Schon lange bevor in Kopenhagen die Köpfe rauchten, hatte sich die EU im Vorfeld des Klimagipfels darauf festgelegt, die Kohlendioxidemissionen um mindestens 20 Prozent zu senken, egal, was am Verhandlungstisch herauskommt. Wer sich fragte, wie das gehen soll, bekommt jetzt die Antwort. Photovoltaik soll dabei eine große Rolle spielen.
In zehn Jahren sollen nämlich zwölf Prozent des europäischen Stroms durch Photovoltaik erzeugt werden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. „Das sind immerhin 390 Gigawatt“, rechnet Henning Wicht vor. Der Analyst des Beratungs- und Marktforschungsinstituts iSuppli Deutschland in München hat die Europäische Kommission bei ihrer Roadmap 2020 beraten, die im Vorfeld des Kopenhagener Gipfeltreffens entstanden ist. Sie ist als Begleitdokument Teil einer Mitteilung der Komission an die anderen europäischen Institutionen zum sogenannten Strategic Energy Technology Plan (SET- Plan).
Damit hatte sich die EU klar als treibende Kraft bei den Klimaverhandlungen positioniert. Allein im Jahr 2020 sollen nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission 102,61 Gigawatt an Photovoltaikleistung in den EU-Staaten neu installiert werden. Noch ist der reale Strommix allerdings weit von dieser Zielvorstellung entfernt. Die kumulierte Gigawattzahl an Solarstrom in den 27 Mitgliedsstaaten betrug im vergangenen Jahr gerade mal 13,57 Gigawatt. Um im Jahr 2020 auf 390 Gigawatt zu kommen, muss die installierte Leistung jährlich um 35,70 Prozent steigen.
Die Europäische Kommission stützt sich in ihrer Roadmap 2020 bei den Solarstromzielen weitgehend auf die Zielvorstellungen des Europäischen Photovoltaikverbands EPIA. Doch für die nächsten Jahre gehen die Prognosen verschiedener Experten mittlerweile sogar von einem noch stärkeren Wachstum des europäischen Photovoltaikmarkts aus. „Weil die tatsächlichen Installationen zur Zeit praktisch besser laufen, als sie es nach dem SET-Plan müssten“, erläutert Wicht. Und das trotz des Wachstumseinbruchs 2009.
Gute Prognose
Die Baseler Bank Sarasin prognostiziert in ihrer Solarstudie 2009 beispielsweise für das Jahr 2013 mit 28 Gigawatt neu installierter Leistung mehr Zuwachs als das optimistischste Szenario von EPIA. „Die Preise haben sich in den letzten Monaten so rasant nach unten bewegt, dass nicht politische, sondern vor allem ökonomische Argumente für die Photovoltaik sprechen“, ergänzt der Sarasin-Analyst Matthias Fawer. „Und das ist in einem Ausmaß passiert, das man vor einem Jahr noch nicht vorhergesehen hat.“ Dazu käme die breitere globale Verankerung der Photovoltaikindustrie. „Wir haben nicht mehr wie in der Vergangenheit nur Deutschland, Japan und vorletztes Jahr noch Spanien mit seinem kurzfristigen Schub, der dann wieder abgewürgt wurde, weil es die Politik so entschieden hat.“ Die Experten der Bank Sarasin glauben, dass es in den nächsten zwei, drei Jahren etwa acht bis zehn Länder mit einem jährlichen Wachstum bei Neuinstallationen von über 500 Megawatt geben wird. Damit würde die Photovoltaik dann auf einem sicheren Fundament stehen. „Diese Dynamik und diese breite Abstützung haben uns zu der hohen Prognose für das Jahr 2013 veranlasst.“
Ziel erreichbar
Aber mit Extrapolationen, dem Fortschreiben der Entwicklung in die Zukunft, ist das so eine Sache, sie müssen nicht eintreffen. Die Marktforscher von iSuppli haben für ihr eigenes Szenario die Prognosen der Internationalen Energieagentur IEA in Paris als Ausgangsbasis genommen. Sie kommen damit auf eine sehr ähnliche Entwicklung weltweit wie die Europäische Kommission für ihre Mitgliedsländer, ab 2019 sogar auf noch höhere neu installierte Leistungen. „Und wir haben noch mal einen dritten Ansatz entwickelt“, sagt Wicht: „Wir haben die heute international formulierten Ziele der Regierungen für das Jahr 2020 auf dem Gebiet der Photovoltaik zusammengezählt und errechnet, welche Leistungen danach herauskommen. Das sind zum Beispiel die Ziele von China und Indien, im Jahr 2020 etwa 20 Gigawatt installiert zu haben.“ Bei diesem politisch formulierten Szenario würde die weltweit installierte Leistung nur ein Viertel dessen betragen, was die anderen Szenarien für 2020 ergeben.
Welche Variante ist aber nun besonders realistisch und wird am wahrscheinlichsten eintreffen? Die nach den politischen Vorgaben nicht, glaubt Henning Wicht. Nicht alle Länder würden Vorgaben für die Photovoltaik machen. Und auch in der Vergangenheit seien die politisch formulierten Ziele weit übertroffen worden. „Wenn man sich alte EPIA-Zahlen anschaut, wurden diese immer übererfüllt.“ Die beiden anderen Szenarien kommen der Realität wohl näher. Wenn im Jahr 2020 weltweit etwa 120 Gigawatt installiert werden, dann würde Europa davon ungefähr 70 bis 80 Prozent errichten, prognostiziert Wicht. Das wäre eine Größenordnung von 84 bis 96 Gigawatt. Dieser Betrag ist nicht mehr so weit von den 102 Gigawatt für 2020 im SET-Plan der Europäischen Kommission entfernt.
Deshalb hält iSuppli die Roadmap der Europäer für erfüllbar. Allerdings müssten dazu bestimmte energiepolitische Bedingungen erfüllt werden. Auch nach der Netzparität wird ein hoher Solarstromanteil zunächst nicht ohne ein geschütztes Umfeld funktionieren. Ein freies Spiel der Marktkräfte kann es auf absehbare Zeit nicht richten, glaubt Henning Wicht. „Bis die Grid-Parity auf der Erzeugerseite, also beim Kraftwerksbetreiber, eine echte Konkurrenz ist, zum Beispiel zu einem Gaskraftwerk, das dauert noch eine Weile.“
Die Politik muss helfen
Wichtig seien weiterhin eine garantierte Einspeisevergütung und außerdem Abnahmegarantien. Dazu müssten die Stromnetze aber so weit aufgerüstet werden, dass sie das steigende Angebot an Solarstrom jederzeit aufnehmen können, auch in den Spitzenzeiten, wenn viele Photovoltaikanlagen gleichzeitig maximale Energie bereitstellen, weil die Sonneneinstrahlung intensiv ist. Wenn es bei einem steigenden Solarstromangebot zu Abnahmebeschränkungen käme, würden sich die Renditemöglichkeiten gerade für große Solarparkbetreiber verschlechtern. Solarstrom zu erzeugen wäre weniger attraktiv, also würde dieser Bereich langsamer wachsen. Außerdem plädiert iSuppli für die Öffnung nationaler Stromnetze zu einem europäischen Netz, so dass Angebotsspitzen und Engpässe besser ausgeglichen werden können. Zudem sollten die Netze von den traditionellen Energieversorgern getrennt werden, um Interessenskonflikte zu vermeiden.
„Da müssen von politischer Seite die Weichen richtig gestellt werden, um die Stromversorger in die richtige Richtung zu leiten.“ ergänzt Fawer. „Bei der Frage etwa, welcher Strom Priorität hat.“ Die Erneuerbaren müssten überall ihren festen Platz bekommen, dürften nicht als Lückenfüller dienen. „Es geht um einen ganz neuen Aufbau des Stromnetzes, in dem es die Unterscheidung zwischen Grundlast und Spitzenlast nicht mehr gibt. Wenn man das intelligent steuert, kann man gut und gern auf ein paar Kernkraftwerke zur Grundlastproduktion verzichten.“ Der Eigenverbrauch sollte ebenfalls stimuliert werden, da sind sich die Experten mit den Politikern in der Europäischen Kommission einig. So lässt sich die Energieerzeugung weiter dezentralisieren und Netzkapazität einsparen.
Politische Rahmenbedingungen wie konkrete Ziele im Klimaschutz könnten der Photovoltaik helfen, sagt Fawer von der Bank Sarasin. „Die Positionierung der Solarbranche innerhalb des SET-Plans ist von enormer Bedeutung“, heißt es in der Solarstudie 2009 der Bank Sarasin. „Damit will die EU-Kommission zukünftig die strategische Entwicklung für den gesamten Energiebereich in Europa vorantreiben. Zu diesem Zweck steuert sie einen Teil des Geldes für Forschung und Entwicklung bei.“
Gerade für die Zeit nach 2013 ist das wichtig, um die hohen jährlichen Steigerungsraten von 35,70 Prozent durchzuhalten. Entscheidend sei jedoch eine kritische Gesamtgröße der Photovoltaik, betont Fawer, „bei der es auch für konventionelle Unternehmen wie etwa Bosch oder Siemens oder die Stromversorger interessant wird. Das löst dann eine eigene Dynamik aus. Die Wirtschaft kann günstiger produzieren und so die Entwicklung selbst vorantreiben.“