Also wurde die Stromversorgung über mehrere Tage durch die Kohlemeiler, noch laufende AKW und Gasturbinen abgedeckt. „Seht her! Wir brauchen die großen Kraftwerke“, lautete die Botschaft. „Wir brauchen den Kapazitätsmarkt! Wir brauchen Reserven, die im Fall der Dunkelflaute einspringen!“
Kein Wort, sondern PR
Dunkelflaute ist kein Wort, sondern PR. Die deutsche Hochsprache kennt diesen Begriff nicht. Er hat nur eine Aufgabe: Die Ängste zu befeuern, dass eines Tages in Deutschland das Licht ausgeht. Er impliziert: „Sonne und Wind sind unzuverlässig! Wir brauchen die alten Großkraftwerke, sonst ist das Abendland am Ende!“
Was die Medien wie eine Neuigkeit in die Köpfe der deutschen Michels und Michaelas pumpen, ist überhaupt nicht neu. Neu ist die Aggressivität, mit der das Argument vorgetragen wird. Auch nicht neu ist die an Sorglosigkeit grenzende Willfährigkeit der meisten Journalisten in dieser Angelegenheit. Und der Quark, den sie obendrauf kleisterten.
Eine völlig normale Wetterlage
Denn die Dunkelflaute ist – meteorologisch gesehen – in unseren Breiten eine völlig normale Wetterlage – weder für den Laien noch für Energieexperten eine Überraschung. An diesen Tagen gehen die Stromhandelspreise hoch, weil Windstrom und Sonnenstrom eben nicht auf die Preise drücken. Es ist die zeitweise Rückkehr zum alten Modell der Energiewirtschaft, so etwas wie der Range Extender bei Hybridautos. Endlich lohnt es sich wieder, die alten Schrottmeiler anzuwerfen.
Man kann es auch das letzte Angebot der Energieriesen nennen, die nichts Anderes kennen – und können – als Kohledreck, Abgase und radioaktive Verstrahlung. Denn ausgerechnet die Dunkelflaute im Januar zeigte, dass die großen Kraftwerke überhaupt nicht geeignet sind, Schwankungen im Netzangebot aus Sonne und Wind auszugleichen. Kohlekraftwerke muss man über mehrere Tage vorheizen, bis sie ans Netz gehen. Auch die AKW sind viel zu träge, um auf Schwankungen zu reagieren. Nur bei einer – sagen wir – zweiwöchigen Dunkelflaute lohnt es sich überhaupt noch, die Meiler anzufahren oder aus dem Notlastbetrieb (minimal erforderliche Teillast, damit der Kohleofen oder der Reaktor nicht ausgehen) zu wecken.
Gaskraftwerke sind viel zu groß
Einzig Gaskraftwerke lassen sich schnell zu zünden. Im Vergleich zu den abgeschriebenen Meilern sind sie jedoch teuer – wie auch neugebaute Kohlekraftwerke oder Atommeiler viel zu teuer wären. Sie sind teuer, und vor allem sind sie eines: viel zu groß. Auch das hat die Dunkelflaute erwiesen: Solche Großkraftwerke sind generell nicht mehr wirtschaftlich, ganz gleich, mit welchem Brennstoff sie heizen.
Die in Gaskraftwerken derzeit zur Verfügung stehenden Reservekapazitäten wurden zu einer Zeit geplant und errichtet, als man noch glaubte, das Hochspannungsnetz mit seinen Großkraftwerken habe eine Zukunft. Moderne Netze mit tausenden oder Millionen verteilten Generatoren brauchen aber verteilte Reserven. Um mit Gasturbinen wirklich wirtschaftlich arbeiten zu können, braucht man keine 400 Megawatt oder 800 Megawatt, sondern 50 Megawatt oder 100 Megawatt, die direkt in der Mittelspannung wirksam werden.
Solche Kleinturbinen lassen sich viel schneller schalten und an regionale Defizite anpassen. Denn auch im Phasen der Dunkelflaute gab es in Deutschland durchaus Regionen, die mit Windstrom auskamen. Nur in der Summe über die ganze Republik ergab sich ein Strommangel, der an der Energiebörse auf die Preise pro Megawattstunde durchschlug. Eben weil effektive Ausgleichskapazitäten fehlen, ging der Preis hoch.
Reserven aus Norwegen holen
Für einige Tage dominierte wieder das alte Preisgefüge, konnten die Energieriesen endlich wieder einmal Erzeugergewinne einstreichen. Bisher halten sie sich fast ausschließlich mit Handelsgewinnen über Wasser. Denn der deutsche Stromkunde muss zahlen, auch wenn die Beschaffungspreise an der Börse im Keller sind. Denn nicht nur die Großkraftwerke und die Stromnetze, sondern auch der Handel ist faktisch monopolisiert.
Ein Gedankenexperiment gefällig? Woher bekommen wir sauberen Reservestrom? Ich schlage vor: aus Wasserkraft. Nicht aus Deutschland, das klappt im Flachland nicht. Wie wäre es mit den Norwegern? Wir legen ein dickes Kabel durchs Skagerak, das ein paar Gigawatt Leistung bei uns anlandet – im Falle einer Dunkelflaute beispielsweise. Ich sage Euch: Die Norweger würden diese Leitung sogar bezahlen, um Reservestrom im deutschen Netz handeln zu können. Das wäre viel sinnvoller, als alte Meiler zu reanimieren. Klar, dann sind die deutschen Energiekonzerne sofort am Ende, dann bleibt nur noch der Bagger.
Die Dinosaurier bleiben tot
Die ganze Diskussion um die Dunkelflaute und die deutschen Großkraftwerke ist ökonomisch und ökologisch höchst gefährlich. Mit diesem Argument wird aufmunitioniert, um gegen Windräder und Solaranlagen neu in Stellung zu gehen. Doch es wird keine Rückkehr zu den Dinosauriern geben, die uns die Klimaerwärmung, Tschernobyl und Fukushima eingebrockt haben. Ich kann das nur verlogen und heuchlerisch nennen. Denn bisher vermeiden die Manager der großen Energiekonzerne, die ihnen hörigen Pressevertreter und die Politik, die Wahrheit offen auszusprechen: Auch große Reservekapazitäten mit Gasturbinen haben überhaupt keine Berechtigung mehr, erst recht nicht die damit verbundenen Stromtrassen.
Lediglich in Ballungszentren sind größere Gaskraftwerke sinnvoll, weil dort naturgemäß weniger Sonnenstrom und weniger Windstrom ins Netz kommt. Aber auch dort sind sie nur eine Brücke, um nicht zu sagen: eine Krücke. Denn die kleinen BHKW und demnächst die Brennstoffzellen werden die erforderliche Ausgleichsenergie für die Phasen der Dunkelflaute bereitstellen, gespeist aus Wasserstoff und künstlichem Methan, das im Sommer gebunkert wird.
Je dezentraler, desto sicherer
Je schneller wir uns von den Großkraftwerken generell verabschieden, desto sicherer wird die Energieversorgung. Das schreiben die Gesetze der Mathematik vor: Viele kleine, verteilte Generatoren agieren intelligenter, schneller und effizienter als wenige Großkraftwerke. Wir bauen auch keine Röhrenradios mehr, weil tausende von kleinen Transistoren viel billiger und effizienter sind. Um die Mondlandung Ende der 60er Jahre auszurechnen, wurden Großcomputer benötigt, mit eigens errichteten Gebäuden und Kraftwerken zur Stromversorgung. Sagt mir: Wo sind sie geblieben? Heute hat ein einziger Laptop tausendfache Rechenleistung. Und die gute alte Handvermittlung bei der Post und im Telegrafenamt gibt es längst nicht mehr. Wo früher hunderte Damen über mehrere Stockwerke verteilt hockten, um tausend Einzelgespräche zu verknüpfen, reicht heute ein koffergroßes Gerät aus – um Millionen Leitungen zu schalten.
Das Problem der sauberen Stromversorgung liegt nicht bei den dezentralen Generatoren, sondern in den monopolisierten Übertragungsnetzen und der Marktmacht der Energiekonzerne. Wer die Dunkelflaute im Stromnetz aktiv angehen will, muss erst einmal die Dunkelflaute in den Hirnen überwinden. Der Mensch ist angstgesteuert, evolutionär gesehen. Die Furcht, dass uns das Licht ausgeht, ist die uralte Furcht, das Lagerfeuer könnte verlöschen. Oder, sprichwörtlich: „dass der Ofen ausgeht“.
Jahrhunderttausendalte Ängste
Dahinter stecken Ängste, die über Jahrhunderttausende gezüchtet wurden. Manche Menschen singen in der Dunkelheit, um sich Mut zu machen. Das ist das gleiche Muster. Dabei weiß doch jedes Kind, dass es keine Gespenster, Wölfe oder andere Monster gibt. Da muss man sich eben entscheiden: Wollen wir in Angststarre verfallen, pfeifend durch die Nebel stolpern, oder soll die Energiepolitik endlich den Regeln der Vernunft folgen?
Überall in Deutschland kleine Gasturbinen in die Mittelspannung oder die Niederspannung einzubauen, wäre ein neues Geschäftsfeld für die Verwalter der Verteilnetze: für Stadtwerke, für Kommunen, von mir aus auch für die regionalen Netztöchter der Energieriesen. Das wäre die Lehre aus den lichtarmen und windschwachen Wochen zu Jahresbeginn, die richtige Antwort im Sinne der Energiewende. Und vielleicht muss auch dieser Wandel von unten kommen. Denn von oben: aus den Chefetagen der Energiekonzerne, aus den Medien oder der Politik ist kaum etwas zu erwarten. Leider.