Über Norddeutschland wehte eine steife Brise, als in der Nacht des vierten November 2006 reihenweise überlastete Leitungen ausfielen. In vielen Teilen Europas gingen die Lichter aus, Millionen Menschen saßen im Dunkeln. Grund war die Norwegian Pearl: Damit das Kreuzfahrtschiff gefahrlos die Ems passieren konnte, hatte Eon eine Hochspannungsleitung abgeschaltet – eigentlich Routine. Als es daraufhin zu Netzstörungen kam, setzte eine Kettenreaktion ein. Windkraftwerke schalteten, wie es damals gesetzlich gefordert war, automatisch ab und später wieder ein. Das führte allerdings nur zu noch mehr Instabilitäten in den Netzen – mit Langzeitwirkung nicht nur für Windkraftwerke, sondern auch für die Photovoltaik.
Dynamik unterschätzt
Es zeigte sich: Die technischen Vorgaben waren schlicht nicht mehr zeitgemäß. „Die Dynamik des Ausbaus der Windenergie wurde lange unterschätzt“, sagt der Sprecher des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Tobias Dünow. Dabei könnten künftig nicht nur die Windkraftanlagen an der Stabilität der Stromnetze rütteln, sondern auch Solar- und Biogasanlagen oder Blockheizkraftwerke. Vor allem die Masse macht’s: Schon heute werden in Deutschland insgesamt rund 15 Prozent des Stroms abseits der großen Kraftwerke erzeugt. Und jedes Jahr verdoppelt sich die Zahl der dezentralen Stromproduzenten. Deshalb sieht die Novelle des EEGs, die seit Anfang des Jahres gilt, mehr Verantwortung für die Betreiber vor, die Strom aus regenerativen Energien einspeisen. Aufgaben bedeuten aber auch Aufwand – und deshalb kam es zum Streit zwischen Photovoltaikbranche und Netzbetreibern.Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), in dem derVerband der Netzbetreiber (VDN) organisiert ist, musste in irgendeiner Form handeln. Nach Paragraph 19 des Energiewirtschaftsgesetzes sind die Netzbetreiber verpflichtet, technische Mindestanforderungen für einen sicheren Netzbetrieb festzulegen. Anlagen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, kann der Netzanschluss verweigert werden. Die Netzbetreiber erließen eine neue Richtlinie, der zufolge neue Anlagen am Mittelspannungsnetz unter anderem für eine statische Spannungsstützung sorgen und – wie die großen Kraftwerke auch – sogenannte Blindleistung zur Verfügung stellen müssen. Blindleistung trägt nicht zur tatsächlichen Leistung bei, führt aber zu einem zusätzlichen Stromfluss im Netz. Die Richtlinie fordert außerdem eine dynamische Netzstützung. Dazu müssen Anlagen mit Netzfehlern zurechtkommen, ohne wie noch bei dem Störfall 2006 abzuschalten. Bestehende Anlagen haben allerdings Bestandsschutz. Die neue Richtlinie sorgte im vergangenen Jahr für Zoff. Vor allem der Zeitplan galt in der Photovoltaikbranche als nicht umsetzbar. „Die ursprünglich angesetzte Frist von sechs Monaten für die Umsetzung der Anforderungen in funktionstaugliche Geräte war völlig realitätsfern“, moniert der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) auf Anfrage. Wechselrichter, deren Produktpalette leicht mehrere hundert Gerätetypen umfassen könne, müssten ganz neu ausgelegt werden. Grundsätzlich ließe sich dagegen zwar klagen, die Richtlinie ist nicht juristisch bindend. Doch würde eine Klage, unabhängig vom Ausgang des Prozesses, viel Zeit und Geld kosten. BMU-Sprecher Dünow sieht das Problem allerdings nicht. Er ist der Auffassung, die PV-Branche hätte mit mehr Eigeninitiative rechtzeitig informiert sein können.
Auf Übergangsfristen geeinigt
Mittlerweile signalisieren Netzbetreiber und Photovoltaikbranche Entspannung im Streit um die Termine. Die Beteiligten haben sich auf Übergangsfristen geeinigt. Danach sollen Wechselrichter erst ab Juli 2010 in der Lage sein, das Mittelspannungsnetz statisch zu stützen und eine zunächst eingeschränkte dynamische Netzstützung zu leisten. Eine Art Standby-Modus, der gewährleistet, dass die Anlage nach einem Fehler im Netz schnell wieder einspeisen kann. Erst zum 1. Januar 2011 müssten die Wechselrichter alle geforderten Funktionen erfüllen.„Das ist durchaus machbar“, sagt Bernd Engel vom Wechselrichterhersteller SMA. Man werde noch im Frühjahr Geräte anbieten, die die Anforderungen der ersten Stufe der BDEW-Richtlinie erfüllen. Sie kosteten nicht mehr und hätten einen um nur 0,3 Prozent geringeren Wirkungsgrad. „Allerdings brauchen wir wegen der Blindleistungseinspeisung bis zu fünf Prozent mehr Wechselrichterleistung, die wir zum Beispiel durch eine Kombination mehrerer Wechselrichter realisieren können“, sagt der Ingenieur. Für eine 660-Kilowatt-Anlage etwa müssten dann statt 60 Wechselrichter mit elf Kilowatt 63 Wechselrichter angeschafft werden. Das entspricht überschlägig weniger als einem Prozent der Gesamtkosten für eine PV-Anlage. Doch auch das schlägt bei einer Renditerechnung deutlich zu Buche.Nicht zuletzt deshalb besteht aus Sicht des Bundesverbandes Solarwirtschaft noch Klärungsbedarf. Denn der Beitrag der Solarbranche zur Netzstabilität wird nicht honoriert, wie es für die Betreiber von Windkraftanlagen vorgesehen ist. Diese erhalten gemäß EEG-Novelle einen halben Cent mehr, insgesamt 9,2 Cent pro Kilowattstunde eingespeisten Strom. „Der technische Aufwand für die Windanlagenbetreiber ist besonders kostenintensiv“, rechtfertigt BMU-Sprecher Dünow die unterschiedliche Behandlung.Ein weiterer nach wie vor aktueller Reibungspunkt ist die inder Mittelspannungsrichtlinie festgeschriebene Zertifizierungspflicht. Zwar wurde auch hier bereits vereinbart, dass Anlagen bis Juni 2010 rückwirkend ausgezeichnet werden können. Doch die Herstellerverbände zweifeln, ob eine Verpflichtung zur Zertifizierung rechtens ist. „Wir sehen dadurch hohe Kosten auf die Hersteller zukommen, denen kein vergleichbarer Nutzen gegenübersteht“, sagt Stephan Erling vom Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie ZVEI. Immerhin könnte bei der nächsten anstehenden Änderung, bei der es um die Einspeisung in das Niederspannungsnetz gehen wird, Streit vermieden werden. Zuständig für die technischen Anwendungsregeln ist inzwischen das Forum Netztechnik, Netzbetrieb (FNN) des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) in Berlin. Das Forum wurde vor gut einem Jahr gegründet, nachdem die Energieaufsichtsbehörde die Gründung eines lobby-unabhängigen Gremiums gefordert hatte. Konnten die betroffenen Branchen bisher erst eingreifen, wenn ein erster Entwurf veröffentlicht wurde, werden sie jetzt frühzeitig in dieEntwicklungsarbeit eingebunden. „Das sehen Normung und Regelsetzung ausdrücklich vor“, sagt FNN-Referent Thomas Kumm. In der FNN-Projektgruppe zur geplanten Neuauflage der Niederspannungsrichtlinie sitzen deshalb auch zwei Wechselrichterhersteller des ZVEI mit am Tisch. Staatliche Zuschüsse sind allerdings auch im Zusammenhang mit der geplanten Niederspannungsrichtlinie nicht in Sicht. „Erst wenn alle Details geklärt sind, kann eine Abschätzung möglicher Kosten erfolgen“, sagt BMU-Sprecher Dünow. „Da die Richtlinie frühestens ab 2011 verbindlich wird, besteht aktuell kein Handlungsbedarf.“