. Module, wohin das Auge blickt. Denn auf den Messehallen in Riem befinden sich die wohl bekanntesten Photovoltaikanlagen Münchens mit insgesamt zwei Megawatt Leistung. Zurück auf der Straße, kommt der Solarinteressierte nicht nur auf den Boden im wörtlichenSinne, sondern auch auf den Boden der Tatsachen zurück.

Natürlich gibt es Vorzeigeprojekte, wie die 20-Kilowatt-Anlage auf dem Maximilianeum, dem Sitz des Bayerischen Landtags, die der Münchner Projektierer Green City Energy im Jahr 2005 baute. Oder die Photovoltaikanlage auf der BMW-Welt im Olympiapark, um die der Autobauer aber kein Aufhebens macht. In der Summe sind in der Stadt aber vergleichsweise wenig Photovoltaikanlagen installiert. Von rund 6.400 Megawatt installierter Photovoltaikleistung in Bayernsind nur 27 Megawatt in der Landeshauptstadt am Netz. Das soll sich ändern, hat der Stadtrat beschlossen und deshalb die Stadtwerke München mit der Gründung der Solarinitiative München, kurz SIM, beauftragt. Das eigenständige Unternehmen soll dafür sorgen, dass mehr Photovoltaikanlagen im städtischen Raum installiert werden.

Idee von grüner Stadträtin

Die Solarinitiative München geht auf eine Idee der Stadträtin Sabine Nallinger zurück. Seit 2008 sitzt Nallinger fürdie Partei Bündnis 90/Die Grünen im Münchner Stadtrat. Hauptberuflich leitet die Stadt- und Verkehrsplanerin seit 2003 den Bereich Forschung, Entwicklung und Innovationen bei der Münchner Verkehrsgesellschaft. Die MVG ist ein Tochterunternehmen der Stadtwerke München (SWM).

Aus diesen Funktionen heraus verfolgt Nallinger die Aktivitäten der städtischen Referate und Unternehmen aus nächster Nähe mit. Seit 2005 macht der Begriff „Solarstadt München“ die Runde. Das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) der Landeshauptstadt München verkündete das Ziel, München zur Solarstadt zu machen. Mit einer Solarstrahlung von über 1.100 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr sei München prädestiniert, Solarenergie zu nutzen, beschloss das RGU. Das Amt initiierte daraufhin die Münchner Solartage, ein Solar-Info-Mobil und ähnliche wenig schlagkräftige Maßnahmen.

Ende 2007 entdeckten die Stadtwerke München, eine 100-prozentige Tochter der Stadt München, die erneuerbaren Energien für sich. Das Unternehmen rief die „Ausbauoffensive erneuerbare Energien“ ins Leben und versäumt seither keine Gelegenheit, das ambitionierte Ziel zu propagieren. Bis 2025 soll der gesamte Strombedarf in der Stadt – immerhin 7,5 Milliarden Kilowattstunden im Jahr – aus Erneuerbare-Energien-Projekten gedeckt werden. Schnell war offensichtlich, dass die SWM dabei auf überregionale Projekte setzen. Beispiele sind Beteiligungen an Offshore-Windparks in der Nordsee und in der Irischen See, an Solarparks in der Lausitz und einem Parabolrinnen-Kraftwerk in Spanien.

Projekte für die Bevölkerung

Sabine Nallinger war das zu wenig. „Es ist klar, dass Energieerzeugungsräume und Energieverbraucherräume sich nicht decken können“, sagt sie. „Und die Stadtwerke sollen auch wirtschaftlich sein.“ Aber man müsse auch diversifizieren. „Wer weiß schon, wie sich die Windparks langfristig entwickeln? Außerdem erzeugen Großstädte 80 Prozent der weltweit emittierten CO2 -Emissionen. Deshalb müssen wir Lösungen bringen“, schildert sie ihre Überlegungen. Ihr Fazit im Jahr 2008: „Wir müssen ein Photovoltaikprojekt in der Stadt starten.“ Die gesamte Gesellschaft sei in der Verantwortung und jeder solle die Chance haben, sich zu beteiligen, bekräftigt die Stadträtin.

Nallinger gewann Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) für ihre Idee. Gemeinsam konnten sie den Stadtrat überzeugen, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Die bestätigte das Potenzial in München. Von den 42 Millionen Quadratmetern Dachfläche in der Stadt sind 15,35 Millionen Quadratmeter „theoretisch geeignet“, ergab die Studie, die zwischen Oktober und Dezember 2009 erstellt wurde. Davon sind 2,85 Millionen Quadratmeter Schrägdächer, die zu 100 Prozent genutzt werden können.Von den 12,5 Millionen Quadratmeter Flachdächern könnten 33 Prozent, also 4,1 Millionen Quadratmeter, mit Photovoltaikanlagen bebaut werden. Insgesamt könnten so Anlagen mit 410.000 Kilowatt Leistung installiert werden. Die wiederum könnten 9,2 Prozent des Münchner Stromverbrauchs decken. Mit diesen Zahlen ließ sich der Stadtrat von dem Sinn einer städtischen Photovoltaikinitiative überzeugen. Im Juli 2010 beschlossen die Delegierten mit großer Mehrheit die Gründung der Solarinitiative München. Nur die FDP stimmte dagegen.

Gesellschafter gesucht

Solarinitiative: Das Wort lässt erst einmal an einen Verein mit ehrenamtlich Engagierten denken. In München verbirgt sich dahinter jedoch ein Unternehmen mit klaren Vorgaben für die Geschäftsentwicklung. Im November 2010 gründeten die Landeshauptstadt München und die Stadtwerke München die Solarinitiative München zunächst als GmbH. Im März dieses Jahres wurde die GmbH in eine GmbH & Co. KG umgewandelt, um so die Aufnahme neuer Gesellschafter zu erleichtern. Denn die Stadtwerke München, die 95 Prozent der Anteile an der Solarinitiative München halten, wollen ihren Anteil sukzessive auf „unter 25 Prozent“ reduzieren. Die übrigen fünf Prozent gehören der Landeshauptstadt München.

Geschäftsführer der SIM ist Harald Will, Umweltwissenschaftler und Projektentwickler. Sein Hauptauftrag zu Beginn lautete, neue Gesellschafter für die Solarinitiative zu finden. Seit mehreren Monaten führt er deshalb Gespräche mit potenziellen Gesellschaftern. Ende Juli berichtet er, dass ein Vertrag mit einem bekannten bayerischen Unternehmen kurz vor dem Abschluss stehe, den Namen will er aber noch nicht verraten.

Eine Million Euro stehen dem Unternehmen SIM für 2011 zur Verfügung. Der Finanzplan in der Machbarkeitsstudie sieht vor, das Kapital mittelfristig auf bis zu 20 Millionen Euro zu erhöhen. Gesellschafter können laut Wirtschaftsplan nach der Startphase mit einer Rendite von drei bis acht Prozent rechnen.

„Photovoltaikanlagen sollen auch mitten in München sichtbar werden“, heißt es in einer Projektbeschreibung der SIM. „Dazu sollen neben allen verfügbaren Industriedächern auch architektonische Lösungen mit moderner Anmutung gebaut werden, die sich gut ins Stadtbild integrieren. Photovoltaik soll sich nicht am Stadtrand verstecken müssen. Die Bürger sollen sehen, woher ihr Strom kommt, und sich möglichst aktiv beteiligen.“ Damit ist das Ziel der SIM klar umrissen. Ihre konkreten Aufgaben benennt Harald Will wie folgt: „Wir wollen Hemmnisse identifizieren und Musterprojekte initiieren.“ Dass es auf dem Land und in kleineren Kommunen leichter ist, Photovoltaikanlagen zu bauen, zeigt die Verteilung der installierten Leistung in Bayern, die auch für andere Bundesländer typisch ist. In den Städten gibt es viele Gegebenheiten, die die Rate an Solarstromanlagen niedrig halten. Eine große Hürde sind die komplexeren Eigentumsverhältnisse. In urbanen Gegenden leben die meisten Menschen zur Miete, die Wohnungsgesellschaften oder Wohnungseigentümergemeinschaften entscheiden über den Bau einer Anlage. Sie scheuen oft den Planungsaufwand oder die Kosten. Darüber hinaus sind viele Dachflächen eher klein, noch dazu sind sie mit Gauben, Schornsteinen und Antennen bedeckt. Eng beieinanderstehende Häuser sorgen zudem für Verschattung. Ein oft beklagtes Hindernis sind weiterhin baurechtliche Vorgaben wie Denkmal- und Ensembleschutz.

Eine Aufgabe von Will ist es also, Dachbesitzer dazu zu motivieren, ihre Flächen für den Bau von Photovoltaikanlagen gegen einen Pachtzins zur Verfügung zu stellen. Anlagen ab 30 Kilowatt Leistung will er bauen, und das vornehmlich auf den Dächern von Gewerbetreibenden. Die Anlagen sollen jedoch nicht oder nur vorübergehend im Besitz der SIM bleiben. Stattdessen sollen Solarfonds aufgelegt werden, damit die Bürgersich beteiligen können. Die Münchner würden so von einer sicheren Geldanlage bei einer marktüblichen Rendite von vier bis sechs Prozent profitieren, sie könnten ihren Beitrag zur Energiewende leisten und die Akzeptanz der Solarstromerzeugung in der Bevölkerung würde steigen.

Netzwerken als Basis

Um Projekte zu akquirieren, ist Harald Will im Moment fleißig am Netzwerken. Dafür spricht er zum Beispiel mit städtischen Behörden, Wirtschaftsverbänden und -kammern, mittelständischen Gewerbetreibenden, der Immobilienwirtschaft, der katholischen Kirche, regionalen Photovoltaikunternehmen und Vereinen. Zusammen mit Projektpartnern unterbreitet er potenziellen Investoren Vorschläge, wie eine Photovoltaikanlage auf dem Dach aussehen und finanziert werden kann. „Ich versuche, Leuten zu helfen, Projekte zu verwirklichen, die sonst nicht zustande kommen würden“, beschreibt er seine Tätigkeit. Dass die Unterstützung bei Genehmigungsverfahren – man könnte es auch Mediation nennen – auch zu seinen Aufgaben gehört, zeigt das folgende Beispiel.

Auf einem Parkplatz in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs wollte ein Unternehmen aus der Finanzdienstleistungsbranche Solar-Carports und eine Elektrotankstelle bauen. Hierfür hätten allerdings Bäume, die im Süden der angedachten Anlage stehen, gefällt werden müssen. Die Genehmigung für das Projekt scheiterte an der Unteren Naturschutzbehörde. Sie befand, dass die Bäume Vorrang vor der Photovoltaikanlage haben. Will versuchte, zwischen den Beteiligten zu vermitteln und einen Kompromiss zu finden. Er entwickelte ein Baukonzept mit weniger Baumfällungen. Alternativ hätte die Carportfläche durch eine Anlage auf einem Gebäudedach ergänzt werden können. Allerdings war der Bau schon zu weit fortgeschritten, so dass die Anlagen letztlich nicht gebaut wurden. Zuversichtlich ist er jedoch, dass einige der Absichtserklärungen, die momentan vorliegen, spruchreif werden. „Bei mindestens drei Gestattungsverträgen sind wir in der Endphase“, sagt er Ende Juli. Er geht davon aus, dass er in diesem Jahr noch Anlagen mit zwei Megawatt Leistung bauen wird.

Zusammenarbeit erwünscht

Auf die SIM angesprochen, schwanken etablierte Unternehmen der Münchner Photovoltaikbranche zwischen Zustimmung und Skepsis. Zwar befürwortet jedes der befragtenUnternehmen das Vorhaben, mehr Photovoltaikanlagen auf die innerstädtischen Dächer zu bringen. Allerdings fragen sich nicht wenige, ob es dazu die Solarinitiative braucht. Denn in der Stadt gibt es zahlreiche Unternehmen, die seit vielen Jahren in dem Markt aktiv und etabliert sind, so zum Beispiel die Firma Green City Energy, die aus einem Umweltverein heraus entstand und die heute überregional und über die Grenzen Deutschlands hinaus regenerative Anlagen baut. Oder die Agenda-21-Gruppe in Hadern, die Anlagen mit 1,25 Megawatt Leistung in München und Umgebung baute. Nicht zu vergessen große Systemhäuser aus der Umgebung wie Phoenix Solarstrom aus Sulzemoos und Gehrlicher Solar aus Dornach. Oder kleine Initiativen wie Projekt 21 plus.

„Es gibt genügend Akteure in München, die das alles können. Man braucht keine neuen Akteure“, sagt ein Münchner Solarexperte, der nicht namentlich genannt werden möchte. Vor allen Dingen brauche es keine „Behörde mit einem komplizierten Aufsichtsrat“. Seiner Meinung nach seien die Jahre, in denen das Unternehmen SIM gegründet und aufgebaut wurde, verschenkte Zeit.

Oberbürgermeister Ude hätte einfach anordnen sollen, dass mehr Dächer für Anlagen zur Verfügung gestellt werden, sagt der Kenner des Münchner Photovoltaikmarktes. Diese hätten die bestehenden Firmen liebend gern bebaut. Mit jeder erneuten Absenkung werde es schwerer, Anlagen zu bauen. Da helfe auch ein städtisches Unternehmen nichts.

Andere äußern sich weniger drastisch. So sagt beispielsweise Stephan Dautel, Geschäftsführer von Futurasol: „Ich finde die Initiative spannend, weil bisher wenig Dächer in München für Photovoltaik genutzt werden. So könnte etwas passieren.“ Richard von Hehn, Leiter Corporate Strategy & Development bei Gehrlicher Solar, hält die Initiative ebenfalls für vielversprechend.

„Dass es sich lohnt, Dachprojekte in München zu realisieren, kann eine Institution wie die Solarinitiative München besser transportieren als einzelne Akteure“, meint er. Und auch Eugen Kuntze von der Agenda-21-Gruppe in Hadern sagt: „Es ist gut, dass Dächer bestückt werden sollen, die sonst vielleicht nicht bestückt würden.“ Allerdings könne er noch nicht erkennen, „wie bestehende Akteure in München mit eingebunden werden sollen“.

Akteure wollen partizipieren

Mehrere der Befragten erhoffen sich, dass es nicht bei Gesprächen zum Kennenlernen bleibt, sondern dass man gemeinsam Projekte realisieren werde. Einen ähnlichen Tenor schlägt Cigdem Sanalmis an. Sie ist die Vorsitzende des im Dezember2010 gegründeten Landesverbandes Oberbayern der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie: „Ich würde es begrüßen, wenn sowohl SIM als auch andere Organisationen mit vereinten Kräften wirklich große Projekte in München realisieren.“ Auch die SIM könne sicher gute Kooperationspartner gebrauchen, meint Sanalmis.

Den größten Vorteil, den die Solarinitiative München wahrscheinlich hat, ist der direkte Draht zur Stadt. Denn die Verwaltung wird von vielen als das größte Hindernis beim Bau von Photovoltaikanlagen in München genannt. Deshalb bauen die etablierten Gruppen und Unternehmen in erster Linie außerhalb der Stadt. Die Agenda 21 Hadern baut zum Beispiel gerade eine 2,2-Megawatt-Anlage in Aschheim vor den Toren Münchens. Green City Energy plante und installierte unter anderem auf Werkdächern von Audi in Ingolstadt eine Anlage mit 1,12 Megawatt Leistung.

Dass die Münchner Photovoltaikbranche die Solarinitiative München mit Spannung beobachten wird, liegt auf der Hand. Wenn das Projekt, das sich in einem Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Verwaltung bewegt, ein Erfolg wird, könnte es auch ein Modell für andere Städte sein. Zu wünschen wäre es, weil die Stadt damit signalisiert, dass sie auch auf ihrem eigenen Terrain Solarstadt sein will.

Ina Röpcke

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