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Ende der Schonzeit?

Oben, vom Oderturm aus, sieht Frankfurt wie eine ganz normale Stadt aus, Häuser, breite Straßen, die große Brücke über den Fluss, die früher einmal Grenzstation war. Aber von den vier Himmelsrichtungen hier am Rand der Republik locke nur der Westen, sagt Siegfried Wied, Sekretär der IG Metall in Ostbrandenburg und damit zuständig für die Solarbranche am Ort: „Ich höre bei First Solar häufig: Ich lass mich nicht betrügen. Im Osten bin ich nichts wert, dann schaue ich eben in Stuttgart, München oder Hamburg – aber hier vor Ort bleibe ich nicht.“ Verantwortlich dafür seien die Arbeitsbedingungen, darunter Zwölf-Stunden-Schichten, und die niedrigen Löhne in Ostdeutschland. First Solar hat auf Nachfrage von photovoltaikzwar darauf hingewiesen, im Vergleich zur ostdeutschen Metallindustrie überdurch schnittlich zu zahlen, wollte allerdings keine konkreten Einkommenshöhen seiner Mitarbeiter nennen.

Dabei ist First Solar aus Sicht der Gewerkschaft kein Einzelfall. Ein branchenspezifischer Tarifvertrag existiert bislang nicht. In der Zentrale in Frankfurt/Main koordiniert Martina Winkelmann von der IG-Metall-Zentrale die Gewerkschaftsaktivitäten zur Solarbranche. Bei Produktionsangestellten sei es „häufig“ so, „dass sie noch nicht einmal von ihrem Einkommen leben können, sondern zusätzlich Hartz IV beantragen müssen“, moniert sie.

Das scheint zumindest auf den ersten Blick einem Trend zu widersprechen, der seit einigen Jahren auch in deutschen Unternehmen mehr und mehr Raum einnimmt: dem zu Corporate Social Responsibility (CSR), also der Selbstver pflichtung von Unternehmen, soziale und ökologische Belange zu berücksichtigen. Während noch 1970 Milton Friedman den Gewinn als einzigen Sinn von Unternehmen ausgemacht habe, erlebe das seit den 80er Jahren „verstärkt diskutierte Konzept der gesellschaftlichen Verantwortung von Kapital-Gesellschaften eine kaum noch steigerbare Konjunktur“, schreibt der Friedrichshafener Professor Stephan A. Jansen im Wirtschaftsmagazin Brand eins: „Bei sich angleichenden Preisen und Produkten wird die ,soziale Kompetenz‘ von Unternehmen zum Kaufargument.“ In einer weltweiten Studie der PR-Agentur Edelmann gaben 2007 86 Prozent der Befragten an, ihr Konsumverhalten ändern und andere Marken kaufen zu wollen, wenn dadurch die Welt verbessert würde. Das ist die eine, die optimistische Sicht auf die Dinge, die davon ausgeht, dass Unternehmen mehr und mehr zu einem gesellschaftlichen Dialog über ihre Produkte gezwungen werden und bei Strafe ihres Untergangs auf soziale und ökologische Herstellung umsteigen müssen.

Die andere, die pessimistische Sichtweise hat die Münchner Journalistin Kathrin Hartmann, früher Redakteurin bei Frankfurter Rundschau und NEON, in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Ende der Märchenstunde“ aufgeschrieben. Möglicherweise erklärt sie besser, warum es auch für Solarfirmen bislang tatsächlich verschwendetes Geld gewesen sein könnte, ihre Mitarbeiter besser zu bezahlen – jedenfalls von einer streng ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung her betrachtet. Dass die meisten Verbraucher genau darauf achten, wie ein Unternehmen produziert, glaubt sie nicht. Wichtiger sei ein grünes Image der Industrie, auch durch CSR-Maßnahmen: „Was ankommt, ist: Da bewegt sich gerade ganz viel, ein bisschen besser ist besser als nichts. Das reicht bei Konsumenten für ein reines Gewissen beim Einkaufen auch schon aus.“

Die Solarindustrie hätte damit schon über ihre Produkte einen Verkaufsvorteil, die Herstellungsbedingungen würden die Kunden weniger interessieren als bei Lidl-Waren – zumindest solange die Medien nicht breiter darüber berichten. Dass diese bislang kaum darüber schreiben, hängt wiederum mit dem guten Image der Solarbranche zusammen: „Lidl hat von vornherein einen schlechten Ruf. Aber bei Firmen, denen man etwas Gutes unterstellt, ist man längst nicht so kritisch – und Solarenergie ist ja prinzipiell etwas Gutes.“

Hartmanns Skepsis bezüglich CSR liegt in dessen schwammigen Kriterien begründet. In der Tat muss man bei CSR zwischen zwei Formen unterscheiden: Nur bei der einen geht es tatsächlich um bessere soziale und ökologische Standards bei den Produkten, bei der anderen sind die Grenzen zum Greenwashing, also der Bemäntelung schädlicher Aktivitäten, fließend. Dies gilt vor allem, wenn soziale Aktivitäten promotet werden, das eigentliche Kerngeschäft aber unangetastet bleibt. Beispielhaft dafür steht die Initiative „Companius“ des Energieerzeugers RWE, unter anderem Betreiber der Atomkraftwerke Biblis und Emsland. Dort engagieren sich RWE-Mitarbeiter für Projekte in Schulen oder im Natur- und Umweltschutz, über die Lokalpresse wird das Engagement vermarktet. RWE leitet so die Debatte von Atomprojekten auf positive Themen.

Great Place to Work

Zum Kernbereich der Unternehmen gehört die Behandlung der eigenen Mitarbeiter. Ob hier bei CSR-Aktivitäten Greenwashing betrieben wird, ist meist etwas schwieriger auszumachen. Sicher ist: Die Kriterien, die für Gewerkschaften und auch die meisten Medien bei der Skandalisierung von Arbeitsbedingungen maßgeblich sind, nämlich Arbeitszeiten, Mindestlohn, Tarifbindung und die Wahl einer Mitarbeitervertretung, unterscheiden sich von den Kriterien, die Jurys diverser CSR-Preise für wichtig halten. So kam die Biosupermarktkette Alnatura beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2009 im Bereich „nachhaltigstes Unternehmen“ unter die ersten drei. In der Begründung hieß es unter anderem: „In Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit überzeugt Alnatura durch eine hohe Mitarbeitervielfalt, flexible Arbeitszeitmodelle, moderne Arbeitsplätze und eine hohe Ausbildungsquote. Herauszustellen ist ferner die Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter: Bei überdurchschnittlicher Unternehmensentwicklung im vorangegangenen Jahr erhalten

Mitarbeiter eine Wertschöpfungsbeteiligung in Form eines Einkaufsgutscheins.“ Dass Alnatura keine Tariflöhne zahlt, stand nicht dort. Erst als Medien dies Monate später aufdeckten, ruderte die Kette innerhalb weniger Tage zurück. Ab Oktober sollen nun Tariflöhne gelten. Dennoch ist Alnatura auch beim Nachhaltigkeitspreis 2010, der unter anderem von Coca-Cola und Solarworld gesponsert wird, wieder unter den Finalisten.

First Solar landete beim Ranking des „Great Place to Work Institute“ in Köln unter den 100 besten Arbeitgebern Deutschlands in der Kategorie „mittelgroße Unternehmer“ auf Platz 19. Siegfried Wied äußert zwar Zweifel an der Repräsentativität der Befragung: „Wir haben mit Kollegen gesprochen: Seid ihr befragt worden? Es war eine Handvoll, die gesagt hat, bei uns war mal einer, und es gab einen Fragebogen. Und es gab auch deutliche Aussagen, wenn sie bei uns gewesen wären, hätten wir denen schon ein paar deutliche Worte gesagt.“ Aber wenn die Angaben von „Great Place to Work“ zutreffen, dass knapp die Hälfte der Mitarbeiter zufällig für die Befragung ausgewählt wurde und den Fragebogen anonym nach Köln schicken konnte, dürften die Probleme eher in der Methodik liegen. Die Frage nach einer angemessenen Bezahlung macht nur eine von 62 aus. Gleichberechtigt dazu wird die Zustimmung zu Sätzen wie „Besondere Ereignisse werden bei uns gefeiert“ und „Ich bin stolz, anderen erzählen zu können, dass ich hier arbeite“ abgefragt.

First Solar bewirbt die Auszeichnung auch nach außen und kann damit Fragen nach der IG-Metall-Kritik an den Arbeitsbedingungen umgehen.

Mehrfach zurück

Dass sich durch die fehlende Schärfe der CSR-Kriterien auch Firmen als nachhaltig feiern lassen können, die bei der Einhaltung strengerer Kriterien durchs Raster fallen würden, müsste eigentlich auch für die Unternehmen ärgerlich sein, die sich ernsthaft um soziale und ökologische Standards bemühen. Der nordhessische Wechselrichterhersteller SMA hat nicht nur den zweiten Platz bei „Great Place to Work“ 2010 (Kategorie: 2.001 bis 5.000 Mitarbeiter) belegt, sondern wird auch etwa von der IG Metall als Branchenvorbild genannt. Die SMA-Löhne sind an den Metalltarifvertrag angelehnt, auch die Leiharbeiter erhalten dasselbe Gehalt. „Eine konkrete Bezifferung der Kosten ist hier nur schwer möglich“, sagt Firmensprecher Volker Wasgindt. „Aber den finanziellen und personellen Aufwand, den wir beispielsweise in unsere Unternehmenskultur investieren, erhalten wir quasi mehrfach zurück durch sehr engagierte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen stark identifizieren.“ Nur mit so engagierten Mitarbeitern sei es SMA möglich, die hohe Innovationskraft beizubehalten und auszubauen. „Auch im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter zahlen sich hier etwaige Mehrkosten aus.“

SMA wird seine Vorbildfunktion aber erst dann wirklich ausspielen können, wenn die öffentlichen Debatten über die Arbeitsbedingungen im Solarbereich zunehmen. Dass die Schonzeit, die die Medien der Solarbranche bisher gewährt haben, allmählich zu Ende gehen könnte, wurde bei der Berichterstattung über die Kürzungen im EEG in diesem Jahr deutlich, als die Solarbranche einen Großteil der veröffentlichten Meinung gegen sich hatte. Bislang konzentrieren sich die Medien bei Berichten über Arbeitsbedingungen auf den Konsumgüterbereich. Das ist auch der Macht der Gewohnheit geschuldet – Journalisten sind „Herdentiere“, wie es selbstkritisch in der Branche heißt.

Ende absehbar

Hinzu kommt: Journalisten waren bislang auf eigene Recherchen angewiesen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, die sie von sich aus mit Informationen versorgten, gab es bislang kaum. Das Ende dieser Zeit ist absehbar, auch wenn man bei der IG Metall noch auf eine interne Regelung setzt: „Vielleicht ist das Thema noch nicht so skandalträchtig, weil auch von uns versucht wird, mit den Arbeitgebern ins Gespräch zu kommen, was die tarifliche Situation betrifft. Wenn das nicht klappen sollte und die Situation zudem durch den Konkurrenzdruck noch schlimmer werden würde, könnte ich mir vorstellen, dass das Thema auch so hochkochen könnte wie bei Lidl“, sagt Martina Winkelmann von der IG Metall in Frankfurt.

Und auch bei globalisierungskritischen NGOs wie der Berliner WEED denkt man über eine Beschäftigung mit dem Thema nach. Vorbild ist unter anderem die US-amerikanische Silicon Valley Toxics Coalition, die 2009 eine „Green Jobs Platform for Solar“ veröffentlichte, die bis heute von 29 Organisationen unterzeichnet wurde, darunter den renommierten Friends of the Earth. Darin enthalten: „Arbeitnehmerrechte werden geschützt, einschließlich des Rechts, sich zu organisieren.“ Die Firmen stehen damit vor der Frage, ob sie sich frühzeitig zu sozialen Standards bekennen oder darauf setzen, mit Greenwashing-Methoden durchzukommen. Möglicherweise rechnen sich im Einzelfall die bis zu einer Medienskandalisierung eingesparten Lohnkosten im Vergleich zu einem dadurch erlittenen Imageverlust.

Oder das Unternehmen beauftragt wie First Solar eine „besondere“ Agentur: Burson-Marsteller, „the PR firm from hell“, wie die amerikanische Fernsehmoderatorin Rachel Maddow sie einmal nannte, ist auch bekannt für Krisenkommunikation, bei der wenig Information fließt, und hat in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Regierungen und Konzerne vertreten, die in Menschenrechts- oder Umweltskandale verstrickt waren. Darunter Union Carbide nach dem Chemieunfall von Bhopal oder die Betreiber des US-amerikanischen Atomreaktors Three Mile Island nach dessen Fast-Katastrophe. Burson-Marsteller arbeite schließlich „auch für eine Vielzahl anderer renommierter Unternehmen, wie zum Beispiel für die Lufthansa“, heißt es von First Solar.

Solch eine Haltung könnte gerade Firmen der Solarbranche noch einmal Kommunikationsprobleme bereiten: wenn sie sich nicht mehr als Vorreiter beim Umbau zu mehr Nachhaltigkeit sieht, sondern als Branche wie andere auch – und von der Öffentlichkeit schließlich eben als solche behandelt wird, entsprechende Sympathieverluste inbegriffen.

Martin Reeh

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