Wer sich in diesen Tagen durch die Webseiten der Branche klickt, stößt immer wieder auf das gleiche Motiv: eine kleine Gruppe von Herren in Nadelstreifen, die etwas ungeübt Schaufeln in die Erde rammen. Dieser Spatenstich steht derzeit als Symbol für eines der drängendsten Probleme der PV-Branche: „Den Engpass bei der Versorgung mit Solarsilizium werden die zahlreichen neuen Anlagen hoffentlich bald beseitigen“, sagt Sebastian Fasbender, Sprecher beim Berliner Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar).
Silizium, das in der Natur nur in chemisch gebundenem Zustand auftritt, ist nach Sauerstoff das zweithäufigste Element der Erdkruste. Doch das Halbmetall muss in einem mehrstufigen Veredelungsprozess in hochreines polykristallines Silizium umgewandelt werden. Dieser Prozess lag lange Zeit in den Händen von sechs großen Unternehmen, darunter der US-Konzern Hemlock, die japanische Tokuyama Corporation und Wacker Chemie in München. „Die Konzerne haben lange Zeit nicht an einen Boom der Photovoltaik geglaubt und daher ihre Kapazitäten für diesen Sektor klein gehalten“, sagt Matthias Fawer, Solarexperte bei der Schweizer Bank Sarasin. Wer vor Jahren einen Langzeitvertrag für Polysilizium mit einem Preis von 40 bis 50 Euro pro Kilogramm abgeschlossen hat, kann sich glücklich schätzen, betont Fawer. Die Preise auf dem Spotmarkt erreichen derzeit über 300 Euro pro Kilogramm.
Wann genau die Rohmateriallücke geschlossen sein wird, weiß keiner präzise zu sagen. Tatsache ist, dass dem Boom bei der installierten Leistung in den nächsten zwei Jahren ein Boom neuer Silizium-Kapazitäten folgen wird. Allein die sechs führenden Hersteller wollen im Jahr 2010 über 80.000 Tonnen Solarsilizium herstellen – 2007 lag die Menge noch bei 38.000 Tonnen. Aber auch kleinere Firmen steigen in die Produktion ein. Fawer hat rund 30 Unternehmen gezählt, die mit der Herstellung von Solarsilizium beginnen oder Kapazitäten ausbauen wollen. Insgesamt, so schätzt die Bank Sarasin in ihrer Studie „Solarenergie 2007“, könnte es in zwei bis drei Jahren weltweit Produktionsstätten für über 130.000 Tonnen geben.
Wacker verdreifacht
Auch der größte deutsche Hersteller, die bayerische Wacker Chemie, arbeitet kräftig am Ausbau seiner Kapazitäten. „Wir investieren insgesamt rund eine Milliarde Euro in die Erweiterung unserer Anlagen am Standort Burghausen“, sagt Firmensprecher Florian Degenhard. Bis 2010 soll die Produktionsmenge von derzeit rund 10.000 Tonnen pro Jahr auf insgesamt 22.000 Jahrestonnen aufgestockt werden. Gegenüber 2006 entspricht das einer Verdreifachung der Kapazität.
Dabei nutzen die Deutschen für die Siliziumherstellung weiterhin das herkömmliche Siemens-Verfahren. Gleichzeitig hat das Unternehmen einen alternativen Prozess entwickelt, mit dem sich laut Degenhard ein besseres Material gewinnen lässt. Bei dem neuen Prozess kristallisiert das Halbmetall nicht an langen Stäben, sondern aus einer Wirbelschicht auf der Oberfläche winziger Siliziumkörnchen. So kann das Granulat kontinuierlich geerntet werden und der Reaktor muss nicht nach jeder Produktionscharge heruntergefahren werden. Außerdem lassen sich die erzeugten Siliziumpartikel effektiver dosieren und verarbeiten, wovon Wafer- und Zellenhersteller profitieren. Eine erste Anlage mit einer Kapazität von 650 Jahrestonnen soll Ende des Jahres in Burghausen in Betrieb gehen.
Ein Teil des Wacker-Siliziums ist schon verplant: Gemeinsam mit der Mainzer Schott errichten die Bayern eine Fabrik in Jena. Noch in diesem Jahr sollen dort multikristalline Siliziumblöcke und Wafer produziert werden.
100 Kilometer nördlich von Jena hat die britische PV Crystalox Solar vor wenigen Monaten in Bitterfeld ihren Spatenstich gesetzt. Hier entsteht eine Anlage, die ab 2009 zunächst 900 Tonnen Silizium produzieren wird. In den Jahren danach wird die Menge auf 1.800 Tonnen gesteigert. Die Briten kooperieren dabei eng mit Evonik Degussa. Die Frankfurter werden den Waferhersteller für die kommenden zehn Jahre mit ausreichend Chlorsilanen versorgen, dem chemischen Ausgangsprodukt für die Siliziumgewinnung.
Ebenfalls am Standort Bitterfeld wird Q-Cells ihre Zellenproduktion kräftig ausbauen. „Wir sind langfristig gut versorgt“. Ein Vertrag mit dem norwegischen Lieferanten Elkem Solar läuft bis zum Jahr 2018. Darüber hinaus will Q-Cells Anteile an der norwegischen REC übernehmen, um sich weitere Mengen an Silizium zu sichern. Nicht zuletzt liefert einer der größten chinesischen Waferhersteller, die LDK Solar, ab 2009 Wafer nach Bitterfeld. Bis 2018 wird Q-Cells daraus Zellen mit einer Gesamtleistung von mehr als sechs Gigawatt herstellen und damit insgesamt 43.000 Tonnen Silizium aus chinesischer Produktion verarbeiten. „Durch diese verschiedenen Verträge haben wir voraussichtlich bereits im Jahr 2010 genügend Material zur Verfügung, um mehr als ein Gigawatt Leistung an Solarzellen pro Jahr zu produzieren“, betont Dietrich.
Metallurgisches Silizium
Q-Cells setzt auch auf eine andere Form des Rohstoffs. Die Elkem wird kein polykristallines, sondern metallurgisches Silizium liefern – in diesem Jahr erstmals mehrere hundert Tonnen. Die bis 2018 vereinbarte Liefermenge entspricht laut Dietrich einer Gesamtleistung der daraus produzierten Solarzellen von mehr als zehn Gigawatt.
Polykristallines Silizium lässt sich freilich nicht einfach durch metallurgisches ersetzen. Das industrielle Rohsilizium ist auch nach einer chemischen Aufreinigung noch stärker verunreinigt als die polykristalline Form. Zudem hat die Branche bislang mit diesem Material keine großtechnischen Erfahrungen bezüglich Wirkungsgrad und Langzeitstabilität. Allerdings ist metallurgisches Silizium preiswerter in der Produktion, weil es zur Herstellung nur ein Viertel der Energie des Siemens-Prozesses benötigt. Vor allem aber ist es in großen Mengen vorhanden. „Pro Jahr werden weltweit rund 1,5 Millionen Tonnen davon hergestellt“, schätzt Eicke Weber, Leiter des Fraunho fer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). In erster Linie landet das Rohsilizium bislang als Legierungsbestandteil in Stählen und ist Ausgangsstoff für die Herstellung von Silikonen. Doch die große Menge und vor allem der Preis – metallurgisches Silizium ist laut Weber schon für einen Dollar pro Kilogramm zu haben – werden den PV-Markt in Bewegung versetzen.
Q-Cells wird das Rohsilizium zunächst nur in der Mischung mit polykristallinem Material verarbeiten. In den kommenden Jahren soll dann das Mischungsverhältnis von anfangs rund 50:50 langsam so verändert werden, dass mittelfristig Solarzellen vollständig aus metallurgischem Silizium hergestellt werden können. „Der Einsatz des metallurgischen Siliziums wird einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die heute noch bestehende Knappheit dauerhaft zu überwinden und damit die Kosten der Photovoltaik deutlich zu senken“, meldet die Firma auf ihrer Webseite. Das glaubt auch Sarasin-Experte Fawer, allerdings: „Ungewiss bleibt momentan noch, wie schnell das unreinere Silizium von der Photovoltaik-Industrie angenommen wird.“
Sunways kniet sich rein
Auch die Sunways in Konstanz setzt auf das metallurgische Silizium. Es hat einen Kooperationsvertrag mit der Berliner Solarvalue geschlossen. Solarvalue rüstet derzeit im slowenischen Ruse – 30 Kilometer von der österreichischen Grenze – eine ehemalige Kalziumkarbid-Produktion für die Herstellung von Solarsilizium um. Dort sollen jährlich mehrere tausend Tonnen Rohsilizium aus Quarz und Kohlenstoff erschmolzen aufgereinigt werden. Außerdem kooperiert Sunways ebenfalls mit der chinesischen LDK Solar. Die Konstanzer haben den Chinesen ihre beiden Siemens-Reaktoren verkauft. Im Gegenzug liefert LDK ab diesem Jahr preiswerte, multikristalline Wafer.
Zudem will Sunways am Standort Schwarze Pumpe in Sachsen voraussichtlich ab Ende kommenden Jahres rund 1.000 Jahrestonnen eigenes polykristallines Silizium herstellen. Die neue Anlage wird nicht das herkömmliche Siemens-Verfahren nutzen, sondern den sogenannten Monosilan-Prozess, der für die Abscheidung des Solarsiliziums deutlich weniger Energie verbraucht. Über den energetisch günstigeren Monosilan-Prozess versorgt sich künftig auch die Bonner Solarworld. Am Standort Rheinfelden baut Solarworld im Joint Venture mit Evonik Degussa eine Anlage für zunächst 850 Tonnen im Jahr, die dann in Freiberg aufgeschmolzen und zu Wafern und Solarzellen weiterverarbeitet werden.
Bei allen vielversprechenden Plänen und Projekten für die künftige Rohstoffversorgung warnen die Schweizer Experten bei Sarasin aber vor zu viel Optimismus. Die jüngste PV-Studie geht davon aus, dass nur ein Teil der angekündigten Kapazitäten gemäß Zeitplan realisiert wird. Insbesondere bei russischen und chinesischen Projekten und bei Newcomern ohne die nötige technologische Erfahrung seien Verzögerungen zu erwarten. Zudem seien die momentanen Ausbaupläne für die Solarzellenkapazitäten sehr ambitioniert. „Man darf nicht vergessen, dass der Photovoltaik-Boom in den meisten Ländern ein gesetzlich gestützter Boom ist“, betont Studienautor Fawer. Das heißt: Wenn sich die politischen Rahmenbedingungen ändern, ändert sich womöglich auch schnell die Nachfrage. „Umso wichtiger ist es daher, dass energiesparende Herstellprozesse und preiswerteres Silizium deutlich die Kosten der Photovoltaik drücken.“