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“Ein Programm für Nordafrika“

Wie es scheint, sind Sie der einzige Kritiker von Desertec. Alle sind offenbar begeistert.

Vielleicht bin ich der auffallendste, aber ich bin mit Sicherheit nicht der einzige. Ich kenne wenige, die sich wirklich auskennen und tatsächlich Befürworter dieses Projekts sind, weil mit diesem Projekt so viele politische und wirtschaftliche Ungereimtheiten verbunden sind.

Welche konkreten Probleme sehen Sie?

Es wäre das allererste Großprojekt, das wirklich nur so viel kostet, wie angegeben worden ist, egal um welchen Bereich es geht. Und bezogen auf die Frage, ob es für die Einführung der erneuerbaren Energien in Europa zwingend notwendig ist, bleibt eigentlich nur ein fragwürdiges Argument übrig: dass damit angeblich ein unverzichtbarer Beitrag zur Grundlastversorgung geleistet werden könnte wegen der Speicherproblematik von Strom aus Solarstrahlung beziehungsweise Solarwärme und Windkraft. Da ist die Antwort ziemlich eindeutig: Nein. Der zügige Ausbau der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien hierzulande bedarf nicht neuer Grundlastkraftwerke, sondern schnell zuschaltbarer, dezentraler Regelkraftwerke. Und zwar je mehr und je schneller, je schneller der Anteil der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien wächst.

Also wie lässt sich der Anteil der erneuerbaren Energien konkret erhöhen?

Der optimale Weg ist, den Mix aus erneuerbaren Energien voranzutreiben in Verbindung mit dem Einsatz neuer Speichertechnologien. Nicht zufällig ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf alle erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung bezogen. Nehmen Sie nur das Beispiel, dass Mitte Juni – das war übrigens zeitgleich mit dem Start von Desertec und dem großen Medienhype darum – in Kassel die Konferenz von 100-Prozent-Kommunen stattfand. Über 90 Kommunen und Landkreise haben dort ihre 100-Prozent-Konzepte vorgelegt. Und da war kein einziges Konzept dabei, das die Stromversorgung aus Nordafrika mit einbezog, sondern das sind100-Prozent-Konzepte, die übrigens teilweise sogar schon realisiert sind. Da geht es immer um den eigenen Mix mit Smart Grids. Das ist die interessanteste technologische Entwicklung. Man muss dieses vor dem Hintergrund sehen, dass selbst die gegenwärtig teuerste Variante der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, das ist die Photovoltaik in Deutschland, in den nächsten drei Jahren Grid Parity erreichen wird. Das heißt: Die Eigenerzeugung kostet dann nicht mehr als der Strombezug aus dem Netz. Und das ist ja nicht das Ende des Liedes. Die Preise gehen ja dann immer noch weiter runter. Das bedeutet: Wenn vielleicht irgendwann in den 20er Jahren die ersten Stromlieferungen von Desertec kommen könnten, wird diese unter Umständen niemand mehr haben wollen.

Sollten wir uns denn nicht generell über diese zusätzliche Form der erneuerbaren Energie freuen?

Die Frage ist doch: Was heißt die zusätzliche Form? Wenn man einen Optionenvergleich macht und es gleichzeitig um Geschwindigkeit geht, sollte man nicht auf das setzen, was am längsten braucht, um realisiert zu werden. Dass man ab dem Jahr 2020 schon drei Prozent des europäischen Strombedarfs über Desertec leisten könnte, das halte ich schlicht für Träumerei. Sie müssen ja sehen, dass Sie dann nicht nur eine, sondern mehrere Stromleitungen über tausende von Kilometern neu legen müssen. Und niemand glaubt doch im Ernst, dass solche Strecken durch ganz Italien über die Alpen oder durch ganz Spanien über die Pyrenäen durch Frankreich nach Mitteleuropa in dem angegebenen Zeitraum realisiert werden können. Als gäbe es vor Ort keinerlei Planungswiderstände. Wir brauchen ja hierzulande teilweise zehn Jahre für 50 Kilometer. Und Desertec braucht ja nicht nur eine Trasse, das sind ja viele Trassen. Jede Bauverzögerung bedeutet überdies: Die Kosten schnellen in die Höhe, denn bevor die Leitung fertig ist, kann nichts geliefert werden.

Das müsste den Projektträgern doch auch klar sein. Machen die einen Denkfehler?

Aus meiner Sicht ist deren Grundfehler, dass man auf eine allzu

einfache Formel setzt. Mehr Sonne gleich billiger Sonnenstrom. In Wirklichkeit ist alleine der Kostenvergleich zwischen Gesamtsystemkosten und dem Stromertrag relevant. Die Solarstrahlung ist höher, aber die Systemkosten sind auch höher. Man muss die Anlagen gegen Sandstürme und gegen Sandwehen schützen. Denken Sie nur, dass bis Italien, wenn der Scirocco weht, morgens auf den Windschutzscheiben ein gelber Sandfilm liegt. Unbeantwortet ist auch die Frage: Wo wollen die eigentlich das Wasser hernehmen, das für solarthermische Kraftwerke nötig ist? Und die Kostendegressionen, die man aus der Photovoltaikentwicklung ableitet, sind nicht übertragbar auf solarthermische Kraftwerke. Die Kostensenkung bei Photovoltaik kommt nicht nur durch Massenproduktion, sondern durch immer weniger Materialeinsatz. Der Materialaufwand für solarthermische Kraftwerke für die Aufbauten ist enorm, und die Preise aller metallischen Ressourcen steigen.

Trotzdem sagt Fritz Vahrenholt, dass durch die Vorteile, die solarthermische Anlagen angeblich hätten, gerade auf die PV-Förderung ein schlechtes Licht falle, wegen der hohen Förderung hierzulande. Was sagen Sie denn dazu?

Wenn man die heutige Photovoltaiktechnik nimmt und unter den günstigeren Einstrahlungsbedingungen der Sahara einsetzen würde,kann von einem Kostenvorteil der solarthermischen Kraftanlagen überhaupt nicht die Rede sein. Das muss man ganz deutlich sagen. Zumal die Kostendegression bei Photovoltaik vielversprechend ist. Deshalb ist die Schlagseite im Desertec-Projekt für solarthermische Kraftwerke schon für sich gesehen problematisch.

Wie kommt diese Schlagseite zustande?

Weil es Solarthermie-Spezialisten sind. Die Protagonisten solarthermischer Kraftwerke sitzen beim DLR, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Und fast alle solarthermischen Kraftwerkstudien gehen auf das DLR zurück.

Ein Teil des von Desertec erzeugten Stroms soll ja auch in Afrika eingesetzt werden. Das ist doch auch Ihre Forderung, oder?

Man muss eine systemische und eine volkswirtschaftliche Betrachtung machen. In Nordafrika leben viel mehr Bevölkerungsanteile in ländlichen Räumen als hier. Und dort, das weiß man doch durch zahllose Weltbankstudien, ist die dezentralisierte Stromerzeugung der kostengünstigere Weg, weil man sich den Leitungsbau sparen kann. Wäre Desertec ein Programm zur Stromversorgung, zum Stromwechsel in Nordafrika zu erneuerbaren Energien, dann wäre es ein Konzept, das ich seit vielen Jahren vertrete. Da hätte ich höchstens geäußert: Überschätzt nicht die solarthermischen Kraftwerke. Die können sicherlich auch irgendeine Rolle spielen, aber nicht die tragende Rolle. Da wird Photovoltaik das Attraktivere sein. Und Windkraft sowieso.

Also Sie meinen, die Absicht, die afrikanischen Staaten mit Strom zu beliefern, ist vorgeschoben?

Es ist ein Hilfsargument, um der Kritik zu begegnen. Außerdem, glauben Sie im Ernst, dass die nordafrikanischen Staaten, die allesamt noch Staatsunternehmen in der Stromproduktion haben, nur darauf warten, bis ein paar deutsche Großinvestoren kommen, die dort auch Geld verdienen wollen, um dann die Kraftwerke für die Versorgung von Marokko zu übernehmen? Das machen die selber. Die warten nicht auf RWE.

Was würde denn Desertec, wenn es denn umgesetzt würde, für die Photovoltaik in Deutschland bedeuten?

Das muss nicht zwingend etwas bedeuten. Aber man muss wissen, dass man sich immer noch in einem Umfeld bewegt, das keineswegs einhellig auf erneuerbare Energien gepolt ist. Sehen Sie sich die großen Stromkonzerne an, die jetzt immer mit den sogenannten Brückentechnologien kommen wie Atomlaufzeitverlängerung oder Kohlekraftwerken mit CCS. Damit will man die dezentrale Energieversorgung ausbremsen. Mit Desertec droht ein weiterer derartiger Versuch.

Aber Desertec soll die erneuerbaren Energien doch nicht ausbremsen. Oder doch?

Das läuft anders. Da ist die Argumentation: Sonnenenergienutzung ja, das haben wir verstanden, aber dann da, wo es sich lohnt – wo also mehr Sonne scheint. Schauen Sie sich die Veröffentlichungen des Potsdamer Instituts für Klimaforschung an, die gehen alle nach diesem Muster vor. Da werden bei den Vorträgen die Karten gezeigt, da ist die Windkraft nur noch an der europäischen Atlantikküste und Offshore. Da ist die Bioenergie nur noch in der Ukraine. Und Solarstromerzeugung ist nur noch in Südeuropa und in der Sahara. Das ist vordergründig einleuchtend für oberflächliche Betrachter. Als hätten wir eine einzige Stromplanwirtschaft, die man weltweit organisiert.

Und was bedeutet das für die Erneuerbaren hier?

Dass Desertec als Argument missbraucht wird, um hier die Photovoltaikförderung einzuschränken.

Was denken Sie denn, was sind die Interessen der Konsortiumsmitglieder?

Inzwischen sprechen sich alle für erneuerbare Energien aus. Wir sind längst in der Phase des Greenwashings, um dann zu sagen: Gut, aber das braucht Zeit. Und je länger man braucht, desto länger bleiben die jetzigen Strukturen unangetastet. Die große strukturelle Bedrohung der heutigen hochzentralisierten Stromerzeugung ist die Dezentralität.

Sogar Ihr Kollege Hans-Josef Fell sieht ja Vorteile in Desertec und schlägt vor, das Projekt sogar über das EEG zu fördern.

Wie soll das denn realisiert werden? Das EEG funktioniert durch die Standortgebundenheit der Investitionen. Beim EEG ist ja nicht die Voraussetzung der Vergütung, dass der Investor die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sondern die Voraussetzung ist, dass die Investition auf deutschem Territorium stattfindet.

Na, man könnte ja einfach den eingespeisten Strom vergüten.

Aber zu welchem Tarif?

Der müsste dann festgelegt werden.

Ja, und dieser Tarif, das sage ich Ihnen voraus, wird inklusive Leitungskosten so hoch bemessen sein, dass die EEG-Kosten verteuert werden gegenüber dem Ausbau hier. Vor allem aber: Es geht nicht nur um den Strompreis. Dezentrale Erzeugung bedeutet regionale Wertschöpfung und Revitalisierung von Stadtwerken. Davon lenkt der Desertec-Rauch vollkommen ab. Welche Kommune würde sich dafür einsetzen, dass 100-Prozent-Konzepte kommen, wenn es nur um den Stromimport ginge ohne kommende Wertschöpfung für sie selbst?

Das heißt, das wäre eine Gefahr fürs EEG, wenn man Desertec ebenfalls fördern würde?

Ja, weil das EEG und die Protagonisten des EEG, zu denen ohne jeden Zweifel an vorderer Stelle mein Freund Hans-Josef Fell zählt, nicht in einem konfliktfreien Raum existieren. Das heißt, das EEG ist doch nach wie vor umstritten und wird auch gezielt immer wieder in Frage gestellt.

Ihre Alternative ist, die Erneuerbaren hier vor Ort auszubauen. Könnte man Desertec nicht zusätzlich bauen? Wäre das nicht besser, als es gar nicht zu realisieren?

Wenn man aus dieser Sache etwas Fruchtbares machen will, dann muss das ein Programm für Nordafrika werden und nicht in Verbindung mit dem Köder: Jetzt liefert uns mal gefälligst Strom nach Mittel- und Nordeuropa. Das ist kein tragfähiger Ansatz.

Das Gespräch führte Karsten Schäfer.

Zitat

„Die Kostendegressionen der PV sind auf solarthermische Kraftwerke nicht übertragbar.“

Zitat

„Desertec wird als Argument missbraucht, um hier die PV-Förderung einzuschränken.“

Karsten Schäfer

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