Eine solche Prüfung läuft nach einem standardisierten Verfahren ab und dauert in der Regel 15 Monate. Alle Maßnahmen, also Mindestpreise wie Importzölle, bleiben währenddessen in Kraft. Das ist bitter für Europas Solarbranche und damit auch für das deutsche Solargeschäft. Unternehmen wie Kunden müssen ein weiteres Jahr überhöhte Preise zahlen. Wir alle können nicht davon profitieren, dass die Produktionskosten für Module seit 2013 um 15 bis 20 Prozent gesunken sind – und zwar weltweit. Denn während der Absatz in Europa in den vergangenen Jahren stark schrumpfte, haben Märkte wie China, Indien oder Japan enorm zugelegt. Entsprechend ist die Produktion führender chinesischer und asiatischer Hersteller gestiegen. Im Zuge dessen gingen, wie in der gesamten Historie der Photovoltaik, die Kosten runter. Bei uns kommen diese Vorteile aber nicht an. Wir sind auf dem Mindestpreisniveau festgenagelt, die Modulpreise zeigen seit langem kaum Bewegung. Das ist weder marktgerecht, noch gerechtfertigt, sondern schädlich für die hiesige Solarbranche.
Die EU-Kommission selbst hat ausgerechnet, dass 75 Prozent der Wertschöpfung jeder Solaranlage in Europa verbleiben – vollkommen unabhängig davon, wo das Modul hergestellt wurde. Eine aktuelle, vom europäischen Verband SolarPower Europe beauftragte Studie erklärt, warum das so ist: Europas Solarbranche ist über alle Bereiche der Wertschöpfungskette aufgestellt, aber die Schwerpunkte sind eindeutig. Deutlich mehr als 80% von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen finden sich im Downstream-Sektor. Wenn Zölle und Mindestpreis wegfallen und der Solarmarkt in Europa endlich wieder Fahrt aufnimmt, dann profitiert vor allem dieser Bereich. Hier könnten die meisten der 50.000 neuen Jobs entstehen, die laut der Studie allein bis 2020 erreichbar sind – einen freien Handel vorausgesetzt. Auch Hersteller von Systemkomponenten würden merklich von diesem Aufschwung profitieren.
Was folgt daraus? Wir haben die richtigen Argumente auf unserer Seite und wir können dafür sorgen, dass wir in Europa und Deutschland nur ein weiteres Jahr verlieren. Wir müssen jetzt alles dransetzen, dass es bei diesem einen Jahr bleibt – und die Handelsbeschränkungen am Ende der Untersuchungen tatsächlich wegfallen. Dazu braucht es ein aktives Engagement möglichst vieler Branchenunternehmen in den EU-Prüfungsverfahren. Was viele nicht wissen: Die Untersuchung aus dem Jahr 2012 krankte auch daran, dass sich zu wenige europäische Firmen eingebracht haben, um ihre Sicht der Dinge und ihre Markterfahrung vorzutragen. Diesen Fehler dürfen wir nicht noch einmal machen. Wir betrachten es als einen ersten Erfolg, dass sich rund 80 deutsche Unternehmen entlang der solaren Wertschöpfungskette als interessierte Partei registriert haben – trotz der knappen Frist. Das ist ein Vielfaches an Registrierungen im Vergleich zur ersten Untersuchung vor drei Jahren und ein wichtiges Signal an die EU, dass sehr viele Unternehmen sich gegen die Zölle aussprechen. Nun wird es darum gehen, die Kommission durch eindeutige Fakten davon zu überzeugen, dass die Handelsbarrieren der europäischen Solarbranche und dem Klimaschutz schaden.
Eines ist heute schon sichtbar: Unternehmen, die einen freien Markt wollen, sind klar in der Mehrheit. 21 europäische Solarverbände, darunter der Dachverband Solar Power Europe, setzen sich für die Abschaffung der Handelsbeschränkungen ein. Die deutsche Initiative Solar Alliance for Europe (SAFE) verfolgt das gleiche Ziel, unterstützt von mehreren Dutzend Branchenunternehmen. Alle wollen und werden sich in den kommenden Monaten intensiv in die Debatte einbringen. Die Entscheidung ist nur vertagt.
Holger Krawinkel ist Leiter Customer Experience bei der MVV Energie AG und Sprecher der Solar Alliance for Europe (SAFE).