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Kein Grund zur Torschlusspanik

Die Uhr tickt, obwohl die Höhe der Sonderdegression noch im Bundestag bestätigt werden muss und auch wenn die Koalition ihr Kompromisspaket zum Teil nochmal aufschnürt. Viele Solarkunden versuchen, ihre Anlagen möglichst bis zu dem Zeitpunkt noch ans Netz zu bekommen, den die Regierung ursprünglich als Stichtag vorgesehen hat: den 1. Juli. Das führt zu Engpässen bei den Herstellern und den Handwerkern.

„Ein Irrsinn ist das“, klagt Gotthard Kluge, Elektromeister aus Königshain bei Chemnitz. „Wir sind nicht in der Lage, alle Anfragen zu bedienen und die Anlagen rechtzeitig zu bauen. Zwar sind Module beschaffbar, Wechselrichter jedoch nicht.“ Sechs Leute sind für Kluge unterwegs, um bei den Kunden die Module auf die Dächer zu bringen. „Ich habe extra vier Leiharbeiter eingestellt, um die Flut zu bewältigen“, sagt er. „Die schicke ich im Juli wieder nach Hause, denn dann bricht das Geschäft todsicher für längere Zeit ein.“ Jochen Schnabel, Pressesprecher von Frankensolar, spricht von „Torschlusspanik bis Mitte des Jahres“. Der Ansturm, der jetzt über die Photovoltaik hereingebrochen ist, überflügelte sogar die Erwartung der Optimisten. „Die Nachfrage, die derzeit herrscht, ist viel schlimmer als selbst die kühnsten Prognosen Ende 2009“, bestätigt Günther Elbrecht, Vorstandschef der Solarmarkt AG in Freiburg, eines bundesweit tätigen Solargroßhändlers. „Besonders kritisch sieht es bei den Wechselrichtern aus. Wer im letzten Jahr keine Geräte vorbestellt hat, muss unter Umständen lange Lieferzeiten in Kauf nehmen. Auf die Schnelle ist da nichts zu machen.“ Und wie steht es bei Frankensolar mit Wechselrichtern? „Da lache ich erst mal“, sagt Jochen Schnabel ganz offen. „Wir haben nur Kleinstmengen, um die Nachfrage zu puffern.“

Die Großhändler haben ein ähnliches Problem wie ihre Kunden, die Installateure. Wer nicht über langfristige Lieferverträge mit den Herstellern verfügt, ist ausgeschaltet. „Der Handwerker hat nur eine Chance, die Komponenten innerhalb weniger Wochen zu bekommen, wenn er sehr gute Kontakte zu einem Großhändler hat, der ausreichende Kontingente weltweit einkauft“, sagt Günther Elbrecht von Solarmarkt. Um dem einseitigen Ausverkauf vorzubeugen, greift der Freiburger Großmarkt zu ungewöhnlichen Maßnahmen. „Wir koppeln den Verkauf der begehrten Wechselrichter momentan an den Verkauf von Modulen.“

Schlechte Zeiten für kleine Fische

Gotthard Kluge ist einer von Elbrechts Kunden. Einer von vielen und ein kleiner Fisch. 2009 hat er mit seinen Leuten rund 300 Kilowatt installiert. „Wollte ich direkt bei den Herstellern einkaufen, müsste ich die Ware in großen Containern abnehmen“, sagt Kluge. „Dieses Risiko ist mir zu groß.“ Er hat viele Angebote völlig umsonst abgegeben, weil er mit der Montage bis Mitte des Jahres gar nicht hinterherkommt. „So viele Anlagen können wir bis Juli nicht mehr bauen“, sagt der Installateur und kritisiert die jüngsten Entwicklungen: „Was die Politik veranstaltet, ist kompletter Blödsinn.“

Die Installateure, die nicht schon jetzt völlig überlastet sind, suchen mit Hochdruck nach Modulen und Wechselrichtern, um diese vielleicht letzte Hochkonjunktur mitzunehmen. Ulrich Reidenbach, im Vorstand von Phoenix Solar für den Vertrieb zuständig, kann sich aber auch vorstellen, dass die Panik zu einer Verzerrung des Marktes führt: „Wir müssen abwarten, ob die bestellten Lieferungen auch tatsächlich zu 100 Prozent abgerufen werden.“ Aber selbst, wenn nicht die gesamte Ware abgenommen wird, wird es seiner Meinung nach eng.

Möglicherweise könnten die großen Projektierer zur Entspannung des Marktes beitragen, wenn auch ungewollt: „Wir sind auch als Generalunternehmer für große Solaranlagen auf Freiflächen tätig“, sagt Reidenbach. Phoenix baut Solarparks auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Sie sollen ab Juli keine Einspeisevergütung mehr erhalten. „Wenn sich Verzögerungen abzeichnen, kann es passieren, dass wir solche Projekte aufgeben“, erklärt Reidenbach. „Die freiwerdenden Module stellen wir dann unserer Handelssparte zur Verfügung.“ Projektierer zu sein bedeutet laut Reidenbach zurzeit ein sehr hohes finanzielles Risiko.

Wenn es um den Netzanschluss geht, dürfte die Auflösung von Großprojekten keine Entlastung bringen, denn die großen Zentralwechselrichter bringen keinen Nutzen für kleine Dachanlagen. Die Händler reagieren, indem sie versuchen, die Beschaffung von Wechselrichtern auf eine größere Anzahl von internationalen Anbietern auszuweiten. „Unsere Partnerschaften mit den Herstellern leben von einem rollierenden Forecast, der aus den monatlich abgeglichenen Bedarfsmeldungen unserer Installateurkunden gespeist wird“, sagt Kai Lippert von EWS Handewitt. „Zusätzlich haben wir Vorzugsoptionen für Zusatzkontingente bei unseren Zulieferern, die in gewissem Umfang auch die Aufnahme neuer Kunden ermöglichen.“ Im Klartext bedeutet das, dass EWS versucht, den Bedarf frühzeitig zu erkennen, und auch neue Kunden beliefern will.

Der Mangel an Wechselrichtern muss aber nicht unbedingt dazu führen, dass der Anlagenbau bis Mitte des Jahres zum Erliegen kommt, so dass weder die Verbraucher von der hohen Vergütung noch Installateure von der hohen Konjunktur profitieren können. Denn vielleicht geht es übergangsweise auch ohne Wechselrichter. Jochen Schnabel von Frankensolar hat einen Tipp parat: „Bei diesem Termindruck hat ein pfiffiger Handwerker immer einen Wechselrichter im Kofferraum. Im Gesetz steht nämlich, dass die Inbetriebnahme dadurch erfolgen kann, dass der Generator Strom erzeugt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass er schon einspeisen muss.“ Der Wechselrichter soll nur für einen kurzen Moment Wechselstrom bereitstellen, um zu demonstrieren, dass die Anlage tatsächlich funktioniert.

Provisorische Inbetriebnahme

Im Moment läuft eine Debatte, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz tatsächlich anzuwenden ist. Für die Höhe der Einspeisevergütung ist der Zeitpunkt der Inbetriebnahme entscheidend. In der Neufassung des EEG von 2009 gilt die Betriebsbereitschaft des Generators als wichtigstes Kriterium. Erzeugt er Strom – wie auch immer – gilt die Anlage als errichtet. Als Ende vergangenen Jahres die Wechselrichter ausgingen, akzeptierten größere Netzbetreiber wie Eon oder die Nürnberger N-Ergie diese Sicht. Eine brennende Glühlampe, ein Protokoll und im Idealfall einige Zeugen konnten die Inbetriebnahme vor dem Jahreswechsel retten. Auch wenn die Anlagen tatsächlich erst ab Januar Strom ins Netz einspeisten, nachdem die Wechselrichter montiert wurden. Die Betreiber konnten jedoch die Vergütungssätze für 2009 geltend machen.

Rechtsanwalt Martin Feige aus Karlsruhe hat diese sogenannte „provisorische Inbetriebnahme“ für die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) juristisch unter die Lupe genommen. Er hält das Verfahren für praktikabel. Auch die Clearingstelle EEG in Berlin wies in einem Rundschreiben vom 4. Januar 2010 darauf hin, monierte aber eine gewisse Rechtsunsicherheit. Mitte März fällte die Clearingstelle den Beschluss, bis zum Sommer einen offiziellen Hinweis zur Inbetriebnahme abzugeben. „Das ist jetzt bei uns Chefsache und hat höchste Priorität“, bestätigt Sebastian Lovens, Leiter der Clearingstelle. „Je nachdem, ob der Bundestag Juni oder Juli als Zeitpunkt der Degression festlegt, werden wir unseren Hinweis rechtzeitig etwa vier Wochen vorher veröffentlichen.“

Im Klartext bedeutet das: Der Installateur kann auf eigenes Risiko so viele Solarpaneele installieren wie irgend möglich. Er dokumentiert die Betriebsbereitschaft mit einem kurzen Stromfluss und meldet die Anlagen beim Netzbetreiber ab. Anschließend deckt er den Solargenerator mit einer Plane ab, damit er nicht unkontrolliert Strom produzieren kann. Wenn im Juli dann der Wechselrichter geliefert wird, geht die Anlage ans Netz. So ist zwar die erste Jahreshälfte verloren, aber der Generator kann zumindest noch die Erträge des Hochsommers einspeisen und erhält für die restliche Zeit die Vergütungssätze des ersten Halbjahres 2010.

Ganz 100-prozentig ist die Sache allerdings noch nicht. Die „provisorische Inbetriebnahme“ könnte auch ein Fall für die deutschen Gerichte werden. Anstatt Material und Gewinn hinterherzulaufen, kann man auch ganz gelassen mit dem heißgelaufenen Geschäft umgehen. Das zeigt Michael Hofmann, Inhaber der Ein-Mann-Firma Solartechnik Neckar-Enz in Marbach: „2009 habe ich mehr als ein Megawatt installiert“, sagt er. „Angesichts des Hickhacks um die Einspeisevergütung habe ich mich erst einmal aus dem Geschäft zurückgezogen.“ Bis es Klärung gibt, repariert der Solarteur erst einmal sein Haus.

Hinweis der Clearingstelle

Mit einem sogenannten Hinweisverfahren nimmt sich die Clearingstelle EEG in Berlin der Definition des Inbetriebnahmezeitpunktes im Sinne des § 3 Nr. 5 EEG 2009 an. Den Beschluss zur Einleitung des Verfahrens kann man ab sofort unter www.clearingstelle-eeg.de/hinwv/2010/1 abrufen. Auf der Website kann man sich auch in den Verteiler für den Rundbrief der Clearingstelle eintragen. Dann kommt der Hinweis tagesaktuell per E-Mail.

Heiko Schwarzburger

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