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Graswurzel-Finanzierung

75.000 US-Dollar hatte sich Camile van Gestel zum Ziel gesetzt, als er WakaWaka Power, eine Kombination aus Solarleuchte und -ladegerät, Ende 2012 auf den internationalen Crowdfunding-Plattformen Kickstarter und One Planet Crowd vorstellte. Das Geld sollte die Produktion seines neu entwickelten Hosentaschen-Solarkraftwerks anschieben (siehe photovoltaik 02/2013). Als Gegenleistung versprach der niederländische Tüftler jedem Geldgeber die Vorab-Lieferung des neuen Gadgets und für jedes bestellte Exemplar die Spende einer Solarlampe für die Krisenregion Haiti. Einen Monat später hatte er über seine Crowdfunding-Aktion erreicht, was über Bankgespräche unmöglich gewesen wäre: mehrere tausend Bestellungen und ein Budget von gut 700.000 Dollar.

Jens-Uwe Sauer, Chef der ersten deutschen Crowdfunding-Plattform Seedmatch, wundert diese Erfolgsgeschichte nicht. Nicht nur weil das Internet grundsätzlich ein guter Weg ist, viele Menschen zu erreichen, und mehrere Komponenten für das Crowdfunding vereint: Informationen über das Projekt, die Kommunikation der Interessenten untereinander und mit dem Anbieter, bewährte Bezahlmethoden. Aus Sauers Erfahrung heraus können vor allem Produkte und Projekte, die eine Geschichte erzählen, schnell viele Menschen überzeugen: „Für Crowdfunding eignen sich vor allem Vorhaben und Marktsegmente, die sehr nutzerorientiert und direkt erlebbar sind.“

Den Schwarm überzeugen

Bei Projekten, die diese Eigenschaften nicht mitbringen, ist es wahrscheinlich einfacher, das notwendige Geld auf dem klassischen Weg über eine Bank oder andere große Kapitalgeber zu bekommen. Denn die Idee von Crowdfunding ist, dass statt weniger großer Investoren viele Menschen mit kleinen Beträgen die notwendige Investmentsumme zusammentragen – jeder soll an innovativen Geschäftsmodellen oder wirtschaftlichem Wachstum teilhaben können. Aber nur, wenn das Projekt seine jeweils ausgeschriebene Mindestsumme erreicht, wird das Geld auch ausgezahlt; wird diese Funding-Schwelle nicht erreicht, gilt der Crowdfunding-Versuch als gescheitert und die Interessenten bekommen ihr Geld zurück. Bei erfolgreichen Projekten erhebt die Crowdfunding-Plattform auf die ausgezahlte Summe eine Gebühr, deren Höhe je nach Anbieter schwankt und in der Regel mehrere Prozent beträgt – das macht Crowdfunding für Plattform-Betreiber attraktiv. Und Unternehmen oder Interessengruppen können über das auch als Schwarmfinanzierung bekannte Konzept schon in einer sehr frühen Phase die Marktresonanz auf ihre Idee testen und Geld für ihr Vorhaben sammeln – wenn sie es schaffen, die Crowd beziehungsweise den Schwarm zu überzeugen und zu motivieren.

Von alleine gedeiht eine Graswurzel-Finanzierung also nicht. Graswurzel-Bewegungen jedoch bietet Crowdfunding besonders gute Wachstumsbedingungen. Das zeigt sich daran, dass neben Künstlern und Start-up-Unternehmen immer mehr Energiewende-Projekte auf den diversen Plattformen Geldgeber suchen. Bei Seedmatch bewirbt sich gerade – übrigens dank eines auf der Cebit verliehenen Sonderpreises der Technologieinitiative Code_n – die von der Berliner Blacksquared GmbH entwickelte Plattform Changers.com um die Gunst der Crowd. Das Prinzip ist eine Art privater Emissionshandel: Über ein Solarladegerät mit Akku versorgt der Changers-Nutzer seine mobilen Endgeräte mit Strom, gleichzeitig meldet das Ladegerät an die Community, wie viel Strom selbst produziert und wie viel CO2 eingespart wurde. Für diese Energiewerte erhält der Nutzer Bonuspunkte, die er auf dem an Changers angeschlossenen Marktplatz gegen Waren und Dienstleistungen von Partnerunternehmen eintauschen kann. Ein nutzerorientiertes und direkt erlebbares Geschäftsmodell also, an dem sich Interessenten schon mit 250 Euro beteiligen können – Sauer ist daher zuversichtlich, dass die Funding-Schwelle von 50.000 Euro schnell überschritten wird.

„Die Idee des Crowdfundings passt perfekt zu unserem Ansatz, schließlich machen wir in gewisser Weise Crowd-Energy“, sagt Markus Schulz, Gründer und Geschäftsführer von Blacksquared. „Jeder trägt seinen kleinen Teil dazu bei, CO2 einzusparen, aber erst über die Größe der Community bekommt das Ganze eine Dimension, die ein gesellschaftliches Umdenken wirklich anstoßen kann.“ Ein gesellschaftliches Umdenken, das aus Sicht von Seedmatch-Chef Sauer auch von der Dynamik des Internets profitiert. „Durch Crowdfunding-Plattformen wird die Aufmerksamkeit von einer Vielzahl von Nutzern beziehungsweise Privatinvestoren gewonnen, die nun die Möglichkeit besitzen, aktiv die Energiewende mitzugestalten.“ Unter anderem werde so das Bewusstsein für entsprechende Projekte geschärft. Die Plattform-Nutzer würden außerdem bei den Funding-Kampagnen gezielt nicht nur über ein Projekt informiert, sondern auch über dessen technische oder gesellschaftliche Bedeutung, was zu einer höheren Legitimation des gesamten Themas führen könne.

Solarparks statt Gadgets

Und die Crowd lässt sich nicht nur für Gadgets und Communitys mobilisieren, sondern auch für Photovoltaikanlagen und Solarparks. Projektierer Greenvesting aus Usingen, der eigenen Angaben zufolge im Auftrag von Investoren Photovoltaikanlagen zwischen 40 Kilowatt und 5 Megawatt plant, baut und betreibt, hat gerade von 35 Anlegern 180.000 Euro für eine 292-Kilowatt-Anlage auf dem Dach einer Usedomer Kartbahn zusammengetragen, und das bereits vor Ablauf der 60-tägigen Zeichnungsfrist. „Ein Solar-Crowdfunding in dieser Größe ist in Deutschland bislang einmalig“, sagt Greenvesting-Geschäftsführer Peter Walburg. Das große Interesse führen die Anbieter unter anderem darauf zurück, dass sie den Investoren eine bereits in Betrieb befindliche Anlage offerierten, deren Leistung täglich live im Internet verfolgt werden kann. Die Anleger können neben der täglichen Solarstromerträge zudem mitverfolgen, wie viel CO2 die Anlage bereits vermieden und welchen Anteil jeder Investor daran hat. Walburg glaubt, dass für viele seiner Kunden neben der Rendite die Nachhaltigkeit der Hauptgrund war, in die Anlage auf Usedom zu investieren.

Das Potenzial von Crowdfunding als Finanzierungsform zeigen auch erste Projekte der Ende 2012 gegründeten Berliner Plattform Crowdenergy, die sich als erste unabhängige Online-Plattform für gemeinschaftlich finanzierte Erneuerbare-Energien-Projekte versteht – Motto: „Energiewende selber machen.“ Bislang legen die Gründer Peer Piske, Martin Müller und Thomas Notemann den Schwerpunkt auf Solarprojekte, mittelfristig sollen auch Windenergie- und Biogasanlagen umgesetzt werden. Die Bewährungsprobe hat Crowdenergy – ebenso wie Greenvesting – gerade mit zwei im Jahr 2011 angeschlossenen Photovoltaik-Bestandsanlagen bestanden: 27 Investoren investierten 23.000 Euro in eine 93-Kilowatt-Dachanlage in Ahrenshagen, 34 Investoren 65.000 Euro in eine 112,59-Kilowatt-Dachanlage in Finowfurt. Beide Anlagen hat das Unternehmen in Energiegenossenschaften mit 500-Euro-Anteilen umgewandelt – also im Prinzip in Bürgersolaranlagen, deren neue Besitzer allerdings nicht aus einer geografischen Region kommen, sondern aus dem virtuellen Einzugsgebiet der Plattform.

Bestandsanlagen und Neuprojekte

Unter den laufenden Projekten ist neben weiteren Bestandsanlagen jedoch auch eine geplante 19,47-Kilowatt-Dachanlage, die auf dem EUREF-Campus entstehen soll, wo Crowdenergy seine Büros hat – erste Interessenten gibt es, das Funding läuft noch bis Mitte April. Und künftig soll jeder – nach Prüfung der Rahmendaten unter anderem durch den Plattform-Betreiber – neue Projekte aus dem Bereich der alternativen Energien einstellen können, die sich als Bürgerkraftwerke strukturieren und finanzieren lassen, und so für Investoren werben. Die Rendite der Genossenschaftsmitglieder orientiert sich an den jeweils erzielten Einspeisevergütungen, die Plattform selbst finanziert sich über projektabhängige Bearbeitungsgebühren.

„Crowdenergy lebt von der Vielfalt der Partner, die sich engagieren möchten. Wir bauen eine Plattform auf, die es Bürgern und Unternehmen leichter macht, sich an erneuerbaren Energieprojekten zu beteiligen beziehungsweise sie zu realisieren. Dafür wird Geld gebraucht, aber eben nicht nur. Es braucht auch technisches, rechtliches und unternehmerisches Know-how. Idealerweise wird das alles von den Projektbeteiligten beigesteuert. Wenn allerdings Kompetenzen oder Ressourcen fehlen, sorgt Crowdenergy dafür, dass diese Lücke gefüllt wird“, so Peer Piske. Die Projekte und Businesspläne müssen natürlich Hand und Fuß haben, um bei Investoren auf Interesse zu stoßen. Piske teilt Sauers Einschätzung, dass neben der nackten Rendite auch die Vorstellung interessant ist, ein liebenswertes Projekt anzuschieben und dessen Entstehungsgeschichte mitzuschreiben: „Projekte, die keine Fans finden, kommen auch nicht an Geld.“ Als Vorbild für Crowdenergy nennt Piske Amerika, wo Crowdfunding bereits seit langem bekannt und weit verbreitet ist. Schon 1997 ermöglichten Marillion-Fans über eine im Internet koordinierte Spendenaktion die Nordamerika-Tour der britischen Rockgruppe, später finanzierten sie auf diesem Weg die Produktion ganzer Alben an der Plattenfirma vorbei. Diese Art der Finanzierung von unten greift seither um sich, vor allem da inzwischen Plattformen wie Kickstarter, Indiegogo oder Startnext das Prinzip organisieren und professionalisieren – allein auf Kickstarter wurden in den vier Jahren seit der Gründung fast 83.000 Projekte vorgestellt; 43 Prozent hatten Erfolg, so dass Kickstarter Investitionen von fast 400 Millionen Dollar vermittelte.

Amerika als Vorreiter

Erste Crowdfunding-Plattformen, die sich auf erneuerbare Energien konzentrieren, sind in Nordamerika inzwischen auch gestartet. Anders als bislang in Deutschland konzentrieren diese sich jedoch von vornherein auf Finanzierung und Realisierung neuer Projekte, nicht auf Investitionen in Bestandsanlagen. Erst im Januar ist im kalifornischen Oakland Solar Mosaic online gegangen, schon in den ersten Tagen kamen dort 300.000 US-Dollar für drei Projekte in den USA zusammen – 4,5 Prozent Rendite verspricht das Unternehmen den Geldgebern. Zielgruppe sind vor allem Mieter, die Solarprojekte auf Dächern in ihrer Region anschieben wollen. Sunfunder, ein Unternehmen aus der benachbarten San Francisco Bay Area, nutzt das Crowdfunding-Modell für Offgrid-Anlagen auf den Philippinen und in Afrika. Und auch in Südamerika ebnet Crowdfunding inzwischen den Weg zu mehr Solarstrom: Auf der Galapagos-Insel St. Cristobal, rund 1.000 Kilometer westlich der Küste von Ecuador in Südamerika, konnte dank Crowdfunding eine 300-Kilowatt-Anlage im Wert von 250.000 US-Dollar realisiert werden – als Teil des Projekts Energiya Global von Yosef Abramowitz, Chef des israelischen Unternehmens Arava Power. Die Solaranlage soll 147.000 Liter Diesel pro Jahr sparen – eine Rendite, die allerdings nicht an die Geldgeber fließt, sondern in ihrem Namen an die Charles-Darwin-Forschungsstation auf Galapagos ausgezahlt wird.

Crowdfunding macht übrigens auch in einem anderen Bereich Karriere: Eine Jury rund um den Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hat den Begriff gerade zum Anglizismus des Jahres 2012 gekürt, eine Publikumswahl kam zum gleichen Ergebnis. Begründung der Jury: „Das Wort füllt eine Lücke im deutschen Wortschatz, die durch das Aufkommen einer neuen Art der netzgestützten Kapitalbeschaffung entstanden ist. Es hat sich im Laufe des letzten Jahres im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert und gut in die Struktur des Deutschen eingefügt.“ Ebenso gut wie in die Finanzierungsstruktur von Photovoltaikprojekten.

Petra Hannen

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