„Mit unseren Dachflächen sind wir komplett durch“, antwortet Cort-Brün Voige, Bürgermeister der Samtgemeinde Rethem an der Aller, auf die Frage, wie er es mit Photovoltaikanlagen auf kommunalen Dächern hält. Zehn Dächer, unter anderem auf Schulen, Feuerwehrgerätehäusern und Kindergärten, sind in Rethem mit Solarmodulen bestückt. Mehr ging leider nicht. „Wir wollten das Thema angehen und ein Zeichen setzen“, erklärt Voige diesen Schritt. Der Gemeinderat erließ 2007 einen entsprechenden Grundsatzbeschluss, prüfte den Gebäudebestand und wies zehn geeignete Dächer aus. Eine Fläche nutzte die Gemeinde selbst, um darauf die erste Photovoltaikanlage mit einer Leistung von zwölf Kilowatt zu bauen. Ein weiteres Dach stellte sie kostenfrei für eine Bürgersolaranlage zur Verfügung. Die übrigen Dachflächen bot der Bürgermeister, der in Sachen erneuerbare Energien in Rethem die treibende Kraft ist, zur Anmietung an.
Gemeinde als Vorbild
Dem Beispiel ihrer Gemeinde folgten zahlreiche Bürger, die eigene Anlagen bauten. Darüber freut sich Voige – und über die Rendite, die er mit der gemeindeeigenen Anlage in absehbarer Zeit erwirtschaften wird. „Über das EEG machen wir auch ein bisschen Gewinn“, sagt der gelernte Banker, der das Solarstromkraftwerk komplett aus der Gemeindekasse finanzieren konnte.Was hier für Rethem in Niedersachsen so selbstverständlich klingt, ist in Deutschland bei weitem noch nicht der Normalfall. Mit dem Bau von PV-Anlagen auf ihren Dächern tun sich Kommunen immer noch schwer. Lieber vermieten sie ihre Dachflächen, wenn sie sich überhaupt an das Thema Photovoltaik heranwagen. Gründe, selbst in eine Photovoltaikanlage zu investieren, gibt es allerdings genügend. Auf politischer Ebene beginnt die Liste an Argumenten bei der kommunalen Daseinsvorsorge, zu der Städte, Gemeinden und Landkreise verpflichtet sind. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass die Grundversorgung ihrer Bürger gesichert ist. Dazu zählen Grundbedürfnisse wie Gas, Wasser und eben auch Elektrizität. Wenn die fossilen Rohstoffe zur Neige gehen beziehungsweise die Energiekosten in die Höhe schießen, was die oft prekäre finanzielle Situation vieler Gemeinden zusätzlich erschwert, ist jede Kommune gut beraten, sich um Alternativen zu kümmern.
Darüber hinaus sind die Kommunen gefordert, dazu beizutragen, dass die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU national umgesetzt wird. Wenn europaweit bis 2020 mindestens 20 Prozent mehr erneuerbare Energien genutzt werden sollen, dann kann dies nur auf lokaler Ebene geschehen. Dies wiederum können die kommunalen Entscheidungsträger natürlich nicht allein erreichen. Sie sind darauf angewiesen, dass auch ihre Bürgerinnen und Bürger investieren und regenerative Techniken nutzen.
Höhere Gewerbesteuereinnahmen
Um diese dazu zu motivieren, kann eine Kommune mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie selbst Anlagen baut und betreibt. Im Idealfall löst sie einen Schneeballeffekt aus und, wie es in Rethem geschehen ist, schiebt so den Bau von Anlagen an. Davon profitiert die Kommune doppelt. Wenn sie sich für eine klima- und umweltschonende Energieversorgung engagiert, ist das gut für das eigene Image und für die Gemeindekasse. Denn regenerative Anlagen werden oft durch ortsansässige Firmen geplant und gebaut.Höhere Einnahmen für örtliche Handwerksbetriebe und Dienstleister wiederum schlagen sich durch höhere Gewerbesteuereinnahmen positiv auf die Finanzen nieder. Und natürlich können Kommunen selbst Einkünfte generieren, wie es bereits Tausende von privaten und gewerblichen Investoren mit Photovoltaikanlagen tun. Im Falle von Gebäudesanierungen können sie die Maßnahmen zudem über die Erträge durch die PV-Anlagen teilweise oder vollständig refinanzieren.
Der Liste an Argumenten pro Photovoltaik stehen Einwände und Bedenken auf Seiten der kommunalen Entscheidungsträger entgegen. Grundlegende Unterschiede, ob nun eine Kommune oder eine Privatperson eine PV-Anlage baut, gibt es zunächst einmal nicht. Zwar gibt es die kommunale Aufsichtsbehörde, die verhindern soll, dass eine Kommune zu viele Schulden macht. Doch wenn sich die Verschuldung der Kommune im Rahmen hält, steht der PV-Anlage von dieser Seite nichts im Wege.
Trotzdem tun sich viele Kommunen schwer damit, Geld aus ihrem Haushalt über 15 oder 20 Jahre in eine Photovoltaikanlage zu stecken. Vielleicht wird das Geld in den nächsten Jahren für dringendere Projekte wie die Sanierung eines Kindergartens benötigt, und dann könnte es fehlen. „Viele sagen, dass sie nicht die personellen Ressourcen haben“, weiß Cort-Brün Voige außerdem aus anderen Gemeinden. Doch er selbst meint: „Das ist nicht so viel Arbeit. Die meisten wollen sich bloß nicht damit auseinandersetzen.“
Zugpferd ist wichtig
Voige hat das Projekt Photovoltaik in seiner Samtgemeinde, die mit vier Mitgliedsgemeinden rund 5.000 Einwohner hat, selbst betreut. Ebenso ist er das Zugpferd, wenn es darum geht, Rethem und sieben weitere Kommunen aus dem Aller-Leine-Tal zu einer Plus-Energie-Region zu machen. In dem Kooperationsraum mit etwa 75.000 Einwohnern werden heute schon 55 Prozent des Strombedarfs aus einem Mix an Biogas, Solarenergie, Wasser- und Windkraft gedeckt.Das Beispiel des rührigen Bürgermeisters bestätigt, was Anlagenplaner und Installationsbetriebe oft feststellen. Es braucht eine engagierte Person, die den erneuerbaren Energien gegenüber aufgeschlossen ist und die ein Interesse hat, das Thema voranzutreiben. Um mit den Worten von Gottfried Grundler, Geschäftsführer der System Sonne GmbH in Frickingen am Bodensee, zu sprechen: „Es liegt immer an den Personen. Der Bürgermeister gibt die Ideen vor.“
Bedenken wegen der Finanzierung lässt Grundler, der drei Anlagen mit einer Gesamtleistung von 63 Kilowatt auf kommunalen Dächern in Frickingen installiert hat, nicht gelten. „Eine Kommune kann die Anlage selbst finanzieren oder auf Kredit bauen. Sie hat die gleichen Möglichkeiten wie eine Privatperson.“ Deshalb steht für ihn mittlerweile fest: „Es fängt im Kopf an.“
Auch die Planung einer eigenen Anlage ist nicht viel anders als bei anderen Investoren. Wie es ablaufen kann, schildert Cort-Brün Voige: „Wir haben es im Gremium diskutiert und im Beschluss umgesetzt.“ Anschließend wurden Angebote eingeholt und Wirtschaftlichkeitsberechnungen angestellt. „Kritiker gibt es natürlich immer“, weiß der Bürgermeister. „Die muss man ernst nehmen und sich der Diskussion stellen.“ Wenn ein Bürgermeister oder Gemeinderat nachweisen könne, dass es sich um eine wirtschaftlich sinnvolle Investition handelt, die sich auch in den Jahren danach noch rechnet, würden Kritiker früher oder später klein beigeben. Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit hält er daher für unabdingbar. „Noch immer heißt es, da werden Subventionsgelder verbrannt, ohne dass etwas an uns zurückfließt“, stellt er mit Bedauern fest. Um die politische Mehrheit für die Entscheidung zu gewinnen, heißt es dann gut rechnen und sachlich argumentieren.
Installateure, die auf kommunalen Dächern Anlagen bauen wollen, sollten sich darauf einstellen, dass sie es mit einem großen Kreis an Ansprechpartnern zu tun haben können. „Manchmal müssen viele Stationen einbezogen werden, die Kommune, das Bauamt, der Energiereferent, das Gebäudemanagement, der beauftragte Architekt und andere. Ein großes Gremium kann die Projektierung anstrengend machen“, sagt Christian Quast von der Sonneninitiative e. V. in Marburg. Der Verein plant und baut seit Jahren Bürgersolaranlagen und hat bisher mit etwa 30 städtischen und ländlichen Kommunen zusammengearbeitet. Dabei müssen es noch nicht einmal der Gemeinderat oder die Verwaltung sein, die sich querstellen. Manchmal ist es auch der Architekt des Gebäudes, der sein Einspruchsrecht nutzt und die Genehmigung zur Veränderung des Baus verweigert.
Schulbetrieb nicht behindern
Gestattet die Gemeinde den Bau einer PV-Anlage auf einem öffentlichen Gebäude – sei es als eigene Anlage oder auf einem vermieteten Dach –, so ist wichtig, dass der Betrieb des Gebäudes nicht behindert wird. „Manchmal behindert der Betrieb des Gebäudes aber auch die Baustelle“, sagt Quast und erzählt amüsiert von dem Bau der PV-Anlage auf der Kopernikusschule im hessischen Freigericht.Die Sonneninitiative hatte die Genehmigung, auf der größten Schule in Hessen eine PV-Anlage zu bauen. Dafür musste das Oberstufengebäude eingerüstet werden, der Unterricht sollte aber nicht beeinträchtigt werden. Das war umso wichtiger, weil in der Zeit die Abiturprüfungen anstanden. Die Sonneninitiative hielt sich an alle Abmachungen. Doch dann gab es eine Panne im hessischen Kultusministerium. Die Prüfungen mussten kurzfristig wiederholt werden, weshalb der Verein die schon komplett durchgeplanten Bauarbeiten verschieben musste. Jetzt mussten die Handwerker am Wochenende und am späten Nachmittag ran. Letztlich lief aber alles gut. Alle beteiligten Gewerke konnten ihre Arbeit fristgerecht aufnehmen. Auf den Schuldächern sind mittlerweile 100 Kilowatt am Netz.
Insbesondere bei Schulen ist wichtig, die Gefahren zu bedenken, die von zugänglichen Gerüsten ausgehen. Quast empfiehlt deshalb, vorzugsweise in den Ferien zu bauen. Dass die Statik des Gebäudes mehr als gründlich geprüft werden sollte, versteht sich von selbst. Der Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall ist ein mahnendes Beispiel dafür, welche dramatischen Konsequenzen eine mangelhafte Statik haben kann.
Eine Besonderheit ist der Blitzschutz. Hier gilt, dass alle öffentlichen Gebäude eine äußere Blitzschutzanlage haben müssen. Darauf müssen die Planer von Photovoltaikanlagen Rücksicht nehmen. „Der umlaufende Blitzschutz, dem man sich nur auf 50 Zentimeter nähern darf, kann problematisch sein. Das beschränkt die Fläche“, erklärt Christian Quast. Die entsprechenden Ertragsverluste sollten also gleich mit eingeplant werden.
Musterverträge für die Dachvermietung
Darüber hinaus muss bei kommunalen Gebäuden gründlich geprüft werden, wem das Gebäude überhaupt gehört. „Manchmal gehören öffentliche Gebäude gar nicht der Kommune, sondern sie sind im Sale-and-Lease-Back-Verfahren nur gemietet“, sagt Christian Quast. Der Eigentümer kann zum Beispiel im Ausland wohnen, muss aber den Mietvertrag für ein Dach, sofern das Dach vermietet wird, abschließen.Will eine Kommune Dächer vermieten, so kann sie dafür Musterdachmietverträge verwenden. Manche Kommunen stellen ihre Dächer kostenfrei zur Verfügung, weil es bei Bürgersolaranlagen vorteilhaft für die Bürger ist und ein gutes Licht auf die Entscheider wirft. Eine andere oft gewählte Option ist, dass die Kommune eine einmalige Gebühr bekommt. Dies kann praktisch sein, wenn sie knapp bei Kasse ist. Wenn sie zum Beispiel zum Baubeginn eine einmalige Zahlung von 100 Euro je Kilowatt bekommt, kann sie das Geld gleich einsetzen. Hin und wieder geht diese Zahlung an einen Förderverein, der dann frei darüber bestimmen kann. Eine dritte Möglichkeit ist, dass die Kommune beispielsweise ein Prozent des Ertrages über die gesamte Laufzeit erhält. Für die jährlichen Abrechnungen ist dies ein zusätzlicher Aufwand, und ob sich das bei zum Beispiel 100 Euro im Jahr lohnt, ist fraglich.
Um die Hemmschwelle für Angebote hochzusetzen, erheben Kommunen in Einzelfällen eine Schutzgebühr für Bewerber, die ein öffentliches Dach anmieten wollen. Dies macht die Stadt München gerade so. Sie hat diverse stadteigene Flächen zur Nutzung von Solarstromanlagen ausgeschrieben. Für fünf davon erhebt sie bei Antragstellung eine Schutzgebühr von jeweils 20 Euro.
Wenn es mit dem Bau losgehen soll, ist es ratsam, sich mit dem Hausmeister gutzustellen. „Mit ihm hat man immerhin jeden Tag zu tun“, sagt Christian Quast von der Sonneninitiative. „Wenn er unwillig ist, hat man ein Problem.“ Wie sehr eine Kommune für ihre Öffentlichkeitsarbeit profitieren kann, wenn sie sich auf ein PV-Projekt einlässt, zeigt das aktuelle Beispiel der Stadt Frankfurt am Main. Hier wollte die Messe Frankfurt, die zu 60 Prozent im Besitz der Stadt Frankfurt ist, ihre Dachflächen zunächst vermieten. Doch die Miete, die sie von Investoren erhalten sollte, schien die Sache nicht wert. Also suchte sie nach anderen Konzepten. Das Ergebnis war eine 300-Kilowatt-Anlage, die zur Hälfte der Messegesellschaft und zur anderen Hälfte Mitarbeitern und Bürgern gehört. Am 1. Oktober weihte die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth die Großanlage ein. Rund 20 Medien berichteten, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Frankfurter Rundschau, die BILD-Zeitung und die Nachrichtenagentur dpa. Bei der Sonneninitiative, die die Anlage projektierte und den Bau abwickelte, läuft nicht erst seit dieser Einweihungsfeier das Telefon heiß.
Die professionelle PR-Begleitung für jedes Projekt gehört für den Verein zum täglichen Geschäft dazu. Aktiv Werbung machen und Dachflächen suchen, muss der Verein daher schon lange nicht mehr. „Bei uns rufen die Bürgermeister an und wollen wissen, was wir für sie tun können“, freut sich Quast.
Die Gemeinde Görisried im Allgäu ist schon länger auf den Geschmack gekommen, und sie verfolgt ein klares Ziel mit ihrem Solarstromkraftwerk. „Mit den Überschüssen wollen wir unsere Haushaltssituation verbessern und unsere Schulden tilgen“, erzählt Bürgermeisterin Thea Barnsteiner.
Die Kommunale Dienstleistung GmbH der Gemeinde baute in zwei Bauabschnitten 2004 und 2006 einen Solarpark auf einer ehemaligen NATO-Fläche mit einer PV-Leistung von 1,6 Megawatt. Über fünf Millionen Euro investierte die Kommune, der Betrag ist über die Zeit von 20 Jahren komplett fremdfinanziert. Die Wirtschaftlichkeitsberechnung wurde vorsichtig mit einem Jahresertrag von 950 Kilowattstunden erstellt. „Mit 1.150 bis 1.200 Kilowattstunden im Jahr liegen wir über den Erwartungen“, sagt Barnsteiner zufrieden.
Nachdem das erste kommunale Freiflächenprojekt so gut angelaufen ist, wollte sie gern auf kommunalen Dächern bauen. Aber leider fanden sich keine Flächen mit der passenden Dachneigung und -ausrichtung. Deshalb will Barnsteiner jetzt selbst Dächer anmieten, um darauf Photovoltaikanlagen zu bauen.