„Als Bürger war es für mich obligat, Mitglied in der Bürgerenergiegenossenschaft zu werden“, sagt Günter Zimmermann aus Denzlingen, einer Gemeinde mit 13.650 Einwohnern nördlich von Freiburg. „Die Energiewende ist eingeläutet, jetzt müssen wir Fakten schaffen“, schickt er hinterher. Fakten schaffen: Das wollten auch 315 andere Bürger und Vereine aus Denzlingen und Umgebung. Sie zeichneten binnen eines Monats 6.372 Genossenschaftsanteile à 100 Euro für den Bau einer Bürgergemeinschaftsanlage. In der Summe ist das weit mehr, als die 160-Kilowatt-Anlage auf dem neuen Rettungszentrum kostet.Das Miteinander wird in Denzlingen hochgehalten. 90 Vereine gibt es in dem Ort im Landkreis Emmendingen. Seit Markus Hollemann im August 2009 Bürgermeister von Denzlingen wurde, steht noch ein anderes Thema hoch oben auf der Agenda: die erneuerbaren Energien. Bevor der 38-Jährige nach Denzlingen kam, plante und realisierte er in München als Geschäftsführer und Firmeninhaber Erneuerbare-Energien-Projekte. In Denzlingen ist Hollemanns Handschrift schon nicht mehr zu verkennen. Mitarbeiter der Rathausverwaltung fahren seit Juni 2010 mit Elektrorollern, in der Stadt stehen drei Öko-Stromtankstellen,zum 1. Januar dieses Jahres übernahmen die neu gegründeten Gemeindewerke das Stromnetz. Im Februar schaltete die Gemeinde das Solar-Kataster im Internet frei, um jedem Haushalt eine grobe Analyse seines Solarpotenzials zu ermöglichen.
Größtes Dach für die Bürger
Im Zuge dieses Vorhabens ließ die Gemeinde im Januar alle öffentlichen Dächer daraufhin überprüfen, ob sie für Solaranlagen geeignet sind. Das erste Schuldach stellte sie schon vor fünf Jahren für eine Bürgersolaranlage zur Verfügung. Jetzt soll eine weitere Schule einSolardach bekommen. Auf dem Kultur- und Bürgerhaus sowie der Sauna im Schwimmbad „Mach blau“ betreibt die Gemeinde bereits eigene Photovoltaikanlagen. „Das größte Dach sollten die Bürger bekommen“, formuliert Hollemann den Wunsch, den er bei der Vergabe der Dächer Anfang dieses Jahres hatte. Die 1.170 Quadratmeter große Fläche für die Gemeinschaftsanlage befindet sich auf dem neuen Feuerwehrhaus und Rettungszentrum, das derzeit im Bau ist. Nach „intensiven Diskussionen im Gemeinderat“, wie er sagt, beschloss dieser Ende März mehrheitlich, das Dach für die Bürger freizugeben.
Vier Dachflächen für die Anlage
Danach musste es schnell gehen, denn zunächst stand noch eine weitere Absenkung der Einspeisevergütung zum 1. Juli im Raum. Das Ziel war deshalb, die Bürgeranlage vor Ende Juni ans Netz zu bringen. Mitte April schrieb die Rathausverwaltung die Anlage aus. Am 10. Mai wurde die Bürgerenergiegenossenschaft Denzlingen (DEnG) auf einer öffentlichen Versammlung im Kultur- und Bürgerhaus gegründet. Sechs Tage nach ihrerGründung vergab der Vorstand den Auftrag an den örtlichen Fachbetrieb Elektro Fehrenbach.
Die Eckdaten des ersten Solarprojektes der Genossenschaft: Auf den vier Dachflächen des Rettungszentrums werden 667 kristalline Module von Trina Solar montiert. Mit 160 Kilowatt Leistung soll die Anlage 136.000 Kilowattstunden Strom im Jahr erzeugen, genug für 34Haushalte. Rund 405.000 Euro kostet die Bürgersolaranlage.
So weit, so gut, doch beim genaueren Hinsehen wird klar, dass das Stehfalzdach nicht gerade optimal für eine Photovoltaikanlage ist. Zwei der vier Dachflächen mit jeweils 215 und 95 Quadratmetern zeigen nach Süden, die anderen beiden mit 360 und 500 Quadratmetern Fläche nach Norden. Dazukommt: Alle Flächen haben eine Neigung von nur fünf Grad. Den Ertrag prognostizierten der Elektrofachbetrieb und ein Planungsbüro auf 850 Kilowattstunden pro Kilowatt Peak im Jahr, was für den Südwesten Deutschlands vergleichsweise wenig ist. Die Rendite wird mit 1,5 bis 4,5 Prozent beziffert. Wie hoch die Ausschüttung ausfällt, entscheidet die Genossenschaft jedes Jahr selbst. Keine glänzenden Renditeaussichten also, wie sie bis 2009/2010 üblich waren. Die Einwohner von Denzlingen hat es nicht gestört.
Schon bei der ersten Informationsveranstaltung am 18. April kamen mehr Bürger als erwartet. „Wir hatten für 80 bestuhlt, aber dann kamen über 200 Interessenten“, erzählt Hollemann. Damit begann ein Ansturm auf die Anteile, über die der Gemeinderat, der Vorstand der Genossenschaft und er selbst überrascht waren. Schon auf der Gründungsversammlung am 10. Mai zeichneten 136 Gründungsmitglieder Anteile in Höhe von 175.000 Euro. In den Wochen danach
stieg die Zahl fast täglich. Doch der Vorstand hatte den Zeitraum bis zum 3. Juni einschließlich als Frist für die Gründung bestimmt. Wer bis dahin Anteile zeichnete, durfte sich als Gründungsmitglied der Bürgerenergiegenossenschaft Denzlingen bezeichnen. Damit schien der Ehrgeiz geweckt. Einen wahren Ansturm gab es noch einmal Ende Mai. Es zeichneten noch 200 Mitglieder Anteile im Wert von 430.000 Euro, also bereits mehr als die benötigte Investitionssumme. Vor dem Stichtag stieg die Zahl auf 263 Mitglieder, die nunmehr Anteilsscheine für 538.200 Euro erworben hatten. Am letzten Tag, dem 3. Juni, bekamen die Rathausmitarbeiter noch einmal alle Hände voll zu tun. Als sie die Pforten schlossen, zählten sie 316 Gründungsmitglieder und 637.200 Euro Kapital. 110 Anteile davon sind im Besitz der Gemeinde.
„Das ist wirklich ein sehr erfolgreicher Start. Das ist absolut vorbildlich“, sagt Elisabeth Strobel, Vorsitzende des Verbandes der Bürgerenergiegenossenschaften (BEG) in Baden-Württemberg. Strobel war bei der Auftaktveranstaltung dabei und beobachtet das Projekt seither. 42 Bürgerenergiegenossenschaften sind in dem Verband zusammengeschlossen, berichtet sie. Doch in Relation der Gründungsmitglieder zur Einwohnerzahl sei Denzlingen führend. Nur die Kreisstadt Wangen, die zusammen mit vier kleineren Kommunen eine BEG gründete, habe mehr Gründungsmitglieder gehabt. Für den Erfolg sieht Strobel mehrere Gründe: „Es wurde sehr gute Vorarbeit geleistet,und die Bürger haben viele Informationen erhalten.“ Darüber hinaus lobt sie das persönliche Engagement der Initiatoren. „Sie haben die Bürger angeregt, mehr Verantwortung zu übernehmen.“ Bemerkenswert sei auch das „ehrgeizige Startprojekt“. „Viele starten mit kleineren Projekten“, weiß Strobel.
Rendite zweitrangig
Auch Karin und Johannes Menuth aus der Nachbargemeinde Wildtal-Gundelfingen loben die „guten Ansprechpartner“. Die Gründer der Freiburger Puppenbühne wollten Geld anlegen. Durch einen Tipp ihrer Gemeindewerke wurden sie auf das Projekt in Denzlingen aufmerksam. „Wir haben nicht nach der Rendite geschielt, sondern wollten mit unserem Geld etwas machen, das unseren Überzeugungen entspricht“, begründet Karin Menuth die Entscheidung. Sie und ihr Mann leben nur 25 Kilometer von dem französischen Atomkraftwerk Fessenheim entfernt. Ein Gedanke, der ihr Unbehagen bereitet. Und so sagt sie: „Wir können ja nicht alle rufen ‚Atomkraft, nein danke’ und nicht selbst bereit sein, Alternativen ins Rollen zu bringen.“ Dieser Meinung ist auch Günter Zimmermann. Der pensionierte leitende Prüfungsbeamte einer großen Kommune wollte „etwas tun, damit es in eine andere Richtung geht“. Die Rendite stand auch für ihn an zweiter Stelle, sagt er. Wie hoch auch immer die ausfallen mag, der Zähler läuft auf jeden Fall schon einmal – und zwar zur Freude aller Beteiligten noch zu rund 27 Cent die Kilowattstunde. Bei dem Vergütungssatz handelt es sich um einen Mischwert, da die vier Dachflächen unterschiedlich groß sind. Am 28. Juni ging die Anlage ans Netz, berichtet Bürgermeister Hollemann, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Bürgerenergiegenossenschaft ist.
Jetzt stehen die Aktiven und er vor der nächsten Aufgabe: Sie müssen neue Projekte anbahnen, um das noch zur Verfügung stehende Geld sinnvoll anzulegen. Ideen hat Hollemann schon reichlich. Über Wasserkraftanlagen denkt er nach, besonders gern würde er aber eine Windenergieanlage bauen. Dafür würde er deutlich mehr Geld benötigen als für die Photovoltaikanlage. Doch die Denzlinger und auswärtige Bürger können weiter Anteile zeichnen. Seit Anfang Juli ist dies bei der Raiffeisenbank, im Rathaus und Internet möglich.