Zwei Klassikern der Folterkunst sieht sich die Photovoltaikbranche derzeit ausgesetzt: Daumenschrauben und Streckbank. Der national wie international laufende Preiskampf, der jetzt auch noch durch die bevorstehende Kürzung der deutschen Einspeisevergütung verschärft wird, sorgt für schmerzhaften Druck. Und um unter diesen Bedingungen noch wirtschaftlich produzieren und projektieren zu können, werden seitens der Unternehmen nicht minder unangenehme Dehnübungen nötig sein.
Seit Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) im Januar seine Kürzungspläne auf den Tisch gelegt hat, herrscht Skepsis – nicht nur beim Bundesverband Solarwirtschaft oder den betroffenen Unternehmen, sondern auch an den Börsen. Ob die Kürzung letztlich 15 oder 16 Prozent betragen und ab April oder doch erst ab Juni greifen wird, spielt dabei für Händler wie Analysten kaum eine Rolle: Sie erwarten in jedem Fall sinkende Gewinne bei den Unternehmen.
Pessimismus drückt die Kurse
Dieser pessimistische Ausblick drückt seit Wochen die Kurse vieler Solarwerte in den Keller – und zwar international. Schließlich profitieren von staatlichen Anreizsystemen meist nicht nur die heimischen Unternehmen, sondern auch deren ausländische Konkurrenz. „Wenn ein wichtiger Absatzmarkt wegen Änderungen der Förderung austrocknet, dann betrifft es jeden“, bringt es die Analystin Christine Hersey der US-amerikanischen Investmentbank Wedbush Morgan auf den Punkt.
Auch Herseys deutsche Kollegen sind alles andere als begeistert über die geplante drastische Kürzung. Sven Kürten von der DZ Bank erwartet einen Umsatzeinbruch von 40 Prozent auf dem deutschen Solarmarkt, der immerhin rund die Hälfte des Weltmarktes ausmacht. Nicht ganz so düster ist das Szenario der WestLB, die für Deutschland mit einem Marktrückgang um acht Prozent im laufenden Jahr rechnet – die bisherige Prognose lautete auf ein Wachstum von zehn Prozent. Aber ihr Fazit ist das gleiche: Für alle Unternehmen wird es schwierig werden, die Einbußen auf dem wichtigen deutschen Markt möglichst schnell in anderen Ländern auszugleichen.
Europäische Firmen werden es mehreren Analysten-Meinungen zufolge dabei besonders schwer haben. „Die Unternehmen werden jetzt verstärkt versuchen, in andere Märkte wie Frankreich, Italien, Spanien und Tschechien zu gehen. Aber wir reden hier über viel kleinere Märkte als Deutschland“, sagt Karsten von Blumenthal von SES Research – und ein Sprung nach China oder in die USA kostet Zeit und Geld.
„Aus für den europäischen Produktionsstandort“
Wolfgang Seeliger von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) befürchtet sogar, dass eine Absenkung der Förderung im zweistelligen Prozentbereich letztlich das Aus für den europäischen Produktionsstandort bedeutet. Denn er geht davon aus, dass bei der Realisierung von Photovoltaikprojekten eine Rendite von sieben Prozent die kritische Schwelle ist – diese Schwelle könnten Projekte in Deutschland mit hierzulande hergestellten Modulen nach einer entsprechenden Kürzung der Förderung aber nicht mehr erreichen. Anders sehe es bei ostasiatischen Herstellern aus, die könnten auch eine Absenkung um 20 Prozent relativ locker wegstecken. Seeligers Fazit: „Auf die knappste mögliche Formulierung gebracht: Eine Absenkung des Einspeisetarifs um zweistellige Prozentbeträge wird die europäische Modulindustrie aus dem Wettbewerb katapultieren.“
Wolfgang Seeliger ist der Ansicht, dass es nur wenige europäische Unternehmen schaffen werden, durch eine Mischung aus Produktionsoptimierung, innovativer Technologie und Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer doch noch im Wettbewerb zu bestehen. Unter den derzeitigen Konstellationen empfiehlt er Anlegern Anteile von ostasiatischen Unternehmen, lokalen Projektentwicklern, Siliziumherstellern und Maschinenlieferanten.
Ein Stammsitz in Ostasien ist allerdings bei Zell- und Modulproduzenten kein Garant für steigende Kurse – zumindest kurzfristig. Viele chinesische Solarfirmen exportieren über 50 Prozent ihrer Produktion nach Deutschland, auch sie werden also zunächst mit den veränderten deutschen Rahmenbedingungen zu kämpfen haben. Dann allerdings könnten sie – wie schon in der letzten Solarkrise im vergangenen Jahr – aufgrund ihrer besseren Kostenstruktur sogar von der Kürzung der Einspeisevergütung profitieren und Marktanteile hinzugewinnen. Denn die reduzierten Fördersätze dürften die Käufer von Solaranlagen noch preissensibler werden lassen.
Anleger brauchen gute Nerven
Für Besitzer oder potenzielle Käufer von Solarwerten bedeuten diese Szenarien vor allem eines: Sie brauchen gute Nerven. Zurzeit werden alle Aktien des Sektors abgestraft für die Unsicherheit, die die politischen Diskussionen der Branche bescheren. Aber schon mehren sich die Stimmen, die die panikartige Flucht aus diesen Papieren und die damit verbundene Abwertung an der Börse für übertrieben halten.
Selbst US-Analyst Robert Stone vom Finanzhaus Cowen, der in der Vergangenheit immer wieder auf Schattenseiten der Sonnenbranche aufmerksam machte, hält an seiner Prognose fest, dass die weltweite Nachfrage für Solarprodukte 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent zunehmen wird. Er wertet den niedrigen Kurs etlicher Solartitel als eine günstige Gelegenheit zum Einstieg. Ähnlich ist die Position seines britischen Kollegen Ben Lynch von Bryan, Ganier & Co. Der globale Solarmarkt wird nach seiner Einschätzung trotz eines voraussichtlich schwierigen zweiten Halbjahres für den deutschen Solarsektor im Jahr 2010 insgesamt um 30 Prozent wachsen; Lynch erwartet Neuinstallationen im Umfang von rund sieben Gigawatt weltweit.
Einfluss der Politik sinkt
Anleger werden sich allerdings die einzelnen Photovoltaikunternehmen vor dem Kauf von Aktien oder auch Anleihen genau ansehen müssen. Denn allen Verunsicherungen und Marktverschiebungen zum Trotz: Die im Moment dominierende Frage, wer wie viel in hoch subventionierten Märkten verdient, wird wahrscheinlich nicht mehr lange von Bedeutung sein. Stimmen die Prognosen der Branche, wonach bereits 2013 Solarstrom auch ohne Subventionen konkurrenzfähig sein könnte, wird der politische Einfluss auf die Kurse der Solaraktien abnehmen. Spätestens dann werden wieder Aspekte in den Vordergrund rücken, die auch in anderen Branchen den Wettbewerb bestimmen: Technologie- und Marktführerschaft, Internationalisierung und Vertikalisierung, effiziente Strukturen – Aspekte, die in der aktuellen Debatte zu kurz kommen.
Scharenweise haben sich Analysten in den vergangenen Wochen auf die Bewertung von Solartiteln gestürzt, oft unter dem Eindruck der politischen Ereignisse und daher mit eher kurzfristiger Perspektive, oft einander widersprechend. Die meisten Photovoltaikproduzenten kassierten dabei kritische Anmerkungen, Absenkungen der Kursziele oder gar Verkaufsempfehlungen. Besonders betroffen: Hersteller von Zellen und Modulen, deren ohnehin harter Preiskampf durch sinkende Einspeisevergütungen – neben Deutschland ja auch in Frankreich und demnächst in Italien – noch befördert und einige mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in finanzielle Schieflage bringen wird.
Zulieferer im Vorteil
Denn überwiegend beeinflusste schlicht die Position des jeweiligen Unternehmens in der solaren Wertschöpfungskette die Gunst der Analysten. Die meisten Zulieferer etwa konnten sich dem negativen Trend entziehen. Wechselrichterproduzent SMA Solar beispielsweise, erst Mitte 2008 an der Börse gestartet, wird überwiegend wohlwollend betrachtet: Wechselrichter werden immer gebraucht, außerdem sind die asiatischen Unternehmen auf diesem Gebiet noch nicht aktiv und die Preise daher nicht so stark unter Druck.
Ähnliches gilt für die Maschinenbauer im Solarsektor. Firmen wie Manz Automation, Roth & Rau oder Centrotherm stellen die Fertigungslinien für Solarzellen her, und da wird die Marktentwicklung zum Vorteil: Asiatische Firmen, die den deutschen Konkurrenten in der Zell- und Modulproduktion langsam, aber sicher die Position streitig machen, tun das – zumindest noch – häufig mit Maschinen aus deutscher Produktion.
Auch im Upstream-Bereich entspannt die grundsätzliche Erwartung, dass die Photovoltaik weltweit weiter wachsen wird, die Einschätzung der Analysten. Die europäische Research-Abteilung der japanischen Bank Nomura, die erst Anfang dieses des Jahres mit der Beobachtung von Solarwerten begonnen hat, erwartet grundsätzlich weltweit ein starkes Volumenwachstum im Solarsektor. Davon werden nach Einschätzung von Analystin Catharina Saponar vor allem führende Silizium-, Ingot- und Waferhersteller profitieren – Wacker Chemie, REC, PV Crystalox, Renesola. Bei REC gehen die Analysten-Meinungen allerdings angesichts überraschend schlechter aktueller Geschäftszahlen auseinander. Durchwachsen sind auch die Einschätzungen im Downstream-Segment. Lediglich solchen Unternehmen, die ihr Engagement international breit gestreut haben wie Phoenix Solar oder Kerself, sind die Börsianer freundlich gesonnen.
Günstiger Zeitpunkt zum Kauf?
„Buy on bad news“ lautet eine Börsenweisheit, die empfiehlt, in Werte von Unternehmen zu investieren, die eine schlechte Nachricht bekannt gegeben haben. Diese Anlagestrategie beruht auf der Annahme, dass ein Großteil der schlechten in- und externen Entwicklungen eines Unternehmens bereits im Aktienkurs eingepreist ist. Für viele Solarwerte dürfte das nach der Abwärtsspirale der vergangenen Wochen inzwischen zutreffen. Andererseits wird nicht jedes Produkt, nicht jedes Unternehmen von dem Wachstumspotenzial profitieren, das der Photovoltaik allen Unkenrufen zum Trotz weiterhin weltweit zugebilligt wird.
Wer sich nicht kontinuierlich mit Kauf und Verkauf von Einzelwerten beschäftigen beziehungsweise das Anlagerisiko möglichst breit streuen möchte, kann daher in auf die Solarbranche spezialisierte Aktienfonds und Indexprodukte investieren, beispielsweise in Papiere, die an den Index Photovoltaik Global 30 angelehnt sind (siehe Seite 24). Aber auch bei diesen breit aufgestellten Anlagevarianten gilt: Daumenschrauben und Streckbank hinterlassen schmerzhafte Spuren.