Deshalb wollen alle mitreden: Politiker aus Bund, Ländern und Gemeinden, Vertreter der Kohlelobby und der Konzerne aus Schweden, Tschechien und Essen, Befürworter der erneuerbaren Energien und natürlich – wie immer – die Gewerkschaften. So artet die ganze Sache zu einer Mammutveranstaltung aus, die allein schon richtig viel Kohle frisst.
Warum kommt Merkel nicht zu Potte?
Warum aber kommt das Kabinett Merkel nicht zu Potte? Weil es eine verdammt heikle Sache ist. Denn diese Kommission kommt nicht in die Welt, um etwas zu entscheiden. Sie wird eingesetzt, um der Politik ein Feigenblatt zu bieten. Denn eigentlich ist es Aufgabe der von den Bürgern bezahlten Parlamentarier und Beamten, das Ausstiegsszenario festzulegen. Wozu unterhalten wir Tausende von Mitarbeitern im Bundeswirtschaftsministerium und in den Ländern, wenn sie nicht einmal ansatzweise mit diesem Problem fertig werden?
Denn neu ist die Debatte keineswegs. Sie dreht sich seit Jahrzehnten – im Kreis. Die Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg haben seit der Wende kaum einen Versuch unternommen, den Ausstieg aktiv zu gestalten. Stattdessen klammern sie sich an den Kohledreck, lassen lieber den Spreewald und die Rheinauen sterben, opferten die junge Solarwirtschaft, die 2012 schon deutlich mehr Jobs hatte als die Braunkohle.
Erfahrungen von Ruhr und Saar
Warum ist das so schwer? Deutschland hat bereits Erfahrungen mit dem Ausstieg aus der Kohle, damals ging es um den Ruhrpott und die Saar. Heute sind die früheren Steinkohlezechen schmucke Museen für längst vergangene Zeiten. Hand aufs Herz! Niemand will zum Bergbau zurück, niemand will wieder in die Zechen einfahren, will diese Drecksarbeit machen. Nur sentimentale Romantiker hängen den guten alten Zeiten nach. Als der Ruhrpott noch dreckig, verqualmt und hässlich war. Als die Kohlekumpel mit fünfzig in die Kiste sprangen, mit zerfressenen Lungen und kaputten Knochen.
An der Ruhr fährt niemand mehr unter Tage, dort sind die Lichter ausgegangen. Wer heute die Region durchstreift, passiert grüne Wälder und Seen und saubere Flüsse. Und man entdeckt: Weder das Ruhrgebiet noch das Saarland sind ohne Kohle zum Armenhaus verkommen. Im Gegenteil: Die Branche der erneuerbaren Energien bietet immer mehr Menschen eine Perspektive – mitten in ihrer Heimat, in der man früher nicht einmal atmen konnte. Solargeneratoren nutzen die alten Zechen und Brachen des Bergbaus auf ökonomisch und ökologisch sinnvolle Weise.
Der Murks von Jahrzehnten
Warum also tut sich die Politiker bei der Braunkohle so schwer? Weil sie eingestehen müsste, welchen Murks sie in den vergangenen Jahrzehnten abgeliefert hat. Ebenso die Landesregierungen in Düsseldorf, Dresden und Potsdam. Denn die Braunkohle war schon zur Wiedervereinigung fällig, war wirtschaftlich erledigt. Doch den Leuten vor Ort wurde Sand in die Augen gestreut – eimerweise Asche und Kohledreck.
Ebenso den Stromkunden. Nur um nicht die unangenehmen Entscheidungen fällen zu müssen, die ein Strukturwandel nun mal mit sich bringt. Aber der Wandel ist im Gange, ob die Politik ihn gestaltet oder nicht. In der Lausitz und am Rhein werden die Bagger verschwinden. Sie sind eigentlich nur noch da, weil die Politik nichts unternimmt. Weil sie den Bossen der Bergbaugesellschaften und Energiekonzerne auf dem Schoß sitzt und ganz unverblümt Klientelpolitik betreibt.
Weitermachen wie bisher?
Der Hickhack um die Kohlekommission zeigt, wie korrupt die politische Kaste in diesem Land ist – vom kleinen Beamten bis hinauf ins Bundeskanzleramt. Hier geht es doch nicht um die Braunkohle! Hier geht es ums Milliardengeschäft der Konzerne! Es geht um die Frage, ob die großflächige Vernichtung von Landschaft und die Aufheizung des Weltklimas weiterhin die Basis unserer Wirtschaft – und damit unseres politischen Systems – sein dürfen. Können wir so weitermachen wie bisher?
Weitermachen wie bisher: Wer mit dieser Nicht-Strategie antritt, spielt den dunklen Kräften in dieser Gesellschaft in die Hände. Auf diese Weise lässt man die Menschen allein, vertut wertvolle Zeit – und verprasst Milliarden und Abermilliarden. Das Geld wäre dringend nötig, um den Strukturwandel zu begleiten.
Glückauf? Armes Deutschland!
So aber versickert es in den Taschen der Konzerne und des politischen Apparats. So aber wächst die Hypothek für kommende Generationen, wird noch ein Wald abgeholzt – unwiederbringlich –, wird noch ein Dorf ausradiert, werden weiterhin Familien entwurzelt und zwangsweise umgesiedelt, nur um den Baggern Platz zu machen. Die Spree kippt, weil die Säure aus dem Bergbau die Gewässer in der Lausitz vergiftet. Damit steht die Wasserversorgung von Berlin auf der Kippe. Und am Rhein wachsen die dicken Abgaswolken der Kohlekraftwerke von RWE in den Himmel, die Vorboten des apokalyptischen Untergangs.
Das Klima heizt sich weiter auf, die Temperaturen steigen, weltweit. Die Abschaltung der größten Dreckschleudern am Rhein verzögert sich weiterhin. Die Regierung, die zuständigen Gewerkschaften und die Bosse der Konzerne spielen auf Zeit, auf eine Zeit, die kein Mensch auf dieser Welt noch hat. Da läuft eine Uhr, sie läuft ab, unerbittlich. Für jeden von uns.
Der Hickhack um die Kohlekommission ist Teil dieser Augenwischerei. Das Versagen der Politik beim Ausstieg aus der Braunkohle ist ein demokratisches Desaster. Es ist das Totalversagen der politischen Strukturen und ihrer führenden Köpfe – ausgerechnet bei den wesentlichen Entscheidungen für unsere Zukunft. Hier geht es wirklich ums Überleben. Hört mir auf mit Glückauf! Wenn das unsere Zukunft sein soll, dann Gute Nacht, armes Deutschland!