Herr Professor Kreusel, immer mehr Industriebetriebe bauen Photovoltaikanlagen für den Eigenbedarf. Ist das eine Entlastung für das Stromnetz?
Jochen Kreusel: Prinzipiell ja. Einerseits ist es natürlich entlastend, wenn einfach Verbrauch und Erzeugung zu gleichen Teilen sinken, die Netzaufgabe also kleiner wird. Andererseits würde ich es aber noch mehr als Entlastung bezeichnen, wenn der Industriebetrieb mit einer relevanten Stromnachfrage am Netz bleibt und diese Nachfrage autark regelt, weil das auch für das Netz stabilisierend wirken kann.
Können Sie das bitte genauer erklären?
Grundsätzlich ist es immer vorteilhaft, wenn Erzeugung und Verbrauch direkt vor Ort ausgeglichen werden. Photovoltaikanlagen stehen in der Regel nah am Verbraucher. Es wäre deshalb sehr hilfreich, wenn die Mittagsspitzen lokal gespeichert werden könnten. Dass die KfW-Batteriespeicherförderung die Einspeisung der Photovoltaikanlagen auf 60 Prozent der installierten Leistung begrenzt, gibt vor diesem Hintergrund einen technisch hilfreichen Anreiz.
Können Solarwechselrichter das Netz entlasten?
Die Wechselrichter der Photovoltaikanlagen können Blindleistung bereitstellen und damit zur Spannungsstabilisierung beitragen. Alternativ können auch Maßnahmen im Netz ergriffen werden, wie beispielsweise der Einsatz regelbarer Ortsnetztransformatoren. Es ist dann eine Optimierungsaufgabe, wo im Netz die Unterstützung der Spannungshaltung am besten stattfindet. Zur Frequenzhaltung müssen die Solaranlagen derzeit noch nicht beitragen. Technisch ist das aber vorstellbar und wird an anderen Stellen auch schon gemacht.
Wo zum Beispiel?
Im Stromnetz der Deutschen Bahn, das mit der Frequenz von 16,7 Hertz betrieben wird. Die Bahn hat die rotierenden Umrichter nach und nach durch statische Umrichter, also durch Halbleiterelektronik, ersetzt. Die Frequenzstabilisierung erfolgt elektronisch – und heute bereits fast ohne rotierende Massen. Das Netz wurde erfolgreich umgebaut. Das könnte eine Blaupause für das Stromnetz sein. Ich bin mir sicher, dass wir uns auch auf diese Reise begeben werden.
Wie kommen sie darauf?
Aus der Entwicklung der europäischen Grid-Codes lässt sich das ablesen. Der Umbau läuft.
Welche Bedeutung haben Stromspeicher für das künftige Stromnetz?
Es gibt anscheinend breiten Konsens darüber, dass Speicher gebraucht werden. Allerdings spiegeln das die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen heute nicht wider. Der klassische Geschäftsfall von Pumpspeichern ist verschwunden, da sich die Strompreise an der Börse für Tag und Nacht nur noch wenig unterscheiden. Die Photovoltaik deckt nun die Mittagsspitze ab. Wenn die Solareinspeisung mehr zunimmt, könnte künftig eine Nachtspitze entstehen. Es gibt aber noch weitere Anwendungsfälle und Funktionen für Batteriesysteme, die zum Teil schon rentabel sind.
Das hängt allerdings immer von den regulatorischen Rahmenbedingungen ab.
Und aktuell stammen diese noch aus Zeiten, in denen weder Erneuerbare noch Batterien relevant für beispielsweise Regelenergie waren, sodass Speicher mit ihren Möglichkeiten einfach nicht berücksichtigt wurden. Das Regelwerk gehört in solchen Fällen überprüft und angepasst. Die Diskussionen darüber finden bereits statt.
Das Gespräch führte Niels Hendrik Petersen.
Jochen Kreusel...
...leitet das Smart-Grids-Programm des ABB-Konzerns. Er studierte Elektrotechnik an der RWTH Aachen und wurde dort promoviert. 1994 trat er in den ABB-Konzern ein, wo er leitende Positionen in Marketing und Entwicklung innehatte, bevor er 2011 die heutige Aufgabe übernahm. Kreusel war von 2008 bis 2013 Vorsitzender der Energietechnischen Gesellschaft (ETG) im Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE), seitdem leitet er den Innovationskreis des VDE-Präsidiums.
Kreusel leitet zudem die OTTI-Tagung „Zukünftige Stromnetze für Erneuerbare Energien“ am 27. und 28. Januar 2015 im Hilton Hotel in Berlin.